1 »Hate-Crimes«: Ein Konzept zur Beschreibung der deutschen

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»Hate-Crimes«: Ein Konzept zur Beschreibung der deutschen Verhältnisse?
Fachgespräch der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ)
5. November 2010, Berlin
Kati Lang,
RAA Sachsen e.V. – Beratungsstelle für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt:
Debattenbeitrag der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt zum Konzept „Hate
Crimes“
„Hate Crimes“, „Hassverbrechen“, „bias crimes“, „rechte Gewalt“, „rechtsextreme Gewalt“ – die
Palette der im Raum stehenden Begrifflichkeiten für die deutsche Debatte ist groß und es gibt
zahlreiche Argumente, die jeweils für und auch gegen die einzelnen Begriffe sprechen. Allein ein
Blick in die Untertitel der Beratungsstellen offenbart, dass bisher keine gemeinsame Sprachregelung
gefunden wurde.
Da sich die Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt in Ostdeutschland einschließlich Berlin
aktuell in einem Diskussionsprozess über die verschiedenen Begrifflichkeiten befinden, stellen
meine Anmerkungen einen Überblick über die bisher ausgetauschten Standpunkte, Problemlagen
und Leerstellen aus Sicht der Beratungsprojekte dar.
Ich werde mich der Debatte aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Im ersten Teil wird der
spezifisch historische Kontext der Bundesrepublik und dessen Bedeutung für die Begriffswahl
beleuchtet. Hierbei werde ich Gründe für eine inhaltliche Differenz zum us-amerikanischen Konzept
nennen.
Der zweite Teil wird sich mit dem aktuellen Kontext dieser Form von Gewalt in Deutschland
auseinandersetzen und Diskrepanzen zwischen der Wahrnehmung rechter Gewalt als organisiertes
Phänomen und der Realität alltagsrassistischer Angriffe benennen.
Daran anschließend erfolgt eine Kritik des (Rechts-) Extremismuskonzept, welches eine solche
Wahrnehmungsverschiebung fördert.
Im vierten Teil werde ich mich mit gesellschaftlichen Problemlagen von einzelnen
Betroffenengruppen auseinandersetzen und Überlegungen dazu anstellen, welche Gruppen von
einem deutschen „Hate Crimes“ Konzept umfasst sein sollten.
Abschließend werde ich einige Präferenzen der Beratungsstellen zur Begriffswahl vorstellen unter
dem angekündigten Vorbehalt, dass auch wir bis heute für den deutschsprachigen Raum keine uns
wirklich zufriedenstellende Lösung anbieten können.
1
1. internationaler Bezugsrahmen
Beginnen möchte ich meine Überlegungen mit der Relevanz historischer Bezüge in einem
deutschen „Hate Crimes“ Konzept.
Wie bereits von Marc Coester dargestellt, resultiert das US-amerikanische Konzept auf
Bürgerrechtskämpfen einer schwarzen Community, die sich vor allen gegen rassistische
Diskriminierung und Polizeigewalt zur Wehr setzten. Der Rahmen von ursprünglich auf rassistisch
motivierte Verbrechen beschränkte Kriminalität, wurde in den 1970er Jahren schließlich von anderen
benachteiligten Gruppen übernommen und aktuell existieren weltweit unter dem Begriff „Hate
Crimes“ verschiedenste Ein- und Ausschlüsse.
Für den Kontext einer deutschen Debatte muss beachtet werden, dass es weder eine vergleichbare
Geschichte von Kämpfen um Bürgerrechte von Minderheiten gegeben hat, noch eine vergleichbare
gesellschaftliche Struktur von Diversität und Migration. Eine bloße Begriffsadaption inklusive der
Übernahme der Betroffenengruppen, wie sie beispielsweise durch die Neudefinition der „Politisch
motivierten Straftaten – rechts“ durch das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter im Jahr
2001 geschehen ist, trifft den Kern des Problems nicht.
Insbesondere sind die Singularität der Shoa und die Verbrechen des Nationalsozialismus mit zu
beachten. Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, die Ablehnung von Wohnungslosen oder
Menschen mit Behinderung und politisch Andersdenkenden sind eng verknüpft mit der historischen
Tradierung
und
gesellschaftlichen
Verankerung
nationalsozialistischer
Ungleichwertigkeits-
vorstellungen. Diesen Bezug kann ein internationales Konzept nicht leisten, weswegen für den
deutschen Rechtsraum eine spezielle Bezeichnung gefunden werden muss.
Die Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt haben aus dem Ursprung ihrer politischen
Herkunft die Begriffspalette von „rechter“ „rechtsmotivierter“ oder „rechtsextremer“ Gewalt gewählt.
Ihre Entstehung war eine Reaktion auf die massiven rechten Angriffe der 1990er Jahre und der
gesellschaftliche Umgang mit diesen oft tödlichen Taten. So erfuhren die Täter häufig
Rückendeckung durch die Bevölkerung, eine bundesdeutsche Politik, die gegen „Ausländer“ mobil
machte und im sogenannten Asylkompromiss das Grundrecht auf Asyl faktisch abschaffte sowie
eine Justiz, die nicht in der Lage und/oder Willens war, das Ausmaß der Gewalt entsprechend zu
ahnden. Insbesondere die Betroffenen, ihre Angehörigen und Personen, die sich den Nazis in den
Weg stellten, fanden kaum gesellschaftliche und nahezu keine offizielle Unterstützung. Die
Notwendigkeit
einer
menschenrechtsorientierten,
antirassistischen
Arbeit
sowie
die
(Re)Implementierung demokratischer Normen spiegelt sich bis heute in den Grundsätzen der
Beratungsstellen wieder.
Die Perspektive weg von den Tätern hin zu den Opfern rechter Gewalt zu verschieben, war und ist
Aufgabe der Beratungsstellen und zeigt sich in den jeweiligen Projektnamen („Opferperspektive
Brandenburg“, „Reach Out Berlin“, „Lobbi Mecklenburg-Vorpommern, „Mobile Opferberatung“
2
Sachsen-Anhalt, „Opferberatung“ Sachsen, „Thüringer Hilfsdienst für Opfer rechter Gewalt“).
Innerhalb des historischen Kontexts und der aktuellen Situation ist der Begriff „rechte“ bzw.
„rechtsextreme Gewalt“ mit Taten durch (Neo)Nazis besetzt und hat den Vorteil, dass er in der
Wahrnehmung die spezifisch deutsche Geschichte mit einbezieht und mit einem Wort die politische
Motivation der Täter erfasst, egal ob sich der Angriff gegen Migrant_innen, Homosexuelle,
Obdachlose oder andere Betroffenengruppen richtet.
2. „Rechte Gewalt“ als organisierte Gruppengewalt
Diese Begriffswahl und damit bin ich beim zweiten Punkt meiner Ausführungen offenbart allerdings
ein großes, unüberwindbares Defizit. „Rechte“ oder „rechtsextreme Gewalt“ wird als Gewalt
organisierter und ideologisierter Nazis wahrgenommen. Ein Großteil der Verbrechen wird jedoch von
unorganisierten, ideologisch nicht durch und durch gefestigten Tätern begangen. Aus diesem Grund
ist auch der Begriff „neonazistische“ Straftaten abzulehnen, da er nur die Teilmenge der Delikte
erfasst, die von Tätern, welche mit einem geschlossenen Weltbild agieren, begangen werden.
Gewalt aus Ablehnung gegen Migrant_innen, Wohnungslose oder andere Betroffene wird häufig von
Tätern aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft verübt. Sie ist genau dort ideologisch verankert
und manifestiert. Es ist daher selbstkritisch festzustellen, dass die bisherige Sprachregelung von
„rechter
Gewalt“
trotz
aller
Deutungsversuche
und
Unterdefinition
der
Beratungsstellen
unbefriedigend ist. Selbstverständlich erklären die Beratungsstellen in all ihren Veröffentlichung,
dass unter „rechter Gewalt“ rassistische und antisemitische Taten, Angriffe aufgrund der sexuellen
Orientierung und Identität, Behinderung, religiösen Zugehörigkeit oder des Engagements der
Betroffenen
gegen
Rechtsextremismus
gemeint
sind.
Wissenschaftlich
stimmen
diese
Zusatzerklärungen mit dem Konzept des Rechtsextremismus überein, allerdings wird dies selbst von
vielen Betroffenengruppen nicht verstanden. So erreicht das Angebot der Beratungsstellen vorrangig
Opfer rassistischer Angriffe und Menschen, die aufgrund ihres alternativen bzw. nicht-rechten
Erscheinungsbildes angegriffen wurden. Zu diesen beiden Betroffenengruppen besteht aufgrund der
politischen Intervention und häufig auch persönlichen Engagements der Beschäftigten ein
ausgeprägtes Netzwerk.
Angriffe auf Wohnungslose,
Homosexuelle oder
Menschen mit
Behinderung dagegen, sind bisher, trotz Bemühungen in Form von Fortbildungen, Ausbau von
Netzwerken und verstärkter Recherche, zu wenig in den Blickpunkt gerückt worden. Aus den
dargestellten Problemstellungen heraus führen einige Beratungsstellen aufgrund der Größe der
Betroffenengruppen den Zusatz „rassistische Gewalt“, womit zumindest ein zusätzliches Item im
Untertitel erwähnt wird.
3. Extremismuskritik
Auch von den Behörden werden unter dem Fokus „rechte Gewalt“ eher Angriffe gegen sogenannte
Ausländer (Fremdenfeindlichkeit), Antisemitismus in nationalsozialistischer Ausprägung oder
Angriffe auf den sogenannten politischen Gegner verstanden. Hier offenbart sich die Diskrepanz
3
zwischen der Einführung der sogenannten Hate Crime Definition im Jahr 2001 und dem in
Deutschland vorherrschenden Modell von Extremismus und Staatsschutz. In unzureichender
Reflektion der Beteiligung der Mehrheitsbevölkerung an der nationalsozialistischen Vernichtung
wurde nach 1945 ein auf „die Ränder“ fokussierendes Schutzsystem geschaffen, welches sich auch
in der Begriffswahl „Rechtsextremismus“ niederschlägt.
Nach diesem Modell konnten extremistische (Gewalt-) Taten nur solche sein, die sich gleichzeitig
auch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (fdGO) richteten. Sechs der sieben
Prinzipien der fdGO Definition beziehen sich auf den Staatsaufbau. Die Gefährdung kann in dieser
Logik nur durch Parteien oder Organisationen erfolgen, die das System ablehnen, es aktiv
bekämpfen und überwinden wollen. Eine solche Systemüberwindung ist nur durch organisierte
Gruppen und nicht durch rechte Jugendgangs oder rassistische Täter möglich. Nach den massiven
und leider häufig tödlichen Angriffen in den 1990er Jahren stellten auch die Behörden fest, dass die
„Ausrichtung der Straftatenerfassung [...] am Extremismusbegriff und ihre Ergebnisse nicht (mehr)
den Bedürfnissen der Polizei und der Abnehmer ihrer Lagebilder an eine vollständige differenzierte
und aktuelle Lagebeschreibung [entspricht]. [...] Antisemitische bzw. fremdenfeindliche Einstellungen
sind gerade unter Rechtsextremisten, aber eben nicht nur unter ihnen, sondern auch in Teilen der
systemtreuen Bevölkerung verbreitet.“1. Daraufhin wurde die bisherige Praxis der politischen
Straftatenerfassung durch die nahezu wörtliche Übernahme der sogenannten Hate Crimes
Regelung verändert.
Als politisch rechtsmotiviert gilt eine Tat nun,
»wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich
gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse,
Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres
äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet.« 2
Die Erweiterung des Katalogs und die Abschaffung des Merkmals der Systemüberwindung stellen
aus Sicht der Opferberatungsstellen einen Fortschritt dar.
Es bleibt die Problematik, dass sich die Aufzählung der „Hate Crimes“ Merkmale unter der Definition
für politisch rechtsmotivierte Straftaten befindet. Nach dieser Logik müssten alle antisemitischen und
rassistischen Straftaten grundsätzlich dem Phänomenbereich PMK-rechts zugeordnet werden, auch
wenn die Täter nichtdeutscher Herkunft sind oder aus linkem Antisemitismus gehandelt haben.
Dieser Fehler im System wurde wohl erkannt, aber definitorisch nicht behoben. So ergibt sich aus
einer seltenen Veröffentlichung der Themenfeldübersicht, dass alle Themenfelder auf sämtliche
Akteure „politisch motivierter Straftaten“ (Links/Rechts/Ausländer) bezogen werden. 3 Doch selbst bei
1
Bernhard Falk, Vizepräsident des BKA anlässlich der BKA-Herbsttagung 2000 „Rechtsextremismus, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit“, Kriminalistik 1/01, S. 10
2
Bundesministerium der Justiz, Bundesministerium des Inneren (Hrsg.). 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 135. 2006
3
Depping, Peter/Kaiser, Horst. Lagebild Politisch Motivierte Kriminalität, S. 160. In : Bundesministerium der Justiz (Hrsg.).
Projekt Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörig –insbesondere junge Menschen-. Band 1. 2006
4
dieser Änderung wird am Ansatz der sogenannten extremistischen Rändern festgehalten und nicht
von Tätern aus der Mitte der Gesellschaft ausgegangen, womit das deutsche System zwangsläufig
dem Grundgedanken des „Hate Crimes“ Konzepts widerspricht. So ist das us-amerikanische Modell
nicht aus der Bekämpfung systemüberwindender Gefahren entstanden, sondern aus der
Emanzipation von Minderheiten. In Deutschland dagegen ist die Debatte um „Hate Crimes“ vielmehr
aus der umgekehrten Perspektive aufgekommen und scheitert an den dargestellten Problemlagen.
Anknüpfend an diese Analyse wird der Begriff „rechtsextreme Gewalt“ von den Beratungsstellen –
obwohl ihn einige immer noch im Untertitel führen -
nach intensiven Debatten und
Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Praxis inzwischen abgelehnt. Weg von der Täter- hin zur
Opferperspektive werden jene aktuelle Einstellungen, Handlungen und Strukturen problematisiert,
die das Leben diskriminierter Menschen nachhaltig beeinträchtigen.
4. Betroffenengruppen
Dies ist nun aber nicht das Plädoyer solche Taten nicht gesondert zu kategorisieren, sondern sich bei
der Einführung an der Geschichte und der aktuellen Problemlage in Deutschland zu orientieren. Das
gilt einerseits für die zu wählenden Begrifflichkeiten als auch für die konkret aufzustellenden
Merkmale.
Das prinzipielle Problem an der Festlegung von Opfergruppen ist, dass es Definitionen und
Identitäten fixiert. Vision bleibt die Überflüssigkeit solcher Normierungen und eine Gesellschaft von
„unendlicher, nie abgeschlossener Differenz“4. Die Notwendigkeit einer solchen Aufzählung ergibt
sich aber daraus, dass sie Schutz für von realen Verhältnissen Betroffenen bietet und ein Abbild der
Gefahren für bestimmte Gruppen darstellt.
Im vierten Teil meiner Ausführung will ich mich daher mit der Definition einer auf die deutsche
Situation angepassten Merkmalserfassung auseinandersetzen. Dabei ist insbesondere zu beachten,
dass zu offene Merkmale vermieden werden und die Aufstellung an tatsächlichen gesellschaftlichen
Problemlagen geschieht. Hier üben die Beratungsstellen Kritik an der behördlichen Definition und
haben ausgehend von ihrer Problemanalyse zum Teil andere Begrifflichkeiten entwickelt.
So lehnen die Beratungsstellen wie zahlreiche Vertreter_innen in Wissenschaft und Praxis den
Begriff der „Rasse“ ab. Allein rassistische Theorien gehen heute noch von der Annahme aus, dass
es unterschiedliche menschliche Rassen gäbe. Bereits 1950 hat die UNESCO in ihrem „Statement
on Race“ darauf verwiesen, dass die Terminologie für einen sozialen Mythos stehe, der ein enormes
Ausmaß an Gewalt verursacht hat.5 Unter Berücksichtigung der geschichtlichen Wirkung von
Konzepten und gedanklichen Konstrukten, die mit dem Begriff „Rasse“ verbunden sind, ist kein
4
Baer, Susanne. Recht und Rechte: Zwischen legaler Anerkennung und kulturell-politischer „Revolution“, S. 207. In: quaestio
(Hrsg.). Queering Demokratie. 2000
5
Statement on Race, 1950, verfügbar unter: http://unesdoc.unesco.org/images/0012/001282/128291eo.pdf (zuletzt gesehen 3.
11.2010)
5
Grund ersichtlich, diesen Begriff zu verwenden.6 Auch der Verweis auf die Benutzung des Begriffs in
zahlreichen anderen Ländern verfängt nicht, da dieser nicht nur im Deutschen problematisch ist
sondern auch in anderen Sprachen.7 So haben sich einige Staaten bereits entschlossen den Begriff
„Rasse“ nicht mehr zu verwenden. Die Beratungsstellen sprechen daher von Rassismus als Motiv
des Täters. Im Gegensatz zu den Begriffen „Rasse“ oder „rassisch“ impliziert der Begriff des
„Rassismus“ die Gegnerschaft zu jeglichen Rassekonzepten und benennt als Kern des Problems
das Vorhandensein von „Rassevorstellungen“.
Auch der Begriff der „Volkszugehörigkeit“, der in der behördlichen Definition verwendet wird, wird
seitens der Beratungsstellen abgelehnt. Gemäß § 6 Bundesvertriebenengesetzes definiert sich die
deutsche Volkszugehörigkeit „..., wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat,
sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur
bestätigt wird.“ Auch wenn mit dem Begriff gerade nicht die deutsche, sondern die
„Volkszugehörigkeit“ zu andern „Völkern“ gemeint ist, ist er untauglich. Die Formulierung ist eine
originär deutsche, im Gegensatz zum spanischen „pueblo“ oder englischen „peoples“ wurzelt der
„Volkszugehörigkeitsbegriff“ im Merkmal der biologischen Abstammung, womit ihm ein völkisches
Grundverständnis im Sinne des Nationalsozialismus zu Grunde liegt. So handelt es sich auch bei
der Definition in § 6 Bundesvertriebenengesetz um eine nahezu wörtliche Übernahme aus dem
Erlass des Reichsinnenministeriums vom April 1939 über die „Zugehörigkeit zum deutschen Volk“.8
Vorschläge den Begriff der „Volkszugehörigkeit“ gegen „ethnische Zugehörigkeit“ oder „Ethnie“
auszutauschen, gestalten sich schwierig, weil diese Festlegungen einen Automatismus der
Gruppendefinition versinnbildlichen. Die feste Zuschreibung von Personen auf eine „ethnische“
Gruppe verschiebt rassistische Zuschreibungen häufig auf den modernen und weniger vorbelasteten
Begriff der „Ethnie“, der sowohl in biologischer als auch in kultureller Dimension Verbreitung erfährt
und somit Trägerbegriff für Rassismus sein kann. Der Ethnisierungsansatz fußt letztendlich auf
einem antiegalitären Fundament. Er geht von der „rassischen/ethnischen“ Differenz von Menschen
aus und formuliert somit ein Volksverständnis im Sinne von „ethnos“ und nicht vom aufklärerischen
„demos“.
Da die Merkmale Religion und Weltanschauung nicht vom Rassismusbegriff umfasst sind, sind diese
gesondert aufzunehmen. Ebenso das Merkmal des Antisemitismus, da dieser von der
Phänomenbeschreibung Rassismus nicht erfasst ist.
6
Cremer, Hendrik: „... und welcher Rasse gehören Sie an?“ Zur Problematik des Begriffs „Rasse“ in der Gesetzgebung. S.6,
2009
7
ausführliche historische und länderübergreifende Darstellung bei Cremer, S. 6 ff.
Der genaue Wortlaut findet sich u. a. bei: Georg Hansen: Die Deutschmachung: Ethnizität und Ethnisierung im Prozess von
Ein- und Ausgrenzungen. S. 105. 2001
8
6
Die Beratungsstellen kritisieren ebenfalls den behördlichen Begriff des „gesellschaftlichen Status. Er
ist ein völlig offener Begriff, der Deutungen in jedwede Richtung ermöglicht und bezieht sich auf die
wahrgenommene Stellung einer Person innerhalb der Gesellschaft. Er kann somit sowohl auf
verschiedene Berufsgruppen, familiäre Herkunft oder eben die finanzielle Situation bezogen werden.
So würden in wortgenauer Auslegung unzählige Raub- und auch Diebstahlsdelikte erfasst werden,
da diese auf den vermeintlich „reicheren“ Status des Opfers zielen. Ein solch weiter Begriff
widerspricht dem Gedanken des „Hate Crimes“ Konzepts. Vielmehr handelt es sich um Angriffe,
denen Wohnungslose, Alkoholkranke und andere Menschen ausgesetzt sind, die von den Tätern als
sogenannte Asoziale verachtet werden. Gewalt gegen Wohnungslose und sozial Schwache ist
geprägt
von
Tendenzen
der
öffentlichen
Zustimmung
gegen
diese
Gruppen
(„Assis“,
„Sozialschmarotzer“) und besitzt ebenso wie die anderen genannten Items einen breiten
gesellschaftlichen Referenzrahmen. Hinzu kommt eine spezifische historische Komponente der
Verfolgung sog. Asozialer im Nationalsozialismus. Der Begriff sollte auf seinen gewollten
Wirkungskreis eingeengt werden. Die Beratungsstellen sprechen daher von Personen, die „aufgrund
ihrer sozialen Benachteiligung“ angegriffen werden.
Auch die von den Behörden gewählte Begrifflichkeit des „äußeren Erscheinungsbilds“ ist zu offen
gewählt. Gemeint sind Personen, die aufgrund ihres alternativen Auftretens und/oder ihrer nichtrechten Haltung angegriffen werden. Eine bloße Reduktion des Merkmals auf das „äußere
Erscheinungsbild“ würde allerdings vielfältige unpolitische und nicht-gruppenbezogene Straftaten
unter „Hate Crimes“ subsumieren.
Zuletzt ist sowohl bei den Behörden als auch bei den Beratungsstellen das Merkmal der sexuellen
Orientierung um die Begrifflichkeit der Geschlechtsidentität zu ergänzen. Nur somit ist gewährleistet,
dass in der Betroffengruppe all diejenigen erfasst sind, die aufgrund eines heteronormativen Rollenund Weltverständnisses angegriffen werden wie beispielsweise Trans-Identitäten oder intersexuelle
Menschen.
5. Hate/Bias Crimes
Abschließend möchte ich kurz noch auf die im Raum stehenden Begriffe eingehen. Vorab bleibt
festzuhalten, dass die Beratungsstellen das Konzept von „Hate Crimes“ als positiv bewerten.
Allerdings nur, wenn sowohl der historische als auch gesellschaftsspezifische deutsche Kontext
gewahrt bleiben und keine Verwischung unter Bezugnahme auf Probleme in anderen Ländern bzw.
dem Verweis auf ein internationales Konzept stattfindet.
Daher präferieren wir derzeit innerhalb der deutschen Debatte, trotz der dargestellten
Unzulänglichkeiten, für die Begriffswahl „rechte Gewalt“. Er bildet sprachtechnisch den Rahmen für
alle Betroffenengruppen und setzt kein geschlossenes (neo)nazistisches Weltbild als Tatmotivation
7
voraus. Er stellt auf die ideologische Verortung der Tat ab, bezieht sich auf den historischen und
gesellschaftlichen Kontext der deutschen Debatte. Allerdings mangelt es ihm an Begriffsschärfe und
Wahrnehmbarkeit von und durch Betroffenengruppen.
Die Begrifflichkeit, aber nicht die inhaltliche Bedeutung von „Hate Crimes“ oder auch der deutschen
Übersetzung von „Hassverbrechen“, lehnen die Beratungsstellen ab. Auch wenn er im
internationalen Kontext am weitesten verbreitet ist und von zahlreichen Organisationen verwendet
wird, so beschreibt er die Problemlage unzureichend und ist nur aus seiner Entstehungsgeschichte in
den Vereinigten Staaten nachzuvollziehen. Rassismus sowie Vorurteile wurden psychologisiert und
darauf beruhende Straftaten als Ausdruck eines pathologischen und affektiven Aussetzens des
Verstands angesehen.9 Durch den Begriff des Hasses wird versinnbildlicht, dass der Täter das Opfer
hasst, womit jene Taten ausgeblendet werden, die ohne Gefühlsregung kalt und unemotional
begangen werden. Darüber hinaus verleitet der Begriff der „Hasskriminalität“ aufgrund seines
internationalen Bezugsrahmens dazu rechtsmotivierte Gewalttaten im Bewusstsein der Öffentlichkeit
in den Hintergrund treten zu lassen und lenkt damit vom eigentlichen Kern des Problems ab.
Der Begriff „Hasskriminalität“ beschreibt aus den genannten Gründen das Phänomen nur
unzureichend, weshalb „Vorurteilskriminaliät“ als die treffendere Formulierung erscheint. Der Begriff
der „bias crimes“ wurde Anfang der 1990er Jahre eingeführt, konnte sich aber bisher nicht gegen den
ursprünglichen Begriff durchsetzen. Zwar gibt es auch am Begriff des Vorurteils viel Kritik, dennoch
ist er weitaus weniger psychologisiert und pathologisiert als der des Hasses. Auch hier besteht das
Problem der tendenziellen Individualisierung eines gesellschaftlichen Phänomens.
Für den internationalen Kontext plädieren die Beratungsstellen wenn auch nicht in völliger
Überzeugung, mangels besserer Alternativen für den Begriff „bias crimes“, da er die Problemstellung
besser umreisst und international bereits eingeführt ist.
Die Autorin ist Juristin (Ass. iur.) und seit 2008 in der Beratungsstelle für Betroffene rechtsmotivierter
und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V. tätig. Derzeit promoviert sie zum Thema der
strafrechtlichen Bewertung rechtsmotivierter Gewalttaten. Für ihre Forschungsarbeit erhält sie ein
Promotionsstipendium der „Hans-Böckler-Stiftung“.
9
Eine ausführliche Darstellung der Psychologisierung von Rassismus und den damit verbunden gesellschaftlichen Folgen findet
sich bei: Aydin, Öykü Didem, Die strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von
Amerika, S. 22, 2006
8
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