Korrektur einer Diffamierung

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Peter Steinbach
Korrektur einer Diffamierung
D
ie Geschichte von Hedwig Porschütz
ist viel bekannter als ihr Name und ihr
Schicksal nach ihrer Befreiung von der NSHerrschaft. Denn immer wieder wurde in
den Erinnerungen untergetauchter Berliner
Juden geschildert, dass und wie sie ihr
Überleben im Untergrund auch einer Prostituierten verdankten. In Jo Baiers Verfilmung der Erinnerungen von Michael Degen
spielt sogar eine Puffmutter eine wichtige
Rolle. Auch Inge Deutschkron überliefert,
dass den Schützlingen von Otto Weidt, der
eine Blindenwerkstatt nutzte, um Verfolgte
zu retten, von einer Prostituierten geholfen
wurde.
Otto Weidt hatte Hedwig Porschütz Anfang 1943 als Stenotypistin eingestellt, vermutlich, damit sie eine Arbeitsstelle vorweisen konnte, um der vorgeschriebenen »Arbeitspflicht« zu entgehen. Sie war sehr erfahren beim Organisieren von Lebensmitteln auf dem Schwarzmarkt. Weidt brauchte
diese Schwarzwaren, um Lebensmittelpakete nach Theresienstadt zu verschicken, aber
auch, um Gestapo-Beamte zu bestechen.
Porschütz konnte gefälschte Ausweise besorgen und half so, Inge Deutschkron zu retten. Johannes Tuchel hat akribisch ihren
Rettungswiderstand untersucht,1) indem er
alle Aktionen, an denen sie beteiligt war, rekonstruierte. Dies war Voraussetzung für
eine Ehrung im Berliner Gedenktafelprogramm. Wo sich früher Porschütz’ Wohnung
befand, ist nun zu lesen: »In den Jahren
1943 und 1944 versteckte sie in ihrer Woh-
1
) Johannes Tuchel, Hedwig Porschütz: Die Geschichte
ihrer Hilfsaktionen für verfolgte Juden und ihrer Diffamierung nach 1945, Berlin: Museum Blindenwerkstadt
Otto Weidt 2010.
nung in der Alexanderstraße 5 mehrere Jüdinnen und bewahrte diese damit vor der
Deportation in ein Vernichtungslager.« Tuchel knüpft nicht nur an ein bewegendes
Buch an, das 1996 von Inge Deutschkron
unter dem Titel »Sie blieben im Schatten«
veröffentlicht wurde. Er leistet auch eine besondere Wiedergutmachungsarbeit, weil er
die Hintergründe eines entehrenden Urteils
aufklärt und die benennt, die Hedwig Porschütz unverhältnismäßig hart verurteilt
hatten. Nicht nur die Opfer erhalten einen
Namen, sondern auch ihre Blutrichter.
Inge Deutschkron, die früh an Hedwig
Porschütz erinnerte, schuf die Voraussetzungen für die Bewahrung der Blindenwerkstatt
von Otto Weidt am Hackeschen Markt in
Berlin-Mitte als einem der wichtigsten authentischen Berliner Erinnerungsorte. Sie
gründete den Förderverein »Blindes Vertrauen« und trieb die Errichtung einer Gedenkstätte zur Würdigung der Leistung
jener »Stillen Helfer« voran, also der wenigen »Gerechten der Völker«, die bedrängten
Juden halfen, der Deportation und ihrem sicheren Tod zu entgehen. Sie riskierten zugleich ihr Leben. Nach dem Krieg tat man
sich mit der Anerkennung dieser »unbesungenen Helden« schwer, denn der Bundesgerichtshof hatte nur Taten als Widerstand anerkannt, die »aus dem Zentrum der Macht
heraus« den Umsturz des Gesamtsystems
anstrebten. Dies führte zur Abwertung des
im Alltag bewiesenen Widerstands, wie ihn
vor allem jene Frauen und Männer leisteten,
die fest davon überzeugt waren, dass die
Rettung eines einzigen Menschenlebens
den Einsatz des eigenen Lebens nicht nur
verlange, sondern sogar lohne. In den sechziger Jahren wurde dieses Urteil, das die
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Handlung der Eliten besonders hervorhob,
korrigiert. Nun ging es um Zivilcourage, um
die Bereitschaft, Gefahren und Nachteile in
Kauf zu nehmen, und um die Selbstverständlichkeit, Bedrängten beizustehen –
auch unter größten Risiken.
Hedwig Porschütz, die um die Jahrhundertwende in Berlin-Schöneberg als Tochter
eines Arbeiters zur Welt kam, arbeitete nach
dem Besuch der Handelsschule als Bürokraft. Erstmals wurde sie 1934 wegen angeblicher Erpressung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ihr Mann, der 1940 zur
Wehrmacht eingezogen worden war, war offensichtlich Nationalsozialist. Vermutlich
kam es zu einer Entfremdung zwischen den
Eheleuten.
Porschütz gehörte vom Herbst 1941 an zu
einem Netzwerk von Menschen, die nur ein
Ziel hatten: Juden vor der Vernichtung zu
bewahren. So organisierte sie Quartiere, bot
in ihrer Wohnung oftmals Bedrängten Unterschlupf, beschaffte Lebensmittel und half
Otto Weidt, dem Bürstenfabrikanten vom
Hackeschen Markt, Pakete nach Theresienstadt zu schicken. Offensichtlich hatte ihr
einer der Bekannten, ein Soldat, der sie regelmäßig besuchte, »Reise- und Urlaubsmarken« ausgehändigt, also eine besondere
Art von Lebensmittelmarken für Soldaten
auf Heimaturlaub, die eingetauscht und auf
dem Schwarzmarkt umgesetzt wurden. Das
ging mehr als zwei Jahre gut. Dann aber
wurde Hedwig Porschütz verhaftet und
wegen Schwarzmarkthandels zu einer eineinhalbjährigen Zuchthausstrafe verurteilt,
die sie in Jauer in einem »Außenzuchthaus«, einem Arbeitslager, verbüßen sollte.
Das Sondergericht lastete ihr überdies an,
»wahllos Umgang mit Männern unterhalten« zu haben, leitete aus dieser Feststellung
aber keine Verschärfung der Strafe ab.
Daraus wird deutlich, dass die Unterstellung, gewerblicher Prostitution nachgegangen zu sein, erst viel später Bedeutung
erlangte. Denn jeder Antrag auf Wiedergutmachung, auf finanzielle Unterstützung
oder auf moralische Anerkennung als »unbesungene Heldin« wurde von den Berliner
Behörden nach dem Krieg abgelehnt. Eine
Sachbearbeiterin des Berliner Entschädigungsamtes deutete 1959 sogar an, dass eine
»Anerkennung ohne weiteres in Frage
käme«, wenn nicht »die Begleitumstände
zur Beschaffung der Lebensmittel auf ein
derart niedriges sittliches und moralisches
Niveau« der Antragstellerin schließen ließen, dass eine Ehrung ausgeschlossen sei.
Das Urteil des Sondergerichts wirkte offensichtlich noch Jahre später. Es wurde sogar
verschärft, denn die Sonderrichter hatten im
Oktober 1944 in ihrer Urteilsbegründung lediglich den »wahllosen Umgang mit Männern« konstatiert. Daraus wurde fünfzehn
Jahre später ein »wahlloser Umgang mit
fremden Männern«. Das Ergebnis dieser
moralischen Indifferenz von Bürokraten
war, dass Hedwig Porschütz weder als »politisch Verfolgte« noch als »unbesungene
Heldin« anerkannt wurde. Ihr Ehemann
nahm übrigens nach dem Krieg an ihrem angeblich unsittlichen Lebenswandel keinen
Anstoß – vielleicht hatte er das Gefühl,
seine Unterstützung der Nationalsozialisten
sei eher als gravierender moralischer Fehltritt zu bewerten als die Lebensumstände
seiner Frau, die den von ihr so mutig bewiesenen vielfachen »Rettungswiderstand« erst
ermöglicht hatten.
Besser als Hedwig Porschütz erging es
ihren Richtern. Sie wurden trotz ihrer Beteiligung an zahlreichen Todesurteilen wieder
in den Justizdienst übernommen und erinnerten sich angeblich an nichts, nicht einmal
an fast einhundert Todesurteile, die sie verantworteten. Landgerichtsrat Joachim Wehl
erklärte, die von ihm ausgesprochenen Todesurteile hätten sich nur gegen Täter aus
dem Umkreis der Beschaffungskriminalität
gerichtet. »Harte Zeiten, harte Urteile«,
mehr fiel ihm 1980 nicht dazu ein. Bevor er
den Dienst quittierte, konnte er durchsetzen,
dass ihm das Höchstruhegehalt gezahlt
wurde.
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Hedwig Porschütz hingegen endete als
Sozialfall. Sie starb in einem Schöneberger
Altersheim im Alter von 77 Jahren. Im Jahre
2010 aber wurde sie durch den Berliner
Staatssekretär André Schmitz geehrt. Das zumindest unterscheidet sie von ihren Richtern.
Das Urteil des Berliner Sondergerichts aber
ist bis heute nicht aufgehoben worden. Dabei
steht zweifelsfrei fest, dass der Schwarzhandel es ermöglichte, Lebensmittel für Unter-
getauchte zu beschaffen. Klug alle sich bietenden Möglichkeiten nutzend, hatte Porschütz Männerbekanntschaften geschlossen,
um an Lebensmittelkarten zu kommen. Diejenigen, die die Justiz als »Freier« bezeichnet
hatte, verriet sie nicht. Inzwischen hat der
Förderverein »Blindes Vertrauen« bei der
Berliner Staatsanwaltschaft beantragt, das
Urteil aufzuheben. Korrektur einer Diffamierung als Ehrenrettung.
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