Gewerkschaften Forum - Zeitschrift Sozialismus

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Sozialismus
Heft 4-2017 | 43. Jahrgang | EUR 7,00 | C 12232 E
www.Sozialismus.de
Heinz Bierbaum: Kein
Politikwechsel im Saarland
Horst Kahrs: Nationalismus & globale Verteilung
R. Pond: Europäische Tarif­
politik – neue Koordinierung
Ursula Schumm-Garling:
Solo-Selbständigkeit
R. Hinke: Neue Lohnkonflikte
in Ostdeutschland
Forum
Gewerkschaften
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Nur im Netz:
Die Redaktion veröffentlicht regelmäßige Beiträge zwischen den
monatlichen Printausgaben auf
www.sozialismus.de
Die Zukunft Europas
Heft Nr. 4 | April 2017 | 44. Jahrgang | Heft Nr. 417
Vor-Wahlen
Heinz Bierbaum:
Die Wahlen im Saarland –
der Wechsel bleibt aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Britain last, America first?
Hinrich Kuhls:
Renationalisierung und Desintegration
Zum Start der Brexit-Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Joachim Bischoff:
Donald Trump & die neue Weltordnung
Wird auf dem G20-Gipfel ein Währungs- und Wirtschaftskrieg eröffnet? . . . . . . . . 8
60 Jahre nach Unterzeichnung der
Gründungsverträge, die die Europäische Union auf den Weg brachten, steht Europa am Scheideweg.
Die existenzielle Krise der EU wurde
nicht zuletzt beim britischen Referendum für den Brexit deutlich. ...
Bündnis von Sozialdemokraten mit Rechtspopulisten?
Rechtspopulisten unter Druck?
Horst Kahrs:
Neuer Nationalismus –
Verteidigungsstrategie in globalen Verteilungskämpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Joachim Bischoff/Bernhard Müller:
Für was steht die Alternative für Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Bernhard Sander:
Frankreich wählt –
»Entdiabolisierter« Rechtspopulismus & »Projekt« Macron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Forum
Gewerkschaften
Sind wir gerade Zeuge, wie ein Bündnis der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks mit der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei
(Dansk Folkeparti, DF) entsteht?
Und wenn ja, was bedeutet das für
Europa? ...
Mehr als Aufbruchsstimmung
Richard Pond:
Eine neue Art der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Otto König/Richard Detje:
Der Traum von Größe
Die Übernahme von Opel/Vauxhall durch PSA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Robert Hinke:
Gelegenheitsfenster für neue Lohnkonflikte
Befunde gewerkschaftlicher Revitalisierung in Ostdeutschland . . . . . . . . . . . . . . 48
Arbeit heute & morgen
Ursula Schumm-Garling:
Solo-Selbständigkeit –
Zukunft der Beschäftigung!? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Mit der Kanzlerkandidatur von
Martin Schulz haben die Sozialdemokraten in Deutschland eine beeindruckende Erholung ihrer Popularitätswerte erreicht. In den fünf
Wochen seit der Nominierung zum
Kanzlerkandidaten hat die SPD nach
eigenen Angaben mehr als 10.000
neue Mitglieder registriert. ...
Reform der Währungsunion?
Michael Wendl:
Mit der »Modern Money Theory« aus der Krise?
Zur Kritik von Günther Grunert und Walter Tobergte an Klaus Busch & Co. . . . . . 61
Impressum | Veranstaltungen | Film
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Veranstaltungen & Tipps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Klaus Schneider: Zwischen den Jahren (Filmkritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
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Sozialismus 4/2017 1
Für was steht die Alternative
für Deutschland?
AfD-Köpfe am 9.3.2017 in Berlin vor der Vorstellung des Bundestagswahlprogramms (Foto: dpa)
von Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Die neueren demoskopischen Umfragen bestätigen: Der SPD ist
mit den Veränderungen ihres Führungspersonals und programmatischen Verschiebungen im Kompetenzfeld der sozialen Gerechtigkeit ein nachhaltiger Ausbau ihrer Zustimmungswerte
auf über 30% gelungen. Die SPD hat nach eigenen Angaben
mehr als 10.000 neue Mitglieder gewonnen. Die Oppositionsparteien – Grüne, Linkspartei und AfD – haben an Zustimmung
verloren.
Die Alternative für Deutschland schwankt bei der Sonntagsfrage um Werte zwischen 8,5% und 11%. Mit diesen Werten
kann die rechtspopulistische Partei deutlich ihre Position gegenüber den Bundestagswahlen 2013 ausbauen. Auch wenn die AfD
in den Umfragen aktuell etwas schlechter abschneidet, dürfte
sie doch bei der Bundestagswahl im September die Fünf-Prozent-Hürde überwinden (siehe Abbildung 1). Sie selbst hat sich
zum Ziel gesetzt, als drittstärkste Fraktion in den Bundestag
einzuziehen. Die Rechtspartei taxiert ihr Stimmenpotential auf
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ca. 20%, das sie bei der Bundestagswahl möglichst ausschöpfen möchte. In einem parteiinternen Strategiepapier »AfD-Manifest 2017« wird vorgeschlagen, die Partei »deutlicher gegen
Rechtsaußen« abgrenzen, weil sich viele WählerInnen in der
»politischen Mitte« verorten. Umgekehrt dürfe diese Ausrichtung an der politischen Mitte nicht dazu führen, dass »die AfD
in ihrem heutigen Potenzial an Zustimmung verliert und sich an
Inhalt und Stil zu sehr den Altparteien annähert«.
Diese Strategie hat sich im Entwurf des Wahlprogramms
für den Bundestag niedergeschlagen, der Anfang März der
Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Im Zentrum steht dabei die
rechtspopulistische Zielvorstellung »Dem Volk die Staatsgewalt
zurückgeben«. Begründet wird diese Leitlinie durch eine für
rechtspopulistische Parteien und Bewegungen charakteris­
Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Bernhard Müller ist Redakteur von
Sozialismus.
Sozialismus 4/2017 25
tische Sichtweise: »Heimlicher Souverän in Deutschland ist
eine kleine, machtvolle politische Oligarchie, die sich in den
bestehenden politischen Parteien ausgebildet hat. Sie hat die
Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Es
hat sich eine politische Klasse herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik
Deutschland kann durch das Mittel der unmittelbaren Demokratie diesen illegalen Zustand beenden.«/7/1
Die für den Rechtspopulismus charakteristische Gegenüberstellung von politischem Establishment und wahrem, als homogen unterstellten Volk ist das Zentrum der politischen Konzeption der AfD. »Die Allmacht der Parteien und deren Ausbeutung
des Staates gefährden unsere Demokratie. Diese Allmacht ist
auch Ursache der verbreiteten Politikverdrossenheit und der
freiheitsbeschränkenden ›politischen Korrektheit‹ sowie des
Meinungsdiktats in allen öffentlichen Diskursen.« /8/
Nur direkt-demokratische Entscheidungen des Volkes, also
Volksbegehren und Volksentscheide, könnten die Parteien wieder in das demokratische System integrieren. Der Machtanspruch der Parteien müsse darüber hinaus durch weitere Maßnahmen begrenzt werden. Dazu sollen u.a. gehören: Trennung
von Amt und Mandat, Begrenzung von Amtszeiten, Obergrenzen für die Finanzmittel der Parteien und striktere Regeln für
die Nebentätigkeit der Regierenden.
Rückgewinnung nationaler Souveränität
Um die Fehlentwicklung durch die herrschenden Eliten zu überwinden, will die AfD »die Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Subsidiarität, die Selbstentfaltung von Familie, Bürgergesellschaft
und gelebter Tradition, die Souveränität in der Währungs- und
Geldpolitik ebenso wie im Verfügungsrecht über unsere Grenzen« wiederherstellen. »Die Entscheidung über die Grenzen,
den Zuzug, die Zuwanderung und die Staatsbürgerschaft sind
ein unveräußerlicher Bestandteil der Souveränität eines Landes«, heißt es im Grundsatzprogramm. Damit aus Deutschland
kein »verlorenes Paradies« werde, müsse vor allem die nationale Souveränität wieder hergestellt werden. »Ein Staat, der das
Grenzregime und damit die Hoheit über sein Staatsgebiet aufgibt, löst sich auf. Er verliert seine Eigenstaatlichkeit.«/6/ Gegenüber dem überbordenden Macht- und Verwaltungsapparat
der Europäischen Union helfe nur die Aufwertung des Nationalstaates. »Sofern eine solche Konzeption mit den derzeitigen Partnern der EU nicht einvernehmlich auszuhandeln ist,
ist Deutschland gezwungen, dem Beispiel Großbritanniens zu
folgen und aus der bestehenden EU auszutreten.« /ebd./
Zur Renationalisierung gehört der Rückzug aus dem Euro:
»Die Geschäftsgrundlage des Euro war: keine Haftung für die
Schulden anderer Länder und keine Staatsschulden über 60%
des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Diese Regeln sind zerstört worden. Deshalb muss Deutschland die Transferunion aufkündigen und den Euroraum verlassen.« /12/ Der Euro und
die damit zusammenhängenden Rettungsmaßnahmen oder
Vorschläge für eine EU-Wirtschaftsregierung seien illegitime
und illegale Eingriffe in die demokratischen Entscheidungs-
26 Sozialismus 4/2017
Abb. 1: Entwicklung der Wahlabsichten für die AfD
10%
5%
Allensbach
Forsa
01.2015
07.2015
01.2016
07.2016
01.2017
Quelle: Bundestagswahl-2017.com
strukturen der beteiligten Nationalstaaten. Die von der EZB
praktizierte »Währungspolitik der unwirtschaftlichen Zinsen
(Nullzinspolitik)« zerstöre zudem »alle kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme von Betriebsrenten über staatlich geförderte Rentensysteme, private Lebensversicherungen bis zu
privaten Sparvermögen. Seit dem Amtsantritt von Gouverneur
Draghi fehlen rund 500 Mrd. Euro für die Altersvorsorge der
Deutschen.«
Deshalb: Raus aus dem Euro, auch wenn »die Rückabwicklung einer fast 20 Jahre zurückliegenden Fehlentscheidung finanziell schwierig sein wird. Solche Kosten werden jedoch niedriger sein als die eines weiteren Verbleibs im Eurosystem, da
dessen weitere Entwicklung bezüglich der Fremdhaftung und
der Zinseinbußen unabsehbar und daher nicht zu begrenzen
ist.« /13/
Die Souveränität des deutschen Nationalstaates ist neben der
Unterordnung unter das europäische Politikregime vor allem
gestört durch die wachsende Zahl der »Fremden«. Angesichts
der »massenhaften, globalisierten Wanderungsbewegungen«
pocht die AfD auf »Selbsterhaltung, nicht Zerstörung unseres
Staates und Volkes.« /25/ Dafür seien rigorose Maßnahmen
erforderlich.
Erstens sollen alle nationalen Grenzen, an denen eine unkontrollierte Zuwanderung stattfindet, geschlossen werden. »Die
Grenzen müssen umgehend geschlossen werden, um die ungeregelte Massenimmigration in unser Land und seine Sozial­
systeme durch überwiegend beruflich unqualifizierte Asylbewerber sofort zu beenden. Eine erfolgreiche Integration all dieser
Menschen, darunter ein beträchtlicher Anteil von Analphabeten,
ist unmöglich. Wir brauchen über mehrere Jahre diesbezüglich
eine Minuszuwanderung von mindestens 200.000 Personen
pro Jahr.« /26/
Um den Zuzug aus anderen EU-Ländern zu bremsen, sollen Sozialleistungen für zugereiste EU-BürgerInnen beschränkt
werden. Darüber hinaus müssen auch für alle Asylbewerber andere Standards gelten: »Sozial- und Gesundheitsleistungen für
Asylbewerber dürfen keine Anreizwirkung entfalten und sind
auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Es muss
der Grundsatz gelten: ›Sachleistungen vor Geldleistungen‹.«
Personen, die sich »illegal« auf deutschem Hoheitsgebiet aufhalten, seien außer Landes zu bringen. Das Dublin-Abkommen
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und die europäische Asylpolitik seien gescheitert. Sollte keine
Vereinbarung über einen gesamteuropäischen Lastenausgleich
bei der Verteilung von Flüchtlingen und Transferzahlungen zustande kommen, sollen alle Schutzsuchenden in die Länder zurückgebracht werden, aus denen sie nach Deutschland gekommen sind. Dann seien auch die nationalen Grenzen wieder zu
schließen.
Zweitens will die AfD, um die »Einwanderung in die Sozial­
systeme« zu unterbinden, die Möglichkeiten des Familiennachzugs beenden. »Wir lehnen jeglichen Familiennachzug für
Flüchtlinge ab, da die deutschen Sozialsysteme diese Lasten
nicht tragen können. Entfällt der Fluchtgrund im Herkunftsland
anerkannter Flüchtlinge, endet in aller Regel deren
Aufenthaltserlaubnis. Sie müssen zurückkehren. Insbesondere
der Schutz vor Bürgerkrieg ist rein temporär ausgelegt und darf
nicht zu einer Einwanderung durch die Hintertür führen.«
Drittens: »Führen diese Maßnahmen nicht mindestens zu
einer Null-Zuwanderung, muss ein Gesetz eine absolute Belastungsgrenze definieren, ab deren Erreichen zum Schutz
Deutschlands keinerlei Asylbewerber mehr aufgenommen werden.« /28/
Viertens aber will die AfD zur Wiederherstellung der nationalen »Souveränität bei jeder Form der Zuwanderung« deutsches und internationales Recht brechen. »Der massenhafte
Missbrauch des Asylgrundrechts muss durch eine Grundgesetz­
änderung beendet werden. Aus demselben Grund müssen die
veraltete Genfer Flüchtlingskonvention und andere supra- und
internationale Abkommen neu verhandelt werden – mit dem
Ziel ihrer Anpassung an die Bedrohung Europas durch Bevölkerungsexplosionen und Migrationsströme der globalisierten
Gegenwart und Zukunft.« /27/
Im Zusammenhang mit der »Flüchtlingsfrage« kommt denn
auch eine Art Verschwörungstheorie zum Tragen. Hinter der
massiv gestiegenen Bewegung der Schutzsuchenden, die das
»deutsche Volk zu überfremden droht«, vermutet die AfD eine
bewusste Strategie der »derzeitigen Regierungsparteien«, um
den markanten demografischen Trends entgegenzuwirken.
Diese setzten zu deren Lösung »auf eine fortgesetzte, von Bedarf
und Qualifikation abgekoppelte Masseneinwanderung hauptsächlich aus islamischen Staaten«. Hier kann sich das rechtspopulistische Ressentiment dann voll entfalten: »Dabei hat sich
in den vergangenen Jahren gezeigt, dass insbesondere muslimische Migranten in Deutschland nur ein unterdurchschnittliches Bildungs- und Beschäftigungsniveau erreichen. Dass die
Geburtenrate unter Migranten mit >1,8 deutlich höher liegt als
unter deutschstämmigen Frauen, verstärkt den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur.« (Grundsatzprogramm) Statt »Massenzuwanderung« sieht die AfD als einzig
sinnvolle Lösung für die demografische Entwicklung, und damit sind wir bei einem der Kernanliegen der AfD, der Wiederaufwertung der Familie.
bens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit«. Das Grundgesetz
soll aber für den Islam nur mit Einschränkung gelten. »Der Islam gehört nicht zu Deutschland. In der Ausbreitung des Islam
und der Präsenz von über 5 Millionen Muslimen, deren Zahl
ständig wächst, sieht die AfD eine große Gefahr für unseren
Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung.« /31/
Um das Eindringen in die »deutsche Kultur« zu verhindern,
soll Schluss sein mit der Diffamierung von Islamkritik als Islamophobie oder Rassismus. »Einer Diffamierung rationaler
Religionskritik als ›Islamophobie‹ oder ›Rassismus‹ tritt die
AfD entgegen. Wir fordern jedermann dazu auf, solche Polemik
durch intellektuellen Diskurs zu ersetzen.« /ebd./
Um die Diskriminierung des Islam zu vervollständigen fordert die AfD, die Auslandsfinanzierung von Moscheen zu unterbinden und das Minarett als islamisches Herrschaftssymbol
ebenso wie den Muezzinruf abzulehnen. »Das Minarett lehnt
die AfD als islamisches Herrschaftszeichen ebenso ab wie den
Muezzin-Ruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen
Gott gibt. Es handelt sich hierbei um religiösen Imperialismus.«
Zur Rückgewinnung der »nationalen Souveränität« gehört
schließlich auch die Aufwertung und Aufrüstung der Bundeswehr. Sie soll die nationalen Grenzen und Deutschlands Rolle in
der Welt absichern. Priorität in der Außenpolitik soll fortan die
»Sicherung der deutschen Interessen« haben. Freihandelsabkommen lehnt die AfD ab, »wenn diese intransparent und ohne
ausgewogene Interessenwahrung der beteiligten Parteien gestaltet sind und unzulässig in nationales Recht eingreifen«. /28/
Die innere Sicherheit soll durch einen »sicherheitspolitischen
Befreiungsschlag« wiederhergestellt werden, was bedeutet:
Stärkung des Polizeiapparates und deutliche Verschärfung des
Strafrechts. Innenpolitisch fordert die AfD, ganz im Sinne der
im bürgerlichen Lager in eine Minderheit gedrängten rechtskonservativen Positionen, Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen, den Mittelstand zu stärken, die nationalen Finanzen
und Wirtschaft neu ordnen, die Sozialsysteme zu reformieren
und die Familie aufzuwerten.
Diese Re-Nationalisierung wird abgerundet durch eine
Neuordnung der »nationalen Finanzen«: So soll die »Schuldenbremse« durch eine »Steuer- und Abgabenbremse«
ergänzt werden. »Die AfD ist für eine Abschaffung der
Erbschaftsteuer als Substanzsteuer und gegen die Reaktivierung
der Vermögensteuer. Intakte Familien denken und leben in
Generationenzusammenhängen. Die Übergabe von Vermögen
– auch und gerade in Unternehmen gebundenes – ist
Privatangelegenheit und darf nicht dem Staatszugriff ausgesetzt
werden.« /46/
Kompetenzfeld »Soziale Gerechtigkeit«
Hinzu kommen »Reformen« in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die zu mehr »Leistungsgerechtigkeit« führen sollen –
allerdings nur für die deutsche Bevölkerung. Mit dieser für den
Islamophobie
In Sachen Islam und Menschen muslimischen Glaubens bedient
die AfD rigoros die in der Gesellschaft vorhandenen Vorurteilsstrukturen. So anerkennt sie zwar »uneingeschränkt die Glau-
www.sozialismus.de
1
Alternative für Deutschland: Wahlprogramm für die Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2016. Leitantrag der Bundesprogrammkommission zum Bundesparteitag am 22./23.04.2017 in Köln. Zitate, soweit
nicht anders vermerkt, aus diesem Wahlprogrammentwurf.
Sozialismus 4/2017 27
Rechtspopulismus typischen rassistischen Ausgrenzungslogik
will die AfD ihre Vorschläge finanzieren. In Sachen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik korrigiert die AfD die Positionen ihres
Grundsatzprogramms signifikant. »Es gilt die hohe Kinderarmut und die drohende Altersarmut zu bekämpfen. Eine Vielzahl
von Arbeitslosen ist in Beschäftigung zu bringen. Die Infrastruktur unseres Landes ist in Teilen heruntergewirtschaftet, ohne
dass dies in den öffentlichen Haushalten abgebildet wird. Die
Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen.«
So fordert sie in der Arbeitsmarktpolitik neben dem Erhalt
des gesetzlichen Mindestlohns Maßnahmen zur Begrenzung von
prekärer Beschäftigung wie eine Obergrenze von 15% von Beschäftigten mit Leih- und Werkverträgen und den Übergang
von Zeitarbeit nach sechsmonatiger Beschäftigungszeit in eine
Festeinstellung.
In der Sozialpolitik will die AfD eine stärkere Mitfinanzierung der Renten durch Steuermittel, »um die Beiträge der arbeitenden Menschen in erträglichen Grenzen zu halten«. /50/
Die Rente soll zukünftig nach Lebensarbeitszeit, nicht nach Lebensalter gewährt werden. Durch »Arbeitsleistung und andere
anrechenbare Zeiten, zum Beispiel Erziehungszeiten, erworbene
Rentenansprüche (sollen) mit einem angemessenen Aufschlag
zur Grundsicherung Berücksichtigung finden.«
»Gerechtigkeit« will die AfD auch beim Arbeitslosengeld.
»Die AfD setzt sich deshalb bei einer Vorbeschäftigung von mindestens zehn Jahren für eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld 1 ein und für höhere Arbeitslosengeld-2-Leistungen,
sofern diese im Anschluss daran zu gewähren sind.« Schließlich
plädiert die AfD für die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung.
Unstrittig war in der AfD das Hohelied auf Volk und Familie. »Der Erhalt des eigenen Staatsvolks ist vorrangige Aufgabe
der Politik und jeder Regierung. Dies kann in der derzeitigen demographischen Lage Deutschlands nur mit einer aktiven Bevölkerungspolitik gelingen.« Die AfD stemme »sich gegen diesen
Trend zur Selbstabschaffung und will Deutschlands Gesellschaft
von Grund auf familien- und kinderfreundlicher gestalten.«
Staatliche Institutionen wie Krippen, Ganztagsschulen, Jugendämter und Familiengerichte griffen immer mehr in das Erziehungsrecht der Eltern ein. Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität untergrabe die Familie als
wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit. Um dem zu begegnen fordert die AfD u.a., dass »Ehe, Familie, Haushaltsführung und Kindererziehung (…) in den Lehrplänen und Schulbüchern aller allgemeinbildenden Schulen (wieder) eine positive
Berücksichtigung finden«, für Familienarbeit, wie z.B. Pflege,
Sozialversicherungsansprüche, ein Baby-Begrüßungsgeld, einen längeren Anspruch von Eltern auf Arbeitslosengeld I und
ein Familiensplitting.
Äquivalenzprinzip à la AfD
Nun kosten die Reformvorschläge der AfD in Sachen Steuer-,
Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik viel Geld – Geld, das
gegenwärtig von Europa und »den Fremden« absorbiert werde,
so die AfD. »Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für
28 Sozialismus 4/2017
eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein
anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung. Sowohl die
Euro-Rettungspolitik als auch die Niedrigzinspolitik der EZB
erschweren diese schicksalshaft notwendige Reformpolitik für
Deutschland. Auch deshalb müssen die Weichen für den Euro
und Europa völlig neu gestellt werden.« /49/
Der Sozialstaat könne nur erhalten bleiben, »wenn die geforderte finanzielle Solidarität innerhalb einer klar definierten
und begrenzten Gemeinschaft erbracht wird. Eine Auflösung des
Nationalstaats führt unweigerlich zur Gefährdung unserer gewohnten sozialstaatlichen Errungenschaften.« /ebd./
»Klar definierte und begrenzte Gemeinschaft heißt«, dass
bestimmte Teile der Bevölkerung, die nicht zum »Staatsvolk«
gehören, von Ansprüchen an öffentliche Leistungen ausgeschlossen werden. Gelingt es auf diese Weise den Strom der
Zufluchtsuchenden zu unterbinden und auch die Ansprüche
der hier lebenden MigrantInnen auf das Notwendigste zu begrenzen, stünden ausreichend Mittel zur Verfügung, das Programm der »nationalen Restauration« zu finanzieren. Zu dieser
Ausgrenzungslogik heißt es im »AfD-Manifest 2017«: »Soziale
Gerechtigkeit ist für die AfD untrennbar damit verknüpft, dass
eine massenhafte Einwanderung und die Begeisterung des rotgrünen Mainstreams für Multi-Kulti unweigerlich das Äquivalenzprinzip infrage stellt, das die Basis des sozialen Rechtsstaats
ist: wer für die Gemeinschaft Leistungen erbringt (Steuern und
Sozialbeiträge, Erziehung von Kindern, Übernahme von Verantwortung von Pflegefällen etc.) hat auch einen Anspruch auf die
Unterstützung der Gemeinschaft. Deshalb müssen diejenigen,
die in Deutschland seit Jahren leben und ihren Beitrag für Stabilität und Solidität unseres Landes leisten, Vorrang vor Neuankömmlingen und Trittbrettfahrern genießen.«
Die AfD lehnt also eine Umverteilung von den höheren Einkommens- und Vermögensschichten nach unten, von Wohlhabenden zu Ärmeren ab. Sie propagiert stattdessen eine ethnische Version der Umverteilung: Vorrang für das eigene Volk
gegenüber den Fremden. Die Grundvorstellung besteht darin,
dass »Deutsche« einen Anspruch auf soziale Leistungen haben
und andere nicht.
Zur sozialen Basis des Rechtspopulismus
Gründe für den Aufwärtstrend von Nationalismus, Rassismus
und Rechtspopulismus in den kapitalistischen Gesellschaften
sind wirtschaftliche und kulturelle Verlustängste. Zu verstehen
ist die Herausbildung dieser Gefühlslage bei vielen StaatsbürgernInnen – oder in der Formulierung der Soziologin Illouz:
»Trump ist nicht so sehr das Resultat ideologischer Überzeugungen (außer für eine Minderheit), sondern das Resultat einer
immensen Wut ohne Adressaten, die sich in der amerikanischen
Gesellschaft aufgebaut hat.«2 Diese immense Wut entwickelt
sich über längere Zeiträume, findet schließlich einen Adressaten
im politischen System und mündet in einer Konfrontation der
selbsternannten Vertreter des »Volkes« gegen die wirtschaftliche und politische Elite der verschiedenen Länder oder Nationen. Populistische »Bewegungen« sind Anti-EstablishmentParteien und geben gleichzeitig vor, für das »wirkliche Volk« zu
stehen – im Unterschied, so der Vorwurf, zu den anderen Par-
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teien, die das nicht mehr tun. Das ist der Kern des Populismus.
Die Anrufung des Volkes erhält gesellschaftliche Relevanz in einer Auflösung hegemonialer Machtblöcke (Hegemoniekrise).
Es geht darum, einen neu formierten Block sozialer Kräfte gegen die bisherige wirtschaftliche und politisch-kulturelle Elite
in Konfrontation zu positionieren.
Die AfD schätzt in ihrem AfD-Manifest 2017 das eigene Potential auf 20% der Wahlberechtigten, was ziemlich nahe an der
Realität liegen dürfte, und macht dabei fünf Zielgruppen aus:
n WählerInnen aus allen sozialen Schichten, die der EU kritisch gegenüberstehen;
n bürgerlich-liberale WählerInnen mit liberal-konservativer
Wertorientierung;
nProtestwählerInnen;
nNichtwählerInnen;
n BürgerInnen mit »unterdurchschnittlichem Einkommen
(›kleine Leute‹) in sog. ›prekären Stadtteilen‹, die sich dem
dortigen Trend zur Ausnutzung von Sozialleistungen und zu
Verwahrlosung entgegenstellen«.
In der Selbsteinschätzung der AfD kommen diese WählerInnen
aus »allen Schichten der Bevölkerung«. In der politischen Debatte wird dagegen häufig die Hypothese vorgebracht, dass
vor allem die unterste soziale Schicht für diesen massiven Legitimitätsverlust des politischen Systems und damit für den
Vormarsch rechtspopulistischer Parteien wie der AfD verantwortlich sei. Diese These ist empirisch und theoretisch fragwürdig. Der Sachverhalt ist komplizierter: Auch die untere soziale Schicht ist von dem Establishment enttäuscht, verspricht
sich aber von Wahlen keine Besserung mehr. Europaweit gilt:
Je prekärer die sozialen Lebensverhältnisse, desto geringer ist
die Wahlbeteiligung. Daraus folgt, dass wachsende regionale
und soziale Unterschiede zu politischer Ungleichheit führen.
Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtviertel, desto
weniger Menschen gehen wählen.
Schlussfolgerung: Die sinkende Wahlbeteiligung ist in Euro­pa
Ausdruck einer zunehmend ungleichen Wahlbeteiligung, hinter
der sich eine soziale Spaltung der Wählerschaft verbirgt. Das politische System Europas basiert auf einer tiefen sozialen Spaltung und die demokratische Willensbildung wird zu einer immer
exklusiveren Veranstaltung der BürgerInnen aus den mittleren
und oberen Sozialmilieus der Gesellschaften, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben.
Die Ergebnisse von Langzeituntersuchungen in westlichen Demokratien belegen insgesamt: Mit der sozialen Ungleichheit
wächst auch die politische Ungleichheit, zunächst im Sinne ungleicher Partizipation. Es kommt zu einer »Wirkungskette aus
wachsender sozialer Ungleichheit, ungleicher politischer Partizipation und schließlich Entscheidungen zugunsten der politisch
Aktiven (...), in deren Folge die Nichtbeteiligten benachteiligt
werden« (Schäfer 2015: 88). Dieser Befund, dass vor allem die
unteren Einkommens- und Bildungsschichten aus der gesellschaftlich-politischen Willensbildung ausgestiegen sind, macht
die Eingrenzung der sozialen Basis der rechtspopulistischen Bewegungen schwierig. Strittig sind in der Debatte über den offenkundigen Bedeutungsgewinn des rechten Populismus vier
sozialwissenschaftliche und demokratietheoretische Befunde:
Erstens: die Modernisierungsverlierer als Trägerschicht von
Populismus. Die Globalisierung habe dazu geführt, dass in den
Kernländern des demokratischen Kapitalismus das untere Drit2
Eva Illouz, Gefühle sind nicht das Problem, Interview in der FAS vom
30.1.2017.
Karl Marx im Wahljahr
Wir wissen nicht, ob die Elbphilharmonie ihre Fassade für Wahlwerbung zur Bundestagswahl 2017 zur Verfügung
stellt. Aber wir wissen, dass im 150. Jahr nach Erscheinen des ersten Bandes von Karl Marx’ »Das Kapital« (verlegt
in Hamburg) das Thema »Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit« eine zentrale Rolle spielen muss, wenn ein
Politikwechsel erreicht werden soll. An dieser Debatte beteiligen wir uns. Eine Spende an Sozialismus kann also
­behilflich sein, Alternativen deutlich zu machen. Das Geld wird nicht an die Elphi gehen – versprochen.
Spendenkonto: Richard Detje | Haspa | IBAN: DE28 2005 0550 1268 1209 77 | BIC: HASPDEHH
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Sozialismus 4/2017 29
30 Sozialismus 4/2017
Tabelle 1: Einkommensgrenzen nach Haushaltstypen
Einkommensgrenzen in % des Medianeinkommens. Haushaltsnettoeinkommen
im Jahr 2014
Einkommens­grenzen in %
Relativ Reiche
Mehr als 250
Singleeinkommen
in Euro
Mehr als 4.400
Einkommensstarke/
Obere Mitte
Mitte im engeren
Sinne
Einkommensschwache/
untere Mitte
Relativ Arme
150 bis 250
2.640 bis 4.400
12,9 Mio
80 bis 150
1.410 bis 2.640
38,7 Mio.
60 bis 80
1.050 bis 1.410
13,3 Mio.
Weniger als 60
0 bis 1.050
12,5 Mio.
Mio.
BürgerInnen
3,2 Mio.
Basismedianeikommen für Alleinstehende: 1.758 Euro
Abb. 2: Wahrgenommene Entwicklung von Armut
und Reichtum in Deutschland zwischen 2010 und 2015
Der Anteil armer Menschen …
Anteil an allen Befragten (n = 2.021)
tel (wenn nicht die untere Hälfte) der Einkommensbezieher über
eine Generation hinweg nicht mehr am allgemeinen Anstieg
des Wohlstandes partizipiert habe. Zudem seien sie einer größeren Unsicherheit des Arbeitsplatzes und der sozialen Absicherung ausgesetzt.
Zweitens: Wut, Ängste und Ressentiments als Nährboden
für Rassismus. Angesichts der anhaltenden Tendenz zur Vertiefung der sozialen Spaltung sei die Resignation in eine tiefsitzende Enttäuschung über die Elite umgeschlagen.
Drittens: Beim rechten Populismus handele es sich eine umfassende Gegenbewegung zur Logik des Multikulturalismus. Der
Aufstieg des Populismus sei eine Reaktion auf einen gesellschaftlichen Wertewandel. Die stille Revolution der 1970er Jahre habe
zu einer konterrevolutionären Gegenbewegung mit einer Renaissance von nationalkonservativen, familienbezogenen Wert­
orientierungen geführt.
Viertens: Die Krankheit der Demokratie habe einen Ausstieg
des unteren Drittels aus der Partizipation und Kommunikation
verursacht. Die mittelschichtsdominierte Schrumpfversion des
»Volkes« gründet in einer Deformation der politischen Willensbildung. Die unteren sozialen Schichten sind in der Willensbildung und Repräsentation kaum mehr präsent. Die Mittelschichten sind in Parteien und Politik überrepräsentiert. Sie
dominieren die Medien und große Teile der Zivilgesellschaft.
Ausgangspunkt ist die immense Wut eines Teiles der Bevölkerung auf die Legitimität der gesellschaftlichen Ordnung,
ihrer Institutionen und ihrer leitenden Akteure. Durch verschwörungstheoretische Argumentationen und Kampagnen
werden die unterliegenden Ressentiments verstärkt. Wesentlich ist heute die völkisch grundierte Angst vor einer »Islamisierung des Abendlandes«, ein moderner Mythos ohne empirische Bodenhaftung. In allen Ländern verweisen »empirische
Analysen ... darauf, dass es weniger die de facto prekäre soziale Lage ist, die rechtspopulistische Einstellungen hervorruft,
als vielmehr die subjektive Einschätzung der eigenen Lage, vor
allem im Vergleich zu anderen, und subjektive Bedrohungsgefühle – diese sind längst nicht immer identisch und Ausdruck
der vorhandenen sozialen Lage … Vielleicht wird schlicht ein
verbreitetes und auch bequemes ›Negativ-Narrativ‹ über die
eigene Lage, angeblich abgehobene Politiker_innen und Einwanderer wiederholt, was dann aber zu rechtspopulistischen
Mustern gefriert.«3
Die AfD wird in der politischen Debatte häufig als Protestbewegung der Abgehängten in der Gesellschaft, der Verlierer der
Globalisierung, gesehen.4 Doch dieses Bild ist u.E. fragwürdig.
In den meisten Studien fällt auf, dass das Haushaltsnettoeinkommen überwiegend im Bereich der unteren und mittleren
Mitte liegt. Was das rechtspopulistische Milieu von der Mehrheit der gesellschaftlichen Mitte unterscheidet, ist eine aufgestaute Wut über die Verletzung des Selbstwertgefühls, eine
Kritik an den Strukturen der Leistungsgerechtigkeit und eine
ausgeprägte Angst vor der Zukunft. Daher auch die Sorge in
Sachen Zuwanderung (über 75% ). In der Gesamtheit der Befragten sind es nur 32%. Wir sind also eher mit einem rechtspopulistischen Protest von sich abgehängt oder ausgeliefert fühlenden Durchschnittsverdienern konfrontiert (siehe Tabelle 1
und Abbildung 2).
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Der Anteil reicher Menschen …
44
40 39
31
16
8
5
7
0
… hat stark
zugenommen
… hat etwas
… ist gleich
zugenommen geblieben
… hat etwas
abgenommen
2
… hat stark
abgenommen
2
4
Keine
Angabe/
weiß
nicht
Quelle: aproxima
Auch die BürgerInnen unter der Armutsgefährdungsgrenze
(12,5 Mio.) gehören zum Wählerpotenzial der Rechtspopulisten.
Aber – wegen des Aspekts der deutlich geringeren Wahlbeteiligung – kommt der größere Rückhalt aus den Bereichen der unteren Mitte (13,3 Mio.) und der Mitte im engeren Sinne (38,7
Mio.). Viele BürgerInnen bewerten sich als Zu-Kurz-Gekommene. Sie rackern sich ab, haben den Eindruck, weder mit dieser Leistung anerkannt, noch leistungsgerecht bezahlt zu werden. Die hart arbeitende Mitte vermisst den gesellschaftlichen
Respekt. (Siehe auch Abbildung 2)
Wir registrieren aktuelle rechtspopulistische Einstellungen
vor dem Hintergrund einer vergleichsweise stark subjektiv gefühlten finanziellen Schlecht- und Schlechterstellung, also eher
eine relative Deprivation. Diese Einstellungen lassen sich als
ein zusammenhängendes Muster aus Demokratiemisstrauen,
einem aggressiven Law-and-Order-Autoritarismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschreiben. Letztere
richtet sich im aktuellen Rechtspopulismus insbesondere gegen Eingewanderte, Muslime, Roma und Asylsuchende. Es finden sich allerdings enge empirische Zusammenhänge auch zu
Antisemitismus, Homophobie, Sexismus und ethnischem Rassismus.5
Die Wut auf das Establishment stützt sich auf die subjektiv
gefühlte chronische Zurücksetzung, die aber als Ergebnis einer mehrjährigen politischen Aktion interpretiert wird. »In al-
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len Fällen handelt es sich um Absagen an die wirtschafts- und
finanzgesteuerte Globalisierung, den Neoliberalismus und die
politischen Establishments, die beides förderten. Jedes Mal haben wir es mit einem Nein der Wähler zur tödlichen Kombination von Austeritätspolitik, Freihandel, ausbeuterischen Kreditund Verschuldungspraktiken sowie prekären, schlechtbezahlten
Arbeitsverhältnissen zu tun, die den finanzialisierten Kapitalismus unserer Tag kennzeichnen.«6
Die letzten Jahrzehnte einer neoliberalen Agenda haben also
zur Ausbildung von rechtspopulistischen Einstellungen geführt.
Es handelt sich um eine politisch verursachte Grundorientierung, die durch Wettbewerbsglauben, ein unternehmerisches
Selbst und eine ökonomistische Werthaltung geprägt ist. Dieses
Muster eines »marktförmigen Extremismus«7 ist mit der Ausprägung immenser Wut verknüpft, weil er für relevante Bevölkerungsteile mit relativer Deprivation verknüpft ist. Diese Bevölkerungsteile beurteilen die wirtschaftliche Lage allgemein und
ihre eigene finanzielle Situation negativer, fühlen sich eher von
der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt und bedroht, und
sehen zugleich die Deutschen im Vergleich zu AusländerInnen
häufiger schlechter gestellt.
n Was für Deutschland festzuhalten ist, gilt auch für die anderen Länder: »Das Bruttoinlandsprodukt ist in Deutschland
im Zeitraum von 1991 bis 2014 real um 22 Prozent gestiegen. Von diesem Anstieg der Wirtschaftsleistung profitierten
aber nicht alle gleichermaßen: Während die real verfügbaren
Haushaltseinkommen in den mittleren Einkommensgruppen
seit 1991 um acht Prozent gestiegen sind und in den oberen
Einkommensgruppen noch mehr, mussten die einkommensschwächsten Gruppen reale Einkommensverluste hinnehmen. Folglich hat die Einkommensungleichheit zugenommen.«8
n Die Erzählung vom Arbeitskraftunternehmer ist für sie ein
Mythos.
n Sie verstehen nicht, warum plötzlich so viel mit »Großzügigkeit« argumentiert wird, in einem Land, das über zehn
Jahre lang, seit der Agenda 2010, hartherzig war. Sie kennen Menschen, die ihren Job verloren haben, weil ihre Firma
dichtmachte, manche mit Mitte 50, nach 35 Jahren Arbeit,
und die dann nach zwei Jahren in Hartz IV gefallen sind.
In der Flüchtlingskrise scheint die Großzügigkeit zurückgekehrt zu sein – und es ist alternativlos, Milliarden Euro in
die Sozialsysteme zu pumpen.
n Der Sozialdemokratie wird die Mitwirkung an der Neujustierung der sozialen Sicherungssysteme verübelt. Sie erscheint
als hartherzig gegenüber den Menschen hierzulande und
großherzig gegenüber Flüchtlingen. Sie steht für die Einführung des Hartz-Regimes und die Verschlechterung der Altersrenten.
n Neben dem scharfen Umstieg von der neoliberalen Umverteilungspolitik zur vermeintlich generösen Unterstützung der
Zufluchtsuchenden gibt es Unverständnis gegenüber der modernen Multikulti-Lebensweise.
Seit Jahrzehnten steht die gesellschaftliche Mitte durch sozioökonomische Tendenzen unter Druck und beklagt sich über eine
unzureichende sozialpolitische Abfederung. Vor allem die untere Mittelschicht setzt diesen Frust in rechte Stimmungen und
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politischen Protest um. Im Zuge seiner Entwicklung verändert
bzw. verbreitert sich allerdings die soziale Basis des Rechtspopulismus, wird er zu einer Sammlungsbewegung, zu der auch
Teile der Unterschicht und der oberen sozialen Schichten stoßen. Dies gelingt umso besser, wenn eine »Ent-Diabolisierung«
von Parteien bzw. Bewegungen gelingt, insbesondere durch die
Abgrenzung gegenüber dem Rechtsextremismus. Dann gewinnen rechtspopulistische Parteien bzw. Bewegungen auch Attraktivität für und Ausstrahlungskraft auf weitere soziale Schichten,
ihr zentraler Träger bleibt aber die untere Mittelschicht.
Aber auch die These von der gesellschaftlichen Mitte, bzw.
der unteren Mittelschicht als Hauptträger rechtspopulistischer
Mentalitäten ist umstritten. Dabei geht es um die Frage, wer
überhaupt zur Mittelschicht zu zählen ist. Welches Gewicht haben bei der Bestimmung dieser Mittelschicht, ihrer Mentalitäten
und inneren Gliederung Faktoren wie berufliche Position, Einkommen und Bildung? Wenn, wie hier, vor allem auf das Haushaltseinkommen als Indikator für die Zugehörigkeit zur »gesellschaftlichen Mitte«9 abgestellt wird, soll damit die Bedeutung
von beruflicher Position und Bildung für gesellschaftliche Stellung und Mentalitäten keineswegs in Abrede gestellt.
Dass die AfD-AnhängerInnen nicht in erster Linie aus prekären Verhältnissen kommen, sondern vorwiegend aus der
»gesellschaftlichen Mitte«, wird auch durch empirische Umfragen10 erhärtet: 79% der AfD-AnhängerInnen beurteilten ihre
wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut – im Durchschnitt
der 1.026 Befragten ab 18 Jahren waren es 76%. Zwei Drittel
der AfD-AnhängerInnen sind dabei erwerbstätig.11 Die Arbeiter stellen ein Viertel, die Angestellten jedoch über die Hälfte
3
Beate Küpper, Das Denken der Nichtwählerinnen und Nichtwähler. Einstellungsmuster und politische Präferenzen, Friedrich Ebert Stiftung, Forum Berlin 2016.
4
Dabei wird oft auf die hohe Zustimmung zur AfD bei Arbeitern und Arbeitslosen verwiesen. Siehe dazu den Beitrag von Host Kahrs in diesem Heft.
5
Vgl. Beate Küpper/Andreas Zick/Daniela Krause, PEGIDA in den Köpfen – Wie rechtspopulistisch ist Deutschland?, in: Andreas Zick/Beate Küpper, Wut, Verachtung, Abwertung. Rechtspopulismus in Deutschland, Bonn
2015.
6
Nancy Fraser: Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neo­
liberalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2017, S. 71.
7
Eva Groß/Andreas Hövermann: Marktförmiger Extremismus – ein Phänomen der Mitte?, in: Andreas Zick/Anna Klein (Hrsg.): Fragile Mitte –
Feindselige Zustände, Bonn 2014, S. 102-118.
8 Markus M. Grabka/Jan Goebel, Realeinkommen sind von 1991 bis 2014
im Durchschnitt gestiegen – erste Anzeichen für wieder zunehmende Einkommensungleichheit, DIW-Wochenbericht 4/2017. »Wenn die Globalisierung dazu führt, dass das untere Drittel der Einkommensverteilung über
eine ganze Generation hinweg nicht mehr am allgemeinen Anstieg des Wohlstands partizipieren kann und sich dabei zugleich einer größeren Unsicherheit in Bezug auf den Arbeitsplatz und die soziale Absicherung gegenübersieht, ist es nicht überraschend, dass der Konsens für offene Märkte weltweit
im Schwinden begriffen ist. Dies lässt sich für Deutschland anhand einer aktuellen Analyse der Einstellungen von Anhängern einzelner Parteien erkennen. Anhänger der AfD sehen sich besonders stark von der gesellschaftlichen
Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Zugleich sind sie – im Gegensatz zu den
Anhängern anderer Parteien – mehrheitlich der Auffassung, dass ein EUAustritt für Deutschland vorteilhafter sei als eine EU Mitgliedschaft.« (Peter Bofinger, in: Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2016/17, S. S. 41)
9
Wie auch immer abgegrenzt, gehören zur »gesellschaftlichen Mitte«
Menschen mit unterschiedlichen Beschäftigungs- bzw. Lebensverhältnissen: Lohnabhänge aus dem Bereich der industriellen Produktion, des Dienstleistungsbereichs und des öffentlichen Dienstes. Daneben auch RentnerInnen
und Solo-Selbständige. Ganz dominant ist aber die Lohnarbeit.
10
Vgl. etwa Infratest im Auftrag des Magazins »Der Spiegel« vom März
2016; Renate Köcher: Die Volksparteien sind noch nicht am Ende, Allensbach-Analyse, in: FAZ, 20.4.2016.
Sozialismus 4/2017 31
und Beamte und Selbständige etwa ein Fünftel. Auch wenn man
annimmt, dass bei den Rentnern/Pensionären dieselbe Verteilung der früheren Berufe gegeben ist, bilden die Arbeiter somit
nur eine relativ kleine Minderheit innerhalb der AfD-Anhängerschaft. Bei den WählerInnen der »Partei der kleinen Leute«
haben zudem 55% einen mittleren und 25% sogar einen höheren
Bildungsabschluss. In jüngeren Untersuchungen wird auch ein
leicht über dem Durchschnitt liegendes Einkommen ausgewiesen.12 (Siehe Tabelle 2)
Der rechte Populismus ist keine Bewegung der Armen, sondern vor allem eine Bewegung der unteren Mittelschicht in
wohlhabenden kapitalistischen Gesellschaften. Insofern versucht dieser rechte Populismus einen Kampf um das »verlorene Paradies«. Menschen wählen nicht populistische Parteien,
weil sie zufrieden sind. Sie sind unzufrieden damit, wie Dinge
laufen. Das hat damit zu tun, dass sie sich politisch nicht mehr
vertreten fühlen, dass die etablierten Parteien sie nicht repräsentieren. Sie glauben aber auch, dass man das System funktionsfähig halten könnte.
Seit Mitte der 1990er Jahre »bröckelt die ökonomische Basis
der Mittelschichten. In der Primärverteilung ging der Anteil der
Haushalte mit einem mittleren Markteinkommen an allen Haushalten um gut acht Prozentpunkte von 56,4% im Jahre 1992 auf
48% im Jahre 2013 zurück. Der Sozialstaat konnte zwar immer
noch viele Mittelschichthaushalte vor dem sozialen Abstieg bewahren, aber die ungleiche Primärverteilung nicht mehr völlig
kompensieren. Auch in der Sekundärverteilung, also nach Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers, schrumpfte der Anteil
der Mittelschichten von 83% im Jahre 2000 auf 78% im Jahre
2013.«13
Aus Meinungsumfragen und Analysen von Reden, Flyern
und Plakaten rechtspopulistischer Parteien »ist herauszulesen: Das Potenzial liegt in den bürgerlichen, gut situierten Mittelschichten. Hier erreicht die Propaganda viele Bürger in ihren
Vorurteilen gegen die Einwanderung, in ihren vermeintlichen
Vorrechten als Einheimische, aber auch in autoritären Sicherheitsvorstellungen, was Strafen bei Normverstößen betrifft. …
Gut 30% der Deutschen, die wir befragt haben, zeigen eine sogenannte ökonomistische Orientierung. Sie berechnen Gruppen nach ihren vermeintlichen Kosten und Nutzen, meinen zum
Beispiel, wir können uns heute keine Verlierer mehr leisten. Ein
klassisches bürgerliches Demokratieverständnis aber orientiert
sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen von Menschen und
nicht allein an ihrem Nutzen. Gesellschaftlich und politisch hat
sich aber die Leistungsgerechtigkeit gegenüber der Bedürfnisgerechtigkeit durchgesetzt.«14
Drei Jahre nach Gründung der AfD geben mehr Menschen
an, sich mit der AfD verbunden zu fühlen, als jemals mit den
Republikanern, der DVU oder der NPD. »Die AfD-AnhängerInnenschaft ist im Umfang gewachsen und hat sich in ihrer Zusammensetzung deutlich verändert: Die Partei findet ihre AnhängerInnen mehr und mehr unter NichtwählerInnen und im
Lager rechtsextremer Parteien sowie unter BürgerInnen, die angaben, unzufrieden mit der Demokratie zu sein und solchen, die
erklärten, sich vor Zuwanderung zu fürchten.«15
Die AfD – wie die anderen rechtspopulistischen Parteien in
Europa – ist nur das Symptom eines zugrunde liegenden Pro-
32 Sozialismus 4/2017
Tabelle 2: Wahlabsicht für die AfD nach sozialen Gruppen
(in %)
4 .Quartal
2013
4 .Quartal
2014
4 .Quartal
2015
1. Quartal
2016
Bildung
niedrig
27
22
21
20
mittel
35
51
54
55
hoch
38
28
24
25
Berufstätig
56
58
61
63
Arbeitslos
5
4
2
3
Rentner/
Pensionäre
Sonstiges
29
26
28
27
10
12
9
7
Erwerbsstatus
Berufsgruppe
Arbeiter
18
20
23
26
Angestellte
63
58
56
53
6
9
6
7
13
13
15
14
Beamte
Selbständige
Quelle: Oskar Niedermayer/Jürgen Hofrichter, Die Wählerschaft der AfD: Wer ist sie, woher kommt sie
und wie weit rechts steht sie?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 47. Jg., Heft 2/ 2016
blems. Dieses Problem ist, dass etwa 70% der Bevölkerung mit
dem Establishment unzufrieden sind. Indem man die eigensinnigen Stimmen unterdrückt oder sie lächerlich macht, nimmt
den Menschen nicht ihre Gesinnung.
Alle Untersuchungen verweisen auf zwei wesentliche Faktoren: Einerseits sehen wir in allen kapitalistischen Hauptländern in den zurückliegenden Jahren eine Tendenz zur Erosion der sozial-ökonomischen Basis der Mittelschichten,16 vor
allem der unteren Mittelschicht. Andererseits hat sich wegen
der wachsenden Angst vor Statusverlust ein massives Unbehagen gegenüber der politischen Klasse herausbildet.
Um dauerhaft Erfolg zu haben, müssen sich populistische
Parteien ausgehend von der Artikulation von aktuellen Proteststimmungen auch auf politische Zielsetzungen stützen. Der
wichtigste Bezugspunkt aller rechtspopulistischen Parteien ist
die tiefe Enttäuschung vom überlieferten System der politischen
Willensbildung. Die gewichtigste Unterscheidung für Populisten
ist die von korrupten und unfähigen Eliten und den wachsenden Problemen der »gutwilligen« Mehrheit der Bevölkerung.
Gerade in den sozio-ökonomischen Mittellagen der europäischen Gesellschaften ist eine wachsende Anfälligkeit für
rechtspopulistische Haltungen zu beobachten. Vor dem Hintergrund der Erosion der eigenen gesellschaftlichen Stellung
wird hier deutlich gegen eine vermeintliche »Einwanderung«
in die nationalen Sicherungssysteme Position bezogen. Gegen
den kritisch beurteilten sozialen Wandel wird einmal mehr versucht, das Nationale als schützendes Bollwerk zu mobilisieren.
Gepunktet haben die rechtspopulistischen Parteien in ihren
jeweiligen Ländern vor allem mit drei politischen Themen:
1. einer teils tiefsitzenden Verachtung gegenüber den bisherigen
politischen Klassen oder wirtschaftlich-politischen Eliten;
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2. der Ablehnung der Europäischen Union und der bisher verfolgten Austeritätspolitik;
3. der Forderung, die nationalen Sozialsysteme gegenüber MigrantInnen, Flüchtlingen sowie »Arbeitsunwilligen« abzuschotten.
Zwei weitere Aspekte sind relevant: Erstens können die rechten
Parteien heute wieder das Thema »Flüchtlinge« aufgreifen. Seit
1945 gab es weltweit nicht so viele Flüchtlinge wie aktuell. Das ist
ein großes öffentliches Thema. Zweitens ist das Thema »Islamismus« durch die weltpolitische Lage in das Problembewusstsein
der Öffentlichkeit gerückt. Rechtslastige Akteure greifen dieses
Thema auf – wobei bewusst mit einem Amalgam aus Religion
und diversen aggressiven politischen Strategien gearbeitet wird
– um für ihre Ideologien zu werben und ihre Deutungsmuster
und Gesellschaftsbilder einer breiteren Öffentlichkeit nahezulegen. In ganz Europa breiten sich auf gefährliche Weise Antisemitismus und Hass gegenüber Fremden und Muslimen aus.
Die Zunahme von kriegerischen Konflikten, Gewalt sowie die
Ideologie des »Schocks der Zivilisationen« nähren Verunsicherung und Angst. De facto sind Muslime in vielen Regionen die
ersten Opfer des islamistischen Fanatismus.
Die Bewegung der Schutzsuchenden hat wesentlich zum
Auftrieb der AfD beigetragen. Auch wenn ihre Zahl seit dem
Frühjahr 2016 deutlich zurückgegangen ist, wird die Integration der Schutzsuchenden in die Gesellschaft ein Dauerthema
in Deutschland und Europa bleiben. Dass die Schutzsuchenden
zur Projektionsfläche für Ängste und Ressentiments werden
können, hat mit viel tieferliegenden ökonomisch-sozialen Problemlagen zu tun, die politisch nicht bearbeitet werden. Die Erosion der gesellschaftlichen Mitte und die daraus resultierenden
Abstiegsängste sind in vielen Studien nachgewiesen. So hat die
Einkommensmobilität drastisch abgenommen. »Eine Verfestigung der Verteilung zementiert Ungleichheitsstrukturen und
beschneidet Chancengleichheit in einem erheblichen Maß. Genau das aber ist der große Trend, der sich in Deutschland seit
einigen Jahrzehnten abzeichnet.«17 Solange diese Trends nicht
politisch bearbeitet werden und das Vertrauen in das politische
System weiter sinkt, wird der Rechtspopulismus seinen Nährboden finden.
11
Vgl. Oskar Niedermayer/Jürgen Hofrichter Die Wählerschaft der AfD:
Wer ist sie, woher kommt sie und wie weit rechts steht sie, in: Zeitschrift für
Parlamentsfragen, 47. Jg., Heft 2/ 2016.
12
Knut Bergmann/Matthias Diermeier/Judith Niehues, Judith: Die AfD:
Eine Partei der sich ausgeliefert fühlenden Durchschnittsverdiener, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 48. Jg., Heft 1/2017, S. 113-131.
13
Gerhard Bosch/Thorsten Kalina: Mittelschichten in Deutschland – unter Druck, in: Sozialismus 2/2016, S. 16.
14
Andreas Zick: »Wir dürfen unsere Toleranz nicht überschätzen, Interview im Tagesspiegel, 21.5.2014.
15
Martin Kroh/Karolina Fetz: Das Profil der AfD-AnhängerInnen hat sich
seit der Gründung deutlich verändert, in: DIW Wochenbericht Nr.34 vom
26. August 2016.
16
Vgl. dazu die Beiträge im Themenschwerpunkt »Wer ist die gesellschaftliche Mitte?« in: Sozialismus 2/2016.
17
Dorothee Spannagel: Trotz Aufschwung: Einkommensungleichheit
bleibt, WSI-Verteilungsbericht 2015.
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