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Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer –
Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit
Gerhard Wegner∗
Hinsichtlich der Frage, was Menschen dazu gebracht hat, sich für sich selbst
und für andere im Gemeinwesen zu engagieren, lassen sich drei Faktoren identifizieren: Person, Resonanz und Feld.1 Der Faktor Person wirkt in sozialraumbezogenen Projekten überdurchschnittlich, was auch schon in fast jeder Primärerfahrung in entsprechenden Vorhaben deutlich ist. So steht einem eine Reihe von
Charismatikern der Gemeinwesenarbeit vor Augen. Ohne solche „Heroen der
Inklusion“ läuft fast nichts. Und das sind ganz bestimmte Sozialcharaktere:
Längst nicht immer agieren sie konsensfähig, sondern suchen den Konflikt. Sie
haben den Mut, sich unbeliebt zu machen, sie ‚setzen sich aus‘. Sie haben oft
sehr verletzbare Seiten und sind sicherlich auch eitel. Alles in allem: Es sind vor
allem Menschen, die sich bereitwillig einer unbekannten Zukunft in die Arme
werfen. Und bisweilen nehmen sie sogar die Stigmata der Gruppe an, mit der sie
zu tun haben, tragen sie solcherart in die Öffentlichkeit und öffnen dadurch
einen neuen Raum, der nun von vielen begangen werden kann.
1
Schöpferische Zerstörung im Sozialraum
Sie schaffen etwas Neues. Sie sind soziale und kulturelle Innovatorinnen und
Innovatoren. Sind sie auch UnternehmerInnen – oder wenigstens entrepreneurs.
Von außen ist zu sehen: Mittels ihrer Parteilichkeit „zerstören“ sie bestehende,
letztlich nur scheinbar harmonische Zusammenhänge, die das Elend bisher nur
zugedeckt haben. Sie öffnen so einen latenten Konflikt der Bearbeitung: Kreative Zerstörung. Gerade das aber kommt den Leidenden zugute. Man denke an
ein herausragendes Beispiel: an Dame Cicely Saunders, die aus Liebe zu einem
dem Ghetto entronnenen Menschen ein Leben lang in der Zwischenwelt des
Lebens und Sterbens agiert und diese Wirklichkeit durch die Gründung der
∗ Für großartige Kommentare zu früheren Fassungen dieses Beitrages danke ich Helga Hackenberg
und Martin Horstmann.
1 Vgl. Wegner 2010 unter Bezug auf Horstmann/Neuhausen 2010.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Hospizbewegung an das Licht der Öffentlichkeit bringt. Welch gewaltige Enttabuisierung und welch ein Zugewinn an Lebens- und Sterberealität! Am Beginn
steht eine Einzelne – der heutige Mythos bewahrt ihr Charisma.
Was diese Protagonisten suchen – oder besser gesagt, was sie finden –, ist
Widerhall, Echo, Aufgefangenwerden. An all dem ranken sie in die Höhe und
daran wächst auch ein Projekt. Es kommt viel zurück aus dem Einsatz von den
anderen, nicht immer nur aus der Gesellschaft, die in ihrer Erfahrung sogar seltsam abstrakt bleibt. Immer wieder erzählen sie, wie gewaltig die Unterstützung
trotz oder gerade wegen vieler Widerstände anwuchs. Obwohl da zu Beginn
kein Cent vorhanden ist, akkumulieren die Vorhaben ganz überraschend schnell
Ressourcen und übertreffen alle Erwartungen. Es sind diese Resonanzen, die
von diesen Menschen als eine Art Melodie erlebt werden, ein Lied, das ermutigt, immer wieder weiterzumachen und Neues zu beginnen. Sie zeigen, dass
das, was man macht, einen Unterschied ausmacht und, dass es Bedeutung für
andere hat.
Schließlich der Faktor des Feldes. Das Ziel, das Medium, das Werkzeug
des Engagements dieser Menschen ist nicht die funktionale Einordnung in eine
Organisation oder in irgendetwas sonst, sondern es ist das Gemeinwesen, der
Ort, an dem man lebt und den es zu entwickeln gilt. Dieses Feld ist vor allem
dadurch gekennzeichnet, dass es in ihm unentdeckte Ressourcen gibt, die verschüttet sind und dass sich in ihm Gelegenheiten ergeben, sie zu heben und mit
ihnen neue Kombinationen anzuprobieren, um die Lebensqualität zu verbessern.
Für diese Tätigkeit müssen Gelegenheiten identifiziert werden, die man nutzen
kann, um entsprechende Effekte erzielen zu können. Das Ziel:
„Die grundlegende Idee ist, Menschen Gelegenheiten zu geben, innerhalb eines von ihnen selbst wahrgenommenen definierten und gelebten Raumes ihre eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten bei Bedarf mit einzubringen und Problemfelder erst gar nicht
aufkommen zu lassen oder aber sie zu beseitigen“ (Wasel 2010: 25).
Es ist dieses Aufgreifen von Gelegenheiten und ihr Umwandeln in Anknüpfungsmöglichkeiten für das Handeln der Menschen im Stadtteil, das den produktiven Wertschöpfungsprozess der Gemeinwesen- oder SozialraumunternehmerInnen ausmacht – wie solche Personen eigentlich zu nennen sind, denn sie
erfüllen zu einem großen Teil die Funktionen von Sozialunternehmerinnen und
Sozialunternehmern. Aber das ist nicht so einfach, denn wehe, man tut das! Der
Widerspruch ist sofort heftig. Nicht nur, dass sie sich selbst so nicht sehen würden. Nein: Eine Identifikation als entrepreneurs oder gar als Unternehmerinnen
bzw. Unternehmer ist ihnen bestenfalls geradezu peinlich! Im schlimmsten Fall
fühlen sie sich beleidigt, weil das Bild des Unternehmers in ihren Köpfen so
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ganz anders ist – auf Profit und Machertum ‚getrimmt‘ –, als sie sich selbst
verstehen würden.
Die Tätigkeit von Sozialraumaktivisten weist eigensinnige Strukturen und
Handlungslogiken auf, die bisher noch wenig erforscht sind. Auf jeden Fall
handelt es sich um spezifische Formen von Arbeit, die sie innerhalb der Erwerbsarbeit auszeichnen oder auch – im Fall von freiwilliger Arbeit – deutlich
gegen sie abgrenzen. Sie zielen in Richtung von Vorstellungen einer idealen
Beschäftigung, in der gemeinsames Handeln auf der Basis eines Sich-Öffnens
und von Vertrauen, das Erleben von Gemeinschaft und Selbstbestimmung geht.2
Deshalb wird eine Identifikation mit Unternehmertum abgewiesen.
In einer historisch-genetisch angelegten Analyse stellen sich die Logiken
des unternehmerischen – auch des sozialunternehmerischen – Denkens und
Handelns auf der einen und der klassischen Gemeinwesenarbeit auf der anderen
Seite nicht nur als sehr unterschiedlich, sondern zum großen Teil geradezu als
völlig gegensätzlich und kaum miteinander verträglich dar. Dennoch gibt es
mittlerweile erhebliche faktische Überschneidungen, die es durchaus erlauben
von einer neuen Spezies, dem Sozialraumunternehmer oder der Sozialraumunternehmerin, zu sprechen. Gemeint sind damit Menschen, die aus den Gelegenheiten dieses Raumes etwas machen, sie ‚beim Schopf ergreifen‘ und soziale
Wertschöpfung in Gang setzen. Sie hat es in irgendeiner Form immer gegeben –
selten begreifen sie sich selbst als Unternehmer [siehe hierzu auch den Beitrag
von Habisch zu social entrepreneurship in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Gemeinwohltheorien]. Heute jedoch sind solche Personen wichtiger denn je.
2
Gemeinwesenarbeit und sozialräumliche Lebenswelten
Eine solche Gemeinwesenarbeit, wie sie in Deutschland (insbesondere auch im
kirchlichen Bereich) praktiziert worden ist, versteht sich als ein parteiliches
Instrument, mit dem sich engagierte Sozialarbeitende, Pastoren und Pastorinnen
oder andere um die Aktivierung und das Empowerment von benachteiligten
Personengruppen im Gemeinwesen bemühen. Bereits ein oberflächlicher Blick
zurück in ihre Anfänge macht deutlich, dass es um die Unterstützung der Interessenwahrnehmung derartiger Gruppen geht: Strukturell sozial und kulturell
geschwächte Menschen gilt es, gegen eine Enteignung ihrer lebensweltlichen
2 Vgl. hierzu jetzt sehr übersichtlich Mösken et al. (2010: 49).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Ressourcen stark zu machen und Widerstand gegen Prozesse ihrer Entbettung
aus angestammten Lebensmöglichkeiten zu eröffnen.
Das klassische Beispiel hierfür war der Widerstand gegen die Kahlschlagsanierungen in den 1970er und 1980er Jahren in einigen Großstädten, gegen die
sich die Gemeinwesenarbeit eingesetzt hat. In einigen Fällen gelang es dafür zu
sorgen, dass die eingesessenen Anwohner in ihren Häusern wohnen bleiben
konnten und es zu einer sensibleren Sanierung der städtischen Gebiete kam. Die
eingesetzten Methoden, u.a. die immer wieder zitierte und praktizierte aktivierende Befragung, zielten darauf, Menschen, die in ihrer Situation über wenig
öffentlich nutzbare Ressourcen verfügten oder die ‚im Konflikt stumm geworden‘ waren, wieder stark zu machen, ihnen durch kollektives Engagement eine
Stimme zu verleihen und auf diese Weise die Interessenorientierung benachteiligter Gruppen zu stärken. Auch damals gab es bei solchen Prozessen stets zumindest auch sozialunternehmerisch engagierte oder zumindest in dieser Richtung aufgeschlossene Akteure, sei es in den Wohnungsbauunternehmen oder
auch in zahlreichen ‚alternativen‘ Projekten einer lokalen Ökonomie (Bücherläden, Öko-Shops, Musikhallen usw.). Die Übergänge zwischen den Akteurinnen
bzw. Akteuren in der Gemeinwesenarbeit und diesen Bereichen waren durchaus
auch damals schon fließend.
Nach wie vor kann Gemeinwesenarbeit auch die Merkmale der Parteilichkeit aufweisen. Allerdings geht es heute häufiger um allgemeinere Planungsprozesse in Quartieren, Stadtteilen oder Dörfern. Aber die parteiliche Perspektive
ist in vielen Ansätzen und vor allem bei vielen Personen nach wie vor selbstverständlich erhalten. Es geht mithin darum, Gemeinwesen so zu gestalten, dass in
ihnen Prozesse der Herausbildung solidarischer Arrangements und eine Wiederaneignung von wichtigen lebensweltlichen Fähigkeiten und sozialen Räumen
möglich werden. Solcherart lassen sich heute unter Gemeinwesenarbeit vielerlei
Formen der Aktivierung ehrenamtlichen Engagements in den Bereichen verstehen, die sozialstaatlich nicht abgedeckt werden. Im Bereich der Armutsprävention ist es prinzipiell vorstellbar, dass Gemeinwesenarbeit im Sinne der Ermutigung der von Armut bedrohten und betroffenen Bevölkerungsgruppen im Quartier eingesetzt werden kann – und in dieser Hinsicht leicht sozialunternehmerische Züge annimmt.3 Die altbekannten Probleme, dass sich viele Defizite des
Quartiers nicht im Quartier lösen lassen, bleiben erhalten. Die auch schon früher
kritisierte Romantisierung und Idealisierung von Sozialräumen als Möglichkei3 Wenn es z.B. um die Schaffung von Arbeitsplätzen für von Armut bedrohte oder betroffene Menschen geht. Sie kann nur gelingen, wenn entsprechende, sozialunternehmerisch Tätige mit SozialarbeiterInnen aktiv kooperieren (vgl. z.B. das Projekt Weltküche in Berlin-Kreuzberg).
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ten von stabiler Gemeinschaftsbildung – gar von ‚Heimat‘ – bleibt von Bedeutung. Aber nach wie vor gibt es beträchtliche Spielräume, die Lebensqualität
von Quartieren für viele der Beteiligten durch Gemeinwesenarbeit zu erhöhen.
Gerade angesichts der Umbruchsituation des Sozialstaates gewinnen solche
Perspektiven wieder an Faszinationskraft.
Eine neue Form der Gemeinwesenarbeit, die gezielt Gelegenheiten im
Stadtteil aufgreift, Ressourcen erschließt und neue Zusammenhänge stiftet, ist
insbesondere deshalb bedeutsam, weil die klassische Form von Sozialarbeit als
maßnahmebezogener Intervention in Lebenszusammenhänge der Lebenswelt
der Menschen häufig nicht mehr angemessen ist und auch die Ressourcen des
Sozialstaates überfordern kann. Entsprechende Initiativen gehen zwar faktisch
nicht selten mit sozialstaatlichen Rückbauten einher – aber sie sollten nicht
primär unter dieser Perspektive in den Blick geraten, denn in ihnen wächst
durchaus eine neue Qualität des Sozialen heran, die den Sozialstaat weiterentwickelt. Es kann nicht falsch sein, konkrete Hilfe wieder in die Nähe der Betroffenen zu verlagern und endgültig den Weg des klassischen Anstaltsparadigmas zu
verlassen – sei es im Bereich von Behinderten, Älteren oder zu Pflegenden.
Theodor Strohm hat diese Perspektive als „Wichern drei“ bezeichnet:
„Die Bemühung soziale Verantwortung zu reintegrieren in lebensweltliche Kontexte,
soziale Kompetenz als Bildungsaufgabe zu begreifen, bedeutet weder einen Rückfall in
deregulierte private Zuständigkeiten noch einen Abbau sozialstaatlicher Hilfeleistungen.
Es bedeutet aber, dass die Systemwelt die Lebenswelt nicht weiter kolonisiert, sondern
dass beide Wirklichkeiten sich lebendig aufeinander beziehen und so ihre Gemeinwohlverpflichtung erfüllen“ (Strohm 2010: 20).
Genau darum geht es: Im Interesse der Stärkung der Menschen die Alternative
zwischen Organisation und Lebenswelt zu überwinden. Es ist oft sehr viel sinnvoller, konkrete Lösungen und Hilfestellungen im Stadtteil zu finden, wie Hejo
Manderscheid anhand eines Beispiels aus einem citynahen Stadtteil von Frankfurt am Main beschreibt: Eine vom gesundheitlichen Verfall und Verwahrlosung
bedrohte, krankhaft misstrauische ältere Frau soll vor der Heim-Einweisung in
bewahrt und gleichzeitig im Gemeinwesen angemessene Betreuung finden.
„Die Sozialarbeiter der Caritas starten einen letzten Anlauf, alternative Lösungen zur
stationären Aufnahme von Frau M. zu finden. Sie setzen sich mit den Orten und Personen in Verbindung, zu denen Frau M. noch täglich Kontakt hat: Der Mann vom Wasserbüdchen und das Personal vom Café. Die Caritas-Mitarbeiter schildern den Leuten
das Problem und bitten sie, über mögliche alternative Lösungen mit nachzudenken.
Ideen sind gesucht, die dort anfangen, wo die professionelle Sozialarbeit endet. Und
nach einigen Gesprächen findet sich eine Lösung. Dem Wasserbüdchen-Mann vertraut
Frau M. Deswegen will die Caritas das Essen auf Rädern nun täglich ans Wasserbüdchen liefern und der Kioskbetreiber soll sich darum kümmern, dass Frau M. das Essen
auch zu sich nimmt. Die Sache klappt: Frau M. vertraut dem Mann. Mit der Cafébesit-
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zerin wurde ausgehandelt, dass man den Versuch starten will, die Cafébesuche von Frau
M. für das Café und die anderen Besucher akzeptabel zu gestalten. Und es wurde folgende Lösung gefunden: Die Cafébesitzerin stellt die Personaldusche zur Verfügung.
Frau M. ist damit einverstanden, dass die Sozialstation der Caritas nunmehr die Grundpflege außerhalb ihrer Wohnung in der Personaldusche des Cafés vornimmt“
(Manderscheid 2010: 59f).
Ergebnis ist, dass die Frau weiterhin in ihrem vertrauten Umfeld leben kann und
die Ressourcen des Gemeinwesens zur Lösung ihrer Probleme genutzt werden
können. Was es für solche Lösungen braucht, sind findige Expertinnen und Experten, die Gelegenheiten ‚aufstöbern‘ und daraus ein wirksames neues Setting
basteln, das nun an Stelle der Einweisung in ein Heim funktioniert. Durch die
Neukombination längst vorhandener, aber bisher nicht in einem spezifischen
Zusammenhang ‚eingesehener‘ und entsprechend kreativ organisierter und aktivierter Ressourcen entsteht ein problemlösendes neues Muster von geradezu
lebensrettender Bedeutung.
3
Kreation entschleunigter Settings
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es in der Praxis solcher Gemeinwesenarbeit einen erkennbaren Schnittpunkt zu Personen gibt, die höchst kreativ und
sozial innovativ, in einem sozialen und kulturellen Rahmen kommunikativ tätig
sind. Was sind sie anderes als ‚kreative Zerstörer‘, wie Joseph Schumpeter in
seiner berühmten Definition den klassischen Unternehmer beschrieben hat [siehe dazu auch ausführlich den Beitrag von Stein]? Sie ‚zerstören‘ den alten eingefahrenen sozialarbeiterischen Lösungsweg – und ersetzen ihn höchst kreativ
durch ein neues Setting in einem Win-Win-Zusammenhang. Ihr wichtiges Instrumentarium sind dabei kommunikative Fähigkeiten, die vor allem auf dem
Faktor Vertrauen beruhen. Sie müssen selbst im Sozialraum eingebettet sein –
und doch stets den Blick von außen bewahren, um die guten Gelegenheiten
nicht zu übersehen. Sie brauchen das Vertrauen der Menschen – und spielen
doch auch mit ihm im Interesse besserer Lösungen. Sind gute SozialarbeiterInnen also die neuen Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer?
Aber nein: So schnell lässt sich eine Gleichsetzung trotz aller Übergänge
und Überlappungen nicht vollziehen. Denn es bleiben im Grunddiskurs beider
Formen sozialen Handelns – der Gemeinwesenarbeit und dem unternehmerischen Handeln – deutliche Differenzen erhalten. Sie finden sich auf der Ebene
der spezifisch notwendigen Mentalitäten und auch der eingesetzten Medien. In
der Gemeinwesenarbeit ist methodisch-fachliches Vorgehen gefordert. Aber
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darüber hinaus ist auch starkes persönliches Engagement bis hin zur Empathie
und zu parteilichen Haltungen unter den Akteurinnen und Akteuren vorauszusetzen. Ohne entsprechende Vorstellungen, dass es sich lohnt, sich sozial zu
engagieren, um ein besseres Leben für viele Menschen herzustellen, wird es in
der Gemeinwesenarbeit trotz allem sicherlich nicht gehen. Die – einerseits –
notwendige professionelle Distanz zum Gemeinwesen und zu den Menschen
wird – andererseits – im Interesse einer betonten ‚Koproduktion‘ mit ihnen immer wieder durchbrochen werden. Anders geht es nicht. Gemeinwesenarbeit ist
Sozialarbeit im Dialog. Aber: Dies alles nehmen Sozialunternehmerinnen und
Sozialunternehmer auch für sich in Anspruch! Auch sie erbringen Dienstleistungen mit eben diesem Ziel und an diese kann sich ein Überschuss an Engagement durchaus gut andocken. Lässt sich hier wirklich keine Brücke bauen?
Es sind allerdings auch die eingesetzten ‚Medien‘. Benötigt werden vor allem kommunikative Kompetenzen, die ohne sichtbares ‚soziales Engagement‘
für betroffene und benachteiligte Menschen nicht wahrnehmbar werden. Man
muss irgendwie dazu gehören. Insofern ist der Wert von Überzeugungen und
Gesinnungen ganz vorne anzusetzen und sie wachsen nirgendwo besser als in
‚Gemeinschaften‘. So spielen auch bisweilen durchaus romantische Idealvorstellungen über den möglichen Lebenswert eines Stadtteiles oder eines Sozialraumes eine wichtige Rolle. Es geht betont nicht darum, ‚Standorte‘ für irgendwelche Investoren zu planieren, sondern die Eigenwerte von Lebensräumen zu
verteidigen, diese Räume partizipativ zu gestalten und das Leben in ihnen zu
entschleunigen. In dieser Hinsicht geht es vor allem um Kultur – nicht um Ökonomie. Aber soziale Ökonomie müsste dem nicht widersprechen, sie müsste
sich allerdings stets ihrer Einbettung bewusst bleiben. Das formatiert das mögliche Geschäft.
4
Das diabolische Medium Geld
Wie man es auch dreht und wendet: Dies sind Vorstellungen, die in vielerlei
Hinsicht quer zu dem liegen, was im unternehmerischen Handeln an erster Stelle steht, nämlich das Medium des Geldes. Natürlich ist auch unternehmerisches
Handeln engagiert auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen ausgerichtet
und es orientiert sich über die Notwendigkeiten, einen Markt zu bedienen an den
Problemen und Erwartungen der jeweiligen Kunden. Nur, wenn es ihnen Nutzen
bringt, ist es erfolgreich. Sozialökonomisches Handeln (re-)investiert zudem das
erwirtschaftete Geld wieder in die Lösung sozialer Probleme. Aber die notwen-
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dige Distanz zu den Menschen, die ökonomisch professionelles Handeln auszeichnet, ist hier durch die dominanten, zwischengeschalteten Zahlen, die sich
in Geldwerte umrechnen lassen, besonders erzwungen.
Das Geld als Geld neutralisiert alle Werte. Das Geld ist nach Niklas Luhmann (1988: 425) deshalb ein diabolisches – und kein symbolisches – Medium,
weil es im Akt der Zahlung jedwede moralische Begründung auslöscht und für
gleichgültig erklärt. Wer zahlt, bekommt, was er haben will, ganz gleich warum – wer nicht zahlen kann, muss dies dann hinnehmen.
Gemeinwesenarbeitern geht es jedoch nicht um Geld als Geld. Es geht nur
um Geld als eine Ressource für anderes, zum Ausgeben. Dafür wird dann auch
einiges unternommen, um Geld zu erwirtschaften. Aber sie werden auch dann
nicht primär in Geldgrößen denken, wohingegen unternehmerisch Tätige selbstverständlich die Größe Geld stets als vorrangigen Horizont im Blick haben müssen. Damit ist nicht gesagt, dass unternehmerisches Handeln allein auf die Vermehrung von Geld ausgerichtet sein muss (in dem Fall wäre die Person besser
im Investmentbanking tätig!), aber das Verfügen über Geld und das Erreichen
von Gewinnen ist das entscheidende Erfolgskriterium, wohingegen für die
Gemeinwesenarbeit dies der Zuwachs von Lebensqualität im Stadtteil ist – eine
viel komplexere Größe zum Be- und Verrechnen. Deutlich ist aber auch: Lebensqualität kostet etwas – und sicherlich nicht wenig. Auch das Gehalt der
Quartiersmanagerinnen und -manager will ja irgendwo verdient sein, denn bisher kommt es meist aus Steuergeldern. Wenn nun diese Ressourcen mit dem
Geld und den Ideen neuer Akteure zusammenfließen, muss auch das ja nicht
falsch sein. Im konkreten Projekt müssen sich beide Herangehensweisen nicht
notwendig widersprechen, sondern können sich sogar gut ergänzen, aber im
Herangehen, in der Methodenwahl und vor allem eben in der Mentalität der
betreffenden Personen unterscheiden sie sich bisher häufig.
Die Differenz wird dann besonders deutlich, wenn im unternehmerischen
Handeln, übertragen dann auch in die Sozialarbeit, die Organisationssteuerung
mittels Kennzahlen erfolgt. Über die „kulturellen Stolpersteine“ beim Kennzahleneinsatz berichten Eisenreich, Halfar und Moos (2005): Sobald eine Organisationssteuerung mit Kennzahlen eingeführt wird, fällt die Entscheidung für eine
zielorientierte Personalführung, für Leistungsmessung, vor allem für die kontinuierlichen Leistungstreiber eines internen Benchmarkings im Sinne einer prinzipiell messbaren Wirkungsorientierung. Im Fall von sozialen Organisationen,
wie z.B. beim Einsatz von GemeinwesenarbeiterInnen, erzeugt dies aber eine
Reihe von Problemen, die in der Frage gipfeln: Wie kann man denn überhaupt
einen Erfolg von Gemeinwesenarbeiterinnen und -arbeitern messen? Dabei ist
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selten das Erstellen eines Leitbilds des Handelns ein Problem, sondern es sind
solche Kennzahlen, die sich auf mittelfristiger strategischer Ebene bewegen, d.h.
es geht um Entwicklungstrends, um Vergleiche mit dem Wettbewerber auf relative Marktstärke hin – letztlich um die Messung einer Erfolgsstory. All dies ist
in herkömmlicher Gemeinwesenarbeit schwer zu integrieren, aber scheint eine
notwendige Voraussetzung unternehmerischen Handelns zu sein. Hinzu kommt,
dass in solchen Organisationen meist ein lebendiges Klima herrscht, ein großes
Maß an Herrschaftsfreiheit, das aber wiederum mit ebenso großer faktischer
Folgenfreiheit der Diskurse zu tun hat. Wenn Kennzahlen eingeführt werden,
verändert sich diese Situation und die Zurechnung von personeller Verantwortung – die es natürlich auch vorher gab – wird deutlicher sichtbar. Aber genau
darin liegt dann das Problem. Generell halten Eisenreich, Halfar und Moos fest:
„Wahrscheinlich mehr als andere Bereiche ist der Sozialbereich durch eine kollegiale
Konfliktaversion geprägt. Diesem Bedürfnis entsprechend werden Zielformulierungen
gerne etwas unscharf gestellt, weil man durch die Vermeidung präziser Zielstellungen
und kontrollierbarer Zielerreichungsgrade Stress und Konflikten vorübergehend ausweichen kann“ (Eisenreich et al. 2005: 32).
Solche Probleme stellen sich im unternehmerischen Handeln bereits zwangsläufig durch die Orientierung auf das Medium Geld ganz anders. Natürlich hat es
an dieser Stelle keinen Sinn, gegenseitig nur ‚mit Fingern auf sich zu zeigen‘
und sicherlich lohnt es sich, wie es auch Eisenreich, Halfar und Moos vorführen,
mehr Präzision in der Zielorientierung und der Zurechnung von Verantwortung
in die Sozialraumprojekte einzubauen. Allerdings sind die Grenzen eines solchen Unterfangens ebenso deutlich: Organisationsimperative sind für die Steuerung von ‚gemeinschaftlichen‘ Sozialformen nicht nur ungeeignet – sie sind zerstörerisch, wenn dennoch angewendet [siehe dazu auch den Beitrag von Gergs
zum Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des social entrepreneurship].
5
Aktivierende Entrepreneure
Im Grundsätzlichen gibt es folglich eine deutliche Differenz zwischen Gemeinwesenarbeit und unternehmerischem Handeln. Aber ist sie wirklich unüberwindbar? Neuere Studien zur heutigen Praxis von Gemeinwesenarbeit – und
zwar insbesondere der Gemeinwesendiakonie im Bereich der evangelischen
Kirche – belegen nun auch, dass sich die Differenzen in der internen Projektlogik von gemeinwesendiakonischen Projekten durchaus abgeschliffen haben. Gemeinwesendiakonie als Form der Gemeinwesenarbeit, die auf die Zusammenarbeit von diakonischen Kirchengemeinden, gemeinwesenorientierter Diakonie
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und anderen Akteuren im Interesse der Gestaltung funktionierender Sozialräume
und der Verhinderung von Notlagen zielt, ist im Hinblick auf ihre strukturbildenden Faktoren als ein Mix aus Aktivierungs-, Projekt- und Entrepreneurlogik
rekonstruierbar (Horstmann/Neuhausen 2010: 13). Im Hintergrund stand die
Frage, was gemeinwesendiakonisches Engagement charakterisiert, was es beeinflusst und was am besten seine Struktur beschreibt. Da ist zunächst die auch
klassische Gemeinwesenwesenarbeit charakterisierende Aktivierungslogik. Hier
geht es um das Empowerment und Befähigen von Menschen. „Potenziale und
Ressourcen sollen im Stadtteil entdeckt und geweckt werden. Gemeinwesenarbeiter aktivieren und mobilisieren die Bewohner, um so langfristige Veränderungen zu bewirken“ (ebd.).
Hinzu kommt eine zweite Handlungslogik, die sich von früheren Ansätzen
in der Gemeinwesenarbeit unterscheidet: die Projektlogik. Hier geht es darum,
dass entsprechende Vorhaben als Projekte gestaltet werden müssen, die sich
entsprechend ausweisen und Förderbescheidauflagen etc. unterwerfen müssen.
Diese Logik beinhaltet bereits einen gewissen Evaluierungsakzent. Denn Projekte müssen sich i.d.R. nach Abschluss der Gründe ihres Erfolges oder Misserfolges klar sein, um weitere Ressourcen einwerben zu können. Bestimmte Indikatoren werden definiert, die auf einen Erfolg des Projektes hinweisen, damit sie
nach Projektabschluss auch überprüfbar sind. Dabei geht es nicht vorrangig um
finanzielle Größen. Finanzielle Ressourcen sind für Stellen und Sachkosten
natürlich unabdinglich, aber sie werden nicht als für das gesamte Vorhaben
letztlich begründend oder es auch nur überwölbend erlebt. Man unterwirft sich
zwar der Projektlogik, die eigenen Perspektiven weisen aber weit darüber hinaus. Entscheidend ist nun, dass sich in diesen gemeinwesenbezogenen Projekten
auch noch eine dritte bestimmende Logik entdecken lässt, die die Aktivierungsund Projektlogik ergänzt, aber auch über sie hinausreicht. „Diese ist gekennzeichnet durch aktives Gestalten, Initiativität, die Lust Neues zu schaffen, Gestaltungswillen zu zeigen, Dinge anzutreiben und sie nach vorn zu bringen“
(Horstmann/Neuhausen 2010: 13). Die AutorInnen bringen dieses Phänomen
mit entrepreneurship in Verbindung und interpretieren es folgendermaßen:
„Unternehmerisches Handeln bedeutet im Kern, gestaltend tätig zu sein, Neues zu ermöglichen, die Initiative zu ergreifen. Das unternehmerische Handeln ‚setzt die Fähigkeit und Bereitschaft zur ständigen Anpassung an neue Gegebenheiten voraus und bildet
somit das Gegenteil eines strukturkonservativen Bewahrens‘, so betont es die evangelische Denkschrift zum unternehmerischen Handeln. Der Unternehmergeist versetzt in
die Lage, neue Wege zu finden, um Ressourcen zu erschließen und neu zu kombinieren.
Dabei möchte er etwas Langfristiges, Nachhaltiges kreieren. Der Unternehmer oder Entrepreneur ist in der Lage, an die von ihm erkannten Chancen und seine Kreativität unternehmerisches und planerisches Handeln anzukoppeln“ (ebd.).
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Weiter heißt es: „Zur Haltung des Entrepreneurs gehört es, bei Schwierigkeiten
hartnäckig zu bleiben und sie kreativ zu überwinden. Er besitzt die Fähigkeit,
aus kleinen Anfängen viel zu machen. Geringe Ressourcen kann er effizient
nutzen. Dazu bindet er andere Akteure mit ein und arbeitet also mit ihnen zusammen“ (ebd.).
Sehr eindrücklich wird diese Logik an einigen Zitaten festgemacht, die belegen, dass der unternehmerische Handlungstyp in der Gemeinwesenarbeit von
den Befragten z.B. als erfindungsreich, bissig oder kreativ dargestellt wird. „Wir
haben mit vielen Sachen einfach angefangen, ohne dass sie auf sicheren finanziellen Füßen standen. Man muss einfach anfangen und nicht darauf warten, bis
eine Entscheidung fällt. Man muss wirklich den Mut haben, einfach ‚Los!‘ und
fertig, um schneller zu sein als die Strukturen“ (ebd.: 16). Blickt man in die in
dieser Studie dokumentierten Projekte – aber auch über sie hinaus beispielsweise in die Entstehung der Hospizbewegung –, so lässt sich deutlich zeigen, wie
sehr ihr Gelingen von entsprechenden Personen abhängt, die sich ‚unternehmerisch‘ verhielten, ohne dass sie sich selbst – dies ist allerdings wichtig – betont
als ‚Unternehmer‘ verstehen würden. Geredet wird dann vom Engagement, von
der Lust an der Sache, vom eigenen Einsatz und einem ‚Sich-Aussetzen‘ („Wer
sich einsetzt, setzt sich aus.“) und erzählt wird von positiven Resonanzen, derer
man gewahr werden konnte. Vielfach wird auch von der tragenden Erfahrung
berichtet, dass bestimmte Initiativen auf einmal fast wie von selbst liefen, da der
Zuspruch relativ schnell überaus groß war.
6
Die Übernahme von Risiko
Aus unternehmerischer Perspektive fällt auf, dass hier Investitionen in ein spezifisches Engagement-Konzept oder auch in einen bestimmten Hilfebereich getätigt werden, die vor allem im Bereich des persönlichen Engagements liegen –
und in eben dieser persönlichen Hinsicht auch Risiken übernommen werden. Es
geht folglich nicht um klassisches organisationsbezogenes Handeln, in dem
Menschen funktional eingeordnet werden, sondern um einen Kooperationsansatz, der darauf setzt, dass sich Menschen als authentische und moralische Personen einbringen – sich selbst sozusagen zum Tragen kommen lassen, so dass es
in ihnen selbst geradezu widerhallt. Viele Protagonisten gehen folglich mit Begeisterung an die Projekte heran und stecken in charismatischer Weise andere
an. Allerdings können sie eben damit auch Grenzen aufrichten. Dem Schumpeter‘schen Unternehmertum ist so etwas nicht fremd.
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Ein wichtiger Faktor in diesen Zusammenhängen ist die Bewältigung bzw.
die Bindung von Risiko durch ein entsprechendes Handeln von Einzelnen oder
kleinen Gruppen. Denn es geht in solchen Projekten, wenn sie wirklich innovativ sind, stets um ein Risikoszenario. Risiken liegen auf verschiedenen Ebenen:
−
−
−
−
−
Entsprechende Projekte vollziehen sich ganz generell in einem immer stärker werdenden Risikosetting unserer Gesellschaft. Das geht von erkennbaren Rückbautendenzen des Sozialstaates bis hin zu wachsender Armut,
Prekarität, Niedriglohn, Jobs und einer rasanten Zunahme sozialer Ungleichheit.
Viele der Projekte sind in unsicheren Umwelten angesiedelt – finanziell oft
ohnehin, aber nicht selten auch politisch und zivilgesellschaftlich. Anerkennung kommt nicht sofort und in der Durchsetzungszeit solcher Projekte
kann es bisweilen recht prekär zugehen. Man braucht Durchhaltewillen und
muss sich eines starken Rückhalts versichern. Das kann nach außen zu Abgrenzungen führen.
Risikoreich sind solche Projekte auch für die Protagonisten selbst, die Begegnung mit anderen, insbesondere im Sozialraum Stigmatisierten. Armut
kann in einem sozialpsychologischen Sinne ‚anstecken‘. ‚Den Armen ein
Armer zu werden‘, geht nicht ohne Folgen ab, die auch im Bereich der
eigenen Sozialbeziehungen oder im Bereich des eigenen sozialen Ansehens
liegen können.
Risiken gibt es auch in beruflicher Hinsicht. Die berufliche Identität und
Professionalität kann in eine Bewährungsphase geraten. Was braucht es
mehr: Empathie mit den Opfern der Gesellschaft oder Distanz zu ihnen, um
Potential erkennen und aktivieren zu können? ‚Hot Love‘, die zu gemeinsamen Aktionen treibt, oder ‚Tough Love‘, die Menschen u.a. durch paradoxe
Interventionen aus ihrer Gewöhnung an das Elend herauszureißen sucht?
Auf jeden Fall kommt es in allen Projekten schnell zu einem Überschuss an
Sinn, der reduziert werden muss, um handlungsfähig zu bleiben. Der normale Alltag muss bewältigt, funktionale Aufgaben zugeordnet werden können, sonst kollabiert das Vorhaben.
All dies bezeichnet insbesondere dort Probleme, wo sich solche Projekte in eine
Welt unterhalb der Respektabilitätsgrenze, die in unserer Gesellschaft existiert,
begeben. Diese Grenze ist in den letzten Jahren in der Steilwand der sozialen
Ungleichheit hochgerutscht und die Zahl derer, die unter ihr leben, ist entsprechend gestiegen. Ein bewusster ‚Abstieg‘ von Protagonisten in diese Welt wird
zwar bisweilen in den Medien hoch anerkannt, im realen Leben jedoch selten
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mit hohen Gehältern und guten Positionen belohnt. Gleichwohl: Einige sozialräumliche Aktivisten sind mittlerweile zu Identifikationsfiguren4 eines zivilgesellschaftlichen Engagements geworden und belegen, dass es sich lohnt, sich
trotz nicht unbeträchtlichen Risikos für andere einzusetzen. Dass dies auch medial große Wertschätzung erfährt, transportiert gesellschaftliche Anerkennung
und stärkt entsprechende Initiativen.
7
Chance für eine solidarische Ökonomie?
Bis hierhin sollte deutlich geworden sein: Zwischen sozialräumlichem Aktivismus und sozialem Unternehmertum gibt es viele Ähnlichkeiten und Überlappungen – im konkreten sicherlich auch viel mehr Nähe als man denkt. Dennoch
bleibt eine spezifische Distanz, die auch mit der Pfadentwicklung des deutschen
Sozialstaatsmodells zu tun hat. Auch in ihm hat es immer beeindruckende Soziale Unternehmer gegeben – ohne sie ist dieses Modell gar nicht denkbar. Aber
sie hätten sich nie so begriffen und sie tun es heute auch nicht. Das mag eine
Form von Selbsttäuschung sein – heute ist sie es sicherlich –, aber es könnte
eine produktive Form sein, weil sich in ihr spezifische Traditionen des ‚gemeinschaftlichen‘ Bezuges auf einen Sozialraum widerspiegeln, die sich unternehmerisch-organisatorisch nicht ersetzen lassen.
Insofern sollte die Rede von der „Rentabilität des Sozialraumes“ (so die
Forderung von Wasel 2010: 32) nicht übertrieben werden. Wenn denn ökonomische Metaphern auf diese Lebenswelt übertragen werden, dann eher solche, die
aus Formen einer solidarischen Ökonomie, einer ‚Wirtschaft mit allen‘, stammen, in deren Mittelpunkt die Gewährleistung von Teilhabechancen für möglichst viele steht. Es geht dann um die Kooperation mit dem lokalen Gewerbe,
um die Gewährleistung besserer Existenzsicherung im Stadtteil, um kooperative
Existenzgründungen – und das alles mit gelebter CSR-Orientierung im Sozialraum (vgl. Klöck 2010). An dieser Stelle können Sozialraumorientierung und
entrepreneurship sicherlich gut zusammenkommen.
4 Ich denke hier z.B. an so eindrucksvolle Personen wie Pfarrer Meurer aus Köln.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Quellenverzeichnis
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Klöck, Tilo (2010): Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit als Qualitätsmerkmal von Sozialraumorientierter Sozialer Arbeit, Stadtteilarbeit und Quartiersmanagement. http://www.nipp.brandenburg.de/nipp_data/pdf/das_arbeitsprizip_gemeinwesenarbeit_als_qualitaetsmerkmal_k.pdf
(letzter Aufruf: 7.10.2010).
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