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Bei Ulcus cruris:
Diagnostik und Therapie
„Ulcus cruris“ ist keine Diagnose, sondern die Folge einer Wundheilungsstörung am Unterschenkel, die durch unterschiedliche Faktoren bedingt sein
kann. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist daher die exakte
Diagnostik. Sie als Podologen und medizinische Fußpfleger sollten die wichtigsten Verfahren kennen und wissen,
wann sie zum Einsatz kommen.
enn Körpergewebe durch bestimmte krankhafte Prozesse vorgeschädigt ist, besteht meist eine schlechte Heilungstendenz. Ist ein Ulcus cruris
entstanden, muss man fragen: Vor welchem pathologischen Hintergrund konnte sich dieses Unterschenkelgeschwür
entwickeln? Als mögliche Ursache kommen in Frage eine:
❚ chronisch venöse Insuffizienz (CVI)
❚ periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
❚ periphere Neuropathie (häufig bei Diabetes mellitus, aber auch nach Nervenverletzungen, bei perniziöser Anämie
und anderen Erkrankungen).
Steckt eine Autoimmunerkrankung dahinter wie etwa eine Vaskulitis (Entzündung
der Blutgefäße) oder gar ein Malignom?
In seltenen Fällen sind auch Infektionen
wie beispielsweise tiefe Mykosen oder
Mykobakteriosen für ein Unterschenkelgeschwür verantwortlich. Aber auch Kalziumablagerungen im Gewebe (Kalziphylaxie) bei chronischer Niereninsuffi-
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© Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download
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(Foto: ©Klaus von Wirth)
Venenerkrankungen
zienz sowie bei einer Überfunktion der
Nebenschilddrüse (Hyperparathyroidismus) sind möglich.
Ulcus cruris – aber was für eines?
Venös, arteriell oder „gemischt“? Finden
sich die typischen Zeichen der chronisch
venösen Insuffizienz wie Varikose, Stauungsdermatitis oder gelbbraune Hautverfärbungen? Schmerzt das Bein beim
Gehen? Oder weist das Bein eine Deformität wie ein umgekehrter Flaschenhals
auf – Zeichen dafür, dass anhaltender
Blutstau zur chronischen Entzündung der
Haut und tieferer Gewebe geführt hat
und schließlich eine Dermatoliposklerose den Knöchel wie eine Manschette umschnürt.
Wenn auch manchmal auf den ersten
Blick alles nach einer chronisch venösen
Insuffizienz aussieht, muss stets durch
Palpation der peripheren Arterienpulse
bzw. durch die dopplersonographische
Messung der peripheren Arteriendrucke
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Venenerkrankungen
eine arterielle Verschlusskrankheit ausgeschlossen werden.
Besteht der Verdacht einer Vaskulitis oder
einer Neoplasie (der gut- oder bösartigen
Neubildung von Körpergewebe), muss
eine Biopsie vom Ulkusrand genommen
werden. Außerdem hat es sich in jedem
Fall bewährt, Blutwerte zu bestimmen
wie die Blutkörperchensenkungszeit
(BKS), den Entzündungsparameter Creaktives Protein (CRP), Elektrolyte, Gesamteiweiß, Harnstoff, Kreatinin, Stoffwechsel- und Gerinnungsparameter.
Weitere „Ermittlungen“ übernimmt die apparative Diagnostik.
Diagnostische Verfahren
beim Ulcus cruris venosum
Die Mehrzahl der varikösen Veränderungen kann man bei aufrechter Körperhaltung des Patienten erkennen. Liegen Varizen allerdings tief im subkutanen Fettgewebe, beispielsweise bei einer Stammvarikose der V. saphena magna im Oberschenkelbereich, ist die Erfassung nicht
sicher möglich.
Die typische Lokalisation des Ulcus cruris venosum ist der Bereich des medialen Knöchels. Das Geschwür ist meist wenig schmerzhaft. Die Haut in der Umgebung wirkt verhärtet (Dermatoliposklerose) und zeigt häufig ein Ekzem. Nicht selten ist auch das „kroExperten raten: Bei nenartige“ Geflecht
jedem Patienten mit der oberflächlichen
einem Ulcus cruris Knöchelvenen („Cosollte eine Doppler- rona phlebectatica
Sonographie zur
paraplantaris“) sichtUntersuchung des
oberflächlichen und bar. Bei manchen Patiefen Venensys- tienten sind münztems durchgeführt bis handtellergroße
werden weiße Flecken zu se2
Ultraschall oder Röntgen?
Bevor es die moderne Ultraschalltechnik gab, war die Phlebographie die
beste Möglichkeit, die Beinvenen darzustellen. Dabei handelt es sich um eine Röntgenaufnahme der Beinvenen, in
die zuvor ein Kontrastmittel gespritzt
worden ist.
Heute wird die Phlebographie nur noch
bei speziellen Fragestellungen durchgeführt. Die moderne Ultraschalltechnik
macht krankhafte Veränderungen der
Venen und ihrer Klappen ohne Strahlenbelastung sehr genau sichtbar. Es lässt
sich farblich darstellen, wie schnell und in
welchen Bahnen das Blut in den Gefäßen fließt. Bei den bildgebenden Verfahren steht in der Varikosediagnostik die
Duplexsonographie, gegebenenfalls in
der eben angesprochenen farbkodierten Variante, an erster Stelle.
hen („Atrophieblanche“).Gleichzeitigkönnen gelbbraune Hautverfärbungen durch
Hämosiderineinlagerung auffallen.
Die Frage, ob ein Ödem von insuffizienten Venen oder von einem überforderten Lymphsystem herrührt, ist schnell beantwortet: Bei der Unterscheidung von
Phlebödem und Lymphödem hilft das so
genannte Stemmer-Zeichen. Bei Vorliegen eines Lymphödems gelingt es nicht,
die Haut über dem Grundgelenk der
zweiten Zehe als Falte abzuheben.
Zur genaueren Abklärung eines Lymphödems werden die indirekte Lymphographie und weitere spezielle Verfahren
herangezogen.
❚ Der Doppler-Ultraschall ist ein Verfahren der Gefäßdiagnostik, bei dem man
mit Ultraschallwellen von außen das
Strömungsverhalten des Blutes in den
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Gefäßen beurteilen kann. Bei dieser
Methode handelt es sich nicht um ein
bildgebendes Verfahren, sodass komplexe anatomische Situationen hiermit
nicht entschlüsselt werden können. Physiologische und pathologische Gegebenheiten hingegen lassen sich jedoch
gut differenzieren. So gelingen mit dieser Methode in aller Regel die Bestimmung der Rückfluss-(Reflux-)länge bei
der kompletten Stammvarikose sowie
der Refluxnachweis im Bereich der
Krosse. Krosse oder „Crosse“ heißen
auch „Venensterne“. „Leisten-Krosse“
nennt man beispielsweise die Region,
in welcher die Stammvene in die tiefe
Vene in der Leiste (V. saphena magna)
mündet. Entsprechendes gilt für den
Bereich der Kniekehle („KniekehlenKrosse“; V. saphena parva).
Zu den provozierten Signalen gehört
zum Beispiel das so genannte Valsalvamanöver: Im Ultraschallbild sieht man
deutlich, wie beim Pressen der Blutfluss
umkehrt und ins Bein zurückfließt. Dabei entsteht vor allem im Bereich der
Knöchelregion von innen auf die Haut
ein immenser Druck, der die Hauternährung nachhaltig stört.
(Foto: © Capio Mosel-Eifel-Klinik)
Venenerkrankungen
Lichtreflex-Rheographie
❚ Die Lichtreflex-Rheographie ist eine weitere Untersuchungsmöglichkeit. Mit
diesem Verfahren gelingt die Beurteilung des venösen Abstroms durch Betätigung der Wadenmuskelpumpe. Hierzu werden die Volumenschwankungen
des Venengeflechts, das direkt unter der
Haut liegt, mit einer Sonde, die eine Infrarotlichtquelle und einen Sensor für
das reflektierte Licht enthält, registriert.
Was geschieht bei der Doppler-Sonographie?
Die Doppler-Sonographie beruht auf dem so genannten Doppler-Prinzip. Dabei geht
es um die Veränderung der wahrgenommenen oder gemessenen Frequenz von Wellen,
während sich Geräuschquelle und Beobachter einander nähern oder voneinander entfernen. So können wir beispielsweise hören, dass ein Auto herannaht, ohne dass wir
es sehen, denn es vermittelt nun höhere Töne. Entfernt es sich, gibt es entsprechend
tiefere Töne wieder. Bei der Doppler-Sonographie wird eine Sonde auf die Haut aufgesetzt, welche die Blutkörperchen beschallt. Deren Bewegung wird von dem Gerät
in Zischlaute umgesetzt, die man als Patient bei der Untersuchung mithören kann.
Der Arzt kann anhand bestimmter Eigenschaften der Zischlaute erkennen, wie groß
das Ausmaß von Verengungen ist. Denn in den Verengungsstellen ändert sich die Geschwindigkeit des Blutflusses.
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Venenerkrankungen
❚ Bei plethysmographischen Verfahren
werden Volumenänderungen von Extremitäten mit Hilfe von Quecksilberdehnungsmessstreifen, elektrischen
Widerstandsfühlern oder luft- bzw. wassergefüllten Manschetten gemessen.
Der Umfang der Volumenänderungen
gibt Aufschluss über Ausmaß und Lokalisation arterieller und venöser Blutflussbehinderungen.
Diagnostische Verfahren
beim Ulcus cruris arteriosum
Besteht der dringende Verdacht, dass es
sich (auch) um eine arterielle Verschlusskrankheit handelt, bringen andere Verfahren Klarheit. Immer sollte auch der
brachiotibiale Index (Knöchel-Arm-Quotient; siehe Kasten) ermittelt werden.
Ein Unterschenkelgeschwür, das durch
eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) verursacht und unterhalten
Knöcheldruck zeigt Sauerstoff-Not
Die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index
(Quotient aus systolischem Knöchel- und
Oberarmblutdruck) ist sehr bedeutsam für
die Beurteilung einer peripheren arteriellen
Verschlusskrankheit. Die Messung des Knöchel- und Armarteriendrucks wird am liegenden Patienten vorgenommen. Dieser
muss vor der Untersuchung mindestens eine Viertelstunde geruht haben. Ein Index
unter 0,9 gilt als beweisend für die periphere arterielle Verschlusskrankheit. Misst man
80mmHg oder mehr am Knöchel des Patienten, kann man Entwarnung geben. Ein
Druck unter 50mmHg bedeutet äußerste
Gefahr für den Fuß! Bei einem Wert zwischen 0,5 und 0,8 muss im Einzelfall ärztlich abgewogen werden, ob eine Kompressionstherapie durchführbar ist.
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wird, sitzt oft an der Außenseite des Unterschenkels und ist meist sehr schmerzhaft. Die Ulzera sind tief, meist nekrotisch belegt. Das Bein zeigt Zeichen der
arteriellen Unterversorgung (kühl, pulslos, blass).
❚ Die Oszillographie zeichnet Volumenschwankungen an den Oberschenkeln,
Unterschenkeln und Zehen auf. „Bei
der Oszillographie werden die pulsatilen Lumenschwankungen der Extremitäten im Seitenvergleich aufgezeichnet“, schrieb Prof. Dr. med. Jörg Piper,
Chefarzt der Inneren Abteilung der Meduna-Klinik in Bad Bertrich, im Fachblatt „Facharzt“ (1/2008). „Zur Registrierung werden paarige Stauungsmanschetten an den verschiedenen Etagen der Extremitäten angelegt (Oberschenkel, Unterschenkel, Fußrücken,
Zehen). Die Untersuchung der Zehen
wird als akrale Oszillographie bezeichnet. Bei Anwendung der so genannten
50mmHG-Technik werden die jeweiligen Luftmanschetten mit einem Druck
von 50mmHg gefüllt.
Die pulssynchronen Lumenschwankungen führen zu gleichgerichteten
Druckschwankungen in den Manschetten, welche EKG-synchron aufgezeichnet werden. Die erhältlichen
Pulsationskurven sind prinzipiell im Seitenvergleich zu beurteilen. Arterielle
Stenosen oder Verschlüsse führen zu
charakteristischen Veränderungen der
Oszillogramme in den nachgeschalteten Extremitätenabschnitten.“
❚ Mit Hilfe der B-Bild-Sonografie (auch „BMode“ genannt, wobei B, englisch, für
„brightness modulation“ steht) wird die
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(Foto: © Capio Mosel-Eifel-Klinik)
Venenerkrankungen
Information des Amplituden-Modus anders aufgenommen, sodass die Echointensität in Helligkeit umgesetzt wird.
Damit lässt sich ein Gefäß mit seinem
Hohlraum direkt darstellen. Verengungen werden so direkt bildhaft sichtbar,
während sie bei der Doppler-Sonographie aufgrund schnelleren Blutflusses
indirekt erschlossen werden.
❚ Die Duplex-Sonographie vereint die Vorteile von Doppler-Sonographie und BBild. Auf dem Bildschirm sieht man einerseits die Gefäßbegrenzungen, zusätzlich jedoch farbig überlagert den
Blutfluss innerhalb des Gefäßes. Gefäßeinengungen lassen sich so sehr präzise beurteilen und man kann eventuelle Verschlechterungen der Situation
bis hin zum drohenden Gefäßverschluss
rechtzeitig erkennen.
Therapie des Ulcus cruris venosum
❚ Verödung und operative Therapie: Werden insuffiziente oberflächliche Venen,
die infolge Reflux zu einer Überlastung
der tiefen Venen führen, entfernt, erreicht man meist eine allgemeine Verbesserung der venösen Funktion. Auch
insuffiziente Verbindungsstellen zwischen oberflächlichem und tiefem Venensystem (Krosse) können gleichzeitig ausgeschaltet werden.
Die Verödung (Sklerosierung) eignet
sich vor allem bei kleineren Krampfadern. Mit einer feinen Nadel wird ein
Mittel injiziert, das – unterstützt durch
einen Kompressionsverband – eine Verklebung der Venenwände verursacht.
Nach einigen Monaten hat der Körper
diese Venen resorbiert. Eine Verödung
erfolgt ambulant.
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Vor allem Besenreiser und kleine Krampfadern können verödet werden.
Beim so genannten Stripping werden
über kleine Einschnitte in der Leistenbeuge, in der Kniekehle oder am Fußknöchel ganze Stämme oberflächlicher
Venen mittels einer
Sonde aus der Unter- Unter der Voraushaut gezogen („ge- setzung, dass die
strippt“). Andere Ve- tiefen Stammvenen
nen übernehmen ih- intakt sind, erreicht
man durch das
re Funktion.
Strippen oberflächBei der Crossektomie licher Venen eine
(operative Behand- deutliche Verbesselung der Stamm- rung der Situation
veneninsuffizienz)
wird die große Rosenvene an ihrer Eintrittsstelle ins tiefe Venensystem durchtrennt. Je nachdem, ob die große (V. saphena magna) oder die kleine Stammvene (V. saphena parva) oder beide defekt sind, wird nach der Betäubung entweder in der Leiste oder in der Kniekehle ein wenige Zentimeter großer
Schnitt gemacht und die defekte Stammvene freigelegt. Anschließend unterbindet der Operateur alle dort in die
Vene einmündenden kleinen Seitenäste (so genannter Venenstern). Abschließend wird die Stammvene an der
Einmündung zur tiefen Beinvene ebenfalls unterbunden und durchtrennt. Im
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Venenerkrankungen
Anschluss daran führt der Arzt eine flexible Sonde in die abgetrennte Stammvene ein und schiebt diese bis knapp
zur gesunden Stelle vor. Mit Hilfe der
Sonde wird die Vene gezogen (Stripping). Die Restkrampfadern lassen sich
später veröden.
Der Eingriff wird meist in örtlicher Betäubung, in der sogenannten Tumeszenzlokalanästhesie durchgeführt. Vorteilhaft dabei ist, dass der Patient während des Eingriffs beweglich bleibt und
dadurch das Thrombose-Risiko im Vergleich zur Vollnarkose verringert wird.
Ulkus-Chirurgie
Gewebeschäden, die durch das Absterben von Zellen entstehen, blockieren die
Wundheilung. Unzureichend durchblutetes Gewebe muss entfernt werden.
Nach einem chirurgischen Debridement
des Ulkus kann eine plastische Deckung
mit Meshgraft (freier
Vor einer plasti- Hautlappen aus Spaltschen Deckung haut mit zahlreichen
sollten jedoch urfeinen Einschnitten,
sächliche insuffiziente Venenab- damit dieser netzartig
schnitte saniert und auseinander gezogen
Infektionen behan- werden kann, um eidelt sein ne möglichst große
Fläche zu erhalten) sowie mit Spalt- oder Vollhaut durchgeführt werden.
Lokaltherapie
Neben der Behandlung der die Ulzeration auslösenden Erkrankung(en) muss
auch auf eine ungestörte Wundheilung
geachtet werden. Ein optimaler Wundverband leistet:
❚ Verminderung von Schmerzen und
Juckreiz
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❚ Aufnahme von Wundsekret, ohne die
Wunde auszutrocknen
❚ inertes bzw. nicht irritatives Material
❚ größtmögliche Schonung der Wunde
beim Verbandswechsel
❚ Durchlässigkeit für Sauerstoff und Kohlendioxid (O2/CO2)
❚ Schutz gegenüber physikalischen, chemischen und mikrobiellen (Bakterien,
Pilze, Viren) Einflüssen
❚ Adaptionsfähigkeit an die jeweiligen
Wundheilungsphasen.
Physikalische Therapie und
Kompression
Manuelle Lymphdrainage und apparativ intermittierende Kompression stehen
ebenso auf dem Plan wie gegebenenfalls
die krankengymnastische Mobilisierung
des Patienten unter besonderer Hervorhebung der Sprunggelenksbeweglichkeit. Sobald als möglich erfolgt ein intensives kontrolliertes Gehtraining.
Eine konsequente Kompressionsbehandlung mit Kompressionsverbänden oder
Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse II-III ist zweckmäßig.
Arterielle Durchblutungsstörungen im
Anwendungsbereich müssen im Rahmen
der Indikationsstellung als Kontraindikationen berücksichtigt werden (nach
Schweregrad relativ bzw. absolut). Das
gilt ganz besonders für ihre Anwendung
bei peripheren Neuropathien mit Verminderung der Sensibilität.
Die medizinische Kompressionstherapie
ist zusammen mit der Bewegung Grundlage der nichtinvasiven Therapie und
kann für sich allein bzw. in Kombination mit invasiven Strategien angewendet
werden. Ihre Hauptwirkung entfaltet
sie bei Aktivierung der Muskel-Gelenk© Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download
Venenerkrankungen
Pumpen, weshalb auch die regelmäßigen Gehübungen so außerordentlich
wichtig sind.
Therapie des
Ulcus cruris arteriosum
Je früher eine arterielle Verschlusskrankheit entdeckt wird, umso aussichtsreicher ist die Behandlung. Aber auch in
fortgeschrittenen Stadien können die
modernen medikamentösen Basismaßnahmen sowie gefäßchirurgische Eingriffe das Risiko einer drohenden Amputation verringern. Daneben gewinnen
angioplastische Eingriffe immer mehr an
Bedeutung.
Basis jeder Therapie sind aber nichtinvasive (= konservative) Maßnahmen,
die allein oder in Kombination mit den
anderen Behandlungen angewandt werden. Hierauf weist beispielsweise die Poliklinik für Angiologie des Universitätsklinikum Essen (www.uk-essen.de/angiologie) auf ihren Internetseiten explizit hin. Besonders zurückhaltend sollte
man gegenüber einer Bypass-Operation
im Stadium II (Claudicatio intermittens
ohne Ruheschmerz oder Gewebsdefekte) sein, heißt es dort. „Denn hier besteht
noch keine akute Gefährdung der Extremität und die zeitliche Offenheitsrate der
chirurgischen Bypässe ist nicht nur begrenzt, sondern nach einem Verschluss
des Bypasses ist die klinische Symptomatik häufig schlechter als vor dem Eingriff.“
Die therapeutischen Möglichkeiten richten sich nach den Erkrankungsstadien
(Klassifizierung nach Fontaine):
❚ Stadium I (Beschwerdefreiheit): „Hausgemachte“ Risikofaktoren wie Fehlernährung, Bewegungsmangel, Rauchen
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sollte der Patient mit Hilfe einer Art Lebensstil-Therapie in den Griff bekommen. Hierzu gehören auch die Blutdrucknormalisierung bei Hypertonie,
die diätetische bzw. medikamentöse Behandlung einer Hyperlipoproteinämie,
Hyperurikämie und eventuell eines Diabetes mellitus. Besteht ein entsprechendes Risikoprofil (Hypertonie kombiniert mit Diabetes mellitus oder mit
Hyperlipidämie, Nikotinabusus) wirken
Thrombozytenaggregationshemmer
prophylaktisch.
❚ Stadium II (Claudicatio intermittens):
Eine der wichtigsten konservativen Maßnahmen ist ein konsequentes Gehtraining, sofern keine Gegenanzeigen bestehen. Dies fördert die Bildung von
Umgehungsbahnen (Kollateralisation)
der Gefäße und reduziert das Fortschreiten der pAVK.
Neben Lebensstil-Therapie und Gehtraining kommen für Patienten mit ei-
Regelmäßige Erregersuche
Die Erregersuche ist bei Erstvorstellung
eines Ulcus-cruris-Patienten obligat und
sollte etwa alle drei Monate wiederholt
werden. Besteht der Verdacht, das Geschwür sei infiziert, müssen mikrobiologische Abstriche in engmaschiger Folge
vorgenommen werden. Dabei gilt es
auch, nach Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) und Mykobakterien
zu fahnden. Ein Epikutantest deckt auf,
ob bereits Kontaktsensibilisierungen bestehen. Da Beingeschwür-Patienten im
Lauf der Jahre oft mit diversen Pasten,
Salben und Tinkturen behandelt worden
sind, sollte man dies bei der Auswahl der
Testallergene berücksichtigen.
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Venenerkrankungen
ner bereits durch schmerzhafte Claudicatio eingeschränkten Gehstrecke
auch vasoaktive Medikamente zur Steigerung der maximalen Gehstrecke in
Frage. So konnte die Wirksamkeit der
so genannten Prostanoide in vielen
Studien nachgewiesen werden. Diese
Mittel erhöhen die Fließeigenschaft der
Erythrozyten, reduzieren die Thrombozytenaggregation und die Aktivierung der Leukozyten, haben Endothelprotektive Effekte, hemmen die Proliferation glatter Muskelzellen der
Gefäßwand und haben wahrscheinlich
einen günstigen Einfluss auf den Lipidstoffwechsel.
Auch an begleitende Veränderungen
der Wirbelsäule sollte gedacht werden.
Die bei vielen Patienten zusätzlich vorhandenen Wurzelirritationen im Lendenwirbelsäulen-Bereich können zu zusätzlichen Schmerzen beim Gehen und
zu Komplikationen führen, so dass auch
begleitende physikalische Maßnahmen
(Krankengymnastik, Massagen, Fango) erforderlich sind.
❚ Stadium III (Ruheschmerz ohne Gewebsdefekt): Wegen der inzwischen hohen
Amputationsgefahr haben ab diesem
Stadium diejenigen Therapien Vorrang,
welche die durch Stenosen und Verschlüsse beeinträchtigte Blutversorgung
wieder normalisieren.
Weiterhin behalten aber auch die konservativen Maßnahmen ihren unterstützenden Effekt, der nicht unterschätzt
werden sollte. Woran zudem gedacht
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werden muss: Der im Stadium III bestehende Ruheschmerz kann eine Schonhaltung der Gelenke hervorrufen, die
ohne krankengymnastische Übungen
und richtiger Lagerungskorrektur zu
Kontrakturen der beteiligten Gelenke
führen können.
Ein „Wattestrumpf“ sorgt bei verminderter Sensibilität und dem verringerten Schmerzempfinden der ischämischen Extremität dafür, die extrem erhöhte Gefahr von Verletzungen zu reduzieren. Ferner fördert er auch eine
Weitstellung der Hautkapillaren und
damit die Gewebedurchblutung der
ischämischen Extremität. Eine der häufigsten Ursachen von Wundstellen bei
Diabetikern und pAVK-Patienten sind
falsche oder zu enge Schuhe. Daher
sollten für gefährdete Patienten speziell angepasste Therapieschuhe angefertigt werden.
❚ Stadium IV (chronische Wunden, Nekrosen bzw. Gangrän mit/ohne Ruheschmerz): Neben den Maßnahmen des
Stadium III kommen hier die Lokalbehandlung der Ulzera (Wundreinigung
und Regenerationsunterstützung) und
Nekrosen sowie eine eventuelle systemische antiobiotische Therapie hinzu.
Die Entfernung von Schorf und Nekrosen fördert den Abfluss von Wundsekret und Eiter und somit auch ein Abheilen der Wunde, ferner wird durch
Abstriche der Wundsekrete und der daraus erstellten Antibiogramme eine gezielte Antibiose möglich.
Dorothea Kammerer
© Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download
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