DER KOMPASS.

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Amir D. Aczel
DER K O M P A S S .
Eine Erfindung verändert die Welt
Deutsch
von Hainer Kober
Rowohlt
Die ametikanirche Originalausgabe enchien mar unter dem Titel
The Riddle of the Compars. Thr Invention n o t Changed thr World
bei Harcourt, Inc., New York.
I . AQageJanuar zoo5
Copyright der deutschsprachigen Augabe
D 200s by Rowohlr Verlag GmbH. Reinbek bei Hamburg
Copytight 0 2001by Amir D. Aczel
Ale deutschen Rechte vorbehalten
Redaktion Katin Schneider
Satz aus der Dante PostScript. QuarkXPress 4.1.
bei KCS GmbH. BuchhoLiHamburg
Dnick und Bindung Clauren & Bosse, L e k
Printed in Germany
lSBN 3 49R 00056 X
Für Debra
Inhalt
Kapitel eins ODYSSEE 15
KapitelzweiSEE- UND HIMMELSZEICHEN 23
Kapitel drei DANTE 41
KapitelvierDER ETRUSKISCHE LEUCHTER 49
Kapitelfunf AMALFI 63
KapitelsechsDER GEIST DES FLAVIO GlOlA
Kapitel sieben
EISENFISCH, M A G N E T I T S C H I L D K R ~ T E85
Kapitel neun MARCO POLO ~ri.
Kapitel zehn
DIE KARTIERUNG DES MITTELMEERS 129
KapiteieifElNE NAUTISCHE REVOLUTION 137
Resümee 155
Eine Bemerkungzu den Quellen 161
Literatur 164
Danksagung 168
Register 170
Vorwort
Die zweite Hälfte des 1s.Jahrhunderts markiert für die Weltgeschichte einen Neubeginn. Fiel in das 20. Jahrhundert die
~ ~ ~ ~ ldes~ lnformanonswesens
t i o n
und in das 18. der Beginn der industriellen Revolution, so Iasst sich das Ende des
13.~ ~ h ~ h ~ n d
zueRecht
r t s als der Beginn der kommerziellen
Revolution betrachten.
~b 1280 erlebte die Welt innerhalb weniger Jahrzehnte
einen dramatischen Aufschwung des Handels und des Gewerbes, und mit ihnen wuchs der Wohlstand von Seemächten wie Venedig, Spanien und England. Dies ermöglichte
eine einzige Erfuidung: die des Magnetkompasses. Der
Kompass war das erste Instrument, das den Navigatoren auf
See, an Land und - viel später - in der Luft gestattete, unter
beinahe allen Umständen zu jeder Tages- oder Nachtzeit
schnell und genau die Himmelsrichtung zu bestimmen. So
wurde es möglich, Güter Kosten sparend und verlässlich
über die Meere zu befördern und die Welt von der See her
zu erforschen. Das Bild der Welt hatte sich unwidermflich
gewandelt.
Daher war der Kompass die bedeutsamste technologische Erfindung nach dem Rad. Mit Ausnahme antiker
Waagen war der Kompass zugleich das erste mechanische
Messgerät, das jemals erfunden wurde, und das erste Zeigerinstrument, das es dem Menschen gestattete, ein Messergeb"is- in diesem Palle die Richtung- sichtbar zu machen.
.9.
Die Bedeutung des Magnetkompasses lässt sic
überschätzen. Heute, siebenhundert Jahre nach dem Aufkommen des Kompasses mit untergelegter Windrose und
tausend oder mehr Jahre nach der Erfindung des einfacheren Nadelkompasses, hat jedes Schiff sicherheitshalber neben den elektronischen Instrumenten auch eine1I KompaISS
an Bord.
Doch war der Magnetkompass nicht nur eine gefeier'te
technologische und wissenschaftliche Neuheit. Zugleich
wurde er zu einer Metapher der Dichtkunst und für lange
Zeit ein Instrument mystischer Untersuchungen und des
Weissagens. Seit den Anfangen der Kultur ist der Mensch
fasziniert von der Naturerscheinung des Magnetismus. Wegen seiner erstaunlichen Fähigkeit, aus der Ferne auf metallene Gegenstände einzuwirken, wurden dem Magnetit,
dem Magneteisenstein, übernatürliche Kräfte zugeschrieben. Jahrhunderte bevor der Kompass im Westen bekannt
wurde, nutzten chinesische Wahrsager einen Magnetkompass als Hilfsmittel zur Entscheidungsfmdung und Weissagung. In Europa, insbesondere an den Gestaden des Mittelmeers, erfreuten sich kultische Handlungen, bei denen
magnetische Gerätschaften zum Einsatz kamen, ebenfalls
großer Beliebtheit.
Die Ursprünge des Kompasses umgibt der 1Schleier Iies
Geheimnisses. Oder besser, die Geschichte des Kompasses
L-..&,
erweist sich als eine Reihe von Rätseln, die bis miii iicu~ngen
Tag noch nicht befriedigend gelöst wurden. Will man erzählen, wie der Magnetkompass erfunden wurde, heißt dies,
das ganze Spektrum der menschlichen Kultur zu betrachten. Geographisch umfasst die Erzählung den gesamten
Globus, von China bis zum Mittelmeer, Skandinavien, Arabien, Afrika und die Neue Welt. Historisch schließt sie Er-
die sich in Altertum und Mittelalter zutrugen
und bis in unsere Zeit fortwirken. Dieses Buch untersucht
all diese Rätsel, die in ihrer Gesamtheit die Geschichte des
Kompasses darstellen - die Geheimnisse um jene E&dung, die einen Wandel von Navigation, Handel und Weltwirtschaft zur Folge hatte.
,ignisse
~ ~ r ~ o m pfunktioniert,
ass
weil die Erde ein riesiger Magnet
ist. in Magnet ist ein Objekt, das ein Magnetfeld erzeugt den Raum, der den Magnetenumgibt; dann wirkenunsichtbare Kraftlinien, die zwischen zwei Punkten verlaufen, dem
so genannten Nord- und dem Südpol des Magneten. Jedes
Mal, wenn sich Elektronen bewegen, wird ein Magnetfeld
induziert: beispielsweise wenn ein elektrischer Strom fließt.
Natürliche Magneten wie etwa der Magnetit verdanken ihren Magnetismus den seltsamen Elektronenbewegungen in
ihrem Inneren. Das Magnetfeld übt auf Eisen und ähnliche
Elemente eine anziehende Wirkung aus; andere Magneten
werden von dem Feld je nach ihrer Ausrichtung entweder
angezogen oder abgestoßen. Gleichnamige Pole stoßen einander ab, ungleichnamige ziehen einander an. Wird ein Magnet, der frei beweglich ist, in ein Magnetfeld gebracht, so
richtet er sich nach diesem aus.
Tief unter der Erdoberfläche bewegt sich der flüssige
Eisenkern in einem sphäroidischen Muster. Die Ströme, die
bei der Rotation dieser fließenden Eisenmasse erzeugt werden, rufen einen Dynamoeffekt hervor, der den Magnetismus erzeugt. Sie verwandeln die Erde in einen gigantischen
Magneten, der ein magnetisches Feld sowie einen Nordund einen Südpol besitzt,
Die Kompassnadel ist ein kleiner Magnet, der an der Luft
oder in einer ~lüssigkeitso angebracht ist, dass er sich frei
Wie der Magnerkompass funktioniert
drehen und ausrichten kam. Dieser Magnet reagie rt auf da!s
von dem Riesenmagneten Erde erzeugte Magnetfeld un<1
richtet sich entsprechend aus.
Der magnetische Nordpol der Erde befand sich nicht immer in der Richtung, die wir als Norden kennen, und der
magnetische Südpol lag nicht immer im Süden. Die Polarität der Erde bleibt Hunderttausende Jahre konstant und ändert sich dann plötzlich. Bei einer solchen Ändemng wird
der magnetische Nordpol zum Südpol und umgekehrt. Der
Existenz dieses geheimnisvollen Phänomens sind die Wissenschaftler auf die Spur gekommen, als sie die Ablagerungen von Elementen untersuchten, die sich nach dem Magnetfeld der Erde ausrichten, und als sie schätzten, wie
viel zeit vergangen ist, seit diese Elemente frei beweglich
waren und sich ausrichteten, ehe sie sich an Ort und Stelle
verfestigten. W u wissen nicht, warum unser Planet seine
polarirät verändert und wann die nächste Umkehrung
wird. Doch hätten Sie vor 300000 Jahren - vor
dem letzten Wechsel der Polarität - ein Schiff gesteuert, so
hätte die Kompassnadel nach Süden statt nach Norden gezeigt.
Kompass ist ein verlässliches Instrument, allerdings
beeinträchtigen einige Faktoren seine Leistung. Der magnensche ~ o r d p oder
l Erde ist nicht ganz identisch mit dem tatsächlichen geographischen Nordpol. Diese Abweichung
vom wahren Norden ändert sich von Ort zu Ort und im
Laufe der Zeit. Mit Hilfe von Tabellen und Diagrammen
kann ein Nautiker jedoch die relativ geringe Deviation kor"gieren, die sich aus dem Unterschied von magnetischem
und geographischem Nordpol ergibt, und exakt navigieren.
Auch metallene Gegenstände an Bord eines Schiffes können
einen Kompass veranlassen, vom magnetischen Nordpol
der Erde abzuweichen. Diese Fehlweisung lässt sich verhindern, indem man den Kompass seiner Umgebung anpasst:
Zumeist werden an seinen Seiten zwei große Metallkugeln
angebracht. Sind diese Korrekturen erfolgt, ist der Magnetkompass eine sehr verlässliche Navigationshilfe.
Wie entdeckte man, dass eine an der Luft oder in Flüssigkeit
angebrachte Magnemadel zur Anzeige der Nordrichtung
venvendet werden kann? Woher stammt die Vorstellung
Von Nord, Süd, West und Ost, und wie lernten die Seefahrer von diesen Himmelsrichtungen Gebrauch m machen?
Wie navigierten sie auf See, bevor sie einen Kompass hatten? Und wie begannen sie, sich den Kompass zur Naviga-
tion nutzbar zu machen? Dies sind ein paar der Rätsel, die
wir in diesem Buch lösen wollen.
Die Geschichte des Kompasses berichtet vom wunderbaren Einfallsreichtum des Menschen,von Erfindergeist,Innovation, günstigen Bedingungen und Kapitalismus. Sie erzählt, wie eine Kultur eine bedeutende Erfindung machte
und wie eine andere Kultur auf der jenseits liegenden Seite
der Erde diese Erfindung nutzte, um den Handel zu fordern
und Wohlstand zu schaffen. Sie erzählt von der menschlichen Kultur und ihrer Fähigkeit, durch Erfindungsgabeund
vorteilhafte Verhäimisse, durch Entwicklung einer Technologie und Nutzung ihrer Möglichkeiten zu Macht und
Wohlstand zu gelangen
Kapitel eins
ODYSSEE
.
Schon als Kind interessierte ich mich für den Kompass. Ich
wurde auf einem Passagierschiff gro0, das im Mittelmeer
kreuzte. Sein Kapitän war meinVater. Ich verbrachte meine
ganze Kindheit an Bord, abgesehen von den paar Monaten
des Jahres, die ich zum Schulbesuch an Land blieb. Auf See
arbeitete ich Versäumtes durcb Korrespondenz mit meinen
Lehrern auf. Irgendwie gelang es mir, auf diese Weise meine
Schulausbiidungabzuschließen.An Bord des Schiffesjedoch
lernte ich andere Dinge.
Als ich zehn Jahre alt war, lehrte mich mein Vater, ein
Schiff zu steuern. Ein Mitglied der Mannschaft brachte mir
einen kleinen Schemel, damit ich ans Steuerrad heranreichen konnte. Anfangs hielten mein Vater und ich es gemeinsam, dann lernte ich, nach den Anweisungen meines Kapitäns allein zu steuern. «Backbord zehn., wird mein Vater
angeordnet haben. «Backbord zehn, Sir», werde ich geantwortet haben und auf Kurs gegangen sein. «Steuerbord
fünfi,, wird er mir zugerufen haben, und ich werde <Steuerbord fünf» erwidert und das Rad herumgeworfen haben.
Danach kamen schwerere Aufgaben auf mich zu. Wenn
mein Vater befahl: «Kurs halten!? musste ich mit Hilfe des
Scbiffskompassesexakt auf jenem Kurs bleiben, der in dem
Augenblick angezeigt wurde, als mein Vater den Befehl erteilte. Das war schwierig: Ein Schiff ist kein Auto, wie ich
Jahre später erfuhr, als ich alt genug war, um den Führer-
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