Wissen und Gesellschaft I Einführung in die analytische

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Wissen und Gesellschaft I
Einführung in die analytische Wissenschaftstheorie
Prof. Dr. Jörg Rössel
Ablaufplan
1. Einleitung: Was ist Wissenschaft(stheorie) überhaupt?
2. Was sind wissenschaftliche Theorien?
2.1. Einige Definitionen und Präzisierungen
2.2. Formalisierung: Logik und Mathematik
2.3. Werturteile und wissenschaftliche Theorien
3. Welche Rolle spielen wissenschaftliche Theorien in Erklärungen?
3.1. Deduktiv-nomologische Erklärungen
3.2. Induktiv-statistische Erklärungen
3.3. Alternative Erklärungsmodelle (Teleologische Erklärungen, Funktionalismus, Mechanismen)
3.4. Der Informationsgehalt von Theorien
3.5. Erklärungen in der Soziologie: Individualistisch oder kollektivistisch?
4. Lassen sich allgemeine Theorien empirisch prüfen oder bestätigen?
4.1. Ausgangspunkt: (Logischer) Empirismus
4.2. Das Basissatzproblem und die Theoriebeladenheit von Beobachtungen
4.3. Das Induktionsproblem
4.4. Sind empirische Evidenzen blosse Konstruktionen?
4.5. Harte Fakten? Experimentalismus und Naturalismus
4.6. Moderne Bestätigungstheorie: Bayesianismus
4.7. Die Beurteilung sozialwissenschaftlicher Theorien
5. Wie entwickeln sich wissenschaftliche Theorien?
5.1. Nochmal: (Logischer) Empirismus
5.2. Kritischer Rationalismus
5.3. Paradigmen und wissenschaftliche Revolutionen
5.4. Neuere Ansätzen zur Wissenschaftsentwicklung
2.2. Formalisierung: Logik und Mathematik
1. Argumente
2. Aussagesätze
3. Gültigkeit, Schlüssigkeit, Wahrheit
4. Aussagenlogik
4.1. Vorklärungen
4.2. Wahrheitsfunktionale Verknüpfungen
4.3. Aussagenlogische Form
4.4. Logische Wahrheit, Falschheit
5. Vor- und Nachteile der Formalisieurng
1. Argumente
Will man in der Philosophie oder in den empirischen Wissenschaften bestimmte Thesen
begründen, dann benötigt man gute Argumente.
Ein Argument ist eine Folge von Aussagesätzen, mit der der Anspruch verbunden ist,
dass ein Teil dieser Sätze (die Prämissen) einen Satz der Folge (die Konklusion) in dem
Sinne stützen, dass es rational ist, die Konklusion für wahr zu halten, falls die Prämissen
wahr sind.
Beispiele:
Alle Soziologen sind Menschen.
Alle Menschen sind schlafbedürftig.
Also: Alle Soziologen sind schlafbedürftig.
Da nun der Krieg mit den Grenznachbarn ein Übel und der Krieg mit den Thebanern ein
solcher gegen Grenznachbarn ist, so ist es offenbar ein Übel, mit den Thebanern zu
kriegen (Aristoteles).
Verbesserte Form:
Der Krieg gegen Grenznachbarn ist ein Übel.
Der Krieg gegen die Thebaner ist ein Krieg gegen Grenznachbarn.
Also: Der Krieg gegen die Thebaner ist von Übel.
 Prämissen und Konklusion explizit formuliert, stehen separiert (Normalform).
 Alltagssprachliche Beispiele müssen häufig rekonstruiert werden.
2. Aussagesätze
Argumente sind Folgen von Aussagesätzen. Was aber sind Aussagesätze?
(1) Schon wieder Trutenschnitzel mit Trockenreis!
(2) Wie ist die kommunale Abstimmung vorgestern ausgegangen?
(3) Würden Sie mir bitte zeigen, wie ich vom Universitätshauptgebäude nach Oerlikon
komme.
(4) Der Uri-Rotstock ist 2928 Meter hoch.
Eine Aussage ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist (tertium non datur).
Empirische Feststellbarkeit?  Ist nicht für Definition von Aussage relevant!
„Wahr“ und „Falsch“ heissen in der Logik Wahrheitswerte.
Probleme:
Vage Aussagen: Der Uri-Rotstock ist hoch.
Indexikalische Ausdrücke (Bezug zum Äusserungskontext): Heute ist mir heiss.
Synthetische versus analytische Aussagen
(1) Zürich hatte am 31.12.2009 382906 Einwohner.
(2) Ein Schimmel ist ein weisses Pferd.
Die Wahrheit von Satz 1 ergibt sich aus der Realität  synthetische Aussage
Die Wahrheit von Satz 2 ergibt sich aus der Bedeutung der enthaltenen Ausdrücke 
analytische Aussage
3. Gültigkeit, Schlüssigkeit, Wahrheit
Ein Argument heisst genau dann gültig (korrekt), wenn es tatsächlich rational ist, die
Konklusion für wahr zu halten, falls die Prämissen wahr sind.
Alle Wale sind Fische.
Alle Delfine sind Wale.
Also: Alle Delfine sind Fische.
 Ob also die Prämissen wahr sind, spielt für die Gültigkeit (Korrektheit) des
Arguments keine Rolle!
 Die Bedeutungen der Begriffe sind für die Korrektheit (Gültigkeit) des Schlusses
unwesentlich!
Alle A sind B.
Alle C sind A.
Also: Alle C sind B.
 Die Gültigkeit von Schlüssen hängt von Wörtern wie „alle“ oder „einige“ ab.
Einige A sind B.
Einige C sind A.
Also: Einige C sind B.
Einige Pflanzen sind Fleischfresser.
Einige Gräser sind Pflanzen.
Also: Einige Gräser sind Fleischfresser.
Ein Argument heisst schlüssig genau dann, wenn es gültig ist und alle seine Prämissen
wahr sind.
Ein Aussagesatz ist wahr genau dann, wenn das, was er besagt, der Fall ist.
Alle Wale sind Säugetiere.
Alle Delfine sind Wale.
Also: Alle Delfine sind Säugetiere.
Aber:
Zermatt liegt am Matterhorn und hat mehr als 1000 Einwohner.
Also: Zermatt liegt am Matterhorn.
4. Aussagenlogik
4.1. Vorklärungen
Alle Bestandteile einer Aussage, die für die Gültigkeit von Schlüssen relevant sind,
sollen zur logischen Form der Aussage gehören. Dementsprechend gehören die
irrelevanten Bestandteile zum logischen Inhalt (siehe Abschnitt 3).
Die logische Form gewinnt man durch Abstraktion vom Inhalt (Satzbuchstaben).
Aussagen können verknüpft werden.
Die Bahn kam zu spät, weil der Fahrer eingeschlafen ist.
Das Schnebelhorn ist 1292 Meter hoch und Zürich ist die grösste Stadt der Schweiz.
 Die Wahrheit von wahrheitsfunktionalen (extensionalen) Aussageverknüpfungen
hängt allein von den Wahrheitswerten der Teilaussagen ab.
4.2. Wahrheitsfunktionale Verknüpfungen
Konjunktion
(A1) Das Schnebelhorn ist 1292 Meter hoch und (A2) Zürich ist die grösste Stadt der
Schweiz.
A1
A2
A1∩ A2
w
w
w
w
f
f
f
w
f
f
f
f
Aber: Die Ärztin gab Hand ein Medikament, und Hans wurde gesund.
Adjunktion/Disjunktion (einschliessendes oder)
(A1) Das Soziologische Institut hat seinen Standort in Oerlikon oder (A2) Urs rennt
einen Marathon.
A1
A2
A1 v A2
w
w
w
w
f
w
f
w
w
f
f
f
Negation
Es ist nicht der Fall, (A1) dass Statistik langweilig ist.
A1
¬A1
w
f
f
w
Konditional
Wenn eine Person zur Arbeiterklasse gehört, dann wählt sie Arbeiterparteien.
A1
A2
A1 → A2
w
w
w
w
f
f
f
w
w
f
f
w
Bikonditional
Ich bin genau dann (dann und nur dann) zufrieden, wenn Sie diese Lehrveranstaltung
erfolgreich absolvieren.
A1
A2
A1 ↔ A2
w
w
w
w
f
f
f
w
f
f
f
w
4.3. Aussagenlogische Form
Eine aussagenlogische Form einer Aussage entsteht durch Abstraktion von den
Teilaussagen, die wahrheitsfunktional verknüpft sind, oder vom Sinn der ganzen
Aussage; jedoch gehören Gleichheit und Verschiedenheit der betrachteten Aussagen mit
zur AL Form.
 Satzbuchstaben: p und q
Intensionale Interpretation: Zuordnung von Aussagen zu Satzbuchstaben
Extensionale Interpretation: Zuordnung von Wahrheitswerten zu Satzbuchstaben.
Die Ermittlung des Wahrheitswertes einer extensional interpretierten aussagenlogischen
Formel heisst Wahrheitswertanalyse.
4.4. Logische Wahrheit, Falschheit
Eine aussagenlogische Formel heisst logisch wahr (oder gültig), genau dann, wenn sie
für alle extensionalen Interpretationen wahr ist.
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.
→
p
(q
v
¬q)
Eine aussagenlogische Formel heisst logisch falsch, genau dann, wenn sie für alle
extensionalen Interpretationen falsch ist.
Hans ist blond und Hans ist nicht blond.
p
∩
¬p
 Logik erlaubt eine formale und präzise Analyse von Aussagenverknüpfungen (und
damit Argumentationen).
5. Vor- und Nachteile der Formalisierung
a) Wissenschaft ist ein sprachliches Phänomen, daher sind gute und klare Argumente
zentral
b) Klassische Vorstellungen von Theorie- und Erklärungsstruktur basieren auf formaler
Logik
c) Theorien bestehen aus logisch verknüpften Aussagen: Die Verständlichkeit und
Präzision dieser Verknüpfungen wird durch Formalisierung vergrössert.
d) Die Ableitung von spezielleren Gesetzen und Hypothesen wird vereinfacht.
(Behauptet die Theorie etwas wirklich?)
e) Klärung der Theoriestruktur
ABER: Verschleierung!
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