Paul Maar Von “FAUST” zu “FAusT”

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Paul Maar: Entstehung des F.A.u.s.t.
Paul Maar
Von “FAUST” zu “F.A.u.s.T.”
(Von der schwierigen Arbeit, ein Theaterstück für Kinder zu verfassen)
1. Der Auftrag
Das THEATER PFÜTZE in Nürnberg ist eines der renommiertesten und kreativsten
Kindertheater in Süddeutschland. Ich hatte in enger Zusammenarbeit mit dem
Regisseur Christian Schidlowsky und dem Ensemble schon zwei meiner
Theaterstücke dort zur Uraufführung gebracht: “Papa wohnt jetzt in der
Heinrichstraße” und “Lippels Traum”. Deshalb sagte ich spontan zu, als der Intendant
des Theaters der Stadt Fürth mir im Frühjahr 1998 den Vorschlag machte, ich solle
zusammen mit PFÜTZE ein Jugendstück für sein Haus entwickeln, das im Juni 1999
zur Uraufführung kommen könne. Einzige (und gleichzeitig schwierige) Vorgabe
dabei war: Da man in diesem Jahr den 250. Geburtstag Goethes feiere, solle das
Stück zumindest Assoziationen zu Goethe zulassen, im Idealfall das Faust-Thema
variieren.
Das Theater in Fürth verfügt über einen großen und schönen Theaterbau, hat aber
kein eigenes Ensemble, sondern verpflichtet Bühnen zu Gastspielen. Und für 1999
habe er, der Intendant, schon vier Theater engagiert, die mit ganz unterschiedlichen
Faust-Interpretationen nach Fürth kommen würden, etwa das Mülheimer Theater mit
“Faust und Pinocchio” . Unsere Version wäre dann die fünfte.
Bei einem ersten Gespräch mit dem Regisseur Schidlowsky stießen wir auf eine
überraschende Übereinstimmung. Obwohl wir verschiedenen Generationen
angehören, hatten wir beide die gleiche erste und deshalb prägende Begegnung mit
dem Medium Theater erlebt. Unser beider erstes Theatererlebnis verdanken wir
einem Puppenspiel, dem Spiel von “Doktor Fausts Verdammnis und Höllenfahrt”. Ich
hatte das Spiel zu Beginn der 50er Jahre in der Schule gesehen, dargeboten von
einem wandernden Puppenspieler, Schidlowsky Mitte der 70er Jahre während der
Schulferien in einer Norddeutschen Kirche.
Wir konnten uns noch Teile der Handlung ins Gedächtnis rufen und kamen nach
einigem Nachdenken sogar noch auf die Zauberformel “Perlicke-Perlacke” mit der
Kasperl die Teufel hervorrufen und verschwinden lassen konnte.
Christian Schidlowsky ließ sich schnell für das Projekt erwärmen; wir vereinbarten
eine enge Zusammenarbeit bei der Erstellung des Stückes, etwa derart, dass wir
gemeinsam die Handlung und die Aufteilung der Szenen entwickeln würden, ich aber
den endgültigen Dialog schreiben solle.
Ich unterzeichnete also einen Vertrag mit dem Theater der Stadt Fürth, der den
Termin der Uraufführung festlegte und einen zweiten mit dem Theater PFÜTZE, in
dem die Rahmenbedingungen festgehalten waren: Für das geplante Stück standen
uns vier Schauspieler zur Verfügung, zwei Damen, zwei Herren, außerdem ein
Musiker, der live auf der Bühne musizieren und kleine Rollen übernehmen konnte.
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2. Der erste Entwurf
Bei einem ausgedehnten Brainstorming kristallisierte sich eine erste Vorstellung vom
Stil und Inhalt des zu schreibenden Stücks heraus: Wir würden uns auf Goethes
FAUST beziehen, dabei aber versuchen, die Geschichte kindgerecht auf die Bühne
zu bringen.
Relativ schnell nahm diese Idee dann eine Form an:
Angekündigt wird der “FAUST von J.W.v. Goethe für Kinder”. Zu Beginn des
Theaterstücks werden die vier Schauspieler in Alltagskleidung auf der Vorbühne
sitzen und warten. Ein Telefon klingelt hinter der Bühne, einer der Schauspieler
verschwindet kurz hinter dem Vorhang, kommt dann wieder und verkündet dem
überraschten Publikum, dass die Vorstellung leider erst in ein, zwei Stunden
beginnen könne. Das Ensemble der PFÜTZE habe nämlich im Harz in der Nähe des
Brockens das Stück eingeübt, auf der Rückfahrt mit dem Bus sei aber einem
mitgeführten Hund, einem Pudel, so schlecht geworden, dass man die Fahrt für
einige Zeit unterbrechen müsse. Das Ensemble der Pfütze werde mit großer
Verspätung in Fürth eintreffen.
Die vier Menschen auf der Bühne, stellt ich jetzt heraus, sind Komparsen,
Kleindarsteller, die für die Rolle der trinkenden Studenten in Auerbachs Keller
angeworben wurden. Drei der “Kleindarsteller” haben das Stück schon einmal
gesehen, einer ist neu dazugekommen.
Man verkündet dem Publikum, dass man aus der Not eine Tugend mache, ohne das
PFÜTZE- Ensemble beginne und die Geschichte frei erzähle und einzelne Szenen
nachspiele, die den dreien noch im Gedächtnis geblieben seien.
Der FAUST wird nun in einer kindgerechten Sprache erzählt, immer wieder
unterbrochen durch kleine Spielszenen. Es werden Brüche, Irritationen und nahezu
surreale Elemente ins Spiel kommen, da eine der Schauspielerinnen den Text ja
nicht kennt und sich während des Spiels ihre Rolle erst erklären lassen muss, da
auch der Part der Marthe Schwerdtlein angeblich nur einem der männlichen
Schauspieler in Erinnerung ist, und er also eine Frauenrolle spricht, während der
zweite männliche Darsteller den Mephisto spielt und somit die Partie des Faust
zwangsläufig von einer Schauspielerin übernommen werden muss. Sehr
bühnenträchtig stellten sich Schidlowsky und ich auch Szenen vor, in der eine der
Figuren den gereimten Original-Text spricht, eine andere aber nur sinngemäß in
einer kindnahen, heutigen Sprache antwortet, vielleicht sogar mit Dialektanklang.
Wenn Faust seine klassische “Anmache” rezitieren würde: “Mein schönes Fräulein
darf ich’s wagen, Hand und Geleit ihr anzutragen?”, könnte die Darstellerin des
Gretchen antworten: “Erstens bin ich überhaupt kein adeliges Fräulein, und zweitens
falle ich auf solche Komplimente schon gar nicht herein. Also schwirren Sie ab und
lassen mich in Ruh, ja?!”
Ich schrieb zusammen mit Schidlowsky ein ausführliches Exposé mit einzelnen
ausgeführten Szenen-Entwürfen, das wir dem Ensemble vorstellten. Unsere
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Euphorie wurde schnell gedämpft. Die Schauspieler lehnten unser Konzept einhellig
ab. Begründung: Einige führten an, sie hätten zu viel Respekt vor dem Goetheschen
Text als dass sie sich gerne an dessen “Demontierung” beteiligen würden, die
anderen argumentierten, man könne ohne Kenntnis des Original-Textes den Witz
unserer Fassung überhaupt nicht verstehen. Folglich richte sich unser geplantes
Stück an ein erwachsenes Publikum, dem der Goethesche Faust bekannt sei und
nicht an Kinder.
Und so wurde die erste Fassung dem Papierkorb zum Fraß vorgeworfen und
Schidlowsky und ich zogen uns für eine weitere Woche zum Brainstorming aufs Land
zurück.
3. Der zweite Entwurf
Nachdem also unser Konzept, den Goetheschen Faust als Ausgangspunkt für unser
Stück zu wählen, am gesammelten Widerstand des Ensembles gescheitert war,
suchten wir nach einem neuen Weg, uns dem Thema “Faust” zu nähern.
Wir studierten das “Volksbuch vom Doktor Johannes Faust”, lasen die Marlowsche
Fassung des “Faust”, die der Goetheschen voranging, stießen auf zahlreiche FaustSagen und begannen uns für den historischen Menschen Johann Faust zu
interessieren. Aus der Chronik der Herzöge von Staufen ging hervor, dass der alte
Faust, der den Zenit seines Ruhms wohl überschritten hatte, sich zwei Jahre vor
seinem Tod in Staufen verpflichtet hatte, für den Herzog Gold herzustellen. Zu
diesem Behuf hatte sich Faust, finanziert vom Herzog, in einem Gasthaus in Staufen
ein alchimistisches Labor eingerichtet, logierte und köstigte dort auf herzogliche
Kosten.
Unser neues Konzept ging von folgender Ausgangslage aus: Schauplatz ist ein
Gasthaus in Staufen, wir schreiben das Jahr 1537, ein Jahr vor Fausts Tod. Eine
mittelalterliche, wandernde Gauklertruppe führt im Gasthaus das Spiel “Vom
schröcklichen Magier und Erzzauberer Doktor Faust” auf, die Zuschauer im Theater
sind quasi die anwesenden Gasthausbesucher, die dem Spiel folgen. Am Rand der
Bühne sitzt an einem Wirtshaustisch ein alter, mürrischer Mann, der gerade sein
Abendbrot verzehrt und erst gelangweilt, dann immer interessierter dem Spiel folgt,
schließlich sogar in das Geschehen eingreift, es kommentiert, einige der behaupteten
“Wundertaten” Fausts den Gasthausbesuchern (also dem kindlichen
Theaterpublikum) ganz realistisch erklärt.
Etwa wenn er die Geister, die der Doktor Faust erscheinen lassen kann, als Trick
entlarvt, der mit Hilfe der Laterna Magica hervorgerufen wurde. Oder wenn er die
Sage, dass Faust dem französischen König das Ende des Krieges am Morgen schon
geweissagt habe, obwohl der Bote erst zur Mittagszeit eingetroffen sei, auf eine reale
Basis stellt: Faust habe in einem Gasthaus vor den Toren von Paris den dort nach
langem Ritt eintreffenden, erschöpften Boten mit Wein bewirtet, habe von ihm die
Botschaft vom Kriegsende vernommen, ihm ein Schlafmittel in den Trank gemischt,
habe sich aufs Pferd geschwungen und sei auf diese Weise etliche Stunden vor dem
Boten am königlichen Hof eingetroffen, wo er dem König verkünden konnte, er habe
in einer Vision das Ende des Kriegs gesehen.
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Und langsam wird den Schauspielern klar, wer dieser Alte ist, der mit so viel InsiderWissen aufwarten kann: Faust ist nicht tot und verschollen, wie man allerorten
annahm, er sitzt leibhaftig vor ihnen, ein alter, resignierter, geläuterter Mann.
Ich schrieb zusammen mit Schidlowsky wiederum ein ausführliches Exposé mit
einzelnen ausgeführten Szenen-Entwürfen, das wir dem Ensemble vorstellten.
Obwohl die Schauspieler unser Konzept und die Grundgeschichte interessant fanden
und akzeptierten, wurde auch die zweite Fassung ad acta gelegt. Diesmal aus rein
spieltechnischen Gründen: Da insgesamt nur vier Schauspieler zur Verfügung
standen, wäre es untheatralisch und wenig bühnenwirksam gewesen, einen von
ihnen die ganze Zeit nur kommentierend an einem Tisch sitzen zu lassen. Gerade
beim Kindertheater käme es doch auf Aktion, Schnelligkeit und Bewegung an, und
da ja dann die zweite männliche Person den jungen Faust im Spiel im Spiel
darstellen müsse, blieben für alle weiteren Rollen nur die beiden Frauen.
So wurde auch die zweite geplante Fassung ad acta gelegt, und Schidlowsky und ich
zogen uns diesmal für mehrere Wochen zurück, um ein neues Konzept zu finden.
4.Neue Recherchen
Bei unseren Recherchen zum Leben des historischen Faust waren wir auf uns
überraschende Fakten gestoßen: Fast alle erhaltenen Dokumente, die überhaupt
beweisen, dass Faust nicht nur eine Sagenfigur war, stammten aus der Region, in
der die Pfütze ansässig war, aus der Stadt in der ich wohnte, aus Fürth, wo das
Stück uraufgeführt werden sollte. Vielleicht ließe sich ein regionaler Bezug zur Figur
des Doktor Johannes Faust herstellen. Wir vertieften uns in die spärlichen Quellen.
Eine große Hilfe wurde uns das Buch von Günther Mahal: “Faust. Die Spuren eines
geheimnisvollen Lebens”, München 1980. Wir suchten den Kontakt zu Mahal, der wie sich herausstellte, der Gründer und Direktor des Faust-Museums in Knittlingen ist
und zahlreiche Aufsätze, Bücher und Zeitschriftenbeiträge zur Person des Johann
Faust veröffentlicht hat. Er half uns bei unseren Recherchen und gab uns weitere
Literaturhinweise. Und langsam kristallisierte sich für uns und vor unserem inneren
Auge das Bild dieses faszinierenden, geheimnisvollen Menschen Faust heraus.
Johann Georg Faust wurde um 1480 im schwäbischen (damals noch kurpfälzischen)
Knittlingen geboren.
Höchstwahrscheinlich am 26.12.1478, weil nämlich Kilian Leib, der Prior des Klosters
Rebdorf bei Eichstätt in einem Brief berichtet, der Doktor Faust habe ihm gegenüber
– anlässlich der Besichtigung seines nach dem Mondkalender angelegten
Klostergartens- erwähnt, dass am 26.12.1478 eine ganz besondere Konstellation der
Gestirne geherrscht habe, unter der geniale Menschen und besondere
Geistesgrößen geboren würden. Und damit, meint Kilian Leib, habe der Doktor Faust
wohl auf sich selbst angespielt.
Nach Meinung etlicher Forscher war Johann das uneheliche Kind einer Dienstmagd
namens Faust.
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Im Archiv der Universität Heidelberg ist zu lesen, dass 1509 ein Johannes Faust aus
der Diözese Mainz zum Bakkalaureus ernannt wurde. (Bakkalaureus ist ein
akademischer Grad, der vor dem Magister kommt.) Da Knittlingen aber zur Diözese
Speyer gehört, ist nicht erwiesen, dass es sich dabei um “unseren” Faust gehandelt
hat. (Es sei denn, er hätte den Wohnort gewechselt und Knittlingen den Rücken
gekehrt.)
Von seinem weiteren Leben sind nur wenige Zeugnisse erhalten. Aber viele seiner
Zeitgenossen erwähnen ihn und seine Wahrsage-, Heil- und Zauberkunst, so auch
Melanchton und Luther.
Im Bamberger Staatsarchiv wird eine Quittung aufbewahrt, aus der hervorgeht, dass
der berühmte Astrologe Doktor Johann Faust dem Fürstbischof von Bamberg, Georg
von Limpurg, auf dessen Wunsch ein Horoskop stellte und dafür eine stattliche
Summe bekam (nach heutigem Geldwert etwa 3.500,- DM).
Urkundlich gesichert ist auch, dass Philipp von Hutten sich vor einer Fahrt ins
neuentdeckte Venezuela von Faust ein Horoskop stellen ließ. Faust sagte ein
schlimmes Ende der Reise voraus (was unter den damaligen Verkehrsbedingungen
recht wahrscheinlich war). Philipp von Huttens Goldträume und Eroberungspläne
scheiterten kläglich, er starb in Südamerika am Fieber.
Danach wird Faust noch in Nürnberg, Fürth und Ingolstadt urkundlich erwähnt, nach
ungesicherten Berichten hat er auch in Krakau, in Venedig und in Paris praktiziert
und soll sogar eine Zeitlang als Berater des französischen Königs fungiert haben.
Das Ende Fausts im Jahr 1540 wird in der Chronik der Herzöge von Staufen
drastisch geschildert. Aus heutigem Verständnis heraus können wir annehmen, das
er bei einem seiner alchimistischen Experimente durch eine Explosion ums Leben
kam. In der Chronik wird erzählt, dass es in Fausts Laboratorium einen gewaltigen
Krach gab, die Fensterscheiben flogen hinaus, sogar ein Balken sei gesplittert, und
der Doktor Faust habe tot am Boden gelegen, grässlich verrenkt, mit
hervorgetretenen Augen. Das könne nur ein Werk des Teufels gewesen sein, der
den “Schwartzkünstler und Erzzauberer” geholt habe. Als Beweis dafür wird
angeführt, dass alles um ihn herum schwarz gewesen sei und dass es wie nach
Schwefel gestunken habe.
Damit begann die Mär vom Doktor Faust als Teufelsbündler und verruchtem
Zauberer, welche die Chronisten, frommen Prediger und Dichter über Jahrhunderte
an- und aufregte.
5. Die endgültige Fassung
Unehelich geborene Kinder waren in der damaligen Zeit stigmatisiert und oft zu
einem Außenseiterdasein als Bettler oder Dieb verurteilt. Unehelich Geborene
durften zum Beispiel nicht einmal in die Bäcker- oder Schmiedezunft aufgenommen
werden.
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So ist es doppelt erstaunlich und rätselhaft, wie ein uneheliches Kind aus dem
kleinstädtischen Knittlingen zum weitgerühmten, weltgewandten Doktor Faust
werden konnte.
Wie könnte es der kleine Johann überhaupt geschafft haben, die Lateinschule zu
besuchen, die damals nur wenigen Privilegierten vorbehalten war. Er musste einen
Förderer gefunden haben, einen Menschen, der die herausragende Intelligenz und
die Fähigkeiten des kleinen Straßenjungen erkannt hatte. Diese Grundidee setzte
unsere Phantasie in Bewegung. Wir wussten, wir waren auf dem richtigen Weg,
hatten unsere Geschichte gefunden, die wir auch notfalls gegen den Widerstand der
Schauspieler durchgesetzt hätten.
Wir entwarfen eine mögliche Kindheit im Mittelalter. Im Mittelpunkt steht das
schmutzige „Hurenkind“ Johannes, von der Mutter vernachlässigt, der Vater ist
unbekannt. Johann schlägt sich als Bettler und Dieb durch, mimt ein Gebrechen, um
das Mitleid der Almosengeber zu steigern, ist gewitzt und überlebt dank seiner
Schlauheit und seines Einfallsreichtums. Aus dramatischen Gründen gaben wir ihm
eine negative Gegenfigur: Rufus, das „Junkersöhnchen“, Sohn des Stadtvogts, und
eine warmherzige, sympathische Begleitfigur: Fausts Großmutter, die alte Trude,
Hebamme und Kräuterfrau. Ein Mönch, Lehrer an der Lateinschule, wird auf
Johannes aufmerksam, lässt ihn kostenlos am Unterricht teilnehmen, sehr zum Ärger
von Rufus, dessen Vater die Lateinschule finanziert. Johannes Faust ist lernbegierig,
saugt das Wissen der damaligen Zeit auf wie ein Schwamm, wird schnell
Klassenbester, wird Student und besteht schließlich seine (sehr parodistisch
angelegte) Doktorprüfung in Heidelberg. Doch in der Stunde seines großen
Triumphes erleidet er eine tiefen Fall. Rufus schockt das Prüfungsgremium mit der
Botschaft, dass man soeben Fausts Großmutter in Knittlingen als Hexe angeklagt
und auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat. Dem Doktor Faust, der damit im Verdacht
steht, ebenfalls mit dem Teufel im Bund zu sein, wird die Doktorwürde aberkannt.
Faust, zudem voller Gewissensbisse, dass er sich – in seine Bücher vergraben nicht mehr um seine Großmutter gekümmert hat, sie und seine Herkunft völlig
verleugnet hat, bricht in seiner Stube zusammen, erleidet eine Art
Nervenzusammenbruch, fällt in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Der darauffolgende Teil des Stücks ist als Traum angelegt, gibt sich aber erst am
Ende des zweiten Akts als Traum zu erkennen, wenn das Bühnenlicht wechselt und
Faust in der gleichen Haltung an der gleichen Stelle liegt, wie zu Beginn des Traums,
nach seinem Zusammenbruch.
Im Traum verbündet sich Faust mit Mephisto, verschreibt ihm seine Seele und lebt
seine Allmachtsphantasien aus, wird Doktor, erst Berater des Herzogs, dann des
Königs, wird schließlich – als Mephisto den König durch Gift umbringt- selbst zum
König ernannt. In dieser Rolle kann er sich endlich an Rufus rächen, er erschlägt ihn
mit dem Schwert.
Nach diesem Mord wacht Faust schweißgebadet aus dem Traum auf, ist entsetzt
über das, was er sah, als er in dieser Traumvision „in die tiefsten Tiefen seiner
Seele“ blicken konnte. Er beschließt sein Bücherwissen und das Kräuterwissen, die
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Volksmedizin seiner Großmutter, zu vereinen und ein unstetes, gefährliches Leben
als Wanderdoktor auf sich zu nehmen. Als er nach Jahren unerkannt auch in
Knittlingen praktiziert und zum kranken Rufus gerufen wird, der nun das Erbe seines
Vaters angetreten hat und selbst Stadtvogt ist, gerät er noch einmal in Versuchung,
sich zu rächen und ihm eine tödliche Dosis Medizin einzuträufeln. Aber Faust schafft
es, dieser Versuchung zu widerstehen, trifft Margarete, seine Jugendliebe aus der
Lateinschulzeit wieder. Gemeinsam ziehen sie einer ungewissen Zukunft entgegen.
Das Stück wird nun eingeleitet durch die Moritat vom Doktor Faust, gesungen
durch die Schauspieler und den Musiker, ein Relikt aus der zweiten Fassung: der
Gauklertruppe in Staufen. Jeder Schauspieler, jede Schauspielerin spielt – mit
Ausnahme der Hauptfigur- mehrere Rollen, charakterisiert seine jeweilige Figur durch
das entsprechende Kostüm, durch Stimme, Körperhaltung und Mimik.
Jeder Bühnencharakter tritt gelegentlich aus der Rolle, verändert die Haltung und
wird zum Erzähler, der über seine Figur reflektieren kann oder die Handlung kurz
zusammenfasst. Diese von uns „Erzählerbrüche“ genannten Passagen sind vom
übrigen Text dadurch abgehoben, dass sie in gebundener, gereimter Rede
vorgetragen werden. Zwischen den Szenen sind immer wieder Lieder eingefügt, vom
Musiker auf der Drehleiher, dem Dudelsack und der mittelalterlichen Laute begleitet,
die zum Beispiel die kurzen Umbaupausen überbrücken.
Als ein kleines Beispiel mag das Lied von der Lateinschule dienen. Während alle
Schauspieler das durch wenige Requisiten angedeutete Schulzimmer aufbauen,
erklären sie – chorisch gesungen - die Schulordnung (sie fasst die Regeln
zusammen, die in einer erhaltenen Schulordnung einer schwäbischen Lateinschule
niedergelegt waren:)
DAS LIED VON DER LATEINSCHULE
MÖNCH: (sagt an)
Die Schulordnung:
CHOR: (gesprochen)
Jeder muss die Regeln kennen
die wir euch nun hiermit nennen.
(gesungen)
In der Schule ist’s verboten
Krumm zu sitzen, rumzugehen,
lachen, reden, seitlich gucken
oder einfach aufzustehen.
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Schreibt der Lehrer an die Tafel
Worte, deutsch und in Latein,
hat das Kind sie flugs zu lernen,
müssen ihm geläufig sein.
Kann es nicht die Worte sagen,
gibt’s wie allgemein bekannt,
sieben Hiebe auf den Rücken
oder Schläge in die Hand.
Straft der Lehrer einen Schüler,
schickt er ihn zur Ecke hin,
schmückt ihn mit zwei Eselsohren
und lässt ihn dort niederknien.
Gibt ein Schüler Widerreden,
wird die Strafe gleich vollstreckt:
Erst bekommt er seine Hiebe,
dann wird er ins Loch gesteckt.
MÖNCH:
Dieses sind die Regeln. Amen.
Nun viel Spaß bis zum Examen!
6. Realisierung und Nachwirkung
Der Text wurde von den Schauspielern einhellig begrüßt, das Stück bekam endlich
auch seinen Titel:
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„Furiose Abenteuer und sonderbare Träume“, abgekürzt „F.A.u.s.T:“
und erlebte nach einer zweimonatigen Probezeit am 12.6.99 seine Uraufführung in
Fürth. Es folgten 30 Vorstellungen am Stadttheater Fürth, die in zunehmenden Maß
auch als Abendvorstellungen angesetzt wurden, weil erwachsene Zuschauer das
Stück – wie sich herausstellte - mit der gleichen Begeisterung aufnahmen wie die
Kinder in den Vormittagsvorstellungen. Wegen der nicht nachlassenden Nachfrage,
die Fürth aus Spielplangründen nicht mehr befriedigen konnte, sprang das
Schauspielhaus Nürnberg ein und gewährte einige Gastauftritte, dann sogar das
Opernhaus, das Theater Fürth übernahm das Stück in die nächste Spielzeit, dann
sogar in die übernächste, es wird im Oktober 2000 wieder aufgenommen. „F.A.u.s.T.“
ist zum Theaterfestival nach Tübingen eingeladen, zu einer Tournée durch Polen
(Gastgeber ist das Goethe-Institut), im Mai 2000 schließlich wurde es mit dem „Preis
der Bayrischen Theatertage“ ausgezeichnet. Verlegt wird das Stück im Verlag für
Kindertheater Uwe Weitendorf in Hamburg, ein Vorabdruck erfolgte in der Anthologie
„Theater der Generationen“, herausgegeben von H. Fangauf.
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