An Ostern fällt alles Schwere ab

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MONTAG, 21. MÄRZ 2005
KULTUR
An Ostern fällt alles Schwere ab
THEATER Samuel Schwarz und Raphael Urweider
zeigen in Basel eine eigenwillige Inszenierung von
Max Frischs Stück «Andorra». Seite 11
LEIPZIGER BUCHMESSE Noch mehr Aussteller
und noch mehr Veranstaltungen: Die Leipziger
Buchmesse hat ihren Platz gefunden. Seite 11
KULTURNOTIZEN
«Mona Lisa» zieht um
PARIS Das bekannteste Bild der
Welt, die «Mona Lisa» von Leonardo da Vinci, zieht eine Woche nach
Ostern um. Am 4. April wird das
Porträt der geheimnisvoll lächelnden «Gioconda» mit höchster
Umsicht aus dem Rosa-Saal des
Pariser Louvre entfernt. Ihre neue
Bleibe wird sie im 150 Meter entfernten renovierten «Salle des
Etats» des Museums finden. Der japanische TV-Sender NTN übernahm
die Kosten in Höhe von 4,8 Millionen Euro, berichtete das Pariser
«Journal du Dimanche». (sda)
Zentrum für Fotografie
NEW YORK Das Metropolitan
Museum of Art in New York hat die
rund 8500 Bilder umfassende
Gilman Paper Company Collection
erworben. Dabei handelt es sich um
eine der berühmtesten und umfangreichsten Privatsammlungen
der Fotografie. Die Sammlung sei
teils gekauft und teils gestiftet worden, teilte das Museum mit. Das
Museum rückt durch den Erwerb
der Gilman-Fotosammlung zu einem der weltweit führenden
Zentren für Fotografie auf. Eine erste Auswahl der Werke soll ab dem
17. April zu sehen sein. (sda)
130 Werke von Picasso
COMO In der Villa Olmo im italienischen Como sind seit Samstag 130
Werke von Pablo Picasso zu bewundern. Die Ausstellung dreht
sich um Darstellungen der Klassik
in Bildern, Skulpturen und Keramiken des grossen spanischen
Künstlers. Die Ausstellung besteht
aus vier Teilen: Ausbildungsjahre
1895 bis 1903, Aufenthalt in Paris
und blaue Periode, klassische
Mythologie sowie die Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Die
Ausstellung in Como dauert bis
17. Juli. (sda)
Verdienstkreuz für Simmel
BERN Der in Zug wohnhafte öster-
reichische Schriftsteller Johannes
Mario Simmel (80) ist in der
Deutschen Botschaft in Bern mit
dem Verdienstkreuz 1. Klasse des
Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Die Verleihung erfolgte «zur Würdigung seines gesellschaftspolitischen Engagements und in Anerkennung seiner
um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen
Verdienste», teilte die Botschaft
mit. Der Wahlschweizer
Simmel hat sich einen Namen gemacht als Verfasser sorgfältig recherchierter, gesellschaftskritischer, aber dennoch süffiger
Romane. Seine Gesamtauflage
beträgt 73 Millionen in
33 Sprachen. (sda)
Vertonte Verkündigung: Der Berner Kammerchor führt im Münster Jörg Ewald Dählers Lukas-Passion auf
In nur zwei Wochen hat er die
Lukas-Passion komponiert.
Was ihn dazu veranlasste,
das Passionsgeschehen zu
vertonen, kann der heute
72-Jährige nicht schlüssig
sagen. «Ich musste es einfach
tun», sagt Jörg Ewald Dähler.
«Die Grösse des Textes hat die
Musik in mir wachgerufen.»
MARIANNE MÜHLEMANN
Unauffällig und leise ist sie angebrochen, die Karwoche. Eine ganz
besondere Zeit. Doch viele Zeitgenossen, so scheint es, könnten es
ganz gut ohne sie machen: Ihr ganz
persönliches Kreuz mit dem Karfreitag äussert sich darin, dass ihr
Blick längst auf Ostern gerichtet ist
– auf Hasen, bunte Eier und ein verlängertes Wochenende. Für den
Berner Musiker Jörg Ewald Dähler
macht Ostern ohne Karwoche keinen Sinn. Seit der Kindheit begleitet ihn das Wissen um die Passionsgeschichte.
Den heute 72-Jährigen, der als
Zweitältester von fünf Buben im
Pfarrhaus in Langnau aufgewachsen ist, hat die Jugend geprägt. Sein
Vater habe als Pfarrer Wert auf die
Pflege der Traditionen gelegt, aber
sie auch lebendig erhalten, indem
er Gründonnerstagsfeiern einführte. «Das war ein Novum für
jene Zeit», sagt Dähler. Dass er bei
der Vertonung seiner Lukas-Passion nicht mit dem Karfreitagsgeschehen einsetzt, sondern mit
dem Tag davor, habe wohl unmittelbar mit diesen Kindheitserinnerungen zu tun.
Was ihn dazu veranlasst hat, das
Passionsgeschehen zu vertonen,
kann er nicht schlüssig beantworten. Die Grösse des Textes habe
wohl die Musik in ihm wachgerufen. Den Text nach dem Evangelisten Lukas hat er gewählt, weil hier
die menschliche Wärme besonders zum Ausdruck komme. Und
auch, weil er beim Lesen der Matthäus- oder Johannes-Passion
Bach und Schütz höre. Diesen
Meisterwerken, die er unzählige
Male einstudiert hat, gebe es nichts
mehr hinzuzufügen.
Für die Wiederaufführung hat
Dähler seine Passion leicht modifiziert. Dazugekommen ist ein Epilog, begraben musste er die Idee,
im Schlusschoral die Grenzen zwischen Ausführenden und Zuhörern zu verwischen. «Alle sollten im
Inspiriert aus dem 17. Jahrhundert: In Dählers Lukas-Passion werden die Christusworte nicht von Solisten, sondern vom Chor
wiedergegeben. Bild: «Der Gang zum Kalvarienberg (Die Kreuztragung)» von Giovanni Battista Tiepolo, um 1738/1740.
gemeinsamen Gesang am Osterjubel teilhaben. Doch es zeigte sich
bereits bei der Uraufführung 1987,
dass ein heutiges Publikum die
Choräle aus dem Evangelischen
Kirchengesangbuch kaum mehr
kennt.»
Traditionell und raffiniert
In zwei Wochen hat Dähler seine
Lukas-Passion geschrieben, 87 Minuten Musik, die zwar zeitgenössisch sind, aber keineswegs atonal.
Er komponiere bewusst traditionell, sagt Dähler. Durch die Aufhebung der Tonalität entstehe ein
Schwebezustand, der zwar kurzzeitig faszinieren könne. «Aber länger hält diesen Zustand kein
Mensch aus.» Bewusst hat er jedes
Stück auf einen Grundton bezogen.
Damit gelinge es ihm musikalisch,
«den Boden unter den Füssen», den
Bezug zur Welt auszudrücken.
Dass traditionell komponieren
auch raffiniert komponieren
heisst, wird klar, wenn Jörg Ewald
Dähler sein Kompositionsprinzip
offen legt. Inspiriert haben ihn die
Choralpassionen aus dem 17.
Jahrhundert, in denen das Christuswort immer mehrstimmig gesetzt wurde, damit sich kein einzelner Sänger mit Christus identifizieren konnte. In Dählers LukasPassion gibt es ebenfalls keine Solisten, die Christusworte werden
vom Chor wiedergegeben, wobei
der Komponist die Einstimmigkeit
des Chors bis zur Achtstimmigkeit
auffächert. An wichtigen Stellen
lässt er ein Posaunenquartett mitspielen. Auch das entspreche einer
alten Tradition. «Im Barock wurden in den Kirchen vor dem Einbau der Orgeln die Gesänge durch
Posaunisten begleitet», sagt
Dähler. Das Prinzip der Borduntöne, das heisst stehender Töne, wie
man sie etwa heute aus der schottischen Musik kennt, verweist historisch noch weiter zurück. Be-
reits die Griechen haben mit Borduntönen gearbeitet.
Dähler hat jeder Station in der
Passionsgeschichte einen Bordunton zugeordnet. Während der ganzen Passion durchläuft der Orgelbass einmal die Kirchentonleiter.
«Der achte Ton, das C, bedeutet die
Vollendung, wo Christus wieder
erscheint. Die Zahl 8 bedeutet
auch in der Offenbarung die Erfüllung, und in der Musik gilt die Oktave neben der Prim als das reinste
Intervall», sagt der Komponist.
Musik als Trägerin des Wortes
Unzählige Male hat Dähler die
Passionen von Bach und Schütz
einstudiert und aufgeführt. Ist er
aufgeregter jetzt, wo er sein eigenes Werk zum Erklingen bringt und
dabei dem Publikum in dreifacher
Funktion Rechenschaft ablegen
muss, als Dirigent, als Chorleiter
und als Komponist? «Nein», sagt
Dähler. «Nicht mehr und nicht we-
AKG
niger.» Man beginne bei der Interpretation eines Werk jedes Mal
wieder bei Null. «Die Noten sind
bloss Hülsen. Die musikalische Interpretation ist etwas, das man
nicht notieren kann.» Das Wichtigste sei ihm, den Passionstext zu
vermitteln. «Meine Musik ist Trägerin des Wortes, vertonte Verkündigung. Und sie hört nicht beim
Tod Jesu auf. Sondern führt weiter
zu Ostern.» Vom Dunkel ins Licht,
von Moll nach Dur. Jörg Ewald
Dähler macht das Geheimnis erlebbar: An Ostern fällt plötzlich alles Schwere ab.
[i] DAS KONZERT mit dem Berner
Kammerchor, Heidi Maria Glössner
(Rezitationen) und dem Slokar
Posaunen-Quartett findet am
23. März (19.30 Uhr) und am
Karfreitag (16 Uhr) im Berner
Münster statt. Vorverkauf:
Telefon 079 783 35 94, online:
www.bernerkammerchor.ch.
Totenmesse und Wandergesang
Am Lucerne Festival waren Mariss Jansons und das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast
Mit ihren beiden Auftritten
gelten die Musiker aus
München als «Orchestra in
Residence» bei der Osterausgabe des Lucerne Festivals.
Zumindest halbwegs hielten
sie sich an die geistliche
Leitlinie.
MARIO GERTEIS
Mariss Jansons ist in Luzern überaus präsent – von allen Plakatwänden blickt sein Konterfei herab. Das
ist der Beitrag des Hauptsponsors
dieses Osterfestivals, und die drei
Schlagworte mögen sich auf das eigene Image wie auf den lettischen
Stardirigenten beziehen: Tradition,
Perfektion, Pioniergeist. Traditionell ist das Angebot, das sich ausschliesslich auf Musik des späteren
19. Jahrhunderts stützt. Perfektion
darf man rechtens vom bayerischen Spitzenorchester erwarten.
Requiem für den Konzertsaal
Den Pioniergeist mochte man
am ehesten im beherzten Einsatz
für eine zwar bedeutende, aber selten zu hörende Chorschöpfung erkennen: das Requiem von Antonin
Dvorak. Im Gegensatz zum bekannteren «Stabat Mater», das der
tschechische Meister unter dem
Eindruck des Todes von dreien seiner Kinder schrieb, ist die Totenmesse quasi abstrakt entstanden.
Was nichts über ihre geistige Aussage meint: Dvorak war ein gläubi-
ger Mensch, und die Meditation
über den Tod und die Hoffnung auf
Auferstehung können auch ohne
direkten Anstoss ihre ergreifende
Wirkung erreichen.
Dvorak komponierte sein Requiem für das Chorland par excellence, für England; mit seinen Dimensionen sprengt es jeden kirchlichen Rahmen. Der Komponist
wusste, was er von britischen Gesangsensembles verlangen durfte,
und das ist noch heute eine veritable Herausforderung für den
Chor des Bayerischen Rundfunks
(einstudiert von Michael Gläser).
Mit siebzig professionellen Sängerinnen und Sängern wird ein Optimum an vokaler Vielfalt erreicht –
vom geflüsterten Pianissimo bis
zur dramatischen Beschwörung
des Jüngsten Gerichts. Bravouröser Kontrapunkt wird einzig in der
«Quam olim Abrahae»-Fuge verlangt, wichtiger ist die romantische Klanglichkeit – das gilt ebenfalls für die meist ins Chorgefüge
eingegliederten Solisten. Dabei
haben die tieferen Stimmen der Altistin Elina Garanca und des Bassisten Robert Holl am stärksten
überzeugt.
Geselle und Meister
Gustav Mahler und sein zeitweiliger Lehrer Anton Bruckner
waren die Komponisten beim Sinfoniekonzert am Samstagabend.
In seinem Frühwerk «Lieder eines
fahrenden Gesellen» singt Mahler
vor allem von sich selber – von Liebesfreud und Liebesleid eines jun-
gen Menschen. Es könnte ich-bezogen bleiben, verstände es nicht
der Sänger, das Subjektive ins Allgemeine zu wenden. Das ist Thomas Hampson auf beeindruckendste Weise gelungen. Man begreift, warum diese melancholischen Wandergesänge dem amerikanischen Bariton mit grosser europäischer Karriere so nahe stehen: Er kann seine samtene und
zugleich ungemein vielfärbige
Stimme mit überlegener Gestaltung zusammenbringen – in der
weiten emotionalen Skala zwischen Melancholie und Verzückung.
Nach der Pause Bruckners Dritte Sinfonie, wo der Meister von
St. Florian zum ersten Mal ganz zu
sich selber kommt – als letztlich
unfassbarer Monolith in der Musik
der Romantik. Bei der magistralen
Ausdeutung durch Mariss Jansons
und sein Sinfonieorchester des
Bayerischen Rundfunks mochte
man nur eines bedauern: dass er
die letzte, vor allem in Finale arg
gestraffte Fassung wählte. Denn
Jansons, der geradezu instinktiv
den natürlichen Fluss von komplexer Musik findet, der eine wundersame Einheit zwischen liebevoll ausgeschafften Details und
grosser Architektur stiftet, ist hier
von A bis Z der souveräne Interpret. Der epische Atem hat Spannung, die Klangpracht ist nie
Selbstzweck, sondern bleibt stets
Ausdruck. Bruckners spirituelle
Botschaft kommt ohne Weihrauch
zu uns.
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