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Bodo Ramelow
DIE LINKE. Fraktion im Thüringer Landtag, Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt
Prof. Dr. Eckhard Jesse
Technische Universität Chemnitz
Thüringer Weg 9
09126 Chemnitz
Fraktionsvorsitzender
Jürgen-Fuchs-Straße 1
99096 Erfurt
Telefon 0361 / 377 2323
Telefax 0361 / 377 2416
[email protected]
www.die-linke-thl.de
Sparkasse Mittelthüringen
Konto-Nr. 130 089 796
BLZ 820 510 00
Offener Brief von Bodo Ramelow an Prof. Dr. Jesse
31. März 2011
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Jesse, sehr geehrte Damen und Herren,
Ihrer Bitte, eine Besprechung des Verfassungsschutzberichtes des Jahres 2009 des
Bundesamtes fur Verfassungsschutz fur Ihr Jahrbuch „Extremismus & Demokratie“ zu
verfassen, werde ich nach reiflicher Überlegung nicht nachkommen. Denn das von Ihnen
gemeinsam mit Prof. Dr. Uwe Backes und Prof. Dr. Alexander Gallus seit 1989
herausgegebene Jahrbuch ist kein geeigneter Ort, um mich kritisch und aus einer
demokratischen Perspektive mit der Arbeit des Verfassungsschutzes
auseinanderzusetzen. Um es gleich deutlich zu sagen: Ich verweigere mich dem Versuch,
mich als Ihr Feigenblatt benutzen zu lassen, um Ihrer Arbeit einen pluralen und objektiven
Anstrich zu geben.
Seit Jahren muss ich zur Kenntnis nehmen, dass Sie als ein Vertreter der
„Totalitarismustheorie“ und als sogenannter „Extremismusexperte“ linke Positionen mit
rechtsextremer und gar neonazistischer Hetze gleichsetzen. Zugleich unterstellen Sie
meiner Partei, einen „weichen Extremismus“ zu vertreten, der politisch gefährlicher sei als
der „harte Extremismus“ der NPD, erst unlängst bei einer Veranstaltung des Landesamtes
fur Verfassungsschutz in Erfurt.
Mit der von Ihnen und in Ihrem „Jahrbuch“ vertretenen „Extremismustheorie“ verharmlosen
Sie Rassismus, Neonazismus und rechtsextreme Gewalt. Dabei ist Ihre Theorie in der
Wissenschaft höchst umstritten. Der renommierte Historiker Prof. Dr. Wolfgang
Wippermann nannte sie einen „Politologentrug“ und schrieb: „Extremismus ist nicht nur
kein Rechtsbegriff, er ist ein politischer Begriff fur ein real gar nicht existierendes
Phänomen, das von einigen Politologen erfunden wurde, die diese ihre Erfindung auch
noch völlig unzureichend begrundet haben“. Mit dem politisch motivierten Kampfbegriff des
Extremismus behindern Sie die notwendige Analyse rechter Ideologien, anti-egalitäre
Einstellungsmuster in anderen politischen Strömungen und der gesellschaftlichen „Mitte“
und leugnen damit gleich auch noch die historische Verantwortung der konservativen Eliten
am deutschen Faschismus. Politische Einstellungen der „Mitte“ können in Ihrer Definition
nicht „extremistisch“ sein, denn nicht menschenverachtende und antiegalitäre Haltungen
sind Gegenstand Ihrer Forschung, sondern allein der durch Sie selbst definierte
„Extremismus“. Dabei wird der auch in der „Mitte“ der Gesellschaft virulente Rassismus,
Antisemitismus und Nationalismus, wie ihn die Studien der Universitäten Jena („Thuringen
Monitor“) und Bielefeld („Deutsche Zustände“) immer wieder feststellen, vollkommen
ignoriert. Leider hat die uberholte „Totalitarismus-“ und „Extremismustheorie" in den letzten
Jahren wieder eine Aufwertung in der öffentlichen Debatte erfahren.
Politisch unerträglich ist es, wie Sie Kritik an der „Extremismustheorie“ zuruckweisen und
den Kritikern unterstellen, selbst mit dem Verfassungsstaat auf Kriegsfuß zu stehen. Damit
entziehen Sie sich einer kritischen Auseinandersetzung und machen all diejenigen, die
nicht Ihren Ansatz teilen, zu „Extremisten“. Die Wissenschaftler Prof. Dr. Alex Demirovic
und Paulina Bader kritisierten im „Freitag“ diese Auffassung als demokratiegefährdend:
„Diejenigen, welche die gegenwärtige Form der Demokratie fur unzureichend halten,
werden als Extremisten mit den Rechten gleichgesetzt und von den braven Demokraten
geschieden.“ Mit Ihrer Logik sind Sie Stichwortgeber fur die Bundesfamilienministerin
Schröder und die „Antiextremismuserklärung“, die Gesinnungsschnuffelei zur Grundlage
der Förderpolitik bei den so bitter notwendigen Programmen gegen Rechtsextremismus
und fur Demokratie macht.
Durch Ihre Arbeit zieht sich der rote Faden des staubigen und antidemokratischen
Antikommunismus des „Kalten Krieges“. Während Sie die Gefahr der extremen Rechten
kontinuierlich klein reden, betreiben Sie mit Ihrem „Jahrbuch“ einen Kreuzzug gegen die
PDS bzw. DIE LINKE. Immer wieder rucken Sie in Ihren Vorträgen und Aufsätzen meine
Partei in die Nähe zu rechtsextremen und neonazistischen Organisationen. In einem
Atemzug nennen Sie ungeniert Die Republikaner oder die NPD mit der LINKEN. „Sowohl
die PDS als auch die REP wurzeln in extremistischem Grund. Beide Parteien verbindet vor
allem ihr Extremismus“, schrieb beispielsweise der Autor Harald Bergsdorf in einem
skandalösen Artikel in Ihrem „Jahrbuch“. Die seien gar politische „Geschwister“. Als
untrugerisches Kennzeichen fur politischen Extremismus gilt ihm, dass die PDS den
Kapitalismus „diskreditiere“. Extremist ist also, wer den Kapitalismus zu kritisieren wagt.
In Thuringen sind 2010 und 2011 bislang 26 Anschläge und Attacken auf Wahlkreisburos
demokratischer Abgeordneter sowie auf Buros demokratischer Parteien verubt worden.
Erstes Ziel der offenbar fast ausschließlich rechtsextrem motivierten Taten ist DIE LINKE
und ihre Abgeordneten – 15 Attacken galten allein meiner Partei. Und vor wenigen Wochen
stellte Thuringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) die aktuellen Zahlen politisch
motivierter Gewalt im Jahr 2010 vor. Von 1403 Fällen waren 1002 explizit „rechtsextrem“
motiviert - das sind mehr als 71 % der gezählten Taten. Keinem politischen Spektrum
konnten 105 Fälle zugerechnet werden, 20 % werden vom Innenministerium als
„linksextrem“ gewertet. An diesem Punkt teile ich wirklich die Auffassung des Thuringer
Innenministers. Er stellte vor dem Hintergrund der Zahlen erneut fest, die „Hauptgefahr“ fur
die offene und demokratische Gesellschaft gehe von Rechtsextremen aus. Gerade hier in
Thuringen, im Schatten des KZ Buchenwald und auf dem Gebiet des ehemaligen NSMustergaus, stehen Demokraten in der historischen Verantwortung, jeder Relativierung
antidemokratischer Bestrebungen einen Riegel vorzuschieben. Antifaschismus ist fur mich
daher eine Verpflichtung und nicht wie fur Sie Synonym fur Verbrechen.
Ihre kontinuierliche Verunglimpfung der Partei DIE LINKE als „extremistisch“, Ihre feste
Verankerung bei den Verfassungsschutzämtern, den politischen Stiftungen von CDU und
CSU sowie im direkten Umfeld der Sächsischen CDU-Landesregierung offenbart Ihre
politischen Ziele, die Sie wissenschaftlich verbrämen. Offen haben Sie bei der Grundung
Ihres „Jahrbuches“ eingeräumt, mit Ihrer Arbeit explizit auf „Praktiker (Politiker,
Ministerialbeamte, Sicherheitskräfte, Pädagogen)“ abzuzielen und ihnen „Impulse“ fur ihr
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Handeln zu geben. Fur Sie fällt auch eine Koalition auf Landesebene von SPD und PDS /
DIE LINKE unter das Problem des „Extremismus“. Zur Koalition der Parteien in
Mecklenburg-Vorpommern ab 1998 schrieben Sie: „Zum ersten Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik ist eine demokratische Partei eine Koalition mit einer extremistischen
Partei eingegangen.“ Damit sei „der Linksextremismus hoffähig gemacht“ worden. So
mischen Sie sich mit Ihrer durch Steuergelder subventionierten und symbiotisch mit den
Innenbehörden verknupften Arbeit in konkrete Politik ein. So wird man schnell zum Hausund Hoftheoretiker und Stichwortlieferanten der CDU und der Sächsischen
Landesregierung. Und das ist es, weswegen Ihre Arbeit und die Forschung des von der
CDU-Landesregierung gegrundete „Hannah-Arendt-Instituts“ unter der stellvertretenden
Leitung von Herrn Backes bis heute immer wieder im Fokus der Kritik von Wissenschaftlern
steht. „Munitionsfabrik gegen die PDS“ (taz, 28.02.2002), „Das Hannah-Arendt-Institut im
Griff der Politik“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.2001) oder „Verknöcherung bei den
Forschungsthemen“ (Die Welt, 05.12.2010) – das sind die Schlagworte, wenn uber die gut
ausgestattete Forschungseinrichtung berichtet wird.
Auf der einen Seite warnen Sie in alarmistischem Ton vor der Linken und gefallen sich als
Vordenker des Anti-Antifaschismus. Auf der anderen Seite verharmlosen Sie die extreme
Rechte. So warnten Sie vor „Alarmismus“ in der Debatte uber die NPD, lehnten als
Gutachter im NPDVerbotsverfahren ein Verbot der neonazistischen Partei ab, beklagten
Kritik am Antisemitismus schon mal als „hysterische Reaktion“, diffamierten in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (06.05.2010) friedliche Sitzblockaden gegen
Neonaziaufmärsche als undemokratisch, sehen in den „Verhaltensweisen von
Repräsentanten des Judentums“ einen Grund fur das Erstarken des Antisemitismus und
halten die extrem rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ „im Kern des demokratischkonservativen Spektrums“ angesiedelt. Und Sie glauben sogar, dass „judische
Organisationen … Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung [brauchen], um fur
ihre Anliegen Gehör zu finden (…)“. Eine unglaubliche Behauptung.
In Ihrem „Jahrbuch“ finden sich in den vergangenen Jahren gleich mehrere
ausgesprochene Vertreter der extremen Rechten als Autoren. 1990 boten Sie Harald
Neubauer, bis August 1990 bayerischer Landesvorsitzender der offen rassistischen Partei
Die Republikaner, Mitglied des Europäischen Parlaments fur die Partei und zuvor Mitglied
der NPD und Funktionär der DVU, ein Forum dafur, seine Partei gegen antifaschistische
Kritik zu verteidigen und als „verfassungstreu“ darzustellen sowie Position „gegen
Überfremdung“ zu beziehen. Auch der „neu rechte“ Autor Rainer Zitelmann, der CDURechtsausleger mit Sympathien fur Rechtsextreme Hans-Helmuth Knutter sowie der Chef
der Republikaner, Rolf Schlierer, fanden in Ihrer Publikation Platz. Schlierer konnte dort
sogar behaupten, die Kritik an rechtsextremer Hetze diene nur dazu, „eine Herrschaft
weniger Parteien (zu) zementieren“. Fur diese angeblich „leisen Nebentönen“ in seinem
Beitrag wurde Schlierer von Ihnen sogar noch gelobt! Entsetzt stellte der Journalist Heribert
Prantl in der „Suddeutschen Zeitung“ während der NPD-Verbotsdebatte fest, dass Sie, Herr
Jesse, immer wieder durch „Bagatellisierung des Rechtsextremismus“ auffallen
(06.02.2002).
Besonders deutlich wurde Ihr geschichtspolitisches Ziel mit dem Sammelband „Die
Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus“, das Sie
1990 gemeinsam mit Herrn Backes und dem „neu-rechten“ Rainer Zitelmann herausgaben.
Der Band wurde zu einem der Leitwerke einer jungen Generation junger, „neu-rechter“
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Historiker und Politologen, die nach der Vereinigung einer Nationalisierung deutscher
Politik das Wort redeten und eine neue Lesart deutscher Geschichte etablieren wollten. Die
„Suddeutsche Zeitung“ nannte das Buch ein „Standardwerk des gemäßigten
Geschichtsrevisionismus“. Der Nationalsozialismus galt hier als „Modernisierungsschub“
und dessen Verbrechen wurden eine "Historisierung", nichts anderes als einer
Bagatellisierung, unterworfen: „Die Rituale einer falschen Unterwurfigkeit mussen
uberwunden werden“, hieß es. „Wertneutral“ musse diese Epoche deutscher Geschichte
nun betrachtet werden. In diesem Zusammenhang kritisierten Sie auch die Indizierung von
Schriften, die die Verbrechen des NS relativieren. Der Historiker Prof. Dr. Wolfgang
Wippermann, Sie hätten sich an den rechten und revisionistischen Bestrebungen einiger
neurechter Ideologen beteiligt, „die Schrecken des Dritten Reiches durch Betonung seiner
angeblich modernen, progressiven und insgesamt eben »auch guten Seiten« zu
relativieren“.
Sehr geehrter Herr Dr. Jesse, in Ihren Schriften, Vorträgen und in Ihrem Agieren finden sich
so viele Belege dafur, dass Sie zumindest ein „ziemlich unkritisches Verhältnis zur rechten
politischen Szene“ (Heribert Prantl) pflegen – ich habe hier nur einige beispielhaft genannt.
Sie werden verstehen, dass ich Ihren Kampf gegen die demokratische Linke nicht
unterstutzen möchte. Ihr „Jahrbuch“ ist fur mich kein geeigneter Publikationsort. Ihre
Beschwichtigungen gegenuber der neonazistischen NPD sind skandalös, Ihre Nähe zur
Rechten offenbar. Dass auch zahlreiche demokratische und seriöse Wissenschaftler,
Publizisten und Experten in Ihrem „Jahrbuch“ publizieren, ist mir bekannt. Ich möchte
meinen Namen dennoch nicht in die Autorenliste Ihrer Zeitschrift einreihen, zwischen
fuhrenden Aktivisten der extremen Rechten, Vertretern der „Extremismustheorie“ oder
Verfassungsschutzern, die mich seit Jahrzehnten fortgesetzt zu Unrecht und ohne jede
Erkenntnisse meine Person betreffend beobachten.
Mit freundlichen Grußen,
Bodo Ramelow
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