Manuskript

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SWR2 Musikstunde mit Alfred Marquart
Elsaß (4)
Sendung:
04. März 2009, 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion:
Bettina Winkler
Manuskript
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Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung
des Urhebers bzw. des SWR.
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Musikstunde Elsaß 4
Natürlich sind, wie aus vielen Teilen Europas, auch viele Elsässer nach Amerika
ausgewandert, als hierzulande die Not groß und dort die Träume noch größer waren. Zudem
hat das Elsaß einige Beziehungen zu Amerika, die man nicht auf den ersten Blick merkt.
Darüber will ich Ihnen kurz einiges erzählen. Eine der bedeutendsten Sammlungen des
gesamten Elsaß ist die humanistische Bibliothek in Sélestat oder Schlettstadt. Der kleine Ort
zwischen Strasbourg und Colmar war einmal ein bedeutendes Zentrum, der Druckkunst zum
einen, der vorwiegend theologischen Auseinandersetzung zum anderen. Ein Besuch in
dieser Bibliothek ist aus vielen Gründen mehr als lohnenswert – ich möchte Ihre
Aufmerksamkeit auf ein ganz besonderes Werk richten, das Sie dort sehen können. Neben
liturgischen Werken, dem Kapitularbuch Karls des Großen, einer Vitruv-Abschrift, diversen
Kalendarien findet sich die Cosmographiae introductio von Matthias Ringmann und Martin
Waldseemüller aus dem Jahr 1507. Darin wird zum ersten Mal der neu entdeckte Kontinent
näher beachtet ...
6012816 / Track 7
4’01
Christoph Columbus (das war die Filmmusik dazu) hatte ihn entdeckt, aber er scheint damals
schon vergessen gewesen zu sein, obwohl er erst im Jahr vorher gestorben war. Da gab es
nämlich einen Florentiner Kaufmann und Seefahrer, der – angeblich – die Ostküste vor allem
Südamerikas
erforscht
hatte.
Ob
das
überhaupt
stimmt,
ist
sehr
fraglich,
die
Wahrscheinlichkeit, daß dieser Messer Vespucci ein Betrüger und Aufschneider war, ist
recht groß. Martin Ealdseemüller jedenfalls hat ihm geglaubt und auf seiner Karte dem
neuen Kontinent den latinisierten Vornamen Vespuccis gegeben – Amerika. Er hat ihn auch
für den Entdecker dieses Kontinents gehalten. Sic transit gloria mundi ... Aber auch bei
Vespucci hat man einen netten Fehler gemacht – der Gute hieß nämlich Alberigo und nicht
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Amerigo mit Vornamen. Ein Kopistenfehler war das, also hat Amerika aus mindestens zwei
Gründen einen falschen Namen ... Übrigens: Als Kolumbus den neuen Kontinent entdeckte,
1492, fiel ein riesiger Meteorit von n127 Kilo auf Ensisheim. Eine Vorbedeutung für diese
Verbindung? Aber das ist nicht die einzige Beziehung des Elsaß zu den Vereinigten Staaten.
Frankreich wollte zur Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit den Amerikanern ein Geschenk
machen: eine riesige, die Freiheit symbolisierende Statue. Sie wurde nicht rechtzeitig fertig,
erst zehn Jahre später wurde „Miss Liberty“, die Freiheitsstatue in New York, der
Öffentlichkeit übergeben. Sie ist, nur ein paar Zahlen,. 94 Meter hoch – die sieben Strahlen
der Krone symbolisieren die sieben Meere und Kontinente, die 25 Fenster die
fünfundzwanzig Edelsteine. Und die Außenhaut entworfen hat ein Elsässer – FrédéricAuguste Bartholdi aus Colmar. Dort steht übrigens auch ein kleines Museum, in dem man
allerlei Entwürfe und dergleichen anschauen kann. Das Innere der Statue ist eine
Eisenkonstruktion, die die Kupferhülle stützt. Die wurde hergestellt von der Firma eines
Mannes, der sich gut auskannte in Eisenkonstruktionen – die Rede ist vom Brückenbauer
Gustave Eiffel, der ja auch den Eiffelturm konstruiert hat. Geleitet wurde der Innenbau der
Statue aber von einem anderen Elsässer, dem Ingenieur Maurice Koechlin, einer
weitverzweigten Familie, aus der auch der Komponist Charles Koechlin stammt. Damals hat
man sich sicherlich noch gut elsässisch Köchlin ausgesprochen ... So stammt also,
bitteschön der Name des neuen Kontinents und sein beredtes Symbol aus dem Elsaß!
3360073 / Track 15
4’52
Aus „On the Town“, der Hymne auf New York, spielte das Israel Philharmonic Orchestra
unter Leitung des Komponisten Leonard Bernstein. Und schnell noch sollen andere Elsässer
(aus der Zeit von „On the Town“) nachgeschoben werden, die als Amerikaner Karriere
gemacht haben. Ursprünglich waren es fünf, mit den Vornamen Chico, Harpo, Groucho,
Gummo und Zeppo, Nachname: Marx – also die Marx-Brothers. Papa Marx stammte aus
Mertzwiller, in der Nähe von Strasbourg gelegen. Der Witz dieser Filmstars war sicherlich in
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vielem amerikanisch, in noch mehr jüdisch aber auch ein bissel elsässisch! Die Strasbourger
Oper hat jetzt auf eine witzige Art wieder an sie erinnert: In einer Inszenierung von „Ariadne
auf Naxos“ treten die Commedia dell’arte-Figuren nicht als Harlekin und Konsorten auf,
sondern – als Marx-Brothers.
3485591 / CD 3 / Track 4
3’21
Lydia, die Tätowierte, aus dem Film „Circus“ mit den Marx-Brothers, allen voran Groucho,
das war der mit dem aufgemalten Schnurrbart. – Kehren wir in unserer Elsaß-Musikstunde
hier auf SXWR 2 nochmals nach Colmar zurück – die Stadt hat mehr zu bieten als das
Musée Bartholdi, zum Beispiel die wunderbare Madonna im Rosenhag von Martin
Schongauer, viele alte Häuser, das Färberviertel, ein kleines, aber feines Theater, das mit
Strasbourg, der Opéra National du Rhin, zusammenarbeitet, und ein Museum mit einem der
berühmtesten, vor allem aber erschreckendsten Altarbilder der ganzen Welt, bei dem mir
eigentlich immer nur diese Musik einfällt.
3360098 / CD 1 / Track 3
3’27
Tuba mirum aus Giuseppe Verdis Requiem – hier mit Nicolai Ghiaurov, dem Chor und dem
Orchester der Mailänder Scala unter Herbert von Karajan. Das eerklingt immer irgendwie in
meinem Kopf (oder eher: dem Herzen), wenn ich das Unterlindenmuseum betrete und mit
den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald anschaue. Das heißt, so nannte er sich selbst
wohl nicht – Mathis Gothart Nithart hat er sich wohl genannt, M.G.N. sind seine Initialen.
Wissen über ihn tut man nicht viel, aber muß das überhaupt sein? Reicht es nicht, seien
Bilder zu sehen? Als er starb, war er berühmt. Aber schnell vergessen – der Isenheimer Altar
galt lange als Bild von Albrecht Dürer! Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wußte man,
wer den Altar gemalt hatte ... Grünewald, ich bleibe bei dem Namen, unter dem er bekannt
geworden ist, Grünewald hat nur viermal seine Bilder signiert! Der Isenheimer Altar ist
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inzwischen sicherlich eines der berühmtesten Bilder der Welt, aber weshalb? Weil es so ein
schönes Engelskonzert gibt? Oder wegen des geschundenen Christus-Leibes, der sicherlich
nach einer wirklichen Leiche gemalt wurde? Oder wegen der Ungeheuer, die über den
Antonius herfallen? Oder vielleicht der Mischung wegen? (Wobei, habe ich gelernt,
vermutlich nicht alle Tafeln von Grünewald selbst gemalt worden sind!) Egal – es sind Bilder,
in denen man immer wieder Neues entdecken kann, aus dieser merkwürdigen
Übergangszeit vom Mittelalter heraus in die neuere Zeit, eine rechte Renaissance hat es ja
bei uns nicht gegeben. Paul Hindemith hat über diesen Grünewald eine Oper geschrieben,
„Mathis der Maler“ heißt sie, und da überfallen quasi im Schlaf im Odenwald die Ungeheuer
des Antonius seinen Schöpfer.
3365291 / CD 3 / Track 10-12
5’56
Ein Ausschnitt aus „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith, seiner Grünewald-Oper. Rafael
Kubelik dirigierte Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks, es sangen unter anderem
Rose Wageman, Dietrich Fischer-Dieskau und James King. – Das Unterlindenmuseum, in
dem sich er Isenheimer Altar befindet, ist ein ehemaliges Dominikanerkloster. Viele Klöster
sind ja in der Zeit der französischen Revolution verlassen worden – oder sie wurden
gewaltsam geräumt. Und gerade im Elsaß hat man sie späterhin anders verwendet. Eben in
Colmar als Museum, in Guebwiller, eine knappe halbe Autosunde von Colmar entfernt, hat
man daraus ein Kulturzentrum gemacht. Im dortigen ehemaligen Dominikanerkloster, in der
Kirche, wird Musik gemacht, schon lange. Clara Schumann hat dort gespielt, Alfred Brendel
auch, das ist weniger lang her, und es wird dort auch immer wieder Musik aufgenommen.
Die Pariserin Emmanuelle Haim hat dort zum Beispiel (auf dieser Aufnahme kann man die
Akustik besonders bewundern) italienische Kantaten von Händel aufgenommen, mit ihrem
Ensemble, Le Concert d’Astrée, und Natalie Dessay. Stellen Sie sich also bitte nun vor, Sie
sitzen in einer hohen Kirche im Elsaß und hören „Lascia omai le brune vele“ aus „Delirio
amoroso“ von Georg Friedrich Händel.
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3377173 / Track 7
5’25
Deutsche Musik im Elsaß – von Franzosen gespielt: Emmanuelle Haim und Le Concert
d’Astrée, es sang Natalie Dessay. – Wenn wir in einer Musikstunde - das heißt: einer ganzen
Woche – hier auf SWR 2 über das Elsaß reden, müssen wir immer wieder auf das, leider
meist unerfreuliche, Thema Deutsche und Elsässer zurückkommen. Da hat sich natürlich viel
geändert, endlich geht man unbefangen miteinander um, aber das ist fragil. Fällt eine laute
deutsche Touristengruppe in eine Vinstub ein, heißt es schnell: die Schwoba – und wird gar
eine Vinstub in Strasbourg von Deutschen betrieben, die daraus ein Kitschklischée erster
Güte machen (nebenbei mit nicht besonders guter Bewirtung), regt man sich (vielleicht nicht
ganz zu Unrecht) darüber auf. Und umgekehrt. Das Elsaß war nicht besonders glücklich
nach 1681 unter den Franzosen, es war viel unglücklicher unter den Preußen nach 1871; als
hinterher die Franzosen wiederkamen, wurden sie bejubelt, aber man war auch nicht
zufriedne mit ihnen. Und von den Nazis wollen wir heute gar nicht erst reden (darüber
morgen mehr). Wohin man denn käme, wenn man einen preußischen Leutnant verurteile,
bloß weil er einen Wagges abgestochen habe – Sätze wie diese haben sich im Gedächtnis
erhalten. Zumal zum Beispiel in Strasbourg nicht unbeträchtliche Teile (beispielsweise an der
Place de la Republique) preußischen Bau-Charakter tragen. Etwas sehr preußisches liegt in
der Nähe von Selestat, gehört aber zu den meistbesuchten Touristenzielen in Frankreich.
Das ist die Haut-Koenigsbourg, deutsch auf eine merkwürdig einfranzösisierte Weise
geschrieben (Man kann’s auch umgekehrt formulieren). Eine staufische Reichsburg aus dem
12. Jahrhundert, die im dreißigjährigen Krieg zerstört wurde. Aber weil man von da oben
einen schönen Blick hat und weil das Wiederaufbauen eines – freilich verfälschten –
Mittelalters damals gerade en vogue war in Deutschland (in Frankreich hatte man das
eigentlich schon hinter sich). Zu Beginn des 2o. Jahrhunderts wurde die Burg also
wiederaufgebaut, so wie man sich damals vorstellte, daß eine Burg ausgesehen hat – und
seither wird sie besichtigt. Sie ist übrigens das einzige Nationalmonument Frankreichs im
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Elsaß (was schon fast zynisch ist) und unterhalb der Burg können Sie einen Affenfelsen
besichtigen und sich von den Affen belästigen lassen. Wofür der Kaiser Wilhelm alles
verantwortlich ist ...
331582 / Track 6
2’43
Der Sedan-Marsch war das. Viel preußischer geht’s nimmer. Und deshalb gestatten Sie
einen kurzen Ausflug aus dem Elsaß heraus, in einen kleinen Badeort südlich, aber ganz
nahe an der Grenze. Plombières-les-bains, ein römisches Bad schon, recht verschlafen
heute, aber lange Treffpunkt der feinen Welt. Michel de Montaigne war dort, Beaumarchais
führte dort „La folle journée“ auf, jenes Stück, aus dem „Die Hochzeit des Figaro“ werden
sollte, Voltaire, Alfred de Musset gehörten zu den Gästen. Eine außergewöhnlich gute (und
schwere) Crème wurde dort entwickelt, aber der bekannteste Besucher war der dritte
Napoleon, der von seinem letztlich tödlichen Leberleiden dort Linderung suchte. Das Bad,
das er stets besuchte, kann man heute noch besichtigen. Der italienische Befreiungskrieg
wurde übrigens 1858 in Plombières ausgekocht. Zu Zeiten des dritten Napoleon war die
Marseillaise (wir erinnern uns: in Strasbourg entstanden) als Nationalhymne verboten. Es
gab eine andere, die stammte von der Mutter Napoleons III., Hortense, Tochter von
Josephine Beauharnais aus erster Ehe und Gattin von Louis Napoleon, des Bruders des
ersten, des berühmten Kaisers, die Königin von Holland war. „Partant pour la Syrie“ hieß
diese Hymne – Johann Nepomuk Hummel hatg Klaviervariationen darüber komponiert.
DIGAS
3203439 / Seite A / Track 5
6’45
Christian Lambour spielte die Klaviervariationen zu “Partant pour la Syrie”, der französischen
Nationalhymne zu Zeiten Napoleons III., die Variationen stammen von Johann Nepomuk
Hummel. – Nicht nur militärisch, auch kulturell allerdings hat man seinerzeit die Situation des
Elsaß gesehen, sieht man sie heute noch, aber inzwischen ist doch ein mehr als friedliches
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Neben- oder gar Miteinander daraus geworden. Versuche, manchmal nicht ganz freiwillige,
so zu leben, hat es immer gegeben: Da war zum Beispiel der Maler, Lyriker und Bildhauer
Arp. Hans mit Vornamen, Oder Jean. Oder Jean-Hans. In Strasbourg geboren, während der
preußischen Besetzung. Muttersprache deutsch, aber er sprach auch fließend französisch.
Er liebte die deutsche Romantik und französische Dichter, Rimbaud zum Beispiel. Er
studierte in Weimar und Paris, aber weil es ihm an diesen Kunstschulen nicht gefiel, ging er
in die Schweiz, nach Basel (wo er auch sterben sollte). Seine erste große Retrospektive gab
es in New York. Das paßt alles irgendwie zusammen zu einem elsässischen Schicksal,
oder? Der Basler Komponist Jürg Wyttenbach hat Gedichte von Arp vertont. Es singt Ingrid
Frauchiger, am Klavier Urs Frauchiger.
DIGAS
3200986 / Seite B / Track 2
5’oo
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