Apothekenumschau 1.12

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Seide: Ein sinnlicher Stoff, der gut
verträglich ist
Das dünne Gewebe schmeichelt nicht nur der Haut. Seide
findet aufgrund ihrer Eigenschaften auch in der
medizinischen Forschung Beachtung
Aufwändig: Seidenfäden werden verdreht, gefärbt und zu verschiedenen Stoffqualitäten
gewebt
Beim Teetrinken passieren die aufregendsten Dinge. Der Legende nach entdeckte die
chinesische Kaiserin Xi Ling Shi vor etwa 5000 Jahren dabei, dass sich vom Kokon des
Maulbeerspinners ein schier endloser Faden abzwirbeln lässt. Der Kokon war ihr in die
Teetasse gefallen, und beim Herausfischen rollte sich die ganze Seidenkugel in einem langen,
glänzenden Faden ab.
Ob das die Wahrheit ist oder nicht: Das Geheimnis der Seidenherstellung und -verarbeitung
wurde in China jahrtausendelang gehütet. Das Gewebe war für normale Zeitgenossen
unbezahlbar. Ein Stoff für Kaiser und Könige, die sich aus der knisternden Ware edle
Gewänder fertigen oder ihre Gemächer damit ausstatten ließen. Erst im Lauf der Jahrtausende
gelangte das begehrte Gut nach Europa, etwa ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus meist
mit Karawanen über die „Seidenstraße“, eine 10.000 Kilometer lange und beschwerliche
Handelsroute durch ganz Asien. Auf ihr wurden auch andere begehrte Luxusgüter wie
Gewürze, Porzellan und Glas von Ost nach West transportiert.
Zucht: In einem Geflecht aus Halmen spinnen die Seidenraupen ihre Kokons
Im sechsten Jahrhundert schließlich gelang es der Überlieferung zufolge einigen Mönchen,
Eier des Seidenspinners nach Konstantinopel zu schmuggeln. So konnte sich die
Seidenproduktion auch in Europa etablieren.
Damals wie heute gilt Seide als Luxus zum Anziehen. Sie glänzt, ist federleicht und
anschmiegsam, reißfest und elastisch zugleich – und hat eine sinnliche, verführerische
Ausstrahlung. „Seide kühlt im Sommer und wärmt im Winter. Außerdem kann sie viel
Feuchtigkeit aufnehmen, ohne dass sie sich auf der Haut nass anfühlt“, beschreibt Edgar
Nierentz, Mitarbeiter eines Bremer Seiden-Großhändlers, weitere Eigenschaften der
Naturfaser, die zu unterschiedlichen Gewebearten verarbeitet wird. Je nachdem, ob es glatt
oder gerippt, transparent oder dicht ist, nennen sich die daraus gefertigten Stoffe Taft, Crêpe,
Musseline, Chiffon, Organza oder Satin.
Die größten Seidenproduzenten sind heute China und Indien. Dort findet der Maulbeerbaum,
dessen Blätter die Lieblingsspeise der Seidenraupen sind, ideale klimatische Bedingungen
vor. Der Anteil der Seide an der Gesamttextilproduktion ist jedoch verschwindend gering: Er
liegt bei unter einem Prozent, schätzt Nierentz. Doch wie entsteht der begehrte seidene Faden
überhaupt? Das Weibchen des unscheinbaren Seiden- oder Maulbeerspinners (Bombyx mori)
legt zunächst seine Eier ab, aus denen weißliche Raupen schlüpfen. Diese ernähren sich von
den Blättern des Maulbeerbaums.
In der Zucht müssen die Raupen mit ausreichend Nahrung versorgt werden. Um die Ernte der
Blätter zu erleichtern, werden die eigentlich hoch wachsenden Maulbeerbäume in Asien zu
Büschen zurückgeschnitten. Die Seidenspinner-Raupen fressen sich drei bis vier Wochen an
den Blättern satt und häuten sich dabei mehrere Male. Schließlich beginnen sie einen Kokon
zu spinnen, um sich darin zu verpuppen. Dieser besitzt die Form einer Acht und besteht aus
etwa 20 bis 30 Lagen. Den Faden erzeugen die Raupen mit ihren Spinndrüsen an der
Unterlippe.
Der Seidenfaden, der einen Kokon bildet, kann bis zu 3500 Meter lang werden. Sein mittlerer
Teil, die besonders wertvolle Haspelseide, erreicht bis zu 1000 Meter Länge. Mit einem
Durchmesser von nur etwa 20 Mikrometern gilt sie als die feinste aller Naturfasern. Um zu
einer Textilfaser verarbeitet zu werden, braucht es mindestens vier Fäden dieser Stärke, also
vier Kokons.
Der Seidenfaden selbst besteht aus Eiweiß. 75 bis 80 Prozent davon sind Fibroin, 20 bis 25
Prozent Serizin, das eine gummiartige Schutzschicht bildet, welche die Fibroinstränge aus den
Spinndrüsen der Seidenraupe verbindet. Durch das Auskochen der Kokons werden die Larven
getötet, damit sie die wertvolle Seidenkugel beim Ausschlüpfen nicht zerstören. Die
Schutzschicht löst sich, und die langen, glatten Fibroinfasern können abgewickelt werden.
Wegen ihrer außergewöhnlichen Faserlänge ist Seide gut hautverträglich. „Textilien aus
hochwertiger Naturseide weisen kaum herausstehende Faserenden auf, welche die Haut reizen
könnten“, sagt Professor Dirk Höfer, stellvertretender Leiter des Internationalen
Textilforschungszentrums Hohenstein Institute in Bönnigheim (Baden-Württemberg). Garn
aus Wolle oder anderen Naturfasern hingegen hat kurze Fasern. „Aus diesem ragen
zwangsläufig zahlreiche biegsame Faserenden, die unangenehm in die Haut stechen können“,
erklärt Höfer.
Textilien aus medizinischer – unbehandelter, ungefärbter – Spezialseide eignen sich auch für
Personen mit Neurodermitis. Diese Seide ist frei von Sericin (Seidenbast), einem möglichen
Allergen. Als besonders hautschmeichelnd gelten auch Kosmetika mit Seidenproteinen, zum
Beispiel Cremes, Puder und Shampoos.
Die indische Volksmedizin Ayurveda nutzt die heilsame Wirkung in der traditionellen
Garshan-Massage mit Handschuhen aus Rohseide. Sie löst Hautschuppen und steigert die
Durchblutung. Auch die Pharmazie und die Biomedizin haben die Seide für sich entdeckt.
Wissenschaftler der Universität Bayreuth untersuchen zum Beispiel, wie biotechnisch
hergestellte Seidenpartikel für den Transport medizinischer Wirkstoffe in den Organismus
genutzt werden können. Außerdem experimentieren die Forscher mit dünnen Folien aus
Seidenproteinen, um künstliches Zellgewebe herzustellen. Zusammen mit der Universität
Würzburg testet das Team um Professor Thomas Scheibel Seidenfilmbeschichtungen für
Brustimplantate aus Silikon. Der Seidenfilm soll dabei eine Barriere zwischen dem Silikon
und dem umliegenden Gewebe bilden. Die Forscher gehen davon aus, dass das Implantat
dadurch Oberflächeneigenschaften erhält, die es für die Patientin verträglicher machen.
Ute Essig / Apotheken Umschau; 22.03.2011
Bildnachweis: Corbis GmbH/Fritz Polking, Ullstein Bild/Jorgen Schytte
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