Teil 4 SCHMERZ Herausforderungen der Schmerztherapie Schmerz kann verschiedene Ursachen haben. Bei chronischen Schmerzen ist die Suche nach auslösenden Mechanismen eine grosse Herausforderung, da die Schmerzen häufig vom auslösenden Ereignis abgekoppelt persistieren. Grundlage einer effizienten Therapie ist daher immer eine sorgfältige Anamnese. Ergänzt wird diese durch Gespräche zwischen dem Arzt und dem Patienten zum besseren Verständnis der Schmerzstärke und der Therapieziele. Wie im zweiten Teil dieser Serie thematisiert, ist die Kommunikation mitunter Schlüssel zum Erfolg bei der Therapie chronischer Schmerzen. So können Missverständnisse in der Schmerzperzeption sowie unrealistische Erwartungen vermieden werden, denn leider ist die totale Schmerzfreiheit bei vielen Patienten ein unerreichbares Ziel. Eine enge Betreuung der Patienten ist dabei entscheidend für die Schmerzen sind nach wie vor einer der häufigsten Gründe eines Arztbesuches im niedergelassenen Bereich. Nach neuesten Erkenntnissen der Forschung werden Schmerzen am erfolgreichsten behandelt, wenn die Therapie auf dem zugrunde liegenden Schmerzmechanismus beruht. Man unterscheidet dabei zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen. Chronische Schmerzen, insbesondere chronische Rückenschmerzen, bedeuten eine spezielle therapeutische Situation, da sie häufig auf einer Mischung aus beiden Schmerzkomponenten beruhen. Dieser Artikel ist Teil einer fünfteiligen Serie, die im Rahmen von CHANGE PAIN – einer von den Schmerzgesellschaften EFIC* und SGSS** unterstützten Initiative – erscheint. Therapieadhärenz, da eine multimodale und langfristige Therapie nur möglich ist, wenn auch der Patient bereit zur Mitarbeit ist. Auch die medikamentöse Schmerztherapie ist ein fundamentaler Baustein der Therapie. Gerade hier besteht aber noch immer ein grosses Defizit (1). In der Folge werden viele Patienten suboptimal therapiert, leiden täglich an Schmerzen und meist auch unter Nebenwirkungen der analgetischen Therapie. Vorrau- setzung für eine optimale medikamentöse Schmerztherapie und ein adäquates Verhältnis zwischen Behandlungswirksamkeit und Verträglichkeit ist eine Identifizierung des zugrunde liegenden Schmerzmechanismus und das zielgerichtete medikamentöse Eingreifen in diesen. Schmerz ist nicht gleich Schmerz Identifiziert man Schmerzen basierend auf dem Entstehungsme- Tabelle: Die drei Kategorien des Schmerzes Nozizeptive Schmerzen Arthrose, Frakturen und Kontusionen, extra artikuläre rheumatische Erkrankungen, Haut- und Schleimhautulzerationen, Myokardinfarkt und andere Schmerzen bei Ischämie, viszerale Schmerzen Neuropathische Schmerzen postherpetische Neuralgie, Schmerzen bei Polyneuropathien, posttraumatische Neuropathie, Phantom- oder Stumpfschmerzen, zentrale Schmerzsyndrome Gemischte Schmerzen chronische Rückenschmerzen Tumorschmerzen Schmerzen werden anhand ihres Entstehungsmechanismus in drei Kategorien eingeteilt. Die eingesetzten Analgetika orientieren sich optimalerweise am Entstehungsmechanismus (15) Grünenthal nimmt keinen Einfluss auf den Text. Die Interviewpartner sind unabhängig und werden nicht finanziell unterstützt. Die Publikation wird von Grünenthal unterstützt. chanismus, so spricht man von nozizeptiven, neuropathischen oder gemischten Schmerzen. Nozizeptive Schmerzen Nozizeptive Schmerzen (sowohl viszerale als auch somatische Schmerzen) entstehen durch Gewebeschädigungen oder -entzündungen. Sie spielen damit eine klare Rolle für die Warn- und Schutzfunktion des Körpers und klingen in der Regel ab, wenn der Schmerzauslöser behoben und das betroffene Gewebe regeneriert ist. Nozizeptive Schmerzen tragen ihren Namen aufgrund ihrer Entstehung durch eine Aktivierung der Nozizeptoren. Werden diese Schmerzrezeptoren aktiviert, wird ein elektrischer Impuls ans Rückenmark weitergeleitet. Hier wird das Signal auf Umschaltneuronen übertragen und über zentrale Schmerzbahnen ins Gehirn weitergeleitet, wo der Schmerz verarbeitet und bewertet wird (2, 3). Typische Beispiele für nozizeptive Schmerzen sind Fraktur- oder Torsionsschmerzen (für weitere Beispiele siehe Tabelle). Eine Fraktur aktiviert Nozi- SCHMERZ Teil 4 SCHMERZ zeptoren u.a. im Periost, was die Schmerzwahrnehmung auslöst. Tritt die Knochenheilung ein und die Noxe verschwindet, klingt in der Regel auch der nozizeptive Schmerz ab. Neuropathische Schmerzen Neuropathischer Schmerz wird durch eine direkte Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems ausgelöst. Neuropathische Schmerzen treten beispielsweise in Folge von Diabetes oder einer Herpes-Zoster-Infektion auf (siehe auch Tabelle) (4). So vermutet man, dass es etwa bei einer Zostererkrankung zu einer Reaktivierung von Varizellen im Spinalganglion, beziehungsweise in Hirnnervenganglien kommt und dies zu Entzündungen der peripheren Nerven führt (5). Als Folge der Schädigungen verändern sich die Neuronen biochemisch, morphologisch und physiologisch. Diese Veränderungen können chronifizieren und irreversibel werden. Neuropathische Schmerzen bergen deshalb ein höheres Risiko der Chronifizierung als nozizeptive Schmerzen, bei denen das Nervensystem intakt ist (6). Die Gefahr der Chronifizierung ist zudem bei älteren Menschen, bei denen aufgrund der physiologischen Voraussetzungen die Kapazität zur Umkehrung nervenreizender Prozesse geringer ist, grösser als bei jungen Menschen. So schätzt man beispielsweise, dass im Durchschnitt 10 bis 15 Prozent aller Zosterpatienten eine postzosterische Neuralgie entwickeln, bei 70- bis 80-jährigen Patienten liegt der Schnitt jedoch bereits bei fast 70 Prozent (5). Gemischte Schmerzen Besonders chronische Schmerzen sind häufig multifaktorieller Natur und beinhalten sowohl eine nozizeptive als auch eine neuropathische Komponente. Man spricht deshalb von gemischten Schmerzen. Besonders bei der grossen Gruppe der Patienten mit Rückenschmerzen, sind gemischte Schmerzen sehr häufig. So wurden in einer Studie von Freynhagen et al. bei einem Drittel aller Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zusätzlich zur nozizeptiven Schmerzkomponente auch charakteristische Anzeichen für neuropathische Schmerzen festgestellt (7). In einer weiteren Studie mit Patienten mit starken chronischen Rückenschmerzen wiesen sogar 77 Prozent der Patienten eine neuropathische Schmerzkomponente auf (8). Rechnet man diese und andere Daten zusammen, leiden etwa 4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an Rückenschmerzen mit einer neuropathischen Komponente (9). Um eine Chronifizierung zu vermeiden und angemessen zu behandeln, ist es bei gemischten Schmerzen wichtig, die neuropathische Komponente frühzeitig zu identifizieren (6). Hierfür wurden verschiedene Fragebögen entwickelt, die Schmerzintensität, Schmerzmuster und Schmerzqualität berücksichtigen (10). Die medikamentöse Therapie orientiert sich dann optimalerweise an den identifizierten Schmerzkomponenten. Schmerztherapie auf Basis des Entstehungsmechanismus Da verschiedene Analgetika an unterschiedlichen Punkten angreifen, sind sie nicht bei jeder Schmerzform gleich wirksam. In den letzten Jahren rückte deshalb die mechanismenorientierte Therapie immer weiter in den Vordergrund, da sie eine höhere Therapieeffizienz mit weniger Nebenwirkungen verspricht (11). Die Behandlung des nozizeptiven Schmerzes ist in der Regel einfacher und erfolgreicher als die Behandlung neuropathischer Schmerzen. Dabei können je nach Stärke der Schmerzen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und niedrig dosierte Opioide eingesetzt werden. Zu beachten ist, dass NSAR mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Blutungen und kardiovaskuläre Zwischenfälle assoziiert sind. MOR-NRI – Die neue Klasse zentralwirksamer Analgetika MOR NRI Akuter Schmerz – im Vordergrund MOR Agonismus Chronischer und neuropathischer Schmerz – MOR vermindert vorhanden – NA Wiederaufnahmehemmung im Vordergrund Synergien der beiden Wirkmechanismen MOR Akuter NRI Chronischer und neuropathischer Schmerz Abbildung 1: Duale Wirkungsweise der MOR-NRI-Analgetika (16) Bei neuropathischen Schmerzen sind NSAR wirkungslos und deshalb für die Therapie weniger geeignet. Hier werden verschiedene Substanzklassen, unter anderem Opioide eingesetzt, wobei es jedoch einer höheren Dosierung bedarf als beim nozizeptiven Schmerz (12) (13). In Kombinationstherapien mit Koanalgetika, wie unter anderem Ca- und NaKanalblocker (Antikonvulsiva), wirken diese nervenstabilisierend und anxiolytisch, während Noradrenalin und/oder SerotoninWiederaufnahmehemmer (Antidepressiva) die Schmerzhemmung steigern (4). Wegen des erhöhten Risikos der Chronifizierung, ist es bei neuropathischen Schmerzen besonders wichtig, den akuten Schmerz möglichst früh und umfassend, das heisst mit dem Ziel der absoluten Schmerzfreiheit, zu behandeln. Das Kreuz mit den gemischten Schmerzen Eine spezielle therapeutische Situation stellt die Behandlung des gemischten Schmerzes dar. Einerseits sind gemischte Schmerzen, wie beispielsweise Rückenschmerzen, häufig chronischer Natur, weshalb die Schmerztherapie für einen längeren Zeitraum, das heisst auf 10 bis 20 Jahre angelegt sein muss. Andererseits muss die Therapie sowohl die neuropathische als auch die nozizeptive Komponente der Schmerzentstehung ansprechen. Aus diesem Grund kommen häufig Kombinationen verschiedener Medikamente zum Einsatz. Unter den stark wirksamen Analgetika werden oft Opioide gewählt, da gewisse wie NSAR über einen längeren Zeitraum mit zu vielen Nebenwirkungen assoziiert sind. Zusätzlich kommen Koanalgetika, wie die oben beschriebenen Antikonvulsiva und Antidepressiva zum Einsatz, welche jedoch nur die neuropathische Komponente ansprechen und bei nozizeptivem Schmerz praktisch wirkungslos sind. Problematisch und vielfach Grund für den zu zögerlichen Einsatz von Opioiden sind die Nebenwirkungen dieser Behandlung. Vor allem zu Beginn einer Opioidbehandlung treten vermehrt Übelkeit und Schwindel auf, weshalb oft parallel Antimimetika verschrieben werden. Insgesamt brechen über 30 Prozent der Patienten unter Opioiden die Therapie aufgrund zu starker Nebenwirkungen ab (1). Der Teufelskreis aus Dosisreduktion und -erhöhung, ein häufiges Resultat der fehlenden Balance zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungen, bedeutet eine zusätzliche Belastung für den Patienten und führt häufig zu Depressionen und anderen psychischen Leiden (14). Eine optimale Therapie für gemischte Schmerzformen, die gleichermassen die neuropathische und nozizeptive Schmerzkomponente anspricht und mit einem Minimum an Nebenwirkungen verbunden ist, ist also noch nicht gefunden. SCHMERZ Teil 4 SCHMERZ Steuerung der Schmerzweiterleitung über Schmerzbahnen Aufsteigende Schmerzbahnen MOR -Opioid Rezeptor Agonismus Wirkt vorwiegend bei nozizeptiven Schmerzen Absteigende Schmerzbahnen NRI NoradrenalinWiederaufnahmeHemmung Wirkt vorwiegend bei neuropathischen Schmerzen Abbildung 2: Steuerung der Schmerzweiterleitung über Schmerzbahnen [16] Neue Behandlungsansätze und zukünftige Therapien Neue Behandlungsansätze, die sich direkt an den Entstehungsmechanismen orientieren und sowohl die nozizeptive als auch die neuropathische Schmerzkomponente behandeln, könnten wesentlich dazu beitragen, das Schmerzmanagement zu verbessern. Mittlerweile gibt es Neuentwicklungen, die gezielt an verschiedenen Punkten der körpereigenen Schmerzmodulation ansetzen und damit sowohl der nozizeptiven als auch der neuropathischen Schmerzkomponente Rechnung tragen. Die körpereigene Schmerzmodulation erfolgt vor allem durch das opioide und das monoaminerge System. Das opioide System basiert auf der Bindung körpereigener Opiode, Enkephaline, an sogenannte μ-Opioid-Rezeptoren (MOR) an den Enden der schmerzweiterleitenden, aufsteigenden Schmerzbahnen und auf der daraus resultierenden Hemmung der Reizweiterleitung. Im monoaminergen System wird die Schmerzweiterleitung durch die Freisetzung von Serotonin und Noradrenalin in den absteigenden Schmerzbahnen moduliert. Norardrenalin wirkt dabei hemmend auf die Schmerzweiterleitung, Serotonin kann sowohl hemmend als auch stimulierend wirken. Diese beiden Modulationssysteme spielen unterschiedlich wichtige Rollen bei nozizeptiven Schmerzen und Schmerzen mit neuropathischer Komponente. Bei akuten, nozizeptiven Schmerzen steht das opioide System im Vordergrund. Bei chronischen Schmerzen mit neuropathischer Komponente kann es zu einer verminderten analgetischen Reaktion auf Opioide kommen, womit sich der relative Beitrag der beiden Systeme zugunsten des monoaminergen Systems verschiebt (s. Abbildung 1). Die Klasse der zentral wirksamen Analgetika MOR-NRI wirkt in beiden beschriebenen Systemen: einerseits im opioiden System, über einen μ-Opioid-RezeptorAgonismus und andererseits im monoaminergen System, über die Noradrenalin-Aufnahme-Inhibition (NRI) (s. Abbildung 2, [15]). Bei akuten, nozizeptiven Schmerzen kommt dabei vor allem der MORMechanismus zum Tragen, während bei chronischen Schmerzen mit neuropathischer Kompo- nente der NRI-Mechanismus zunehmend an Bedeutung gewinnt. Damit können mithilfe nur einer Substanz beide Schmerzkomponenten angegriffen werden, was besonders bei gemischten Schmerzen von grossem Vorteil ist. Durch die synergistische Wirkung der beiden Mechanismen wird zudem eine verbesserte therapeutische Wirksamkeit erreicht. Dies hat einen Opioid-einsparenden Effekt zur Folge, worüber auch eine Minimierung der Nebenwirkungen erreicht wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der heutigen Schmerztherapie eine Verschiebung in Richtung mechanismusorientierter Medikation besteht. Die spezielle Situation der gemischten Schmerzen bleibt dabei eine therapeutische Herausforderung, die auch in Zukunft dringend pharmazeutische Weiterentwicklungen benötigt. Mit den MOR-NRI-Analgetika halten voraussichtlich bereits in absehbarer Zeit die ersten Ergebnisse dieser Forschungsarbeit auch in die medizinische Praxis Einzug. ◗ 5. Malin JP. Die postzosterische Neuralgie – weiterhin ein therapeutisches Problem. Deutsches Ärzteblatt, 1996. 93 (59). 6. AWMF. AWMF-Leitlinie Neurologie: Diagnostik neuropathischer Schmerzen. 2008. 7. 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Bei jedem dieser Aspekte sollten die Ätiologie, der Mechanismus und die Folge des Schmerzes erfasst werden, um eine adäquate Behandlungsstrategie für den Patienten definieren zu können. Während vieler Jahre wurde das WHO-Stufenschema für die Behandlung aller Schmerzarten angewendet, obwohl es ursprünglich für die Behandlung von Tumorschmerzen validiert wurde. Diese Tatsache und das bessere Verständnis der Schmerzentstehungsmechanismen haben in letzter Zeit zu der Erkenntnis geführt, dass die Schmerzstärke nicht das einzige Kriterium für die Wahl einer angebrachten Medikation ist. Wir wissen jetzt, dass der Schmerztyp für die Therapiewahl relevant ist und dass gezielt in den dem Schmerz zugrunde liegenden Mechanismus eingegriffen werden muss. Worin liegt die Herausforderung bei der Behandlung von sogenannten gemischten Schmerzen? Gemischte Schmerzen sind wohl die häufigsten andauernden Schmerzen überhaupt. Die Therapie dieser Schmerzen birgt hauptsächlich zwei Probleme: Zunächst muss das eingesetzte Medikament alle Aspekte des Schmerzes effizient behandeln. Wir wissen, wie schwierig dies sein kann. In den meisten Fällen führt die Suche nach einer angemessenen Therapie deshalb zu der Verwendung mehrerer verschiedener Wirkstoffe. Gleichzeitig ist diese Kombination jedoch häufig von einer Aufsummierung der Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente begleitet. Zudem sind nicht alle Kombinationen kompatibel. Ein Arzt, der Schmerzpatienten behandelt, sollte sich dieser Probleme bewusst sein und bei der Behandlung berücksichtigen. Wo sehen Sie die Chance neuer Behandlungsmöglichkeiten wie diejenige mit der neuen Klasse Analgetika mit zwei unterschiedlichen Wirkmechanismen? Ein neues Analgetikum, das auf nozizeptive und neuropatische Schmerzen wirkt, würde wahrscheinlich das Problem, das die Kombination verschiedener Medikamente mit sich bringt, reduzieren oder lösen. Zusätzlich werden zwei unterschiedliche Wirkmechanismen vermutlich helfen, eine adäquate Dosierung zu finden und damit wiederum das Risiko für dosisabhängige Nebenwirkungen senken. Im Vergleich zu der Kombination verschiedener Medikamente, ist ein einzelner Wirkstoff zudem einfacher zu verschreiben und wird das Schmerzmanagement für Arzt und Patienten erleichtern. SCHMERZ