Falldemo-1.1 Seltener Arbeitsunfall – Vergiftung mit Senfgas A. Schaper1, O. Schwarz2, K. Bauer1, C. Langer1 Universitätsmedizin Göttingen, 2Heidekreis Klinikum Soltau 1 Einleitung: Senfgas (Synonym: Lost, englisch mustard gas, französich ypérite) ist ein chemischer Kampfstoff, der u. a. während des Ersten Weltkrieges und 1984 im Rahmen der Kampfhandlungen des Iran-Irak-Krieges eingesetzt wurde. Auch vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus gewinnt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit chemischen und biologischen Kampfstoffen zunehmend an Bedeutung, während andererseits die klinischen Erfahrungen mit Kampfstoffvergifteten außerordentlich begrenzt sind. Fallvorstellung: Ein 45-jähriger Patient stellte sich mit einer ausgeprägten Rötung der Leisten- und Genitalregion sowie einem Ulcus am rechten Unterschenkel im Krankenhaus vor. Anamnestisch war es 11 Tage zuvor im Rahmen seiner Tätigkeit im Kampfmittelbergedienst der Bundeswehr zu einer dermalen Exposition gegenüber Senfgas gekommen. Bei der Entsorgung eines Behältnisses aus dem Ersten Weltkrieg war dem Patienten eine minimale Menge von flüssigem Senfgas auf die Hose im Bereich des rechten Unterschenkels getropft. Bei Beschwerdefreiheit schenkte er dem Ereignis keine weitere Bedeutung. Während der folgenden Tage entwickelten sich das o.a. Ulcus und die Rötung. Bei Aufnahme fand sich ein ca. 4x4 cm großes, reizloses, oberflächliches Ulcus im mittleren Drittel des rechten ventralen Unterschenkels und eine großflächige oberflächliche Rötung der rechten Leisten- und Genitalregion. Nach chirurgischer Grundversorgung des Ulcus wurde der Patient zur Abklärung weiterer Manifestationen der Senfgas-Intoxikation stationär aufgenommen. Im weiteren Verlauf bildeten sich das Ulcus und die Rötung unter konservativer Therapie zurück. Es entwickelten sich keine Zeichen der systemischen Intoxikation (wie z. B. eine Schädigung des Knochenmarks) und der Patient konnte nach einer Woche beschwerdefrei entlassen werden. Diskussion: Beim Senfgas handelt es sich um eine alkylierende Substanz, deren Lost-Derivate auch in der Onkologie Verwendung findet. Bei dermaler Exposition werden folgende Symptome beobachtet: Blasenbildung, Melanodermie, putride Konjunktivitis und Mazeration besonders dünner Areale des Integuments wie Axilla, Inguinal- und Genitalregion. Die Zeichen systemischer Intoxikation sind dem Nebenwirkungsspektrum der Zytostatika vergleichbar: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe, Knochenmarksschädigung, Immunsuppression und allgemeines Krankheitsgefühl. Die Behandlung beschränkt sich auf symptomorientierte Maßnahmen, ein spezifisches Antidot existiert nicht.