PPA schlafmittel und ihre risiken

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Perspektiven
PPA
ZURÜCKHALTUNG GEBOTEN
Schlafmittel und ihre Risiken
von Bernd Hein, Fachjournalist Gesundheitswesen, München
| Ein Viertel bis ein Drittel aller Bundesbürger leiden unter Schlafstörungen. Entsprechend häufig suchen Patienten in den Praxen niedergelassener Ärzte diesbezüglich Hilfe. Der erste therapeutische Zugriff besteht
meist in der Verordnung schlaffördernder Arzneimittel. Daraus können
Probleme entstehen, die genauso schwer zu behandeln sind wie die
zugrunde liegende Erkrankung. |
Trotz hohem Risikopotenzial häufig verordnet
Schlafmittel gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. Die
Suche nach einem geeigneten Wirkstoff begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden und hat bislang kein wirklich befriedigendes Ergebnis erzielt.
Inzwischen gelingt es, Schlaf mithilfe verschiedener Arzneimittelgruppen zu
erzwingen, doch die Wirkung des natürlichen Schlafs stellt sich dadurch
nicht ein. Zusätzlich entsteht sehr häufig eine Abhängigkeit, die den Betroffenen einem weiteren Leidensdruck aussetzt.
Wirkung von
Schlafmitteln reicht
nicht an natürlichen
Schlaf heran
Kritisches Augenmaß ist gefragt
Grundsätzlich sollte das gesamte Praxisteam die Verordnung schlaffördernder Arzneimittel kritisch begleiten. Eine vorauseilende Ablehnung solcher
Wirkstoffe ist ebenso wenig sinnvoll wie eine bedenkenlose Verteilung an die
Patienten. Deshalb haben die MFA eine wichtige Funktion bei der Behandlung der Betroffenen. Sie führen Gespräche gewissermaßen „off record“,
also jenseits der von den Patienten als besonders herausfordernd erachteten
offiziellen Kontakte mit dem behandelnden Arzt.
MFA kommt wichtige
Beobachterrolle zu
PRAXISHINWEIS | Während der Erledigung der Formalitäten oder im Zuge therapeutischer Maßnahmen können Sie als MFA Fragen nach dem Befinden stellen,
die Ihr Patient leicht beantworten kann. So lassen sich Informationen gewinnen,
die (wenn sie angemessen dokumentiert werden und so als überprüfbare Fakten
verfügbar sind) einer angemessenen Ausrichtung der Therapie dienen.
PDF erstellt für Gast am 02.06.2017
Alkohol und andere Wirkstoffe
Nach Aussagen von Schlafforschern ist Äthylalkohol – ein Inhaltsstoff aller
alkoholhaltigen Getränke – der am häufigsten verwendete Wirkstoff zur
Bekämpfung von Schlafproblemen. Da Alkohol in Deutschland für Menschen
über 18 Jahren im Einzelhandel problemlos zugänglich ist, entsteht daraus
ein ernst zu nehmendes Problem. Der als Genussmittel firmierende Wirkstoff erhält für viele Patienten einen therapeutischen Charakter, der seinen
Eigenschaften nicht entspricht. Missbrauch und Abhängigkeit können die
Folge sein. Darüber hinaus gibt es eine ganze Bandbreite weiterer Wirkstoffgruppen, die in der nachfolgenden Tabelle beispielhaft aufgeführt sind.
Alkohol vom Laien
oft „therapeutisch“
verwendet
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PROFESSIONELL
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PDF erstellt für Gast am 02.06.2017
◼◼Beispiele für schlaferzeugende Wirkstoffe und ihre Wirkungen
Wirkstoffgruppe
Beispiele
Positive Wirkungen/Aspekte
Negative Wirkungen/Aspekte
Klassische
Benzodiazepine
Brotizolam,
Flunitrazepam,
Flurazepam,
Lormetazepam,
Nitrazepam,
Triazolam
„„ Gute hypnotische Wirkung
„„ Gute angstlösende Wirkung
„„ Muskelrelaxation
„„ Atemdepression
„„ Paradoxe Wirkung mit Antriebssteigerung, Erregung
„„ Abhängigkeitsentwicklung
„„ Schlaflosigkeit nach abruptem
Absetzen
„„ Angst- und Unruhezustände
„„ Verringerung intellektueller
Fähigkeiten
„„ Verkehrsuntüchtigkeit
BenzodiazepinZopiclon,
Rezeptor-Agonisten Zolpidem,
(„Z-Drugs“)
Zaleplon
„„ Wirkungen wie bei klassischen Benzodiazepinen (aber geringer
ausgeprägt)
„„ Insgesamt noch nicht ausreichend durch Studien erforscht
Antidepressiva
Amitriptylin,
Doxepin,
Mianserin,
Trimipramin
„„ Verbessern vor allem bei
depressiven Patienten die
Schlafqualität
„„ Mundtrockenheit
„„ Verstärktes Schwitzen
„„ Ausscheidungsprobleme
(Harnverhalt, Verstopfung)
„„ Zittern
„„ In höherer Dosis Herzrhythmusstörungen, Augeninnendruck­
erhöhung, Epilepsie, Delir,
Leberfunktionsstörungen
„„ Ggf. Abhängigkeitserscheinungen
Neuroleptika
Chlorprothixen,
Levomepromazin,
Melperon,
Pipamperon,
Prothipendyl,
Thioridazin
„„ Weniger unerwünschte
Wirkungen als Antidepressiva
„„ Mangelnde Absicherung der
Wirksamkeit durch Studien
„„ Mundtrockenheit
„„ Verstärktes Schwitzen
„„ Ausscheidungsprobleme
(Harnverhalt, Verstopfung)
„„ Zittern
„„ Blutdrucksenkung
„„ Überschießende Bewegungen
und Mimik (Spätdyskinesien)
„„ Blutbildkontrollen bei langfristiger Einnahme sehr ratsam
Antihistaminika
Diphenhydramin,
Doxylamin
„„ Schwache hypnotische Wirkung
„„ Rezeptfrei erhältlich
„„ Mundtrockenheit
„„ Verstärktes Schwitzen
„„ Ausscheidungsprobleme
(Harnverhalt, Verstopfung)
„„ Zittern
„„ Delir
Alkohol­
abkömmlinge
Chloralhydrat
„„ Schwache hypnotische Wirkung
„„ Individuell gute Verträglichkeit
„„ Geringe Wirkbreite
„„ Abhängigkeit
Phytotherapeutika
(pflanzliche Mittel)
Baldrian, Hopfen,
Melisse, Kava
(Pfeffergewächs),
Passionsblume
„„ Kaum unerwünschte Wirkungen „„ Ungeklärte Wirkmechanismen
„„ Freie Verkäuflichkeit (vielfach)
„„ Erhältliche Wirkstoffkombinationen sind unüberschaubar
Körpereigene
Substanzen
Delta Sleep
Inducing Peptide
(DSIP), L-Tryptophan, Melatonin
„„ Ggf. gute schlafanregende und
–beschleunigende Wirkung
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„„ Durch Studien nur mangelhaft
abgesicherte Mechanismen
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Abhängigkeitspotenzial
Besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang dem Thema „Dosis­
steigerung“. Sie ist ein wichtiges Merkmal für die Entstehung einer Abhängig­
keit, die vor allem durch eine Langzeitverordnung von Benzodiazepinen ent­
stehen kann. Berichtet ein Patient darüber, dass die bisher eingenommene
Dosis nicht ausreichend wirksam ist oder nimmt die Frequenz der erneuten
Rezeptierung zu, kann dies auf eine Gewöhnung hinweisen.
Dosissteigerung:
Hinweis auf
beginnende
Abhängigkeit
ARCHIV
MERKE | Besonders tückisch ist das Phänomen der „Niedrigdosis-Abhängig­
keit“. Hier entstehen Entzugssymptome erst, wenn das gewohnte Präparat nicht
mehr verfügbar ist. Die Situation tritt vor allem auf, wenn Patienten überraschend
in ein Krankenhaus eingeliefert werden und den behandelnden Ärzten dort nur
unvollständige Informationen über die bestehende Medikation vorliegen. Lesen Sie
dazu auch „Medikamentenabhängigkeit: Sucht auf Rezept“ (PPA 02/2014, Seite 7).
Ausgabe 02 | 2014
Seite 7 – 9
Aspekte der Therapie-Assistenz
Schlafstörungen erfordern eine wirksame Behandlung. Sie können sich ver­
stärken, wenn eine sinnvolle und zielgerichtete Therapie ausbleibt. Daher soll­
ten Sie bei der Betreuung schlafgestörter Patienten besonders umsichtig sein.
PDF erstellt für Gast am 02.06.2017
◼◼Patienten mit Schlafstörungen – das sollten Sie als MFA beachten
„„ Wesentlich ist, herauszufinden, ob der Schlafstörung eine internistische oder
psychiatrische Erkrankung zugrunde liegt. Wenn ja, ist es notwendig, eine ent­
sprechende Therapie einzuleiten, die am besten in die Hand eines Facharztes
zu legen ist.
„„ Die Verordnung von schlaffördernden Arzneimitteln kann den akuten Leidens­
druck der Betroffenen verringern. Sie steigert auch das Vertrauen in das thera­
peutische Team und verbessert so deren Interesse, selbst aktiv an der Bewälti­
gung der Erkrankung mitzuwirken (Adhärenz).
„„ Grundsätzlich ist die Verordnung schlaffördernder Arzneimittel auf drei bis vier
Wochen begrenzt. Alle Verordnungen, die diesen Zeitraum überschreiten, soll­
ten sorgfältig überprüft werden. Dies betrifft vor allem den Verantwortungs­
bereich der MFA, die meistens für die Rezepterstellung zuständig ist.
„„ Die Verordnung schlaffördernder Arzneimittel ist besonders wirkungsvoll, wenn
sie von begleitenden Therapiemaßnahmen flankiert ist. Diese sind nur sinnvoll
einsetzbar, wenn die Ursache der Schlafstörung genau bestimmt werden kann.
Das persönliche Gespräch ist die einzige Möglichkeit, das Befinden und die
Bedürfnisse des Patienten zu erkennen. MFA nehmen ihre Verantwortung wahr
und nutzen das gegebenenfalls bestehende Vertrauensverhältnis, um weitere
Informationen zu eruieren, die die Therapie günstig beeinflussen können.
„„ Patienten mit bekannter Abhängigkeitserkrankung sollten keine Arzneimittel
aus der Gruppe der Benzodiazepine (bzw. der Benzodiazepin-Rezeptor-Agonis­
ten) erhalten. Hier sind alternative Wirkstoff-Kombinationen sinnvoll.
Bei Verordnungen
über vier Wochen:
im Zweifelsfall beim
Arzt nachfragen!
INFORMATION
↘↘ WEITERFÜHRENDER HINWEIS
RKI-Themenheft
„Schlafstörungen“
•Themenheft „Schlafstörungen“ des Robert-Koch-Instituts (RKI), online erhältlich unter
http://tinyurl.com/q3lpmlk
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