Buch 10. TF Inhalt - Columbia Business School

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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
2.2
Der Handel als Marke –
Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
von Univ.-Prof. Dr. Anton Meyer
Handel und Marke: Zurück zur Vergangenheit?
Handelsunternehmen sehen sich in der heutigen Zeit grossen Herausforderungen
gegenüber. Ihre Branchen sind gekennzeichnet durch einen hohen Konzentrationsdruck, schwindende Margen und eine hohe Preissensibilität der Kunden. Dies zeigt
sich in heftigen Preiskämpfen, die die Situation vieler Handelsunternehmen zunehmend verschlechtern.
Um auch zukünftig einen dauerhaften Markterfolg zu sichern, soll die Möglichkeit,
Handelsunternehmen als Marke zu etablieren, im Folgenden diskutiert werden.
Und dies ist gar nicht so neu:
• Tante Emma als Marke
Eine erste Entwicklungsstufe von Marken im Handel waren die „Tante Emma“-Läden,
die bis weit in die Mitte dieses Jahrhunderts das Bild des Handels prägten. „Tante
Emma“ war eine Persönlichkeit, sie führte das Geschäft, sie kannte ihre Kunden, und
ihr Verhalten trug wesentlich zur Profilierung des Geschäfts bei. Ihr Geschäft war
nicht nur eine Institution in einem Stadtviertel oder einem Dorf, sondern es hatte,
geprägt durch „Tante Emma“ selbst, ein spezifisches Aussehen – ein Gesicht –, es war
für die Kunden unverwechselbar. Diese Eigenschaften machten solche Läden einmalig. Der Einkauf bestand auch aus einem persönlichen Dialog zwischen dem Kunden
und dem Geschäftsinhaber. Aus der wissenschaftlichen Perspektive war „Tante
Emma“ die zentrale und oft die erste echte Marke im Handel. Sie war einmalig, unverwechselbar, bot einen Dialog an und unterschied sich grundlegend von anderen
Geschäften.
• Brand-Retailer als Verteiler von Markenartikeln
Viele „Tante Emma“-Läden wurden verdrängt durch die Einführung der Selbstbedienung und die zunehmende Mobilisierung der Bevölkerung. Hier stand besonders
die Kosteneffizienz im Vordergrund, und die führte langsam zu einem „Aussterben“
der „Tante Emma“-Läden. Der neuen Konkurrenz von grossflächigen, meist filialisierten Läden waren sie einfach nicht gewachsen. 500 bis 1000 „Tante Emma“-Läden
verschwinden pro Jahr aus der deutschen Handelslandschaft, sodass von 41.149 Geschäften im Jahre 1970 in 1998 nur noch 10.420 existierten.1
1
Vgl. o.V.: Tante-Emma-Läden sterben aus, in: Berliner Morgenpost, 16.07.1999.
13
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Mit der Einführung der Selbstbedienung nahm auch die Bedeutung von verpackten
Konsumgütern, die durch die Werbung vorverkauft wurden, zu; immer mehr Markenartikel fanden den Weg in die Regale der Lebensmittelgeschäfte. Diese Entwicklung
hat dazu geführt, dass der Kunde mit einer immer grösseren Auswahl von Produkten
konfrontiert war und „Tante Emma“ – an die Kasse verbannt – keinen Einfluss mehr
auf die Kaufentscheidung nehmen konnte. Der persönliche Dialog wurde zunehmend
zu einem Dialog zwischen den Markenartikeln und den Verbrauchern. Damit verlor
der Handel die Dialogführerschaft und die existierende Bindung der Verbraucher. Der
Handel wurde damit zu einem Brand-Retailer oder anders ausgedrückt eine
Distributionsstelle für Markenartikel. Dieses Rollenverständnis des Handels schlug
sich auch in der Gestaltung der Läden nieder. Bei einem Blick durch die Gänge fragt
sich der eine oder andere Verbraucher gelegentlich schon: „In welchem Laden bin ich
eigentlich gerade?“ (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Immer mehr Markenartikel ins Sortiment!
14
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Es waren nicht mehr die Lebensmitteleinzelhändler, beziehungsweise ihre Läden, die
sich voneinander unterschieden, sondern bestenfalls die dargebotenen Markenartikel.
Das Ergebnis: Mit der Rationalisierung durch die Einführung der Selbstbedienung
haben viele Händler einen grossen Teil ihrer Markenführerschaft, und damit auch der
Marketingführerschaft an die Hersteller von Konsumgütern, verloren.
• Retail-Brands: Die geeignete Antwort?
Vielen Lebensmitteleinzelhändlern blieb diese Entwicklung natürlich nicht verborgen,
und sie reagierten darauf mit der Einführung von Handelsmarken, mit Produkten also,
die unter dem Namen des Händlers oder einer ihm gehörenden Marke verkauft werden und – meist preiswert – das Sortiment der Markenartikel abrunden. Damit ging
die Entwicklung etwas weg vom reinen Brand-Retailer hin zu den so genannten
Retail-Brands. Zwei Fragen sollte sich jeder Verantwortliche im Handel hinsichtlich
der Positionierung vieler Retail-Brands allerdings stellen: „Sind die Handelsmarken
auch starke Marken?“ und „Können die Handelsmarken einen entscheidenden Beitrag
zur Profilierung und Positionierung des eigenen Geschäfts im Vergleich zur
Konkurrenz leisten?“
Damit haben wir den Status quo vieler Handelsunternehmen erreicht. Wie geht es
angesichts des Profilierungsdefizits vieler Handelsunternehmen weiter? 2 Wenn man
die aktuellen Rahmenbedingungen betrachtet, besteht zukünftig ein grosser Bedarf,
sich stärker von der Konkurrenz zu differenzieren und zu profilieren. Aus der Perspektive der Marke und des Marketing könnte man provokativ die Frage stellen:
„Geht es wieder zurück zu Tante Emma?“
• Branded Retailer: Die Zukunft?
Sind die profilbildenden Persönlichkeitsmerkmale von „Tante Emma“ wieder gefragt?
Aus Verbrauchersicht gibt es die meisten Markenartikel fast überall, und Handelsmarken – wenn auch nicht dieselben – sind auch bei fast jedem Lebensmitteleinzelhändler erhältlich. Vielleicht könnte von „Tante Emma“ eines gelernt werden: Es ist
entscheidend, sich von der Konkurrenz zu differenzieren. Dies kann am besten durch
den Aufbau einer starken Markenpersönlichkeit gelingen.
In der Realität kann der Verdacht aufkommen, dass viele Händler bewusst nicht ihren
guten Namen für ihre Handelsmarken wählen und sich auch in der Gestaltung und
Vermarktung ihrer Läden kaum von der Konkurrenz unterscheiden wollen. Vielleicht
könnte man sogar vermuten, dass so etwas wie Branded Retailer – Händler, die eine
starke Marke sind – nur an den extremen Rändern erkannt werden. Im so genannten
Niedrigpreissegment könnte hier Aldi, im Hochpreissegment könnten Dallmayr oder
Käfer in München genannt werden.
2
Vgl. Hupp, O.: Markenpositionierung: Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des
Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, in: planung & analyse, 2/2000, S. 38
15
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Lassen Sie uns nun folgenden zentralen Fragen nachgehen: „Sind Branded Retailer
eine Erfolg versprechende Antwort auf die Herausforderungen des Handels?“ und
„Was macht einen Branded Retailer aus?“
Sechs zentrale Herausforderungen für den Handel
• Steigender Wettbewerbsdruck
Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel ist seit Jahren einem hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt.3 Dies machen u. a. auch die sinkenden Ausgaben der Haushalte für
Nahrungs- und Genussmittel deutlich. Betrug der Anteil am privaten Verbrauch im
Jahre 1960 noch 40 %, so sinkt dieser Anteil seitdem beständig und lag 1997 bereits
bei nur noch 19 %. Für das Jahr 2010 werden die Ausgaben für Nahrungs- und
Genussmittel auf unter 17 % des privaten Verbrauchs prognostiziert.4 Diese Entwicklung führt natürlich zu einer Verschärfung des Wettbewerbs um Marktanteile.
Abbildung 2: Steigender Wettbewerbsdruck
Quelle: Kliger, M.: Home Meal Replacement als Herausforderung und Chance für
die Lebensmittelindustrie, in: akzente, 5/99, S. 22-27
Und auch branchenfremde Anbieter machen dem Lebensmitteleinzelhandel Marktanteile streitig. Abbildung 2 macht deutlich, dass wir es nicht nur mit abnehmenden
Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel zu tun haben, sondern gleichzeitig der
Anteil des Ausser-Haus-Verzehrs an den Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel
stetig steigt. Das so genannte „Home-Meal-Replacement“, das alle Angebote, die das
3
4
Vgl. Goerdt, T.: Die Marken- und Einkaufsstättentreue der Konsumenten, in: absatzwirtschaft, 6/2000, S. 58.
Vgl. Kliger, M.: Home Meal Replacement als Herausforderung und Chance für die Lebensmittelindustrie, in:
akzente, 5/99, S. 22.
16
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
selbst zubereitete Essen ersetzen können, umfasst, hat seinen Anteil von nur 6 % im
Jahre 1960 auf 29 % in 1997 gesteigert. Die Prognosen für das Jahr 2010 sehen gar
einen Anstieg auf über 50 % vor.5 Während der Markt des Lebensmitteleinzelhandels
schrumpft, decken die Verbraucher ihren Bedarf zunehmend bei Anbietern wie
McDonalds, Coffee-Shops oder Pizza-Services. Den Verbrauchern bieten diese Anbieter einen grossen Vorteil: Ihre Produkte erreichen den Verbraucher dort, wo sein
Bedarf auch wirklich entsteht, und decken ihn unmittelbar. Als „Service-Provider“ für
Lebensmittel beziehungsweise den Sofortverzehr erleichtern sie den Verbrauchern das
Leben. Deswegen sind sie in einem Marktsegment tätig, das im Vergleich zum
Segment des klassischen Lebensmitteleinzelhandels stark wächst. Können und sollten
nicht auch die Lebensmitteleinzelhändler mit ihrer eigenen Marke und ihrem Angebot
in der richtigen Form zur richtigen Zeit und am richtigen Ort präsent sein, wo der
Bedarf der Verbraucher (Point of Consumption) entsteht?
• Differenzierungslücke
Auch wenn Verbraucher die Unterschiede zwischen den Betriebsformen Discounter,
Verbrauchermarkt, Supermarkt und SB-Warenhaus durchaus wahrnehmen, sind für sie
innerhalb dieser Betriebsformen oft kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Anbietern festzustellen (vgl. Abbildung 3).
Eine Differenzierung kann – wie schon oben erwähnt – nur an den Rändern festgestellt
werden. In der Untersuchung Hupps6 kann alleine Aldi eine Alleinstellung erreichen. Die
anderen berücksichtigten Lebensmitteleinzelhändler unterscheiden sich in der Wahrnehmung des Verbrauchers innerhalb der jeweiligen Betriebsformen meist nur marginal.
Abbildung 3: Differenzierungslücke des LEH
Quelle: Hupp, O.: Markenpositionierung, in: planung & analyse, 2/2000, S. 40
Vgl. Kliger, M.: Home Meal Replacement als Herausforderung und Chance für die Lebensmittelindustrie, in:
akzente, 5/99, S. 22.
6
Vgl. Hupp, O.: Markenpositionierung: Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des
Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, in: planung & analyse, 2/2000, S. 38.
5
17
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn man die Ladengestaltung und die Kommunikation vieler Handelsunternehmen analysiert (vgl. die im Vortrag gezeigten
Beispiele). Denn meistens werden starke Herstellerunternehmen aus dem Sortiment in
den Mittelpunkt gestellt. Die Chance, diese Kundenkontaktpunkte zu nutzen, um die
eigene Marke im Evoked Set der Verbraucher stärker zu platzieren, wird damit zu
wenig genutzt. Handelsunternehmen, die das oben genannte Differenzierungsdefizit
bereits erkannt haben, versuchen derzeit, sich oft weniger über die Marke als vielmehr
über eine offensive Niedrigpreispolitik von der Konkurrenz abzugrenzen. Diese
Einseitigkeit der Profilierung hat zu dem heute beobachtbaren Preiskampf innerhalb
des Lebensmitteleinzelhandels geführt.
• Preisfalle
Jeder Lebensmitteleinzelhändler, der sich aktiv an diesem Preiskampf beteiligt, muss
sich folgende Fragen stellen: Kann der Preis wirklich zur Differenzierung gegenüber
den Wettbewerbern dienen? Ist der günstige Preis wirklich eine Begeisterungsdimension, die einen strategischen Wettbewerbsvorteil schafft?
Bei genauer Betrachtung sind die Preisunterschiede zwischen vielen Anbietern nur
minimal, und der Preis ist längst zu einem Hygienefaktor geworden. Ein günstiger
Preis wird von den Verbrauchern einfach erwartet. Eine wirkliche Differenzierung
über den Preis wird fast unmöglich.7 So ist es oft nur eine Frage von Tagen oder
Stunden, bis das gerade günstigste Angebot durch einen Konkurrenten unterboten
oder mindestens erreicht wird. Natürlich reagieren viele Verbraucher auf solche
Preisaktionen – Stichwort „Smart Shopping“ – und wählen die gerade günstigste
Einkaufsstätte. Der „Teufelskreis“ einer solchen abwärts gerichteten Preisspirale – an
der sich fast alle Anbieter der Lebensmittelbranche beteiligen – fördert die Angleichung der Anbieter im Kopf der Verbraucher und macht sie zunehmend austauschbarer. In diesem Zusammenhang kann auch von einer Entpersönlichung des
Handels gesprochen werden, mit der Folge einer abnehmenden emotionalen Bindung
der Verbraucher an bestimmte Einkaufsstätten.8 Eine echte USP (Unique Selling
Proposition) kann der Preis immer nur für einige wenige Anbieter darstellen, und
damit befinden wir uns wieder an den „Rändern“: Denn Aldi hat es wahrscheinlich als
einziges Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels geschafft, den Preis mit einer
hohen Emotionalität zu verbinden, und sich das Image als Preisführer „gesichert“.
Und natürlich muss er diese Positionierung auch mit aller Kraft verteidigen. Durch
Angebote wie PCs und Champagner zu günstigsten Preisen konnte sich Aldi eine
Positionierung als der Niedrigpreisanbieter festigen.
Wenn eine langfristige Kundengewinnung und -bindung für viele Anbieter alleine
über den Preis nicht möglich ist, ist es für die Mehrzahl der Lebensmitteleinzelhändler
unabdingbar, sich in der Wahrnehmung der Verbraucher über andere eigenständige,
unverwechselbare Leistungsmerkmale zu positionieren und sich auf dieser Basis als
eine starke Marke zu profilieren.
Vgl. Hupp, O.: Markenpositionierung: Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des
Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, in: planung & analyse, 2/2000, S. 38.
8
Vgl. Meyer, A./Brauer, W.: Handelsbetriebe als Marke – Die Markenpolitik als Instrument zur
Betriebstypenprofilierung, in: Bruhn, M. (Hrsg.): Handbuch Markenartikel, Band 3, Stuttgart 1994, S. 1619.
7
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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
• Imagelücke
Neben objektiv messbaren und nachvollziehbaren Leistungsvorteilen können auch
subjektiv wahrgenommene Leistungsvorteile die Quelle von Wettbewerbsvorteilen
sein. Sie entstehen im Kopf der Verbraucher und prägen das Image eines Unternehmens. Einem Grossteil der deutschen Lebensmitteleinzelhändler ist es bislang allerdings nicht gelungen, ein eigenständiges, positives Image aufzubauen.9 Eigentlich
müsste – ausgehend von den niedrigen Preisen, der Vielzahl von Sonderangeboten –
das Image des Handels ausgezeichnet sein. Trotzdem steht als Branche der Einzelund Versandhandel in der Image-Studie 2000 des Manager-Magazins mit 633 Punkten
an vorletzter Stelle.
Abbildung 4: Imagelücke (Branchen)
Quelle: Manage-Magazin, Image-Studie 2000 Imagewerte
von 0 bis 1000 (bester Wert)
Und auch wenn es um das Image einzelner Unternehmen geht, werden
Handelsunternehmen bestenfalls im Mittelfeld genannt. Offensichtlich gelingt es
nicht, positive Assoziationen bei den befragten Vorständen, Geschäftsführern und
Managern auszulösen.
9
Vgl. Boldt, K.: Imageprofile 2000, in: Manager-Magazin, 2/2000, S. 77.
19
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Abbildung 5: Imagelücke (nur ausgewählte Unternehmen)
Quelle: Manager-Magazin, Image-Studie 2000 Imagewerte
von 0 bis 1000 (bester Wert)
Während Porsche als Sieger 853 von 1000 Punkten erreicht, kommen die besten
Handelsunternehmen auf nur 739 (Aldi) beziehungsweise 713 (Tschibo) Punkte.
Eine solche Bewertung hat vor allem auch Konsequenzen auf dem so wichtigen Markt
für Führungskräfte und Mitarbeiter. Denn den zukünftigen Arbeitgeber wählt man
nicht ausschliesslich nach monetären Gesichtspunkten aus, sondern man bezieht
sicherlich auch eine Vielzahl subjektiver Imagekomponenten in die Entscheidung mit
ein. Und gerade die Mitarbeiter und ihr Verhalten gegenüber den Kunden tragen auch
wesentlich zu einem positiven Image des Unternehmens bei.10 Ein Kreis schliesst sich.
• Wahrnehmungslücke
Wann und wie erlebt ein Kunde seinen Lebensmitteleinzelhändler? Wie erleben Verbraucher ihren Lebensmitteleinzelhändler vor, während und nach dem Einkauf?
Gerade in der Vorkaufphase, in der die Entscheidung für einen bestimmten Anbieter
fällt, ist ein Grossteil der Lebensmitteleinzelhändler aus der Perspektive der Verbraucher kaum präsent. Wenn ein Grossteil der Kommunikation aus Handzetteln und
Anzeigen in den Tageszeitungen besteht, ist der Lebensmittelhandel im Wettbewerb
um die Aufmerksamkeit und Positionierung bei seinen Kunden nur schlecht gerüstet.
Denn er steht in direkter Konkurrenz zur Kommunikation grosser Markenartikelhersteller, denen es gelingt, durch emotionale Kommunikation – besonders Fernsehwerbung – im Kopf der Verbraucher wesentlich besser positioniert zu sein. Nur wenige
Handelsunternehmen sind in dieser wichtigen Entscheidungsphase mit ihren Marken,
10
Vgl. Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H.: Marketing, 3. Auflage, Berlin 1991, S. 413.
20
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
die den Verbrauchern Orientierung und Vertrauen vermitteln sollen und die die
Entscheidung für einen bestimmten Anbieter erleichtern könnten, präsent.
In der Einkaufsphase hätten sie nun die Chance, ihren Kunden ein ganzheitliches
Erlebnis ihrer Marke zu bieten. Kaum ein Markenartikel der Konsumgüterindustrie
erhält die Möglichkeit, die Verbraucher „bei sich zu Hause“ begrüssen zu dürfen. Aber
leider wird diese Chance von vielen Händlern viel zu wenig für den Marken- und
Imageaufbau genutzt. Ein Schild mit dem Logo des Lebensmittelhändlers ist für viele
Verbraucher das einzige sichtbare Zeichen, um zu erkennen, bei welchem Anbieter
man sich gerade befindet. Die Markenwahrnehmung wird auf die – und dazu noch
unzureichende – Markierung reduziert. Die vielen weiteren subjektiven Eindrücke, die
ein Verbraucher durch den Kontakt mit dem Personal und „die Atmosphäre im Laden“
gewinnt, sind nur selten auf ein ganzheitliches Markenerlebnis hin abgestimmt.
Geschäfte sollten mehr als eine reine Präsentationsfläche für das Sortiment sein: Sie
sollten die Bühne einer Marke sein und könnten den Verbrauchern eine perfekt inszenierte Erlebniswelt bieten. Wie bereits oben erwähnt, spielen in diesem Zusammenhang die richtigen Mitarbeiter eine grosse Rolle, da sie in einem hohen Mass das
Markenerlebnis bestimmen. Die Auswahl der richtigen Mitarbeiter wird gerade vor
dem Hintergrund der Marke noch entscheidender.
Die Bedeutung der Nachkaufphase für das Marketing ist bekannt, und viele Markenartikelhersteller nutzen sie auch gezielt, um kognitive Dissonanzen bei den Kunden
abzubauen und sie an das Unternehmen zu binden. Die Nachkaufphase ist durch den
Konsum der erworbenen Produkte gekennzeichnet – der Kunde befriedigt seinen
Bedarf. Und auch diese Phase wird von Lebensmitteleinzelhändlern viel zu wenig zur
Kommunikation ihrer Marke genutzt. Die Einkaufstüte und der Kassenzettel sind oft
das Einzige, was an den Einkauf noch erinnert. Bestenfalls werden die Markenartikel
und vielleicht noch die Handelsmarken wahrgenommen. Und wenn die Handelsmarken nicht bestimmten Lebensmittelhändlern zugerechnet werden können, ist die
„Marke“ in der Phase nach dem Einkauf der Produkte nicht mehr präsent. Diese
Diskrepanzen zwischen den effektiv zum Markenaufbau genutzten und den zur
Verfügung stehenden Möglichkeiten führen zu einer Wahrnehmungslücke.
• Dilemma der Handelsmarken
Das Dilemma vieler Handelsmarken wird deutlich, wenn wir uns zwei Fragen stellen:
1. Können Handelsmarken einen Beitrag zur Profilierung
eines Branded Retailers leisten?
2. Können sich Handelsmarken gegen Herstellermarken profilieren?
Wenn wir an Beispiele wie Land‘s End, Marks & Spencer und Tesco11 denken, sind
starke, professionell geführte Handelsmarken sicher in der Lage, die Marken der
Händler zu stärken. Bei diesen Beispielen gilt allerdings, dass diese Handelsmarken
21
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Abbildung 6: Das strategische Dilemma der Handelsmarken
auch nur für einen „Branded Retailer“ stehen. Ganz im Gegensatz zu Handelsmarken vieler Lebensmitteleinzelhändler. Nehmen wir das Beispiel der REWE, und diese
steht nur stellvertretend für andere in mehreren Be-triebsformen diversifizierte Anbietermarken wie Salto, Füllhorn, ja! oder Today (vgl. Abbildung 6) gibt es sowohl bei
Mini Mal und REWE als auch bei Penny Markt. Eine Profilierung einzelner Betriebsformen aber der REWE über diese Handelsmarken wird so nahezu unmöglich.
Zugleich haben sich diese Handelsmarken dann auch noch gegen die Konkurrenz und
gegen die Kommunikationsbudgets, Aufmerksamkeits- und Imagewerte von Markenartikeln durchzusetzen. Abbildung 7 zeigt sehr anschaulich das Wettbewerbsumfeld –
Abbildung 7: Das Wettbewerbsumfeld der Handelsmarke Salto
11
Vgl. Meyer, A./Fend, L./Specht, M.: Kundenorientierung im Handel, Von Globus, Land’s End, Streamline,
Tesco & Co. lernen, Frankfurt a. M. 1999.
22
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
zumindest in den Köpfen der Verbraucher, die keinen Unterschied zwischen Handelsmarken und Herstellermarken machen – dem sich beispielsweise die Handelsmarke
Salto gegenübersieht.
Kann sich Salto als eine unter vielen Handelsmarken tatsächlich gegen starke, professionell geführte Marken wie Langnese, Mövenpick oder Magnum durchsetzen?
Was sind nun Marken, und wie können Handelsunternehmen zu starken Branded
Retailern werden?
Was sind Marken? – Einige Anmerkungen zum Begriff und ihre Bedeutung
Der Begriff Marke ist ähnlich reich an unterschiedlichen Definitionen und Methoden
wie der Begriff Marketing. Ein einheitliches Verständnis konnte sich bislang noch
nicht etablieren. In Abbildung 8 sind einige Interpretationen zusammengefasst. Jede
dieser Definitionen steht für eine interessante Facette der Marke und vermittelt ein
Gefühl dafür, was man unter einer Marke verstehen kann. Die strategische Bedeutung
und Aufgabe einer professionellen Marke(nführung) heben die beiden folgenden
Definitionen hervor:
„Das Ziel der Markentechnik ist die Sicherstellung einer
Monopolstellung in der Psyche der Verbraucher.“ 12
„A product is something you sell, but a brand
is something you stand for.“ 13
Abbildung 8: Was sind Marken?
Domizlaff, H.: Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens: Ein Lehrbuch der Markentechnik,
Hamburg 1992, S. 33.
13
Zitat von Schrage, P. in: Meyer, A./Davidson, H.: Offensives Marketing, München 2001, S. 436
12
23
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Damit wird klar: Eine Marke ist mehr als ein Logo, ein einheitliches CD und eine hohe
Bekanntheit. Marken sind eine Art Business-Modell, quasi der Kern des Geschäfts,
die Alleinstellung.14
Abbildung 9: Die Marke als Business-Modell
Quelle: in Anlehnung an Hamel, G.: Leading the Revolution, Boston
(Harvard Business School Press) 2000
Eine Marke steht für eine Menge von Attributen und Eigenschaften, die Kaufentscheidungen von Kunden massgeblich beeinflussen können. Marken reichern Leistungen
mit Zusatzinformationen und Emotionen an, sie helfen Kunden, Produkte,
Dienstleistungen oder Geschäfte zu identifizieren, sie steuern die Erwartungen von
Kunden in Bezug auf Qualität, Preis, Zweck und schaffen im Idealfall Vertrauen.
Marken können Orientierung, Sicherheit und Halt geben und es Unternehmen erlauben, ihre Produkte oder Leistungen mit Zusatznutzen zu versehen und sich damit vom
Wettbewerb zu differenzieren.
Starke Marken zeichnen sich nun nicht nur durch eine einheitliche Markierung, Rückkopplungsmöglichkeiten und eine gleich bleibende oder verbesserte Qualität aus. Sie
schaffen zusätzlich eine hohe Aufmerksamkeit und eindeutige Assoziationen mit der
Marke bei Kunden, Mitarbeitern, Kapitalgebern und sonstigen Anspruchsgruppen.
Starke Marken haben eine Alleinstellung und eine „Top-of-Mind-Position“.15
Eine Marke (und ihr Wert) konkretisiert sich im Kopf des Verbrauchers. Ein Unternehmen kann nur den Input leisten, durch seine Sortiments- beziehungsweise Produkt14
15
Vgl. Aaker, D.: Building Strong Brands, New York u. a. 1996, S. 115.
Meyer, A./Davidson, H.: Offensives Marketing, München 2001, S. 437 f.
24
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
leistungen, die Preispolitik, die Kommunikation, die Ladengestaltung, das Verhalten
der Mitarbeiter etc. Verbraucher reagieren darauf und verarbeiten ihre Erfahrungen zu
einer bestimmten Einstellung und einem Bild der jeweiligen Marke.
Eine Marke wirkt für einen Kunden wie eine Art Pfand. Denn falls die Marke ihr
Versprechen nicht einlösen sollte – der Kunde also beispielsweise negative
Erfahrungen macht –, kann er sich direkt an den Anbieter wenden oder seine
Erfahrungen aktiv an andere Verbraucher kommunizieren. Die Marke kann so an
Ansehen, Vertrauen und Wert gewinnen oder verlieren.
Ein Beispiel:
Abbildung 10: Käfer – die moderne Tante Emma: immer und überall
Die Marke „Käfer“ ist eine Art „moderne Tante Emma“. Im Unterschied zur alten
„Tante Emma“ hat Käfer aber erkannt, dass er überall dort vertreten sein muss, wo es
um Genuss, Essen und Trinken geht. Also nicht nur in seinem Laden in der Prinzregentenstrasse in München, sondern auch in der Gastronomie, in der Schenke, am
Flughafen – und natürlich auch auf dem Oktoberfest. Gerade auf einem „Event“ wie
dem Oktoberfest kann die Emotionalität der Marke geprägt werden; jeder, der einmal
das „Käfer-Zelt“ besucht hat, wird bestätigen, dass dies ein einzigartiges Erlebnis ist.
Diese „moderne Tante Emma“ hat erkannt, dass man auch vor und nach dem Kauf
beziehungsweise vor und nach dem Geniessen noch vertreten sein muss, nämlich
immer dann, wenn es darum geht, die Wahrnehmung der Kunden zu prägen. Daher
denkt Käfer ernsthaft über den Aufbau eines Food-TV-Kanals nach. Das ist ein schö-
25
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
nes Beispiel dafür, immer und überall den Bedürfnissen beziehungsweise der zunehmenden Mobilität von Kunden gerecht zu werden. Käfer ist im Leben des Kunden auf
unterschiedlichste Art und Weise präsent, und damit gelingt es Käfer sich auch vom
Preiswettbewerb zumindest teilweise zu emanzipieren.
Offensive Markenführung
Wie können nun Handelsunternehmen starke Branded Retailer werden und durch eine
offensive Markenführung das gesamte Potenzial dieser Marke ausschöpfen? Das vorgenannte Beispiel „Käfer“ ist eine solche Marke, die das gesamte Potenzial ausschöpft, das in dieser Marke liegt. Und dabei darf man nicht vergessen, dass es auch
Einzelhändler gibt, die die Retail-Brand Käfer in ihrem Sortiment führen. Das bedeutet,
dass andere Händler die Handelsmarke eines Konkurrenten in ihr Sortiment aufnehmen. Welches Handelsunternehmen würde dies wohl tun, wenn es sich nicht um eine
aussergewöhnlich starke Marke handeln würde!
Der Weg hin zu einer offensiven Markenführung führt über fünf Stufen, die in dem
Akronym POISE zusammengefasst werden können. POISE steht für die Anfangsbuchstaben der Eigenschaften, die unseres Erarchtens eine erfolgreiche Markenführung ausmachen: Profitabel, Offensiv, Integrativ, Strategisch ausgerichtet und
Effektiv umgesetzt.
• Profitabel
Zwischen den Gewinnzielen eines Unternehmens und dem Aufbau einer starken
Marke besteht ein enger Zusammenhang; beide Grössen sind quasi vernetzt. Eine
Abbildung 11: Fünf Schritte zum starken Branded Retailer – Schritt 1
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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
offensive Markenstrategie kann einem Unternehmen zu überdurchschnittlichen und
langfristigen Gewinnen verhelfen, allerdings immer unter der Voraussetzung, dass die
Fähigkeiten des Unternehmens optimal mit den Marktgegebenheiten abgestimmt werden. Der Aufbau starker Marken, mit denen sich die Verbraucher identifizieren, kann
zu einer langfristigen Gewinnsteigerung des Unternehmens führen. Die Lebensmittelhändler wachsen also nicht mehr mit einer bestimmten Vertriebslinie, sondern mit und
an ihren Kunden. Ziel muss es sein, den Anteil der eigenen Marke am Geldbeutel der
Verbraucher zu erhöhen.
Eine professionelle, starke Marke kann dies leisten. Über ihr positives Image schafft
sie eine emotionale Bindung und vereinfacht den Kunden das Leben, indem sie ihnen
Informations-, Such- und Koordinationskosten erspart. Starke Marken bieten eine
Plattform zur Angebotserweiterung und Schaffung neuer Formate für Lebensmittelhändler, immer unter der Prämisse, dass dahinter ein systematisches und langfristiges
Markenmanagement steht und nicht die kurzfristige Ausbeutung der Marke.
Starke Marken sind häufig sogar die wertvollsten Vermögenswerte eines
Unternehmens überhaupt, die – nimmt man Coca Cola, Heinz oder Nike – über die
Hälfte des Werts eines Unternehmens ausmachen können. Sie sind die Summe jahrelanger positiver Erfahrungen der Kunden mit den jeweiligen Leistungen, die unter dieser Marke angeboten werden sowie hoher Investitionen in Werbung, Design, Mitarbeiter, Ladengestaltung und Qualität.16 Sie sind wesentlicher Teil des immateriellen
Vermögens von Unternehmen, wie durch die Analyse von Market-to-Book-Ratio
gezeigt wird.
Abbildung 12: Starke Marken sind wertvoll!
Quelle: eigene Darstellung
16
Vgl. Vgl. Meyer, A./Davidson, H.: Offensives Marketing, München 2001, S. 437 f.
27
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Abbildung 13: Starke Marken sind wertvoll!
Quelle: www.Interbrand.de
Im Vergleich zu Amazon – nur ein 50stel des Wertes des Unternehmens ist durch die
Bilanz erklärbar – schneiden viele Handelsunternehmen mit eher bescheidenen Marketto-Book-Ratios nicht so gut ab. Diese Diskrepanz kann zwar auch Folge der Überbewertung durch den Markt sein, sie zeigt aber auch, dass Unternehmen wie Amazon und
Cisco immaterielle Vermögensgegenstände besitzen, die die klassische Finanzrechnung
nicht berücksichtigt. Dass der Markenwert eine beeindruckende Grösse sein kann, zeigt
Abbildung 13.
Was kann der Lebensmittelhandel daraus lernen: Die klassischen Markenartikelhersteller haben wesentlich stärker auf das Konto der Marke – Design, Kommunikation,
Qualität, Mitarbeiter – eingezahlt und damit heute höhere Markenwerte aufgebaut.
Immaterielle Werte – und zu diesen gehört die Marke – sind wichtige Werttreiber der
Zukunft und sollten einen prominenten Platz in den Köpfen der Verantwortlichen des
Lebensmitteleinzelhandels finden.
• Offensive Einstellung
Eine Offensive Einstellung des Managements, aber auch aller Mitarbeiter hat einen
grossen Einfluss auf den gesamten Prozess der Markenführung. Sie fördert die integrative Orientierung, indem sie eine auf die Kunden fokussierte Vision und
Philosophie der Marke vermittelt. Die Offensive Einstellung schafft also das Umfeld
für effektive Investitionen in die Marke und eine langfristige Perspektive, sodass sich
strategische Konzepte entwickeln lassen.17
17
Vgl. Meyer, A./Davidson, H.: Offensives Marketing, München 2001, S. 450.
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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Abbildung 14: Fünf Schritte zum starken Branded Retailer – Schritt 2
Die Vision der Marke sollte kühn, aber realisierbar, relevant und einfach zu vermitteln
sein. Sie soll alle Mitarbeiter, aber auch die Kunden, Lieferanten und Kapitalgeber motivieren und inspirieren. Besonders die Mitarbeiter müssen sich mit der Vision der Marke
identifizieren, denn jeder im Unternehmen ist ein Teil der Marke – nicht zuletzt, weil er
diese mitgestaltet und repräsentiert. Unternehmen mit einer Offensiven Einstellung versuchen nicht verzweifelt der Konkurrenz hinterherzulaufen, sondern sie bestimmen
selbst von der Spitze aus das Tempo. Die Marke schafft also Mehrwert: für Kunden,
Mitarbeiter, Lieferanten und Aktionäre. Die Vision der Marke – die Offensive Einstellung des ganzen Unternehmens – trägt wesentlich zur Differenzierung gegenüber dem
Wettbewerb bei.18
Abbildung 15: Relevante Differenzierung
18
Vgl. Rudolph, T.: Profilieren mit Methode, Frankfurt a. M./New York 1997, S. 91 ff
29
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Beispielsweise ist Harley Davidson nicht für die besonders hohe Qualität seiner
Produkte berühmt, eher im Gegenteil, aber die Kunden assoziieren einen Lifestyle und
eine Atmosphäre mit Harley Davidson, mit der sie sich identifizieren: Harley
Davidson ist kein Produkt, sondern eine Lebensphilosophie.19
Mit Handelsunternehmen wird oftmals keine klare Philosophie verbunden werden.
Vielmehr versuchen die meisten Anbieter dem Kunden die gleiche oder ähnliche
Botschaften zu vermitteln: Wir sind der günstigste Anbieter. Wie bereits oben gesehen,
führt dies zu erheblichen Differenzierungsdefiziten.
Dabei gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten für Lebensmittelhändler, in den Köpfen
der Verbraucher einen prominenten Platz einzunehmen, zum Beispiel das innovativste
Unternehmen zu sein, das immer die aktuellsten Produkte führt. Aber echte Berühmtheit erlangt man erst, wenn auch noch Assoziationen, Erlebnisse und Geschichten um
eine Marke in den Köpfen der Verbraucher verankert sind. Kein Fussballfan wird den
26. Mai 1999 vergessen – die 1:2-Niederlage des FC Bayern München im ChampionsLeague-Finale gegen Manchester United in der 92. Minute oder das Wunder von
Unterhaching im Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Die Marke des FC Bayern
München wird mit vielen emotionalen Geschichten verbunden.20 Und welche Geschichten erzählen sich die „Fans“ über Edeka, Tengelmann, REWE usw.?
Abbildung 16: Funktionale UND emotionale Werte prägen starke Marken!
Quelle: in Anlehnung an Kunde, J.: Corporate Religion 2000, S. 75.
Die „moderne Tante Emma“ Käfer hat es geschafft, dass viele Kunden und viele
Münchner Geschichten und Assoziationen zu dieser Marke kennen: zum Beispiel die
Nobeldiskothek P1, die Michael Käfer von seinem Vater als Examensgeschenk
bekommen hat und die für die „härteste Tür Deutschlands“ bekannt ist.
19
20
Vgl. Aaker, D.: Building Strong Brands, New York u. a. 1996, S. 138 ff.
Vgl. Blümelhuber, C.: Rechte als zentrale Wirtschaftsgüter der e-conomy: Theoretische Grundlagen,
Konzeptionelle Ansätze, Beispiele, München 2000, S. 161.
30
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Käfer ist die Bühne für Reiche und Berühmte, die sich in Käfer’s Wies’n-Schänke
treffen oder den Catering-Service bestellen. Diese Marke verkörpert Lifestyle. Käfer
hat es geschafft, dort präsent zu sein, wo die Emotionen der Kunden geprägt werden.
Folglich kauft man besonders gerne dann beim Käfer ein, wenn man ein Fest veranstaltet oder gute Freunde einlädt – eben immer dann, wenn ein gutes Essen wichtig ist,
ist Käfer in den Köpfen der Verbraucher präsent.
Die Marke, wie das Beispiel Käfer gezeigt hat, wird gerade nicht nur durch funktionale Werte wie eine exzellente Qualität und eine grosse Auswahl geprägt, sondern in
besonderem Masse durch emotionale Werte.21
• Integrationsleistung der Marke
Ein offensives Markenmanagement kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle
Mitarbeiter daran beteiligt sind. Es ist daher eine Querschnittsfunktion im Unternehmen, die alle Mitarbeiter betrifft: Jeder Mitarbeiter sollte nach den Grundsätzen
der Marke denken und handeln.
Abbildung 17: Fünf Schritte zum starken Branded Retailer – Schritt 3
Doch damit nicht genug: Marken liefern nicht nur nach innen Orientierung, sondern
alle Anspruchsgruppen werden mit einbezogen. Im Endeffekt verschwimmen die
Grenzen des Unternehmens; die unterschiedlichen Anspruchsgruppen - also beispielsweise die Kunden, Lieferanten oder Kapitalgeber – können als freie Mitarbeiter eines
Branded Retailers betrachtet werden.
Die Vision und die Kernaussagen einer starken Marke sind damit ein Mechanismus
zur Steuerung und Abstimmung von Aktivitäten zur Umsetzung der markt- beziehungsweise kunden- und der gewinngerichteten Ziele. Die integrierende Wirkung
resultiert aus der Eigenschaft der Marke, „grösster gemeinsamer Nenner“ aller
Mitarbeiter, Kunden und sonstigen Anspruchsgruppen zu sein. Die Marke hat eine
360-Grad-Perspektive.
21
Vgl. Esch, F.-R.: Moderne Markenführung: Grundlagen – innovative Ansätze – praktische Umsetzungen,
Wiesbaden 1999, S. 888 f.
31
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Abbildung 18: Integration
• Strategische Ausrichtung des Unternehmens
Das S in POISE steht für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Denn dauerhaft erfolgreiche Unternehmen benötigen eine tragfähige Strategie. Diese wird in
den seltensten Fällen aus einer plötzlichen Eingebung heraus geboren – vielmehr entsteht sie durch kontinuierliche Lernprozesse und vor allem auf Basis einer gründlichen
Geschäftsanalyse.
Abbildung 19: Fünf Schritte zum starken Branded Retailer – Schritt 4
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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Dementsprechend sollte sich die strategische Ausrichtung der Marke explizit auf das
wirtschaftlich relevante Umfeld beziehen – wer ist ein Konkurrent, aus welchen Märkten
droht Gefahr, etc. In Kombination mit der Analyse der eigenen Situation lassen sich
wichtige Anhaltspunkte für grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Positionierung, des Sortiments, der Organisationsstruktur und der Corporate Identity ableiten.
Kein Unternehmen, kein Geschäft, kein Produkt ist seinen Konkurrenten in allen
Belangen überlegen. Überall der Beste zu sein, ist fast unmöglich. Selbst WeltklasseZehnkämpfer haben Schwachpunkte. Gerade in einer Welt riesiger Produktvielfalt und
zunehmender Informationsüberlastung ist der Nettoeindruck bei aktuellen und potenziellen Kunden mehr denn je entscheidend. Das heisst, wodurch unterscheidet sich dieser
Lebensmittelhändler – durch Mitarbeiter, Sortiment, Preis, Ladengestaltung, Service oder
Assoziationen und Geschichten – von allen anderen? 22 Je näher nun ein reales Lebensmittelgeschäft in der Wahrnehmung des Konsumenten dem Ideal kommt, desto grösser
ist die Wahrscheinlichkeit des Kaufs. Dies ist die zentrale Annahme der Positionierung.
Die Positionierung ist das Erste, woran der Verbraucher denkt.23 Oder anders: „Positioning starts with a product ... But positioning is not what you do to the product.
Positioning is what you do with the mind of the prospect. That is you position the product in the mind of the prospect ... You’re not really doing something to the product itself ... Positioning is the first body of thought that comes to grips with the difficult problem of getting heard in our overcommunicated society.“ 24
Aber die Positionierung ist nur der erste Schritt; darauf aufbauend muss das passende
Sortiment bestimmt werden. Alle strategischen Entscheidungen konkretisieren sich
letztendlich in der Durchgängigkeit der Organisationsstruktur; daher scheint es nicht
übertrieben, wenn man davon spricht, dass die Marke den Nukleus der Organisation
bildet. Deshalb muss geklärt werden, wer für den Aufbau und die Pflege der Marke zuständig ist. Als weitere massgebliche strategische Leitlinie und als strategisches Orientierungskonzept für eine starke Marke wird besonders die Corporate Identity angesehen,
die die Persönlichkeit, die spezifische Werthaltung und die Denk- und Handlungsweisen
eines Unternehmens widerspiegelt. Eine durchgängige CI fordert ein in sich schlüssiges
und damit widerspruchsfreies Verhalten aller Unternehmensmitglieder untereinander
und gegenüber allen externen Anspruchsgruppen. Auch der systematisch kombinierte
Einsatz aller Kommunikationsinstrumente und eine aufeinander abgestimmte symbolische Identitätsversmittlung durch alle visuellen Elemente müssen gewährleistet werden.
• Effektive Umsetzung
Eine gut durchdachte Strategie ist wertlos, wenn sie schlecht umgesetzt wird. Und eine
eher durchschnittliche Strategie kann durchaus den Wettbewerb aufrütteln, wenn sie
sehr effektiv umgesetzt wird.
Die effektive Umsetzung einer offensiven Markenführung ist eine Aufgabe, die nicht
von der Marketingabteilung geleistet wird – auch gar nicht geleistet werden kann, denn
22
23
24
Vgl. Meyer, A./Davidson, H.: Offensives Marketing, München 2001, S. 468.
Peddie, R. in: Der Kontakter, 38/1983, S. 22.
Vgl. Ries, A./Trout, J.: Positioning – The battle for your mind, New York 1986, S. 2 f.
33
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
eine starke Marke lebt von einer einheitlichen Wahrnehmung. Diese zu schaffen und zu
erhalten, ist die zentrale Aufgabe aller Führungskräfte, der Geschäfts- und Filialleitung.
Sie müssen die Vision der Marke vorleben.
Abbildung 20: Fünf Schritte zum starken Branded Retailer – Schritt 5
Sie müssen ihren Mitarbeitern ein Beispiel geben und sich als Brand Manager verstehen. Denn nur ein einheitliches Auftreten des gesamten Unternehmens nach außen
führt zu einer starken Marke. Daher sind die Mitarbeiter einer der zentralen Erfolgsfaktoren eines offensiven Markenmanagements, da sie den grössten Anteil an der
Markenprägung haben. Dies muss konsequent bei der Einstellung neuer Mitarbeiter
beachtet werden – passen die Mitarbeiter überhaupt zum Markenprofil? Etwas provokanter formuliert: Könnte die Aldi-Kassiererin beim Käfer in der Prinzregentenstrasse
arbeiten? Das Markenbild muss in den Köpfen aller Mitarbeiter verankert sein und
eine wesentliche Leitmaxime bei der Einstellung neuer Mitarbeiter sein. Denn die
Einstellung der falschen Mitarbeiter kann sehr schnell zu einer „Verwässerung“ der
Marke führen.25
Nur durch einen integrierten Auftritt nach außen, sowohl in der Gestaltung als auch in
der Kommunikation und im Verhalten, kann eine Marke in den Köpfen der Verbraucher eindeutig positioniert werden. Werbung, die Gestaltung der Läden, der Aufbau von echten Handelsmarken und das Verhalten von Mitarbeitern müssen alle die
Inszenierung einer einmaligen, konsistenten Markenerlebniswelt zum Ziel haben. In
einem solchen Konzept ändert sich natürlich auch die Rolle des Filialleiters. Er erhält
eine zusätzliche Aufgabe: Er wird zu einem Local Brand Manager. Er ist dafür verantwortlich, dass die Kunden die Marke so erleben, wie es sein sollte, sich die Mitarbeiter im Sinne der Markenphilosophie verhalten und ein stimmiger Gesamteindruck entsteht.
25
Vgl.Schmitt, B.: Experiential Marketing, New York u. a. 1999, S. 246 f.
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Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Der Handel als Marke: Grenzen
Die Marke als Antwort auf alle Herausforderungen des Lebensmitteleinzelhandels?
Sicherlich eine verführerische Vorstellung, aber es gibt natürlich auch Grenzen was
eine Marke leisten kann.
Die Leistungen des Lebensmittelhandels sind wesentlich
komplexer als die von Markenartikeln. Lebensmitteleinzelhändler haben viele unterschiedliche Standorte, Mitarbeiter, und sie haben häufig
ein grosses Sortiment. Bei
dieser hohen Komplexität ist
es nicht einfach, Konstanz in
der Qualität und eine einheitliche Wahrnehmung zu schaffen. Besonders die Mitarbeiter
Abbildung 21: Der Handel als Marke – Grenzen
– bei manchen Händlern ein
vernachlässigter Produktionsfaktor – tragen wesentlich zur Markenwahrnehmung bei, werden aber kaum entsprechend geschult. Im Vergleich zu den angebotenen Handelsmarken, die „nur“ wie ein
Markenartikel geführt werden müssen, ist der Lebensmitteleinzelhändler zusätzlich
auch als ein Dienstleister zu verstehen und steht daher auch vor den Problemen, mit
denen jede Dienstleistungsmarke konfrontiert ist: viele unterschiedliche Kontaktpunkte, hohe Immaterialität der Leistung und daher die Schwierigkeit, einen einheitlichen Auftritt und eine konstante Qualität zu sichern.
In Zeiten intensiven Preiswettbewerbs ist es natürlich sehr schwierig, in die Marke zu
investieren. Denn Markeninvestitionen sind strategische Investitionen – mit einem
langen Bezugszeitpunkt – und ohne unmittelbare Erfolge, die leider oft noch den
Massstab zur Bewertung des Managements darstellen. Viele Lebensmittelhändler verwenden ihre Budgets deshalb lieber für Preisreduktionen als für den Aufbau einer
Marke, weil diese keine unmittelbar sichtbaren Ergebnisse liefert. Auch die Aufteilung
von Budgets auf die Vielzahl von Betriebsformen, die einige Lebensmittelhändler
führen, ist problematisch. Denn bereits eine Marke ist in ihrem Aufbau und ihrer
Pflege sehr teuer. Unternehmen wie Aldi und Globus, die nur eine Betriebsform
führen müssen, haben hier einen strategischen Vorteil.
Marken sind weit mehr als ein Logo oder eine gefällige Corporate Identity. Es geht um
ein konsequentes und durchgängiges Geschäftssystem, das Einfluss hat auf alle
Unternehmensfunktionen, alle Beteiligten und das zentral ist für die Schaffung eines
funktionalen und emotionalen Mehrwerts.
35
10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Und: Marken brauchen Zeit! Meine Eingangsthese, dass eine starke Marke im Sinne
eines Branded Retailers eine Erfolg versprechende Antwort auf viele Herausforderungen des Lebensmittelhandels ist, kann sicherlich bejaht werden, aber die
Verantwortlichen in den Unternehmen sollten sich bald entscheiden, ob sie die Zeit
und das Kapital aufbringen können und wollen, um sich als Marke zu etablieren, oder
doch lieber im Preiswettbewerb – falls sie ihn überstehen – zu den Letzten gehören.
Und: Spätestens dann wird der Markenwettbewerb beginnen.
Marken brauchen Zeit – daher wäre es für den Handel sinnvoll, so bald als möglich
damit zu beginnen, sich als Marke zu bewerten. Denn der Vorsprung in der Aufmerksamkeit und Imagebildung, der damit erreicht werden kann, ist ein strategischer
Wettbewerbsvorteil, den kein Konkurrent so leicht aufholen und nachahmen kann.
Literatur
Aaker, D.:
Building Strong Brands, New York u. a. (The Free Press) 1996.
Blümelhuber, C.:
Rechte als zentrale Wirtschaftsgüter der e-conomy: Theoretische Grundlagen, Konzeptionelle Ansätze, Beispiele, München (FGM-Verlag) 2000.
Brauer, W.:
Die Betriebsform im stationären Einzelhandel als Marke, München (FGM-Verlag) 1996.
Esch, F.-R.:
Moderne Markenführung: Grundlagen – innovative Ansätze – praktische Umsetzung,
Wiesbaden (Gabler) 2000.
Hamel, G.:
Leading the Revolution, Boston (Harvard Business School Press) 2000.
36
Der Handel als Marke – Ein Spaziergang durch die Welt der Branded Retailer
Hupp, O.:
Markenpositionierung: Ansatzpunkte zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, in: planung & analyse, 2/2000, S. 38-44.
Kliger, M.:
Home Meal Replacement als Herausforderung und Chance für die Lebensmittelindustrie, in: akzente, 5/99, S. 22-27.
Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H.:
Marketing, 16. Auflage, Berlin (Duncker und Humblot) 1991.
Maier, M.:
Markenmanagement bei Kreditinstituten, München (FGM-Verlag) 1999.
Meyer, A./Davidson, H.:
Offensives Marketing – Gewinnen mit POISE, München (Haufe) 2001.
Meyer, A./Fend, L./Specht, M.:
Kundenorientierung im Handel – Von Globus, LANDS’ END, Streamline, TESCO &
Co. lernen, Frankfurt a. M. (Deutscher Fachverlag) 1999.
Peddie, R. in:
Der Kontakter, 38/1983, S. 22.
Ries, A./Trout, J.:
Positioning – The battle for your mind, New York u. a. (The Free Press) 1986.
Rudolph, T.:
Profilieren mit Methode, Frankfurt a. M./New York (campus) 1997.
1
Fußnote
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10. Bestfoods TrendForum – Anton Meyer
Rust, R./Zeithaml, V./Lemon, K.:
Driving Customer Equity, New York u. a. (The Free Press) 2000.
Schmitt, B.:
Experiential Marketing, New York u. a. (The Free Press) 1999.
38
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