Hinweise für Schüler

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Abitur 2004 Gemeinschaftskunde Gk
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Hinweise für Schüler
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(Seiten 2 - 14).
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(Aufgabe 1 – vier Teilaufgaben, S. 3 - 6)
(Aufgabe 2 – vier Teilaufgaben, S. 7 - 13)
Bearbeitungszeit:
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(zuzüglich 30 Minuten zur Wahl der Aufgabe)
Hilfsmittel:
- Duden
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
(unkommentierte Ausgabe)
Hinweis:
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Es wird nur die Reinschrift bewertet.
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Aufgabe 1
„Allgemeiner Grundsatz unsererseits war, daß wir aus den Fehlern der Weimarer
Republik die nötigen Folgerungen ziehen müßten“. ( Konrad Adenauer)
1. Vergleichen Sie die Nachkriegssituation 1918 und 1945 und die Entstehungsbedingungen
der zwei deutschen Republiken (Weimar und Bonn).
Stellen Sie anhand der folgenden Kriterien Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus:
-
Ergebnisse der Kriege,
staatlich-politische Situation,
Belastungen,
außenpolitische Situation (Quelle 1).
2. Erarbeiten Sie die in den Quellen 2 (Reichsinnenminister David) und 3 (Bundespräsident
a. D. von Weizsäcker) sichtbar werdenden grundlegenden Probleme der Weimarer
Demokratie als wesentliche Ursachen ihres Scheiterns.
3. Erläutern Sie anhand der Rede Carlo Schmids vor dem Plenum des Parlamentarischen
Rates am 8. September 1948 (Quelle 4) die verfassungsrechtlichen Vorkehrungen des
Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gegen eine Wiederholung im Sinne der
Okkupation des Weimarer Staates durch die Nationalsozialisten.
4. Setzen Sie sich unter Einbeziehung des Demokratiegedankens von Bundespräsident a. D.
Roman Herzog (Quelle 5) kritisch mit der folgenden Auffassung auseinander:
„Die Bundesrepublik ist eine `Schönwetterdemokratie` und keineswegs gefestigt.
Zunehmende Partei- und Politikverdrossenheit, wachsende (rechts)radikale Tendenzen und
eine sich vergrößernde Distanz (nicht nur der Jugend) zu staatlichen Institutionen
verdeutlichen – gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession – dies ein ums andere Mal.“
Bewertung der einzelnen Aufgabenteile
Teilaufgabe
Anforderungsbereiche
Gewichtung
1
2
3
4
I, II
I, II
I, II
II, III
25 %
20 %
25 %
30 %
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Quellen zu Aufgabe 1
Quelle 1
In Anlehnung an Arbeitsfeld, Geschichte und Politik, 2. Auflage, STAM-Verlag, Köln 1991, S. 143 und 215
Quelle 2
5
10
„Die neue Verfassung findet scharfe Kritiker auf der Rechten dieses Hauses und auf der
äußersten Linken. Aber auch Ihnen, meine Herren, wird die neue Verfassung gerecht. Sie
hindert Sie nicht, Ihre politischen Aufgaben zu vertreten, sie gibt Ihnen die Möglichkeit, auf
legalem Weg die Umgestaltung in Ihrem Sinne zu erreichen, vorausgesetzt, daß Sie die
erforderliche Mehrheit des Volkes für Ihre Anschauungen gewinnen. Damit entfällt jede
Notwendigkeit politischer Gewaltmethoden.
Der Wille des Volkes ist fortan das oberste Gebot. Wer den Willen des Volkes für seine
politischen Auffassungen und Ziele gewinnt, der gewinnt das Recht, das Steuer des Reiches
zu führen. Die Bahn ist frei für jede gesetzlich-friedliche Entwicklung. Das ist der Hauptwert
einer echten Demokratie.“
Reichsinnenminister David – SPD – vor der Nationalversammlung; Verhandlungen der verfassungsgebenden
Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, Bd. 329, S. 2194
Quelle 3
„Weimar ist nicht daran zugrunde gegangen, daß es zu früh zu viele Nazis gegeben hat,
sondern daß es zu lange zu wenige Demokraten gegeben hat, die sich dessen bewußt waren,
daß ihr Streit untereinander nicht so wichtig war wie die gemeinsame Verteidigung der
freiheitlichen verfassungsmäßigen Grundlage.“
Richard v. Weizsäcker, in: Die Welt 121/84
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Quelle 4
5
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20
25
30
35
40
45
„… Es ist uns aufgegeben worden, ein Grundgesetz zu machen, das demokratisch ist und ein
Gemeinwesen des föderalistischen Typs errichtet. Was bedeutet das?
Das Erste ist, daß das Gemeinwesen auf die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Bürger
gestellt und gegründet sein muß [...]
Nun erhebt sich die Frage: Soll diese Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und
absolut sein, soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf
ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich
auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den
Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? Auch diese Frage wird in diesem Hohen Hause
beraten und entschieden werden müssen. Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß es nicht
zum Begriff der Demokratie gehört, daß sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung
schafft.
[...]
Das Zweite, was verwirklicht sein muß, wenn man von demokratischer Verfassung im
klassischen Sinne des Wortes sprechen will, ist das Prinzip der Teilung der Gewalten. Sie
wissen, daß die Verfassung von 1792 den Satz enthielt, daß ein Staat, der nicht auf dem
Prinzip der Teilung der Gewalten aufgebaut sei, überhaupt keine Verfassung habe. Was
bedeutet dieses Prinzip? Es bedeutet, daß die drei Staatsfunktionen, Gesetzgebung,
ausführende Gewalt und Rechtsprechung, in den Händen gleichgeordneter, in sich
verschiedener Organe liegen, und zwar deswegen in den Händen verschiedener Organe liegen
müßten, damit sie sich gegenseitig kontrollieren und die Waage halten können. Diese Lehre
hat ihren Ursprung in der Erfahrung, daß, wo auch immer die gesamte Staatsgewalt sich in
den Händen eines Organes nur vereinigt, dieses Organ die Macht mißbrauchen wird.
[...]
Als drittes Erfordernis für das Bestehen einer demokratischen Verfassung gilt im allgemeinen
die Garantie der Grundrechte. In den modernen Verfassungen finden wir überall Kataloge von
Grundrechten, in denen das Recht der Personen, der Individuen, gegen die Ansprüche der
Staatsraison geschützt wird. Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist,
wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben,
über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz
regieren, sie dürfen nicht nur ein Anhängsel des Grundgesetzes sein, wie der
Grundrechtskatalog von Weimar ein Anhängsel der Verfassung gewesen ist. Diese
Grundrechte sollen nicht bloß Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein, nicht nur
Anforderungen an die Länderverfassungen, nicht nur eine Garantie der Länder-Grundrechte,
sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, auf Grund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder
einzelne Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können.
[...]
Ich habe es immer seltsam gefunden, daß auch die modernsten Verfassungen bis auf wenige
unter ihnen von der Existenz der politischen Parteien keine Notiz nehmen. Freilich ist es
sicher: die politischen Parteien sind keine Staatsorgane; sie sind aber entscheidende Faktoren
unseres staatlichen Lebens, und je nachdem, ob sie so oder anders organisiert sind, haben
unsere Staatsorgane diesen oder einen anderen politischen Wert. Nun scheint es mir richtig zu
sein, daß man sehr bald ein Parteigesetz erläßt, und mir scheint weiter richtig zu sein, daß
man in dieses Grundgesetz Mindestbestimmungen für ein solches Parteiengesetz aufnimmt.
Bestimmungen, die für die politischen Parteien einen gewissen demokratischen
Mindeststandard vorsehen.“
Carlo Schmid (SPD) vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948.
Aus: Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen, Bonn 1948/49,
2. Sitzung, 8.9.1948, S. 8 ff.
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Quelle 5
Eine freiheitliche Verfassung braucht den Mut der Demokraten
5
10
15
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„(…) Ich möchte (…) den heutigen Jahrestag nutzen, um auch etwas über den ’Soll-Zustand’
der Demokratie im vereinigten Deutschland zu sagen (...) Denn der ’Soll-Zustand’ der
Demokratie ist nicht nur Sache der Institutionen. Er geht auch den Bürger an.
Politikverdrossenheit ist nicht die richtige Antwort auf den Streit der Parteien (...) Wie
gefährlich die verächtliche Abwendung von der Politik sein kann, hat die Geschichte der
Weimarer Republik in trauriger Deutlichkeit gezeigt. Der Streit der Parteien ist ein
unverzichtbares Element der Demokratie, die ja nichts anderes ist als ein Wettbewerb der
Ideen und damit infolgedessen ein Entdeckungsprozeß zur Lösung der Probleme des
Gemeinwesens.
Es ist durchaus verständlich, daß manche Bürger sich von diesem Streit abgestoßen fühlen.
Aber das bedeutet eben gerade nicht, daß sie sich damit ganz von der Politik abwenden
können. Nicht Abwendung ist die richtige Reaktion, sondern Mitreden. Was im konkreten
Fall das Gemeinwohl ist, das zu entscheiden, darf keine Person und keiner Partei allein
überlassen werden. Und worauf es besonders ankommt, das ist das offene Bekenntnis der
Bürger zu ihrem Staat und ihrer Verfassung – nicht nur in gelegentlichen Aufzügen und
Demonstrationen, so wichtig das ist, sondern gerade auch im ständigen Bekenntnis des
einzelnen, in seinem mutigen Eintreten dort, wo es am meisten nötig ist: in den zahllosen
Diskussionen in der Familie und im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, in Omnibussen und
Eisenbahnen, ja selbst am Urlaubsstrand, das heißt überall dort, wo öffentliche Meinung
ausnahmsweise nicht durch Journalisten und Funktionäre, sondern durch den Bürger selbst
’gemacht’ wird (...) Jeder, der sich hier bekennt, hat die Chance, einen anderen, der vielleicht
ins Zweifeln geraten ist, für die gute Sache der Demokratie zu gewinnen, und jeder, der
schweigt, läuft Gefahr, einen anderen für die Sache zu verlieren (...) Sorgen wir dafür, daß es
nicht noch einmal am Mut der Demokraten fehlt.“
Rede von Bundespräsident Roman Herzog anlässlich des Festaktes zur 75. Wiederkehr der Verabschiedung der
Weimarer Reichsverfassung in Weimar am 3.9.1994
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Aufgabe 2
„... das kritische Denken im Erkennen und Urteilen ... bewirkt, dass die Menschen in
freier Selbstbestimmung und ohne Not friedlich miteinander leben und arbeiten können.
Europa hat diese Werte in der ganzen Welt verbreitet.“
Aus
„Charta der europäischen Identität“ vom 28.10.1995, beschlossen von den Staaten der
Europäischen Union,
Das Parlament, 8. Januar 1999
1. Erläutern Sie auf Grundlage der Quellen 1 bis 4 , welche Herausforderungen die deutsche
Einheit an die Menschen in Ost und West stellt.
2. Bereits 1951 formulierte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer, dass die
Integration Europas eine absolute Notwendigkeit und nur durch gemeinsame Interessen
und gemeinsames Handeln herbeizuführen sei.
Inwiefern können Sie Adenauer zustimmen, wenn Sie die Probleme und Aufgaben der
EU-Osterweiterung berücksichtigen? (Quellen 5 und 6)
3. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
bezeichnet Globalisierung als einen „Prozess, durch den Märkte und Produktion in
verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden – dank der Dynamik
des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und
Technologie.“
Diskutieren Sie anhand der Quelle 7 Chancen und Risiken des Globalisierungsprozesses.
4. Worin sehen Sie Parallelen bei der Bewältigung der in den Aufgaben 1 bis 3
beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in Deutschland, Europa und der
Welt?
Bewertung der einzelnen Aufgabenteile
Teilaufgabe
Anforderungsbereiche
1
2
3
4
I, II
II, III
II, III
III
Gewichtung
20 %
25 %
25 %
30 %
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Quellen zu Aufgabe 2
Quelle 1
Aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Lothar de Maizière, 19. April 1990
5
„Aus dem Ruf ’Wir sind das Volk’ erwuchs der Ruf ’Wir sind ein Volk’. [...] Daher eine
herzliche Bitte an die Bürger der Bundesrepublik: Bedenken Sie, wir haben 40 Jahre die
schwere Last der deutschen Geschichte tragen müssen. Die DDR erhielt bekanntlich keine
Marshall-Plan-Unterstützung, sondern sie mußte Reparationsleistungen erbringen. Wir
erwarten von Ihnen keine Opfer. Wir erwarten Gemeinsamkeit und Solidarität. Die Teilung
kann tatsächlich nur durch Teilen aufgehoben werden. [...] Wir bringen ein unser Land und
unsere Menschen, wir bringen geschaffene Werte und unseren Fleiß ein, unsere Ausbildung
und unsere Improvisationsgabe. [...] Wir bringen ein unsere Sensibilität für soziale
Gerechtigkeit, für Solidarität und Toleranz.“
Aus: Parlament, 27. April 1990
Quelle 2
Ostdeutschland 12 Jahre nach der Vereinigung
5
10
„Als sich die beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 vereinten, gab es begeisterte
Einschätzungen über die wirtschaftlichen Perspektiven. Befreit von sozialistischen Fesseln
und mit marktwirtschaftlichem Schwung schien ein ’zweites deutsches Wirtschaftswunder’
möglich, diesmal auf ostdeutschem Boden. Die Begeisterung ist verflogen. Zwölf Jahre nach
der Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 ist Ostdeutschland immer noch
mit großen Problemen konfrontiert. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Menschen wandern ab. Die
wirtschaftliche Leistung je Einwohner erreicht nicht einmal zwei Drittel des westdeutschen
Niveaus. Die neuen Länder sind auf Finanzhilfen angewiesen.
Der Aufholprozess ist langwieriger und mühseliger als man es sich ursprünglich vorstellte.
Dennoch gelangen die Wirtschaftsforschungsinstitute zu der Erkenntnis, dass die Lage in
Ostdeutschland keineswegs hoffnungslos ist, wie sie in der Öffentlichkeit vielfach dargestellt
wird. Die Probleme sind zwar alles andere als gering. Aber es gibt auch beträchtliche Erfolge.
Der Aufbau Ost wird vorankommen, wenn Tatendrang und nicht Resignation das Handeln der
Menschen prägt.“
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Aus: Bonz, Scheffner, Ich – wir, Gemeinschaftskunde,
Holland und Josenhans Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2003, S. 200
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Quelle 3
5
Bonz, Scheffner, Ich – wir, Gemeinschaftskunde
Holland und Josenhans Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2003, S. 200
Quelle 4
10
Halbzeit beim Aufbau Ost
15
20
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„Seit der Wende wurden in Mecklenburg-Vorpommern 17 Milliarden Euro in den Wohnungsund Städtebau in Straßen, Krankenhäuser, Hochschulen und Gewerbegebiete investiert. ...
Bis zum Jahr 2020 werden noch einmal etwa 15 Milliarden Euro in die Infrastruktur des
Landes gesteckt, um die Unterschiede zwischen Ost und West auszugleichen, rechnete
Finanzministerin Sigrid Keler (SPD) .... bei der Vorstellung des 1. Fortschrittsberichtes
’Aufbau Ost’ vor. Sichtbar gut vorangekommen ist das Land beim Wohnungsbau und der
Städtesanierung, bei der Dorferneuerung, der touristischen Infrastruktur und beim Ausbau der
Pflegeheime.
Viel zu tun gibt es weiterhin beim Straßenbau, an den Universitäten, beim Schulbau und in
den Kommunen, die noch immer im Vergleich zu den Städten und Dörfern in den alten
Bundesländern bis zu 40 Prozent weniger Einnahmen haben. Um die Infrastrukturlücke zu
schließen, fließen allein aus der Bundeskasse im Solidarpakt II von 2005 bis 2020 weitere
11,1 Milliarden Euro nach Mecklenburg-Vorpommern, die gleiche Summe wie seit 1995.
Trotz riesiger Investitionen steht das Land noch immer nicht auf eigenen Füßen. Jeder Fünfte
ist arbeitslos und die Wirtschaftsleistung sinkt, bilanziert der Fortschrittsbericht. Nur 39,5
Prozent der Bürger verdienen ihren Lebensunterhalt selbst. 1995 waren es noch 43,6 Prozent.
Angesichts des Geschaffenen, aber auch der prekären Situation, sagte Ministerpräsident
Ringstorff zum Tag der deutschen Einheit: ’Auch wenn im Einigungsprozess Fehler gemacht
wurden und vieles nicht so schnell geht, sollte niemand den Kopf in den Sand stecken. Wir
brauchen den Elan der Bürgerinnen und Bürger, ihren Unternehmergeist. ’
Finanzministerin Keler nannte vor allem soziale Bereiche, in denen M-V anderen Ländern
weit voraus ist: die gut ausgebaute Hochschullandschaft, die Kindertagesstätten, die
Polizeidichte und die Investitionsförderung.
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Seit 1991 flossen
• in den Wohnungsbau
• in die Städte
• in Ferienanlagen/Hotels
• Ausbau der Häfen
• in Hochschulen
• in Krankenhäuser
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Mrd. Euro
2,6
1,7
3,6
0,9
1,1
1,9
Es entstanden u. a.
• 194 Gewerbegebiete
• fünf Regionalflughäfen
• elf neue Erlebnisbäder.“
Aus: Norddeutsche Neueste Nachrichten, Oktober 2003
Quelle 5
„MACHT HOCH DIE TÜR, DIE TOR MACHT WEIT!“
Karikatur aus: Kochendörfer, J., Geschichte und Geschehen, Klett-Verlag, Berlin 2003, S. 345
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Quelle 6
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10
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„Die Polen kommen! Wer mit dieser Feststellung auf die geplante Erweiterung der EU
aufmerksam machen oder gar gegen sie Stimmung machen wollte, erzielte zumindest in
Nord- und Ostdeutschland schon vor mehreren Jahren nur ein müdes Lächeln. Die sind doch
längst da, hieß es dann mit unzähligen Beispielen aus dem Gaststättengewerbe, bei der
Spargelernte oder in Handwerksbetrieben. Eben überall dort, wo wegen der anstrengenden
Arbeit EU-Arbeitskräfte nicht mehr zu bekommen waren und die angebotenen Arbeitsplätze
selbst länger ansässigen türkischen Arbeitnehmern nicht mehr attraktiv genug waren, durften
Polen mit Sondergenehmigungen arbeiten. Wurde die Arbeitserlaubnis verweigert, wurden sie
nicht selten schwarz beschäftigt.
Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Auch in Polen hat sich herumgesprochen, dass in der
EU die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Viele der Wanderarbeiter sind
zurückgekehrt und hoffen zu Hause auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung, anstatt in
ihren zukünftigen Partnerländern nur Vorurteilen zu begegnen und von Gewerkschaften als
Lohnbrecher angefeindet zu werden. Dennoch glaubt die EU in den Beitrittsverhandlungen
für die zehn künftigen Neumitglieder mit weit über 500 Ausnahme- und
Übergangsregelungen der Angst vor einer neuen Völkerwanderung nach der Erweiterung
begegnen zu müssen.
Wie schon bei den früheren Erweiterungsrunden mit Spanien und Portugal heben sich vom
Stichtag an die Schlagbäume für den Warenverkehr, nicht aber für die Menschen. Vor allem
auf Betreiben der unmittelbaren Nachbarn Österreich und Deutschland wollen die derzeitigen
Mitgliedstaaten der EU nach der Erweiterung noch bis zu sieben Jahre ihre Arbeitsmärkte
gegen Zuwanderung aus den Kandidatenländern abschotten. Mit einer Ausnahme: Malta hat
sich ausdrücklich vorbehalten, seine Grenzen ebenfalls dichtmachen zu dürfen. Sonne, Meer
und florierende Wirtschaft könnten allzu viele Menschen aus dem kalten regnerischen Norden
der Union anlocken, fürchtet die Regierung des kleinen Inselstaates.
Dabei ist die Notwendigkeit solcher von den Betroffenen als Diskriminierung empfundenen
Einschränkung durchaus umstritten. Selbst 1986, nach der Aufnahme Spaniens und Portugals,
als die Wirtschaft nördlich der Pyrenäen noch boomte, blieben die ebenfalls befürchteten
Wanderungsbewegungen aus. Selbst dann, als die Arbeitslosigkeit sprunghaft auf zeitweise
mehr als 20 Prozent und bei Jugendlichen sogar über 50 Prozent anstieg, weil die alten
unrentablen Industriezweige dem Konkurrenzdruck aus dem Norden nicht standhalten
konnten.
Auch eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie bestätigt, dass im Fall einer
vollständigen Grenzöffnung schon heute allenfalls 335.000 Menschen aus den zehn
Beitrittsländern auszuwandern bereit seien. Und davon käme nur rund ein Drittel, um Arbeit
zu suchen. Und die, so stellt das deutsche IFO-Institut fest, werden sogar dringend
gebraucht.“
Aus: Kochendörfer, J., Geschichte und Geschehen, Klett-Verlag, Berlin 2003, S. 345
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Quelle 7
Aus: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 280, Bonn 2003, S. 37
Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von „Brot für die Welt“:
„Globalisierung bedeutet für mich, dass niemand verschont bleibt, seine Haut weltweit zu
Markte zu tragen. Der Wettlauf um niedrigste Löhne und übelste Arbeitsbedingungen spielt
Menschen gnadenlos gegeneinander aus. Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse feiern
Auferstehung. Dabei wäre eine Auferstehung der Menschenwürde nötig.“
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
„Mit der Globalisierung der Märkte muss eine Globalisierung der Menschenrechte und der
sozialen Gerechtigkeit einhergehen. Gerade das deutsche Beispiel der sozialen
Marktwirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten ja gezeigt, dass marktwirtschaftliche
Effektivität und sozialer Zusammenhalt miteinander bestehen können.“
Horst Siebert, Institut für Weltwirtschaft:
„In den 90er Jahren wuchsen nicht etwa reiche Länder am schnellsten, sondern die armen
Länder, die sich stark in die Weltwirtschaft integrierten. Diejenigen Länder profitierten am
meisten von der Globalisierung, die durch Offenheit nach außen und Reformen nach innen
ihre Chance auf Teilnahme an der Weltwirtschaft am besten genutzt haben.“
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Karlheinz Böhm, Gründer der Stiftung „Menschen für Menschen“:
„Der größte Handlungsbedarf, um die Entwicklung dieser so genannten ärmsten Länder zu
unterstützen, wäre die Öffnung der Tore für den Welthandel als solcher. Man muss diese
Länder endlich als gleichwertige Handelspartner akzeptieren.“
Felix Kolb, ehemaliger Pressesprecher von ATTAC Deutschland:
„Die Globalisierung produziert Gewinner als auch Verlierer. Auf der Gewinnerseite stehen
einige große Konzerne. Auf der Verliererseite sind Menschen in der Dritten Welt, aber auch
in den Industrieländern. Die Konzerne verfügen über Macht und können mit Politikern sogar
Gesetze in ihrem Interesse verändern.“
Erzbischof Desmond M. Tutu, Südafrika:
„Europa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Marshall-Plan auf die Füße geholfen.
Der Westen muss nun so etwas wie einen neuen Marshall-Plan entwickeln, um Afrika bei der
Entwicklung zu helfen. Dies sollte an die strenge Bedingung geknüpft werden, dass das
gesparte Geld direkt den Menschen und nicht einer Elite zugute kommt.“
Aus: Das Zeitbild, Nr. 1, München 2003, S. 2
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