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L E R NPAK E T 2
2.3
Atmungskette (oxidative
Phosphorylierung)
Die Funktion der Atmungskette besteht darin, ATP zu erzeugen,
das dann energetisch ungünstige Reaktionen antreiben kann. Die
chemiosmotische Hypothese von Mitchell aus dem Jahr 1961 besagt, dass Energie in einem Protonengradienten (H+-Gradient) gespeichert wird, der über die innere Mitochondrienmembran aufgebaut wird. Die Energie zum Aufbau dieses Gradienten stammt
von den reduzierten Coenzymen. Die wichtigsten Lieferanten von
Reduktionsäquivalenten für die Atmungskette sind NADH + H+
und FADH2. Diese reduzierten Coenzyme entstehen hauptsächlich
im Citratzyklus (s. o.) und bei der β-Oxidation (Abb. 3.14). Zwei
NADH + H+ liefert die Glykolyse beim Abbau eines Hexosemoleküls zu Pyruvat (Abb. 2.6). Freigesetzt wird die Energie, indem
die H-Atome unter Bildung von H2O auf Sauerstoff übertragen
werden. Der Protonengradient dient dazu, mithilfe einer ATPSynthase die „Energiewährung“ des Körpers, ATP, zu bilden.
Abb. 2.6 Herkunft der reduzierten Coenzyme
NADH + H+ und FADH2 für
die Atmungskette.
aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 1 (ISBN 9783131534132) © 2015 Georg Thieme Verlag KG
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L E R NPAK E T 2
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2.3 Atmungskette (oxidative Phosphorylierung)
32
Biochemie 1 | 2 Endoxidation
2.3.1 Atmungskette als Elektronentransportkette
Die chemische Reaktion, die der Wasserbildung in der Atmungskette zugrunde liegt, ist die Knallgasreaktion:
H2 + ½ O2 → H2O
ΔG0 = –235 kJ · mol–1
Diese Reaktion ist stark exergon. In der Atmungskette wird die
Energie aber nicht auf einmal, sondern in mehreren kleinen Paketen freigesetzt. Das wird dadurch erreicht, dass die Elektronen,
die bei dieser Reaktion vom Wasserstoff auf den Sauerstoff übertragen werden, schrittweise durch mehrere Redoxsysteme fließen, bevor sie mit dem Sauerstoff reagieren.
APROPOS
Ein Redoxsystem ist eine Verbindung, die durch Elektronenabgabe bzw.
Elektronenaufnahme vom reduzierten in den oxidierten Zustand übergehen kann und umgekehrt.
Die Atmungskette enthält 4 solcher Redoxsysteme (Komplex I–IV),
die unterschiedliche Redoxpotenziale, d. h. eine andere Affinität
zu Elektronen, besitzen. Stehen mehrere solcher Redoxsysteme
untereinander in Verbindung, fließen die Elektronen von dem System mit dem negativsten Redoxpotenzial zu demjenigen mit dem
positivsten Redoxpotenzial. In der Atmungskette werden die Elektronen der reduzierten Coenzyme auf diese Weise von Komplex I
zu Komplex IV transportiert (Abb. 2.7). Besonders wichtig ist dabei, dass die bei den einzelnen Elektronenübergängen frei werdende Energie genutzt wird, um Protonen durch eine Membran
zu pumpen und so einen elektrochemischen Gradienten zu generieren. Das geschieht allerdings nur durch die Komplexe I, III und
IV, Komplex II transportiert keine Protonen (Abb. 2.8).
2.3.2 Lokalisation der Atmungskette
Die Atmungskette ist in den Mitochondrien lokalisiert. Sie sind
aus einer äußeren und einer inneren Membran aufgebaut, zwischen denen sich der Intermembranraum befindet. In der Matrix
befinden sich vor allem die Enzyme und die Substrate des oxidativen Stoffwechsels. Alle fünf Komplexe der Atmungskette (vier
Redoxsysteme und die ATP-Synthase) sitzen in der stark gefalteten inneren Mitochondrienmembran. Diese Membran dient dem
Aufbau des elektrochemischen Protonengradienten (s. u.). Der
pH-Wert im Matrixraum beträgt etwa 8, gegenüber 7,2 im Zytosol (und auch im Intermembranraum), sodass sich ein deutliches
Membranpotenzial ergibt.
2.3.3 Transport der reduzierten Coenzyme
Die reduzierten Coenzyme, die z. B. im Citratzyklus, der β-Oxidation oder durch den PDH-Komplex entstehen, können direkt in
die Atmungskette eingeschleust werden. NADH + H+, das in der
Glykolyse gebildet wird, muss dagegen die Mitochondrienmembranen passieren, um in die Matrix zu gelangen, da die glykolytischen Enzyme im Zytosol der Zelle lokalisiert sind. Die äußere
Mitochondrienmembran enthält viele sogenannte Porine und ist
dadurch durchlässig für viele kleine Moleküle. Im Gegensatz dazu stellt die innere Mitochondrienmembran eine fast unüberwindbare Hürde dar. Das gilt auch für das zytosolisch gebildete
Abb. 2.7 Übersicht über den Protonen- und Elektronenfluss durch
die Atmungskette. (Q = Coenzym Q = Ubichinon).
NADH + H+. Die Säugetierzelle besitzt jedoch mehrere Mechanismen, um Reduktionsäquivalente vom Zytosol in die Matrix zu
transportieren.
Malat-Aspartat-Shuttle. Beim Malat-Aspartat-Shuttle (Abb. 2.9)
wird das NADH + H+ über Malat und Aspartat vom Zytosol über
die innere Mitochondrienmembran in die Mitochondrienmatrix
transportiert.
1. Im ersten Schritt wird durch die Aspartattransaminase AST
(S. 68) aus Aspartat Oxalacetat gebildet. Gleichzeitig wird
α-Ketoglutarat in Glutamat umgewandelt.
2. Danach überträgt das NADH + H+ seine Protonen auf Oxalacetat. Dabei entsteht Malat.
3. Malat wird nun im Austausch gegen α-Ketoglutarat vom
Zytosol in den Matrixraum des Mitochondriums transportiert.
4. Dort wird das Malat unter Regenerierung von NADH + H+ mithilfe der Malatdehydrogenase wieder in Oxalacetat rückverwandelt.
5. Dieses wird wiederum durch die AST zu Aspartat transaminiert, wobei aus Glutamat wieder α-Ketoglutarat entsteht.
6. Das Aspartat wird nun im Austausch gegen Glutamat ins
Zytosol transportiert und steht für einen weiteren Transportzyklus zur Verfügung.
Glycerophosphat-Shuttle.
Beim
Glycerophosphat-Shuttle
(Abb. 2.10) wird Dihydroxyacetonphosphat (DHAP) durch die
Glycerophosphat-Dehydrogenase unter Verbrauch des NADH
+ H+ zu α-Glycerophosphat reduziert. Dieses überträgt die Elektronen unter Bildung von enzymgebundenem FADH2 auf die Glycerophosphatoxidase oder Flavoproteindehydrogenase. Das
FADH2 schleust Elektronen über Ubichinon in die Elektronentransportkette ein.
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2.3 Atmungskette (oxidative Phosphorylierung)
33
Glykolyse
NADH + H+
tr ta
pa
s
-A
lat ttle
Ma Shu
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I
4H+
FMNH2
NADH + H+
FMN
Fe-S
NAD+
QH2
4H+
NADH + H+
DHAP
Q
FADH2
Cyt b
II
α-Glycerophosphat
FAD
Fe-S
NAD+
GPOX
FADH2
Cyt b
FAD
Fumarat
4H+
III
Succinat
Intermembranraum
Cyt c1
Fe-S
tc
Cy
äußere
Mitochondrienmembran
4H+
2H+
Cyt a Cua
IV
ETF
1
β-Oxidation
Citratzyklus
Cyt a3 Cub
2H+
/2 O2
H+ + P
+
2H
H2O
⊕
H
PDH
Matrix
F1
H+
F0
H+ H+
+
H H H+
+
H+
H + P
ATP
rt
H+
+
ADP + P
~ 2,5 ATP pro NADH + H+
~ 1,5 ATP pro FADH2
-/ P
o
nsp
tra
o
C
-
V
innere
Mitochondrienmembran
Abb. 2.8 Übersicht über die Atmungskette und die oxidative Phosphorylierung.
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Biochemie 1 | 2 Endoxidation
3
4
2
1
5
6
Abb. 2.9 Malat-Aspartat-Shuttle zum Transport von NADH + H+ vom Zytosol in das Mitochondrium (zu den Schritten 1–6 siehe Text).
NAD+
NADH + H+
FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN
– ! Beim vollständigen oxidativen Abbau von Pyruvat entstehen
3 CO2, 4 NADH, 1 FADH2 und 1 GTP.
– ! In der Mitochondrienmatrix wird das Malat unter Regenerierung des NADH + H+ wieder in Oxalacetat zurückverwandelt.
GlycerophosphatDH
H2C OH
H2C OH
HO C H
C O
H2C OPO32
α-Glycerophosphat
Elektronentransportkette
QH2
Komplex I: NADH-Ubichinon-Reduktase
Dihydroxyacetonphosphat
GPOX
FAD
2.3.4 Komplexe der Atmungskette
H2C OPO23
zytosolisch
FADH2
Q
innere
Mitochondrienmembran
Matrix
Abb. 2.10 Glycerophosphatzyklus (DH = Dehydrogenase, GPOX = Glycerophosphatoxidase, Q = Ubichinon, QH2 = Ubichinol).
In Komplex I findet die Elektronenübertragung von NADH + H+
auf Ubichinon statt, das auch Coenzym Q genannt wird. Das geschieht über zwei Zwischenschritte. Komplex I enthält als prosthetische Gruppe Flavinmononucleotid (FMN, Abb. 2.11). Im
ersten Schritt überträgt NADH + H+ seine beiden Elektronen auf
FMN. Das dabei reduzierte FMNH2 gibt diese Elektronen dann an
sog. Eisen-Schwefel-Cluster weiter, von denen sich mindestens
sechs in Komplex I befinden. Von diesen erfolgt die Übertragung
auf Ubichinon, das dadurch zu Ubichinol reduziert wird. Die
Energie, die bei diesem Prozess frei wird, treibt vier Protonen
von der Matrix in den Intermembranraum.
APROPOS
Eisen-Schwefel-Cluster kommen in unterschiedlichen Varianten vor. Als
prosthetische Gruppen sind sie an verschiedene Cysteinreste eines Proteins koordiniert. Je nach Anzahl von Eisen- und Schwefelatomen gibt es
z. B. [1Fe-0S]-Cluster (Abb. 2.12), die ein Eisen- und kein Schwefelatom
besitzen. Andere Möglichkeiten sind die [2Fe-2S]-, die [3Fe-4S]- oder die
[4Fe-4S]-Cluster. Herausragendes Merkmal dieser Cluster ist, dass sie
durch die zwei möglichen Oxidationsstufen von Eisen (+2 und +3) Elektronen aufnehmen bzw. wieder abgeben können.
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2.3 Atmungskette (oxidative Phosphorylierung)
O
O
H3 C
H 3C
N
N
35
Coenzym Q
= Ubichinon
NH
N
O
H 3CO
CH3
H 3CO
(C H 2 C H C
O
CH3
C H 2 ) 10
H
CH2
HC OH
N
N
HC OH
H2 C O
H + + e–
NH2
P
P
Riboflavinmonophosphat
= FMN = Flavinmononucleotid
O
CH2
H
N
O
O
H 3CO
H
H
HO
N
H
CH3
Ubisemichinon
H 3CO
OH
Flavinadenindinucleotid = FAD
R
OH
H + + e–
Abb. 2.11 Flavinmononucleotid, ein Bestandteil der NADH-UbichinonReduktase.
OH
Coenzym QH2 = Ubichinol
=Ubihydrochinon
H 3CO
H 3CO
CH3
R
OH
Abb. 2.13 Reduktion von Ubichinon zu Ubichinol.
Abb. 2.12 Eisen-Schwefel-Cluster [1Fe-0S]. Das Eisen ist an vier
Cysteylreste (gelbe Schwefelatome) seines Trägerproteins koordiniert. Die
Schwefelatome aus den Cysteylresten werden nicht zum FeS-Cluster
gerechnet (deshalb [1Fe-0S]).
Komplex II: Succinat-Ubichinon-Reduktase
Komplex II der Atmungskette ist gleichzeitig ein Enzym des Citratzyklus, nämlich die Succinatdehydrogenase. Es ist das einzige
Enzym des Citratzyklus, das membrangebunden vorliegt. Die Aufgabe von Komplex II besteht darin, Wasserstoff von Succinat auf
Ubichinon zu übertragen; es werden keine Protonen in den Intermembranraum transloziert. Auch diese Übertragung verläuft
über eine Zwischenstufe, in diesem Fall über FADH2. Weiterhin
sind auch hier Eisen-Schwefel-Cluster am Elektronentransport
beteiligt. Außerdem ist Cytochrom b560 im Komplex enthalten.
Am Protonentransport ist Komplex II nicht beteiligt. Das ist auch
der Grund dafür, dass FADH2 in der Atmungskette nur ~1,5 ATP
liefert, während die Ausbeute von NADH + H+ bei ~2,5 ATP liegt.
Ubichinon-Ubichinol-System
Ubichinon oder Coenzym Q ist aus einem Chinon und einer Isoprenseitenkette aufgebaut. Strukturell hat es Ähnlichkeit mit den
fettlöslichen Vitaminen E und K. Wegen des lipophilen Schwanzes kann es sich frei in der inneren Mitochondrienmembran bewegen. Nach Aufnahme von Reduktionsäquivalenten (2 Protonen und 2 Elektronen) von Komplex I bzw. Komplex II wird
Ubichinon zu Ubichinol reduziert (Abb. 2.13), das auch als Ubihydrochinon oder reduziertes Coenzym Q (QH2) bezeichnet wird.
Daneben gibt es noch eine dritte Möglichkeit, Ubichinol zu gewinnen. Im ersten Schritt eines Zyklus in der β-Oxidation (S. 44)
wird das Acyl-CoA zu Enoyl-CoA dehydriert. Dabei entsteht eine
Doppelbindung. Die beiden Wasserstoffatome werden in dieser
Reaktion an FAD abgegeben. Das dadurch gebildete FADH2 kann
seine Wasserstoffatome ebenfalls an Ubichinon weiterleiten. Dazu ist jedoch kein eigener Komplex notwendig. Das FADH2 gibt
seine beiden Wasserstoffatome an ein elektronenübertragendes
Flavoprotein (ETF = electrontransfer flavoprotein) ab. Dieses ETF
reicht die Elektronen an die ETF-Ubichinon-Reduktase weiter,
die sie schließlich auf Ubichinon überträgt.
Komplex III: Ubichinol-Cytochrom-c-Reduktase
Die Aufgabe von Komplex III besteht nun darin, die Elektronen von
Ubichinol an Cytochrom c weiterzuleiten. Cytochrom c befindet
sich im Intermembranraum und ist dort locker an die Außenseite
der inneren Mitochondrienmembran gebunden. Ein reduziertes
Cytochrom-c-Molekül transportiert ein Elektron von Komplex III
zu Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase, s. u.). Wie Komplex I ist
auch Komplex III eine Protonenpumpe. Bei der Übertragung eines
Elektronenpaars auf zwei Moleküle Cytochrom c werden insgesamt vier Protonen in den Intermembranraum befördert.
Cytochrome
Cytochrome sind hämhaltige Proteine. Im sichtbaren Licht weisen
die Absorptionsspektren der reduzierten Hämgruppen drei Peaks
(α, β und γ) auf. Der α-Peak ist jeweils charakteristisch für eine
Gruppe von Cytochromen. Sie werden aufgrund der verschiedenen
α-Peaks in die Cytochrome a, b und c eingeteilt. Die drei Gruppen
unterscheiden sich neben unterschiedlichen Absorptionsspektren
auch darin, dass der Porphyrinring jeweils anders substituiert ist.
▪ Cytochrome vom b-Typ beispielsweise enthalten einen Hämanteil, der dem des Hämoglobins entspricht.
▪ In Cytochromen vom a-Typ enthält der Porphyrinring noch einen hydrophoben Isoprenschwanz, und
▪ Cytochrome vom c-Typ sind über zwei Cysteinreste an ein Protein gebunden.
Die wichtigste Eigenschaft der Cytochrome besteht darin, dass
ihre prosthetischen Gruppen, die Hämgruppen, ein zentrales Eisenatom enthalten. Es kann in der dreiwertigen (Fe3+ ) oder
zweiwertigen (Fe2+) Form vorliegen. Dadurch können Cytochrome am Elektronentransport der Atmungskette teilnehmen. Sie
nehmen jedoch nur ein Elektron auf.
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HC OH
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Biochemie 1 | 2 Endoxidation
Komplex IV: Cytochrom-c-Oxidase
Aufgabe von Komplex IV ist es, die Elektronen von Cytochrom c
auf molekularen Sauerstoff zu übertragen. Wie in allen anderen
Komplexen geschieht dies nicht direkt. Komplex IV enthält im
Gegensatz zu den Komplexen I–III keine Eisen-Schwefel-Cluster.
Stattdessen sind zwei Cytochrome, nämlich Cytochrom a und
Cytochrom a3, sowie die beiden Kupferatome Cua und Cub am
Elektronentransport beteiligt.
Letztlich werden im Komplex IV nacheinander 2 Elektronen
von Cytochrom c auf 1 Sauerstoffatom übertragen:
2 Cytochrom c2+ + ½ O2 → 2 Cytochrom c3+ + ½ O2
2 .
Gleichzeitig werden dem Matrixraum vier Protonen entnommen. Zwei dieser Protonen verbinden sich mit dem zweifach negativ geladenen Sauerstoff zu Wasser („Oxidationswasser“):
+
½ O2
2 + 2 H → H2O.
Die anderen beiden Protonen werden in den Intermembranraum
befördert.
APROPOS
Die Leber’sche Optikusneuropathie beruht auf Punktmutationen der
mitochondrialen DNA, die zu Veränderungen von Untereinheiten von
Komplex I oder manchmal Komplex IV der Atmungskette führen. Das mittlere Erkrankungsalter dieser erblichen Störung liegt bei 23 Jahren, wobei
Männer drei- bis viermal häufiger betroffen sind als Frauen. Sie äußert sich
durch Störungen des Farbsehens und einen schmerzlosen Verlust des Sehvermögens.
Komplex V: ATP-Synthase
Komplex I, III und IV tragen zum Aufbau eines Protonengradienten über die innere Mitochondrienmembran bei. Die (F1-F0-)
ATP-Synthase (Komplex V) nutzt diesen Gradienten, um im Rahmen der oxidativen Phosphorylierung ADP und Phosphat in ATP
und H2O umzuwandeln.
Der Komplex V der Atmungskette ist aus zwei verschiedenen
Untereinheiten aufgebaut, dem F0- und dem F1-Anteil (Abb. 2.14).
▪ F0 ist ein Protonenkanal, durch den die Protonen aus dem Intermembranraum in die Matrix zurückfließen können.
▪ Der F1-Anteil ist die eigentliche katalytische Einheit von Komplex
V. Er besteht aus einer γ-Untereinheit und einem α3β3-Hexamer.
Der Protonenfluss durch den F0-Teil der ATP-Synthase führt zu
einer Drehbewegung im F1-Teil, und gebundenes ATP wird freigesetzt. Im F1-Teil rotiert die γ-Untereinheit relativ zum α3β3Hexamer.
FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN
– ! Im Komplex I werden Elektronen auf Ubichinon übertragen.
– ! Ubichinon nimmt aus Komplex I und Komplex II Reduktionsäquivalente (Elektronen) auf.
– ! Komplex I enthält ein Flavinmononucleotid.
– ! Sie sollten die Strukturformel des Flavinmononucleotids erkennen.
– ! Cytochrom c befindet sich im Intermembranraum und ist
dort locker an die Außenseite der inneren Mitochondrienmembran gebunden.
– !! Ein reduziertes Cytochrom-c-Molekül transportiert jeweils
ein Elektron von Komplex III zu Komplex IV (Cytochrom-cOxidase).
– ! Cytochrom c enthält eine Häm-Gruppe.
– ! Komplex IV überträgt Elektronen von Cytochrom c auf molekularen Sauerstoff.
– ! Die Aktivität der Cytochrom-c-Oxidase ist vom Vorhandensein des Spurenelements Kupfer abhängig.
– ! Die (F1-F0-)ATP-Synthase nutzt den Protonengradienten, um
in der oxidativen Phosphorylierung ADP und Pi in ATP und H2O
umzuwandeln.
– ! Im F1-Teil der ATP-Synthase rotiert die γ-Untereinheit relativ
zum α3β3-Hexamer.
Protonenausbeute der Atmungskette
Am Protonentransport der Atmungskette sind folgende Komplexe beteiligt:
▪ Komplex I: Pro NADH + H+ werden 4 H+ befördert.
▪ Komplex III: Pro Ubichinol werden ebenfalls 4 H+ in den Intermembranraum transportiert.
▪ Komplex IV: Pro entstandenem Wassermolekül werden 2 H+
aus dem Matrixraum verbraucht. Zusätzlich werden 2 H+ in
den Intermembranraum gepumpt. Die Transportleistung von
Komplex IV beträgt also 2 H+.
Insgesamt sind also die Komplexe I, III und IV an einer Verschiebung von 10 H+ in den Intermembranraum beteiligt.
LERNTIPP
Komplex II nimmt nicht am Protonentransport teil!
ADP + Pi
ATP
Abb. 2.14 Komplex V der Atmungskette (ATP-Synthase). F0 = Protonenkanal, F1 = katalytische Einheit.
Der Protonentransport über die innere Mitochondrienmembran
lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Pro NADH + H+, das
am Komplex I in die Atmungskette eintritt, werden im Verlauf
der Atmungskette 10 H+ in den Intermembranraum befördert.
Da FADH2 Komplex I umgeht, kann es den Transport von maximal 6 H+ antreiben.
Um 1 ATP aufzubauen, müssen etwa 3 H+ durch Komplex V
hindurchfließen. Bei 10 H+, die durch Komplex V fließen, würde
man einen Gewinn von 3,3 ATP erwarten. Tatsächlich ist dieser
Wert jedoch niedriger. Der Grund dafür ist der Cotransport von
Pi und H+ in das Mitochondrium. Dabei wird pro Pi, das für die
ATP-Synthese in die Matrix befördert wird, auch 1 H+ transportiert. Aus den verbliebenen 7,5 H+ entstehen daher nur 2,5 ATP.
Werden die H+ auf der Stufe des Ubichinons (nach Komplex I)
eingeschleust, liegt der Gewinn sogar nur bei 1,5 ATP.
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2.3 Atmungskette (oxidative Phosphorylierung)
Transport von ATP aus dem Mitochondrium in das
Zytosol
Bei der oxidativen Phosphorylierung entsteht viel ATP. Dieses
ATP muss nun der gesamten Zelle zur Verfügung gestellt werden,
d. h., es muss aus dem Mitochondrium ins Zytosol transportiert
werden. Dazu gibt es in der inneren Mitochondrienmembran
den ATP-ADP-Translokator. Bei diesem Transport wird ATP, das
vier negative Ladungen besitzt, gegen ADP mit drei negativen Ladungen ausgetauscht. Mit jedem Transportvorgang wird daher
eine negative Ladung aus dem Mitochondrium herausgeschafft.
Angetrieben wird dieser Transport durch das Membranpotenzial
der inneren Mitochondrienmembran. Da die Membran außen
positiv geladen ist, erfolgt der Transport negativer Ladungen von
innen nach außen entlang des elektrischen Gefälles über der
Membran (entsprechend dem Streben nach Ladungsausgleich).
Hemmung der Atmungskette
Verschiedene Substanzen sind in der Lage, die Atmungskette zu
hemmen. Tab. 2.2 führt die wichtigsten Hemmstoffe sowie ihren
Angriffspunkt auf. Wird der ATP-ADP-Translokator inhibiert (z. B.
durch Atractylosid), gelangt nicht genügend ADP ins Mitochondrium, und die Oxidation der reduzierten Coenzyme kommt
zum Erliegen.
Tab. 2.2 Hemmstoffe der Atmungskette.
Substanz
Wirkort/Mechanismus
Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung im
braunen Fettgewebe
Braunes Fettgewebe kommt typischerweise bei winterschlafenden Tieren, aber auch bei Neugeborenen vor, Erwachsene besitzen nur noch Reste. Im Vergleich zum weißen Fettgewebe enthält es sehr viele Mitochondrien, deren Cytochrome die makroskopisch sichtbare braune Farbe bedingen. Die wichtigste Aufgabe des braunen Fettgewebes ist, den Körper mit Wärme zu
versorgen. Dazu wird ein spezielles Kanalprotein – Thermogenin
– exprimiert. Es durchspannt die innere Mitochondrienmembran. Da es für Protonen durchlässig ist, bricht der durch die Atmungskette aufgebaute Protonengradient zusammen, wodurch
die ATP-Synthese nur noch eingeschränkt möglich ist. Stattdessen wird Wärme erzeugt.
ATP-Ausbeute bei vollständiger Oxidation von Glucose
Am Beispiel des vollständigen Abbaus eines Moleküls Glucose zu
H2O und CO2 soll gezeigt werden, in wie viele Moleküle der allgemeingültigen „Energiewährung“ ATP der Körper die in einem
Molekül Glucose steckende Energie umtauschen kann.
Die vollständige Oxidation der Glucose über Glykolyse, PDH,
Citratzyklus und Atmungskette erfolgt nach folgender Gleichung:
C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O
Die dabei frei werdende Energie wird zu einem kleinen Teil bereits im Verlauf von Glykolyse und Citratzyklus direkt in ATP
bzw. GTP konserviert. Der größte Anteil der ATP-Ausbeute
stammt jedoch aus den reduzierten Coenzymen, die im Citratzyklus gebildet werden und in denen die Energie sozusagen zwischengespeichert wird. Sie werden in der Atmungskette wieder
oxidiert, und die dabei freigesetzte Energie wird in der oxidativen Phosphorylierung dazu verwendet, ATP zu synthetisieren.
Insgesamt entstehen beim vollständigen Abbau eines Glucosemoleküls 32 ATP (Tab. 2.3).
Barbiturate, Rotenon
Hemmung der Atmungskette in
Komplex I zwischen FMN und
Ubichinon
Antimycin A
Hemmung der Atmungskette in
Komplex III zwischen Cytochrom b
und Cytochrom c
Glykolyse (Zytosol)
HCN, CO, H2S
Hemmung der Atmungskette in
Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase)
zwischen Cytochrom a und Sauerstoff
durch die Bindung von HCN (CO, H2S)
an das Häm-Eisen des Enzyms
Glucose → Glucose-6-phosphat
Fructose-6-P → Fructose-1,6-bisphosphat
2 · 1,3-BPG → 2 · 3-Phosphoglycerat
2 · PEP → 2 · Pyruvat
Glycerinaldehyd-3-P → 1,3-BPG: 2 · NADH + H+
Oligomycin
Hemmung der ATP-Synthase
(Komplex V)
Entkoppler (2,4-Dinitrophenol, Transport von Protonen durch die
Chlorcarbonylcyanidphenylhy- innere Mitochondrienmembran, dadrazon [CCCP])
durch bricht das über die innere
Mitochondrienmembran aufgebaute
Potenzial zusammen. Der Elektronentransport vom NADH + H+ zum O2
läuft normal. Da der Protonengradient jedoch zusammenbricht, wird
kein ATP erzeugt. Stattdessen wird
die Energie als Wärme frei.
Atractylosid
ATP-ADP-Translokator, Hemmung
durch Festhalten in einer Konformation
Tab. 2.3 ATP-Ausbeute beim vollständigen Glucoseabbau.
Reaktion
ATP-Ausbeute
–1 ATP
–1 ATP
+2 ATP
+2 ATP
Pyruvatdehydrogenase (Mitochondrium) I
2 NADH + 2 H+
Citratzyklus (Mitochondrium) II
2 · Succinyl-CoA → 2 Succinat
insgesamt 2 · 3, also 6 NADH + H+
insgesamt 2 · 1, also 2 FADH2
+2 GTP (energetisch gleich
2 ATP)
Atmungskette und oxidative Phosphorylierung (Mitochondrium)
2 NADH + 2 H+ aus Glykolyse, jeweils 2,5 ATP
(bei Transport durch Malat-Aspartat-Shuttle)
2 NADH + 2 H+aus PDH, jeweils 2,5 ATP
6 NADH + 6 H+ aus Citratzyklus, jeweils 2,5 ATP
2 FADH2 aus Citratzyklus, jeweils 1,5 ATP
+5 ATP
Gesamtausbeute pro Glucose
+32 ATP
aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 1 (ISBN 9783131534132) © 2015 Georg Thieme Verlag KG
+5 ATP
+15 ATP
+3 ATP
L E R NPAK E T 2
APROPOS
Als Maß für den Energiegewinn wurde der P/O-Quotient eingeführt. Er
beschreibt, wie viele ATP-Moleküle pro Sauerstoffmolekül – damit pro gebildetem Wassermolekül (H2O) – aus ADP und Pi gebildet werden. Für
NADH + H+ liegt der P/O-Quotient bei 2,5, für FADH2 beträgt er etwa 1,5.
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Biochemie 1 | 3 Lipide und ihr Stoffwechsel
RECHENBEISPIEL
RECHENBEISPIEL
Das Gehirn wird täglich mit etwa 120 g Glucose versorgt. Wie viel O2
(M = 32 g · mol–1) braucht der Organismus, um 120 g Glucose (M = 180 g
· mol–1) zu CO2 und H2O zu oxidieren?
Angenommen, es liegt am Anfang einer Ausdauerleistung ein Glykogenvorrat von etwa 100 mmol Glucose pro Liter Muskel vor. Wenn 1 Liter
Muskelgewebe etwa 50 mmol ATP pro Minute verbraucht und wenn
man annimmt, dass nur aerober Abbau aus Glykogen erfolgt, wie lange
wird dann der Glykogenvorrat des Muskels ausreichen?
Lösungsweg: Wie viel Mol sind 120 g Glucose?
120 g : 180 g · mol–1 = 0,67 mol.
Aus der Reaktionsgleichung für die Glucoseoxidation geht hervor, dass 6
Mol O2 benötigt werden, um 1 Mol Glucose zu oxidieren. Daher ergibt
sich hier: 0,67 mol · 6 = 4 mol O2.
Lösung: 60 min
Wie viel g sind 4 mol O2?
4 mol O2 · 32 g ·
mol–1 = 128 g
Lösungsweg: 1 mmol Glucose ergeben beim Abbau 32 mmol ATP,
100 mmol ergeben dann 3 200 mmol ATP. Da der Muskel pro Minute
50 mmol ATP verbraucht, reichen die Reserven für 3 200 mmol/50 mmol
pro min, also für ca. 60 Minuten.
O2.
Lösung: 128 g O2
Alternativer Lösungsweg: Um sich das Rechnen mit Dezimalzahlen möglicherweise zu ersparen, gehen Sie nicht, wie oben zum Verständnis dargestellt, Schritt für Schritt vor, sondern setzen Sie zunächst
alle Werte in die Formel ein. Sie können dann strategisch geschickt multiplizieren und dividieren.
Mit den angegebenen Werten ergibt sich:
(120 g · 32 g · mol–1 · 6) : 180 g · mol–1
= (720 g · 32 g · mol–1) : 180 g · mol–1 = 4 · 32 g = 128 g O2
3
Lipide und ihr Stoffwechsel
3.1
Grundlagen und Chemie
Lipide erfüllen im Körper vielfältige Aufgaben. Sie
▪ werden vom Organismus gespeichert und dienen der Energiegewinnung,
▪ sind wichtige Bestandteile der Phospholipidmembran,
▪ dienen als Vorstufe für die Synthese von Steroidhormonen
und Gallensäuren.
Prinzipiell kann man drei Gruppen von Lipiden unterscheiden
(Abb. 3.1).
Lipide sind lipophil (fettliebend) und damit hydrophob (wasserabweisend). Sie lösen sich gut in organischen Lösungsmitteln
wie Benzol oder Ether, sind aber schlecht wasserlöslich und müssen im wässrigen Medium wie Blut mithilfe von Proteinen transportiert werden.
3.1.1 Fettsäuren
Fettsäuren sind Monocarbonsäuren, enthalten also eine Carboxylgruppe (–COOH) und einen Kohlenstoff„schwanz“, der bei den
einzelnen Fettsäuren unterschiedlich lang ist. Die meisten Fettsäuren haben eine gerade Anzahl von Kohlenstoffatomen. Man
unterteilt Fettsäuren in verschiedene Gruppen:
▪ gesättigte Fettsäuren: ohne Doppelbindung
▪ ungesättigte Fettsäuren: mit einer oder mehreren Doppelbindungen
– nicht essenzielle Fettsäuren (z. B. Ölsäure): werden vom
Körper synthetisiert,
FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN
– ! Blausäure (HCN) hemmt im Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase) der Atmungskette die Übertragung von Elektrionen auf
den Sauerstoff.
– !! Entkoppler vermindern die ATP-Synthese, indem sie Protonen durch die innere Mitochondrienmembran transportieren
und den H+-Gradienten zusammenbrechen lassen.
– !! Üben Sie das Rechnen mit Stoffmengen in Stoffwechselbilanzen:
– Insgesamt entstehen beim vollständigen Abbau eines Glucosemoleküls 32 ATP.
– Um 1 mol Glucose vollständig zu CO2 und H2O zu oxidieren,
sind 6 mol O2 notwendig, wie aus der Reaktionsgleichung
C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O hervorgeht.
– essenzielle Fettsäuren (z. B. Linolensäure): müssen vom Körper aufgenommen werden.
Die Doppelbindungen von mehrfach ungesättigten Fettsäuren
sind fast nie konjugiert (Einfach- und Doppelbindungen wechseln sich ab), sondern nahezu immer isoliert (durch eine Methylengruppe getrennt; z. B. bei Linolensäure). Je nachdem, ob die
Wasserstoffatome bei ungesättigten Fettsäuren auf der gleichen
oder auf verschiedenen Seiten der Doppelbindung stehen, ist die
Doppelbindung cis(Z)- bzw. trans(E)-konfiguriert. Die Doppelbindungen der essenziellen ungesättigten Fettsäuren besitzen
eine cis-(Z-)Konfiguration.
Wichtige Fettsäuren sind in Tab. 3.1 zusammengestellt.
3.1.2 Aufbau von Lipiden
Lipide lassen sich, je nachdem, ob sie sich von Glycerin oder vom
Sphingosin (Abb. 3.2) ableiten, in 2 Gruppen aufteilen:
▪ Glycerolipide: Grundbaustein Glycerin; einfache und komplexe Lipide
▪ Sphingolipide: Grundbaustein Sphingosin; komplexe Lipide.
Die einzelnen Fettsäuren sind mit Glycerin bzw. Sphingosin verestert.
3.1.3 Triacylglycerine
Die einfachsten aus Fettsäuren aufgebauten Lipide sind Triacylglycerine (Triglyceride, Neutralfette; Abb. 3.3). Die Hydroxylgruppen des Glycerinmoleküls sind mit drei Fettsäuren verestert;
aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 1 (ISBN 9783131534132) © 2015 Georg Thieme Verlag KG
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