III 4 b) Rücktritt bei Nichtleistung (§§ 323 f.)

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III 4 b)
Rücktritt bei Nichtleistung (§§ 323 f.)
Übungsfall (BGH NJW 2008, 1371, originaler Sachverhalt, dazu Anm. Gutzeit, NJW
2008, 1359)
Die Kl. kaufte von den Bekl. am 20.11.2002 den 1999 geborenen Wallach „Diokletian“ als
Dressurpferd zum Preis von 45000 Euro. Mit Schreiben ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 2. 11. 2004 begehrte sie Minderung in Höhe von 50% des Kaufpreises
mit der Begründung, das Pferd sei mangelhaft, weil es sich um einen „(residualen) Kryptorchiden“ handele, das heißt um ein Pferd, dem bei der Kastration das Hodengewebe nicht vollständig entfernt worden ist. Die Kl. hat Klage auf Rückzahlung von 22500 Euro nebst Zinsen
sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 445,90 Euro nebst Zinsen erhoben. Sie hat vorgetragen, das Pferd zeige auf Grund der unvollständigen Kastration hengstisches Verhalten und sei deshalb als Dressurpferd weniger geeignet als ein Wallach. Den Bekl.
sei die hengstische Eigenart des Pferdes bereits vor dem Kauf bekannt gewesen; sie hätten die
Kl. darüber arglistig getäuscht.
I.
Anspruch Kl. → Bekl. auf Zahlung von 22.500 € aus §§ 441 IV, I; 346 I; 323, 437
Nr. 2; 434 1
Vorbemerkungen:
•
•
Die Suche nach der Anspruchsgrundlage wäre einfacher, wenn die Kl. komplett zurücktreten und den gesamten Kaufpreis zurückverlangen würde. Dann wäre AGL §§
346 I (als eigentlicher Rückzahlungsanspruch), 323 (als Rücktrittsgrund), 437 Nr. 2
(als „Umschaltnorm“ vom BT) und 434. Geprüft würde erst der Rücktrittsgrund,
dann die Rücktrittserklärung. Hier geht es nicht um einen Rücktritt, denn am Vertrag wird ja festgehalten. Aus der Verweisung in § 441 I auf § 323 ergibt sich aber,
dass ebenso zu prüfen ist. Merke: Wenn es um einen Rückzahlungsanspruch geht,
muss § 323 beim Entstehen des Anspruchs geprüft werden. Der Rückzahlungsanspruch entsteht nur, wenn es einen Rücktrittsgrund gibt.
§ 441 IV 1 BGB ist selbständige Anspruchsgrundlage, hinsichtlich des Anspruchsumfangs (Rückgewähr des empfangenen Geldes und Nutzungen) verweist § 441 VI
2 BGB auf §§ 346 I, 347 I. Tipp: Beide Normen im Obersatz zitieren!
Die Kl. hat Minderung verlangt; die gem. § 441 I erforderliche Erklärung ist also erfolgt.
Fraglich ist nur noch, ob die gem. § 441 zu prüfenden („statt zurückzutreten“) Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 2, 323 vorliegen.
1.
2.
3.
1
gegenseitiger Vertrag (+), Kaufvertrag, §§ 433 ff. gelten gem. § 90a auch für den
Tierkauf
fälliger, durchsetzbarer Anspruch der Kl.: §§ 433 I 1, 439
Nicht vertragsgemäße Leistung, liegt vor, wenn die Bekl. eine mangelhafte Kaufsache
übergeben (§ 434 I) und den Mangel nicht bereits durch Nacherfüllung behoben hat.
Alle §§ sind solche des BGB.
Lehrstuhl Zivilrecht VIII
Prof. Dr. Ohly
Schuldrecht AT
2
a)
4.
Sachmangel (+): vereinbart (§ 434 I 1) war die Übergabe eines Wallachs = eines (vollständig) kastrierten Hengstes. Diese Beschaffenheit weist Diokletian
nicht auf.
b)
Vorliegen bei Gefahrübergang (§ 446) (+): der Mangel bestand, weil schon vor
Vertragsschluss die Operation nicht völlig erfolgreich war.
c)
Die Nacherfüllung (§ 439) durch erneute Operation wäre noch möglich (sonst
§ 326 V!), wurde aber bisher nicht bewirkt.
Fristsetzung (§ 323 I) ist nicht erfolgt. Entbehrlichkeit?
a)
§ 440 unter dem Gesichtspunkt, dass Nacherfüllung verweigert, unzureichend
oder wegen des Operationsrisikos unzumutbar (-).
Der BGH lehnt zunächst Unzumutbarkeit gem. § 440 ab, weil der Käufer nach der Operation einen vollwertigen Wallach hätte und die Risiken der Operation nicht unzumutbar
sind. Den Gesichtspunkt der Arglist prüft er unter § 323 II Nr. 3. Das ist nicht falsch, da §
440 und § 323 II unabhängig nebeneinander stehen („außer in den Fällen der § 281 II und
§ 323 II“) und daher § 440 nicht etwa als lex specialis § 323 II verdrängt. Allerdings ließe
sich die Unzumutbarkeit auch auf § 440 stützen, und es ist zumindest missverständlich,
dass der BGH ein Eingreifen des § 44o verneint.
b)
7.
§ 323 II Nr. 1 (-), keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung
(selbst wenn – was sich aus dem SV nicht ergibt – die Bekl. die Rechtsansicht
vertreten sollte, nicht zur Nacherfüllung verpflichtet zu sein)
c)
§ 323 II Nr. 3 aber (+): Da die Bekl. die Kl. über das Vorliegen des Mangels
arglistig getäuscht hat, ist die Vertrauensgrundlage für den Vertrag entfallen
und der Kl. ist ein Nacherfüllungsverlangen nicht zumutbar.
Ausschluss gem. § 323 VI (-)
Damit liegen die Voraussetzungen des § 441 I vor. Die Kl. kann den Preis im Verhältnis der Wertminderung (§ 441 III) herabsetzen. Dass die von Kl. verlangte Summe der
Wertminderung entspricht, ist mangels anderer Angaben anzunehmen.
Rechtsfolge: Rückgewähr des überzahlten Betrages (§§ 441 IV, 346 I).
II.
Anspruch Kl. → Bekl. auf Erstattung der Anwaltskosten aus §§ 280 I, II, 286
5.
6.
Anwaltskosten sind erst ab Verzugsbeginn erstattungsfähig; die Kosten der verzugsbegründenden Mahnung können nicht ersetzt verlangt werden. Aus dem Sachverhalt des BGHUrteils ergibt sich nicht, ob der Anwalt vor der nach Verzugsbeginn tätig wurde. In einem
Klausursachverhalt wäre das genauer anzugeben.
Lehrstuhl Zivilrecht VIII
Prof. Dr. Ohly
Schuldrecht AT
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