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Spiel mit dem Leben
Eine vertauschte Blutprobe, ein falsch ausgewertetes Röntgenbild – sie
können fatale Konsequenzen haben
Von Barbara Erbe
Monika Rosch* ist 45 Jahre alt, als nach einer Krebsdiagnose ein Teil ihrer rechten
Brust entfernt wird. Der Schock ist groß. Aber als die Operation ohne Komplikationen
verläuft und ihre Blutwerte darauf hindeuten, dass die Chemotherapie gut anschlägt,
fühlt die Bayerin trotz allem so etwas wie Erleichterung. Das Schlimmste scheint
überstanden.
Umso bestürzter ist die dreifache Mutter, als ihr Radiologe einige Wochen später bei
einer Kernspintomografie Metastasen in ihren Lendenwirbeln entdeckt. „Er meinte,
da könne man nichts mehr machen“, erinnert sie sich. Wie bei Krebspatienten im
letzten Stadium üblich, wird die Chemotherapie abgebrochen, um ihrem Körper die
zusätzliche Belastung zu ersparen. „Weil ich aber immer gefühlt habe, dass da etwas
nicht stimmen konnte, bestand ich neun Monate später auf einer erneuten
Untersuchung, diesmal bei einem anderen Arzt“, erzählt Rosch. Der stellt tatsächlich
eine ganz andere Diagnose. „Da sind keine Metastasen, und da waren auch nie
welche“, sagt er angesichts der Computertomografie.
Die Pünktchen, die sein Vorgänger für Metastasen gehalten hatte, erkennt der
geschulte Diagnostiker als völlig normale, altersbedingte Blutveränderungen. Monika
Rosch hat nicht nur neun Monate lang in Todesangst gelebt – sie hat auch ihre
vielversprechende Behandlung abgebrochen. Fünf Jahre später bekommt sie doch
noch Metastasen im Unterleib. „Hätte ich damals die Chemotherapie zu Ende
geführt, wären meine Heilungschancen viel besser gewesen“, sagt sie bitter. Die
5000 Euro Schmerzensgeld, die ihr in einem außergerichtlichen
Vergleich zuerkannt wurden, sind nur ein schwacher Trost.
Vieles geschieht hinter verschlossenen Türen
Wer an Behandlungsfehler denkt, hat meist spektakuläre Fälle im Sinn: den
Chirurgen, der anstelle des kranken Beins das gesunde amputiert, oder die Patientin,
der das falsche Medikament verabreicht wird und die an den Folgen stirbt. In der Tat
vermutet der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen, dass in Deutschland Jahr für Jahr zwischen 31 000 und 81 000
Menschen „durch unerwünschte und häufig vermeidbare Ereignisse im Krankenhaus“
sterben. Und das,obwohl Deutschland und Österreich neben Ungarn laut einer EUStudie europaweit die niedrigste Quote medizinischer Fehler in Krankenhäusern
aufweisen – etwa 10 Prozent.
Laboratorien, Kliniken und Ärzte werten Woche für Woche Tausende
Computertomografien, Laborergebnisse, Mammografien oder Röntgenbilder aus,
analysieren Millionen von Blut- und Gewebeproben. Wie der Fall Monika Rosch zeigt,
kann schon eine einzige falsch gedeutete Computertomografie weitreichende Folgen
haben. „Wie häufig solche Irrtümer in Arztpraxen passieren, darüber gibt es keine
Zahlen. Wenn sie überhaupt öffentlich gemacht werden, dann auf freiwilliger Basis.
Viele gelangen nie ans Licht“, erklärt Dr. Ralf Rohde-Kampmann, Experte für
-1-
Qualitätsförderung und Patientensicherheit beim Fehlerberichts- und Lernsystem für
Hausärzte der Universität in Frankfurt am Main.
95 bis 98 Prozent der Laboranalysen werden richtig erstellt, schätzt Professor Hans
Reinauer, Präsident der Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in
medizinischen Laboratorien in Düsseldorf. Aber schon eine Fehlerquote von nur 2
Prozent steht für eine hohe Zahl von Einzelfällen, wenn man bedenkt, dass eine
Klinik mit 500 Betten jährlich durchschnittlich 1,5 Millionen labormedizinische
Untersuchungen durchführt. Selbst in einer Hausarztpraxis wie der von Dr. RohdeKampmann werden pro Jahr zwischen 2500 und 3000 Blutproben zur Diagnose oder
Behandlungskontrolle entnommen.
Die Fehlerquellen sind zahlreich
„Wichtig ist nicht nur der technische Ablauf der Untersuchung“, erklärt Dr. Barbara
Hoffmann, ebenfalls Expertin für Patientensicherheit am Institut für Allgemeinmedizin
der Frankfurter Uni. „Damit der Patient eine korrekte Labordiagnose erhält, muss
eine ganze Kette von Abläufen reibungslos funktionieren.“
Erste Voraussetzung ist, dass die Probe korrekt entnommen wird. Geht es
beispielsweise um auffällige Hautveränderungen, ist die Auswahl der Hautprobe
entscheidend – ist sie zu klein oder an der falschen Stelle entnommen, kann das die
Labordiagnose verfälschen. Nach der Entnahme wird die Probe beschriftet, verpackt,
gelagert und weitergeleitet – bei jedem dieser Schritte können Fehler passieren.
Nach der eigentlichen Analyse im Labor wird der Bericht zugeordnet und bewertet.
„Wenn eine Praxisangestellte einen Befund mündlich bekommt und im Gedächtnis
behalten muss, während der Tresen umlagert ist und das Telefon klingelt, dann sind
die Voraussetzungen schon einmal denkbar schlecht“, kommentiert Hoffmann. Denn
gegen Verwechslungen ist auch ein korrekt ermittelter Laborwert nicht gefeit.
Benedikt Jansen, Kemptener Fachanwalt für Medizinrecht, erinnert sich an den Fall
einer Mandantin: Die 40-jährige Dialysepatientin wartete seit Langem auf eine
Spenderniere. Als diese endlich zur Verfügung stand, ergab der BlutwerteSchnelltest, die sogenannte Kreuzprobe, dass das Organ für sie geeignet war. Die
Niere wurde transplantiert. Doch schon kurz darauf stieß ihr Körper das Organ heftig
ab. Die Blutprobe war verwechselt worden. In einer weiteren Operation entfernten die
Ärzte die Niere wieder. Die Patientin bekam zwar Schadensersatz, doch wenig
später verstarb die stark geschwächte Frau.
Manchmal ist es einfach Schlamperei
Dass selbst ein korrekt erhobener und zugeordneter Laborwert keine Garantie für
eine angemessene Behandlung ist, hat Cornelia Faustmann erfahren. Mit starken
Schmerzen im Unterbauch geht die 20-Jährige aus dem Allgäu zu ihrem Hausarzt,
der die klassischen Symptome einer Blinddarmentzündung feststellt und sie ins
Krankenhaus einweist. Die Blutprobe dort bestätigt die Diagnose: Die Zahl der
weißen Blutkörperchen liegt eindeutig im krankhaften Bereich. Eigentlich ein Grund,
sofort zu operieren.
Doch Faustmanns Laborwerte werden aus unerfindlichen Gründen nicht ernst
genommen. Der behandelnde Arzt schickt seine Patientin wieder nach Hause – sie
-2-
soll wiederkommen, wenn die Schmerzen sich nicht geben. Sie geben sich nicht.
Nach einer schmerzerfüllten Nacht kehrt die junge Frau am folgenden Morgen ins
Krankenhaus zurück. Nun wird sie sofort operiert, ihr Blinddarm entfernt.
Die Entzündung ist jedoch schon so weit fortgeschritten, dass die ganze Bauchhöhle
mit einer trüben, übelriechenden Flüssigkeit gefüllt ist. Es gelingt den Ärzten nicht,
die Entzündung in den Griff zu bekommen, aus der Wunde fließt Eiter, es bildet sich
ein Abszess in der Bauchhöhle. Cornelia Faustmann muss erneut operiert, ein Teil
des Dickdarms entfernt werden. Seitdem neigt sie zu Darmverschlingungen, verträgt
vieles nicht mehr und muss Diät halten.
Selten ist die Technik das Hauptproblem, sagt Privatdozent Dr. Holger Thomsen,
Leiter des AOK-Instituts Medizinschaden: „Wir haben bislang über 3000
Behandlungsfehlermeldungen analysiert. Nur in ganz wenigen Fällen lagen
tatsächlich technische Mängel zugrunde.“
Auch mangelnde Hygiene und schlechte Entnahmetechnik verfälschen nur sehr
vereinzelt etwa die Testergebnisse von Blutproben, erklärt Professor Bernd Jansen,
Leiter der Abteilung für Hygiene und Umweltmedizin am Institut für Medizinische
Mikrobiologie und Hygiene der Universität Mainz. Viel häufiger sind nach Thomsens
Erfahrung Kommunikationsfehler oder pure Nachlässigkeit die Ursache für falsche
Diagnosen. So auch bei Eva Ludwig* aus Hessen. Die 35-Jährige begibt sich ins
Krankenhaus, um eine extreme X-Bein-Stellung ihres Knies operieren zu lassen. Vor
einer solchen Beinachsenkorrektur werden üblicherweise beide Beine von der Hüfte
bis zum Sprunggelenk im Stehen geröntgt. Erst auf dieser Grundlage kann der
operierende Arzt entscheiden, wie groß der Knochenkeil sein muss, den er entfernt.
Ludwigs Arzt jedoch röntgt lediglich das Knie, die entscheidenden Gelenke sind auf
der Aufnahme gar nicht zu sehen. Die Folge: Bei der Operation entfernt er viel zu viel
Knochen, die X-Bein-Stellung schlägt in eine O-Bein-Stellung um. Eine
Überbelastung der Innenseite des Kniegelenks und ständige Schmerzen sind die
Folge. Für ein gesundes Bein hätte Ludwig gern auf das Schmerzensgeld verzichtet,
das sie vor Gericht erstritten hat.
Erfahrung spielt eine wichtige Rolle
„Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass ein großer Teil der Medizinfehler auf das
Konto übermüdeter, überarbeiteter Ärzte geht“, kritisiert Patientenanwalt Jansen aus
Kempten. „Ein Arzt ist auch Kaufmann. Viele Leistungen, welche die Kassen früher
vergütet haben, werden heute gar nicht mehr oder nur noch im Rahmen einer
Pauschale bezahlt. Deshalb steigert manch einer seine Einnahmen, indem er in
derselben Zeit mehr Patienten behandelt. Da sind Nachlässigkeiten programmiert.“
Aber auch mangelnde Erfahrung ist ein bedeutender Faktor. Exemplarisch dafür
steht die Krebsvorsorge. Der Bonner Patientenanwalt Dr. Roland Uphoff berichtet,
dass zu spät erkannte Brustkrebsgeschwüre die Grundlage für einen beträchtlichen
Teil der Klagen bilden, die er für Medizinopfer führt. Nur ein gut geschulter und
qualifizierter Radiologe oder Gynäkologe kann eine Mammografie korrekt auswerten.
Den
Ärztekammern
ist
dieses
Problem
bewusst.
Sie
setzen
auf
Weiterbildungskampagnen und höhere Qualitätsanforderungen. So müssen Ärzte,
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die sich am bundesweiten Mammografie-Screening für Frauen über 50 beteiligen,
alle zwei Jahre eine Prüfung vor der Ärztekammer oder der Kammerärztlichen
Vereinigung ablegen und regelmäßig nachweisen, dass sie mindestens 5000
Mammografien pro Jahr durchführen. „Wer etwas häufig macht, macht es in der
Regel auch besser“, erklärt Gerd Schumacher, Geschäftsführer beim Qualitäts-RingRadiologie, einem bundesweiten Zusammenschluss von Radiologen und
Gynäkologen.
Um möglichst viele Fehlerquellen auszuschalten, ist es wichtig, das Mäntelchen des
Schweigens zu lüften, offen mit Fehlern umzugehen und aus ihnen zu lernen. Durch
Vertuschung wird alles nur schlimmer. Darüber sind sich die Experten einig. Ein
Schritt auf dem Weg zu mehr Offenheit und damit auch mehr Sicherheit ist die
Initiative „Jeder Fehler zählt“. In diesem Fehlerberichts- und Lernsystem für
Hausärzte tauschen sich die teilnehmenden Praxen anonym im Internet über Fehler
und Korrekturmaßnahmen aus.
Auchdas vor zwei Jahren gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit, das auch
vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird, setzt auf diese Strategie:
Fehler analysieren, um daraus zu lernen und wirksame Präventionsmaßnahmen zu
entwickeln. Zum Wohle des Patienten, denn Irren ist menschlich.
* Namen von der Redaktion geändert
BOX:
So schützen Sie sich vor Fehlern:
Niemand ist perfekt, und Fehler passieren. Dennoch können Sie selbst dazu
beitragen, das Risiko, Opfer eines Fehlers zu werden, so klein wie möglich zu halten.
Fragen Sie nach.
Warum wird diese Untersuchung gemacht? Fragen Sie so lange, bis Sie verstanden
haben, worum es geht. Setzen Sie auf Erfahrung Ein guter Arzt wird die Frage nach
seiner Erfahrung beantworten. Für eine Mammografie zum Beispiel wenden Sie sich
in Deutschland am besten an einen Arzt, der sich am allgemeinen MammografieScreening für Frauen über 50 beteiligt. Bei der Suche hilft die Kooperationsgemeinschaft Mammografie (www.ein-teil-von-mir.de oder Tel. 0 22 34 - 9 49 00).
Verlangen Sie das Ergebnis.
Wann wird Sie wer über das Ergebnis informieren? Auf keinen Fall sollte die Antwort
lauten: „Wenn Sie nichts von uns hören, ist alles okay.“ Denn wer weiß, warum Sie
nichts hören? Vielleicht ist die Probe verloren gegangen. Seien Sie aufmerksam.
Bitten Sie darum, dass Ihre Probe vor Ihren Augen mit Ihrem Namen und dem
korrekten Datum versehen wird. Haben Sie keine Angst, die Gefühle Ihres
Gegenübers zu verletzen. Hier geht es um Sie.
Werden Sie Sammler.
Lassen Sie sich von allen Laborberichten, Röntgenbildern usw. Kopien geben. Sie
haben ein Recht darauf – auch wenn Sie möglicherweise die Kopien selbst bezahlen
-4-
müssen. Notieren Sie sich auf den Kopien die jeweiligen Ansprechpartner.
Holen Sie eine zweite Meinung ein.
Ist ein Ergebnis ungewöhnlich oder gar beängstigend, bitten Sie um einen zweiten
Test. Wenn Sie Zweifel an einem Ergebnis oder an einer Behandlungsmethode
haben – äußern Sie sie! Gerade in ernsten Fällen: Konsultieren Sie eine zweite
Expertenmeinung.
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