Montag 11.11.2013

Werbung
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
$Id: reell.tex,v 1.23 2013/11/11 12:32:08 hk Exp $
§1
Die reellen Zahlen
1.5
Potenzen mit rationalen Exponenten
Wir behandeln gerade die Bernoulli-Ungleichung (1+x)n ≥ 1+nx gültig für alle n ∈ N
und alle x ∈ R mit x ≥ −1. Für n = 0, 1, 2, 3, 4 haben wir die Ungleichung bereits
nachgewiesen, wir hatten auch eingesehen das die Bernoullische Ungleichung für n = 4
aus derjenigen für n = 3 folgt welche sich wiederum aus dem Fall n = 2 herleiten läßt.
Schreiben wir bei weiterhin fixierten x ≥ −1
A(n) := (1 + x)n ≥ 1 + nx
für die Bernoullische Ungleichung für n ∈ N, so können wir unsere Überlegungen der
letzten Sitzung auch in der Form
A(2) =⇒ A(3) =⇒ A(4) =⇒ A(5) =⇒ A(6) =⇒ A(7)
schreiben. Wir behaupten das sich diese Implikationskette immer weiter fortsetzt, dass
also ganz allgemein A(n) =⇒ A(n + 1) für jedes n ∈ N mit n ≥ 2 ist. Dies ist im
wesentlichen dieselbe Rechnung wie im Fall n = 2. Sei etwa ein n ∈ N mit n ≥ 2
gegeben. Um die Implikation A(n) =⇒ A(n + 1) einzusehen, können wir, wie schon
im vorigen Abschnitt festgehalten, die Aussage A(n) als wahr annehmen, es gelte also
bereits (1 + x)n ≥ 1 + nx. Multiplizieren wir diese Ungleichung mit 1 + x ≥ 0, so folgt
weiter
(1 + x)n+1 ≥ (1 + x) · (1 + nx) = 1 + (n + 1)x + nx2 ≥ 1 + (n + 1)x,
es gilt also auch A(n + 1) und die Implikation A(n) =⇒ A(n + 1) ist bewiesen. Unsere
obige Implikationskette setzt sich also endlos fort
A(0) =⇒ A(1) =⇒ A(2) =⇒ A(3) =⇒ A(4) =⇒ A(5) =⇒ · · · ,
wobei wir diesmal bei A(0) anfangen da die ersten beiden Implikationen sowieso gelten.
Unsere Folgerungskette kann also zu jedem n ∈ N verlängert werden und A(n), d.h.
die Bernoullische Ungleichung, gilt damit allgemein für n ∈ N.
Das Vorgehen im eben durchgeführten Beweis ist streng genommen weder ein direkter noch ein indirekter Beweis, da das kann also zu jedem n ∈ N verlängert wer”
den“ zwar plausibel aber kein direkter Beweis ist. Es handelt hier um eine sogenannte
vollständige Induktion“, diese ist ein eigenständiger Beweistyp, den wir nun auch
”
allgemein besprechen wollen. Die vollständige Induktion ist ein Beweisverfahren, um
5-1
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
Aussagen über alle natürlichen Zahlen zu beweisen, genauer geht es um Allaussagen
der Form
∀(n ∈ N) : A(n),
wobei A(n) eine Aussage über natürliche Zahlen n ist, beispielsweise das obige A(n)
aus der Bernoulli-Ungleichung. Ein Induktionsbeweis erfolgt in zwei Schritten:
1. Induktionsanfang: Zeige das die Aussage A(0) gilt.
2. Induktionsschritt: Hier ist zu zeigen, dass aus A(n) für n ∈ N auch A(n + 1)
folgt, d.h es ist die Allaussage ∀(n ∈ N) : A(n) ⇒ A(n + 1) zu beweisen. Den
Induktionsschritt unterteilt man meistens in zwei Teile:
(a) Induktionsannahme: Sei n ∈ N mit A(n) gegeben.
(b) Induktionsschritt: Zeige, dass auch A(n + 1) gilt.
Haben wir Induktionsanfang und Induktionsschritt erfolgreich durchgeführt, so besagt
das Prinzip der vollständigen Induktion, dass die Aussage A(n) für jedes n ∈ N wahr
ist. Hieraus folgt dann beispielsweise die allgemeine Gültigkeit der Bernoullischen Ungleichung, wir werden diese etwas weiter unten auch noch einmal explizit als ein Lemma
festhalten. Ein häufiges Mißverständnis besteht darin zu glauben, dass man beim Induktionsschritt bereits weiss das A(n) wahr ist. Dies ist aber nicht der Fall, alles was
gezeigt wird ist die Implikation A(n) ⇒ A(n + 1) und wie immer beim Beweis einer
Implikation kann man annehmen das die Voraussetzung der Implikation, also A(n),
wahr ist denn andernfalls ist die Implikation sowieso wahr.
Überlegen wir uns kurz noch einmal in der allgemeinen Situation warum ein Induktionsbeweis funktioniert. Im Induktionsanfang wird A(0) nachgewiesen und im Induktionsschritt wird weiter A(n) ⇒ A(n + 1) für alle n ∈ N gezeigt. Mit n = 0
wissen wir insbesondere A(0) ⇒ A(0 + 1) = A(1), d.h. A(0) und die Implikation
A(0) ⇒ A(1) sind wahr und somit ist auch A(1) wahr. Mit n = 1 haben wir dann auch
A(1) ⇒ A(1+1) = A(2) und da wir A(1) bereits eingesehen haben, ist auch A(2) wahr.
So fortfahrend sind dann auch A(3), A(4), . . ., und immer so weiter, wahr. Da wir so
bei jeder natürlichen Zahl n ∈ N vorbeikommen ist A(n) für jedes n ∈ N wahr. Dies
sollte Sie von der Gültigkeit der Methode der vollständigen Induktion überzeugen. Es
ist allerdings wieder kein exaktes Argument für diese, da wir das Problem in dem harmlos aussehenden und so weiter“ versteckt haben. Tatsächlich werden viele einfache
”
”
Induktionsbeweise“ gar nicht explizit als solche benannt sondern mit Formulierungen
wie so fortfahrend“ verschleiert, wir sind beispielsweise im vorigen Abschnitt beim
”
Nachweis der Kettenform des Transitivitätsgesetzes der Anordnung auf diese Weise
vorgegangen.
In den allermeisten Fällen ist der Induktionsanfang eine recht banale Angelegenheit.
Trotzdem ist er unverzichtbar, der Induktionsschluß kann auch bei falschen Aussagen
funktionieren. Nehmen wir einmal die offensichtlich unsinnige Aussage n > n + 1 als
unser A(n). Ist dann n ∈ N mit A(n), also n > n + 1, so folgt durch Addition mit Eins
auch n + 1 > (n + 1) + 1, also A(n + 1). Der Induktionsschluß ist hier also problemlos
5-2
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
möglich, der Anfang natürlich nicht. Dies ist kein seltenes Phänomen, nehmen Sie
einmal an die Aussage A(n) ist für jedes n ∈ N falsch. Da aus falschem alles folgt, gilt
dann A(n) ⇒ A(n + 1) für jedes n ∈ N, der Induktionsschluß funktioniert also immer
wenn die Aussage A(n) niemals richtig ist.
Es spielt keine Rolle das als Startpunkt der Induktion n = 0 verwendet wird, man
kann einen Induktionsbeweis auch bei einem beliebigen n = n0 ∈ N starten. Sehr häufig
wird n = 1 als Start verwendet da n = 0 oft ein Sonderfall ist. Als ein vollständiges
Beispiel eines Induktionsbeweises, wollen wir jetzt die Bernoulli-Ungleichung, sogar in
einer etwas erweiterten Form, explizit formulieren und beweisen.
Lemma 1.6 (Die Bernoulli-Ungleichung)
Für alle x ∈ R mit x ≥ −1 und alle n ∈ N gilt die Ungleichung
(1 + x)n ≥ 1 + nx
und genau dann ist (1 + x)n = 1 + nx wenn n ≤ 1 oder x = 0 ist.
Beweis: Sei x ∈ R mit x ≥ −1. Dann gelten sofort (1 + x)0 = 1 = 1 + 0 · x sowie
(1 + x)1 = 1 + 1 · x und im Fall x = 0 ist auch (1 + x)n = 1n = 1 = 1 + n · x für jedes
n ∈ N. Wir können daher im Folgenden x 6= 0 annehmen und wollen (1 + x)n > 1 + nx
für alle n ∈ N mit n ≥ 2 zeigen. Dies geschieht nun durch vollständige Induktion nach
n. Zunächst ist (1 + x)2 = 1 + 2x + x2 > 1 + 2x, unsere Behauptung gilt also im Fall
n = 2 und der Induktionsanfang ist durchgeführt.
Nun sei ein n ∈ N mit n ≥ 2 und (1 + x)n > 1 + nx gegeben. Wegen 1 + x ≥ 0 folgt
dann auch
(1 + x)n+1 ≥ (1 + x) · (1 + nx) = 1 + (n + 1)x + nx2 > 1 + (n + 1)x,
und unsere Behauptung gilt auch für n + 1. Per vollständiger Induktion ist damit
(1 + x)n > 1 + nx für alle n ∈ N mit n ≥ 2.
Wir wollen auch noch einen zweiten Induktionsbeweis vorführen und die sogenannte
allgemeine binomische Formel herleiten. Dies ist eine Formel für die Potenzen einer
Summe, also für (x + y)n mit x, y ∈ R, n ∈ N. Um diese hinzuschreiben benötigen
wir allerdings zwei kleine Vorbereitungen, zunächst einmal wollen wir das sogenannte
Summenzeichen einführen. Man schreibt beispielsweise für n ∈ N
n
X
k = 1 + 2 + · · · + n.
k=1
Das große Sigma ist hier das
P Summenzeichen und k der sogenannte Summationsindex. Das Summenzeichen nk=1 ak wird so interpretiert das k die Werte von 1 bis n
durchläuft, für jedes solche k die Zahl ak gebildet wird und alle diese Zahlen aufsummiert werden. Beispielsweise sind
6
X
k 2 = 32 + 42 + 52 + 62 = 9 + 16 + 25 + 36 = 86 oder
k=3
4
X
1
k=1
5-3
k
= 1+
1 1 1
25
+ + = .
2 3 4
12
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
Oftmals läßt man den Summationsindex auch über eine kompliziertere Menge laufen,
die dann in der Regel unterhalb des Summenzeichens beschrieben wird, beispielsweise
X
1≤k≤10
k Primzahl
1
1 1 1 1
247
= + + + =
.
k
2 3 5 7
210
Der Summationsindex ist eine der in der ersten Sitzung erwähnten formalen Variablen,
insbesondere gibt es ihn nur innerhalb der Summe und nicht außerhalb. Bei komplexeren Summen dürfen auch mehrere Summationsindizes gleichzeitig verwendet werden,
beispielsweise
1
1
1
1
1 1 1
47
=
+
+
= + + = .
i+j
1+2 1+3 2+3
3 4 5
60
1≤i<j≤3
X
Hier durchlaufen die Summationsindizes i, j die möglichen Werte (i, j) = (1, 2), (1, 3)
und (2, 3). Sind a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn und c beliebige Zahlen, so gelten offenbar
n
X
(ak + bk ) =
n
X
ak +
n
X
n
X
(cak ) = c ·
bk und
k=1
k=1
k=1
n
X
ak .
k=1
k=1
Entsprechende Formeln gelten dann natürlich auch für die Summation über kompliziertere Indexbereiche. Analog zum Summenzeichen gibt es dauch ein Produktzeichen,
hierfür verwendet man ein großes Pi, also beispielsweise
5
Y
(2k − 1) = 1 · 3 · 5 · 7 · 9 = 945.
k=1
Die beiden obigen Formeln nehmen für das Produktzeichen die Form
n
Y
(ak bk ) =
k=1
n
Y
k=1
!m
ak
=
n
Y
k=1
n
Y
ak ·
n
Y
bk ,
k=1
am
k
k=1
an, wobei n, m ∈ N, a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn ∈ R sind. Die Potenzformel gilt dann auch für
Potenzen mit rationalen oder reellen Exponenten, sobald diese definiert sind. Genau
wie beim Summenzeichen werden auch Produkte über kompliziertere Indexbereiche
oder mit mehreren Indizes notiert, etwa
Y
Y
k = 2 · 3 · 5 · 7 = 210 oder
j i = 21 · 31 · 32 = 54.
1≤i<j≤3
1≤k≤10
k ist Primzahl
5-4
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
Einen Randfall wollen wir noch erwähnen, wenn der Indexbereich einer Summe oder
eines Produktes überhaupt keine Elemente enthält, wir also eine leere Summe“ bezie”
hungsweise ein leeres Produkt“ haben, so wird die leere Summe per Konvention als 0
”
interpretiert und das leere Produkt ist per Konvention gleich 1.
Als zweite Vorbereitung für die allgemeine binomische Formel wollen wir die sogenannten Binomialkoeffizienten einführen.
Definition 1.8 (Fakultäten und Binomialkoeffizienten)
Sei n ∈ N. Dann heißt die Zahl
n
Y
n! :=
k = 1 · 2 · ... · n
k=1
die Fakultät von n. Für n = 0 wird dieses leere Produkt wie gerade beschrieben als
0! = 1 interpretiert. Weiter definieren wir für jedes k ∈ N mit 0 ≤ k ≤ n den Binomialkoeffizienten von n über k als
n
n!
n · (n − 1) · . . . · (n − k + 1)
:=
=
.
k
k!(n − k)!
k!
Man kann die Binomialkoeffizienten bequem über das sogenannte
Pascalsche Drei
n
eck berechnen. Denken wir uns die Binomialkoeffizienten k zu festen n zeilenweise
angeordnet
0
0
& .
1
1
0
1
& .
& .
2
2
2
0
1
2
.
&
.
&
.
& 3
3
3
3
0
1
2
3
so ergibt sich der k-te Binomialkoeffizient in Zeile n als die Summe des (k − 1)-ten
und des k-ten Binomialkoeffizienten in Zeile n − 1, d.h. als die Summe der links und
rechts über ihm stehenden Einträge. Beispielsweise erhalten wir für n = 1, 2, 3, 4, 5, 6
die Werte
1
1
1
1
2
1
1
3
3
1
1
4
6
4
1
1
5
10
10
5
1
1
6
15
20
15
6
1
5-5
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
Als Formel geschrieben bedeutet das Pascalsche Dreieck das für alle n, k ∈ N mit
1 ≤ k ≤ n stets
n+1
n
n
=
+
k
k−1
k
gilt. Dies läßt sich leicht nachrechnen
n
n
n!
n!
n! · (k + n + 1 − k)
+
=
+
=
k−1
k
(k − 1)!(n + 1 − k)! k!(n − k)!
k!(n − k)!
(n + 1)!
n+1
n! · (n + 1)
=
=
.
=
k!(n − k)!
k!(n − k)!
k
Damit haben wir alle notwendigen Hilfsmittel bereitgestellt um nun die allgemeine
binomische Formel zu behandeln.
Lemma 1.7 (Allgemeine binomische Formel)
Für alle x, y ∈ R, n ∈ N gilt
n
(x + y) =
n X
n
k=0
k
xk y n−k .
Beweis: Seien x, y ∈ R gegeben. Wir beweisen die binomische Formel durch Induktion
nach n. Wegen
0 0 0
0
(x + y) = 1 =
xy
0
gilt die binomische Formel für n = 0 und der Induktionsanfang ist nachgewiesen. Nun
sei ein n ∈ N mit
n X
n k n−k
n
(x + y) =
x y
k
k=0
gegeben. Multiplizieren wir diese Gleichung mit x + y, so folgt weiter
n+1
(x + y)
n X
n
n X
n
5-6
n+1−k k
n X
n
x y
=
x
y +
xn−k y k+1
k
k
k
k=0
k=0
k=0
n
n+1
X
X n
n
=
xn+1−k y k +
xn+1−k y k
k
k
−
1
k=1
k=0
n
X n
n
n+1
=x
+
+
xn+1−k y k + y n+1
k
k−1
k=1
n n+1 X
X
n + 1 n+1−k k
n + 1 n+1−k k
n+1
n+1
=x
+
x
y +y
=
x
y ,
k
k
k=1
k=0
= (x + y) ·
k n−k
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
und wir haben den Induktionsschritt durchgeführt. Per vollständiger Induktion ist das
Lemma damit bewiesen.
Beispielsweise sind damit
n n
X
X
n
n
n
k n
= (1 + 1) = 2 und
(−1)
= (1 − 1)n = 0,
k
k
k=0
k=0
letzteres für n ≥ 1. Konkret haben wir für einige kleine Werte des Exponenten n die
Gleichungen
(x + y)2
(x + y)3
(x + y)4
(x + y)5
(x + y)6
=
=
=
=
=
x2 + 2xy + y 2 ,
x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3 ,
x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4 ,
x5 + 5x4 y + 10x3 y 2 + 10x2 y 3 + 5xy 4 + y 5 ,
x6 + 6x5 y + 15x4 y 2 + 20x3 y 3 + 15x2 y 4 + 6xy 5 + y 6 .
Wir wollen noch eine erste Anwendung der binomischen Formel vorführen und den
Beweis der Bernoullischen Ungleichung im Hauptfall x ≥ 0 vereinfachen. Sind n ∈ N
und x ∈ R mit x ≥ 0, so ist auch xk ≥ 0 für jedes k ∈ N und damit folgt sofort
n n X
X
n k
n k
n
x ≥ 1 + nx.
x = 1 + nx +
(1 + x) =
k
k
k=2
k=0
Andere Abschätzungen für Potenzen von 1 + x kann man jetzt ganz analog durch
weitere Anwendungen der binomischen Formel erhalten. Sind beispielsweise n ∈ N und
1 ≤ k ≤ n gegeben, so folgt für jedes x ∈ R mit x ≥ 0 auch
n X
n l
n k
n
(1 + x) =
x ≥1+
x .
l
k
l=0
Hier haben wir einfach alle Terme bis auf zwei in der binomischen Formel weggelassen,
was den Ausdruck wegen x ≥ 0 kleiner macht.
Als nächsten Schritt definiert man dann Potenzen mit negativen, ganzzahligen Exponenten. Diese kann man aber nur noch für eine von Null verschiedene Basis einführen.
Bereits im Axiom (M4) haben wir für 0 6= x ∈ R die Schreibweise x−1 eingeführt, und
nach unserer Bruchdefinition ist
x−1 = 1 · x−1 =
1
.
x
Für n ∈ N mit n ≥ 1 und 0 6= x ∈ R setzen wir allgemein
n
1
1
−n
x := n =
.
x
x
5-7
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
Auch für diesen allgemeineren Potenzbegriff gelten dann die Potenzrechenregeln
n
x
xn
n
n n
= n , xn · xm = xn+m und (xn )m = xnm
(xy) = x y ,
y
y
für alle x, y ∈ R\{0}, n, m ∈ Z. Auch dies müsste man eigentlich beweisen, aber wir
wollen uns dies an dieser Stelle ersparen. Eine vernünftige Formel für Potenzen von
Summen bei negativen Exponenten gibt es leider nicht. Ordnungsbeziehungen drehen
sich bei negativen Exponenten um, für x, y ∈ R mit x, y > 0 haben wir zunächst
x < y ⇐⇒
1
1
<
y
x
und für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 folgt weiter
n n
1
1
1
1
<
,
< ⇐⇒
y
x
y
x
also haben wir insgesamt
∀(x, y ∈ R, x, y > 0)∀(n ∈ Z, n < 0) : x < y ⇐⇒ y n < xn .
Die nächste Ausdehnung des Potenzbegriffs erfolgt auf rationale Exponenten, d.h. wir
wollen Potenzen xa für reelles x ∈ R mit x > 0 und rationales a ∈ Q definieren. Dies
erfolgt durch Rückgriff auf reelle Wurzeln, aber leider sagen unsere Axiome für die reellen Zahlen nicht direkt das es solche Wurzeln überhaupt gibt. Wie schon bemerkt legen
die angegebenen Axiome die reellen Zahlen vollständig fest, wir sollten die Existenz
von Wurzeln also beweisen können. Um den Beweis übersichtlich zu halten, wollen wir
zunächst einige kleine Vorüberlegungen anstellen. Sind x, y ∈ R mit x < y, so folgt
x+x
x+y
y+y
x=
<
<
= y,
2
2
2
also ist z := (x + y)/2 eine reelle Zahl zwischen x und y, d.h. x < z < y. Weiter
behaupten wir das es für je zwei reelle Zahlen x, y ∈ R mit 0 ≤ x < y stets eine reelle
Zahl z ∈ R mit z > 1 und xz < y gibt. Für x = 0 ist dies etwa mit z := 2 erfült
und für x > 0 haben wir y/x > 1, also existiert z ∈ R mit 1 < z < y/x und durch
Multiplikation mit x > 0 folgt xz < y.
Nun seien n ∈ N mit n ≥ 1 und x, y ∈ R mit x > 0 und xn < y gegeben. Wir
behaupten das es dann auch ein z ∈ R mit z > x und z n < y gibt. Zunächst gibt es
nämlich eine reelle Zahl u > 1 mit xn u < y. Dann ist u − 1 > 0 also ist
u−1
:= min
,1
2n − 1
eine reelle Zahl mit 0 < ≤ 1 und 1 + (2n − 1) ≤ u. Wir erhalten die reelle Zahl
z := x(1 + ) > x. Wegen ≤ 1 gilt k ≤ für jedes k ∈ N mit k ≥ 1, also liefert die
binomische Formel Lemma 7
n n X
X
n k
n
n
(1 + ) =
≤1+
= 1 + (2n − 1) ≤ u
k
k
k=0
k=1
5-8
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
und somit ist auch
z n = xn (1 + )n ≤ xn u < y.
Eine analog Aussage läßt sich auch in die andere Richtung beweisen, sind n ∈ N mit
n ≥ 1 und x, y ∈ R mit x > 0 und xn > y > 0, so existiert eine weitere reelle Zahl
z ∈ R mit 0 < z < x und z n > y. In der Tat, betrachten wir die positiven Zahlen
1/x, 1/y > 0 mit (1/x)n = 1/xn < 1/y, so gibt es nach der eben bewiesenen Aussage
ein z 0 ∈ R mit z 0 > 1/x und z 0 n < 1/y. Damit ist auch
z :=
1
1
< x mit z > 0 und z n = 0 n > y.
0
z
z
Nach diesen Vorbereitungen kommen wir zum Beweis der Existenz von Wurzeln reeller
Zahlen.
Lemma 1.8 (Existenz von Wurzeln)
Sei n ∈ N mit n ≥ 1. Dann existiert für jede reelle Zahl a ∈ R mit a ≥ 0 genau eine
reelle Zahl s ∈ R mit s ≥ 0 und sn = a.
Beweis: Da für x, y ∈ R mit 0 ≤ x < y stets xn < y n also insbesondere xn 6= y n gilt,
ist die Eindeutigkeit der Wurzel s klar. Es ist also nur noch die Existenz zu beweisen.
Wir betrachten zunächst den Fall a ≥ 1 und setzen
M := {x ∈ R|x > 0 und xn ≤ a} ⊆ R.
Wegen 1 ∈ M ist dann M 6= ∅. Weiter ist a eine obere Schranke von M , denn ist x ∈ M
so gilt im Fall x ≤ 1 sofort x ≤ 1 ≤ a und im Fall x > 1 haben wir ebenfalls x ≤ xn ≤ a.
Damit ist die Menge M auch nach oben beschränkt und das Vollständigkeitsaxiom (V)
liefert die Existenz von
s := sup M = sup{x ∈ R|x > 0 ∧ xn ≤ a}.
Wegen 1 ∈ M ist s ≥ 1, also insbesondere s > 0. Wir behaupten das sn = a ist und
hierzu zeigen wir das weder sn < a noch sn > a gelten kann. Angenommen es wäre
sn < a. Wie eingangs gezeigt gibt es dann ein t ∈ R mit t > s und tn < a, d.h. es ist
t ∈ M und somit t ≤ s, ein Widerspruch. Wäre sn > a, so gibt es wieder nach unserer
Vorbemerkung eine reelle Zahl t ∈ R mit 0 < t < s und tn > a. Nach Lemma 3.(a)
existiert ein x ∈ M mit x > t und damit ergibt sich der Widerspruch a < tn < xn ≤ a.
Damit muss sn = a gelten und die Existenz einer n-ten Wurzel ist im Fall a ≥ 1
bewiesen.
Für a = 0 ist die Existenz einer n-ten Wurzel klar, wir müssen also nur noch den
Fall 0 < a < 1 behandeln. Dann ist 1/a > 1 und wie bereits gezeigt existiert ein s ∈ R
mit s ≥ 0 und sn = 1/a. Wegen 1/a 6= 0 ist auch s 6= 0 und damit ist 1/s > 0 mit
(1/s)n = a.
5-9
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 11.11
√
Die Zahl s des
Lemmas wird dann natürlich als die n-te Wurzel n a := s von a
√
definiert, d.h. n a ist diejenige, nicht negative, reelle Zahl deren n-te Potenz gleich a
ist.
Sind jetzt x ∈ R mit x > 0 und a ∈ Q gegeben, so schreiben wir a = p/q mit
p, q ∈ Z, q ≥ 1 und definieren
p
√ p
xa = x q := q x > 0.
Diese Zahl hängt tatsächlich nur von a und nicht von den speziell gewählten p und q
ab, denn sind auch t, s ∈ Z mit s ≥ 1 und
t
p
a = = , so ist auch qt = sp,
s
q
also haben wir
p qs
√
√ pqs
q
=
x
= qx
und somit ist auch
q ps
√
q
x
= xps = xqt =
s qt
t qs
√
√ sqt √
s
s
=
x
= sx
x
,
p
√
√ t
q
x = sx .
Damit ist xa tatsächlich sinnvoll definiert. Auch für diese allgemeineren Potenzen ergeben sich jetzt wieder die Potenzrechenregeln
a
xa
x
a
a a
= a , (xa )b = xab und xa xb = xa+b
(xy) = x y ,
y
y
für alle x, y ∈ R, a, b ∈ Q mit x, y > 0. Auf den Nachweis dieser Formeln wollen wir hier
verzichten. Auch die Regeln für Ungleichungen gelten für die Potenzen mit rationalen
Exponenten. Sind zunächst x, y ∈ R mit x, y ≥ 0 und n ∈ N mit n ≥ 1, so haben wir
√ n
√
√
√
n
x < n y ⇐⇒ n x < ( n y)n ⇐⇒ x < y.
Sind dann weiter x, y ∈ R und a ∈ Q mit x, y, a > 0, so können wir a = p/q mit
p, q ∈ N, p, q ≥ 1 schreiben, und es ergibt sich
√
√ p
√
√
x < y ⇐⇒ q x < q y ⇐⇒ q x < ( q y)p ⇐⇒ xa < y a .
Noch nicht definiert haben wir Potenzen xa mit beliebigen reellen Exponenten a ∈ R
und positiver Basis x > 0. Eine Möglichkeit diese Potenzen zu definieren ist zunächst
für x > 1
xa := sup{xq |q ∈ Q, q ≤ a}
zu setzen und für 0 < x < 1 setzt man dann xa := ((x−1 )a )−1 oder gleichwertig
xa := inf{xq |q ∈ Q, q ≤ a}.
Der Fall x = 1 ist dann ein Sonderfall und man setzt 1a := 1 für alle a ∈ R. Das könnte
man zwar alles so tun, und es ergibt auch den korrekten Potenzbegriff, der Nachweis
der Potenzrechenregeln ist dann aber unnötig aufwendig. Später in diesem Semester
wird sich noch eine bessere Methode zur Definition allgemeiner Potenzen ergeben, und
wir verschieben dieses Thema daher auf diesen späteren Zeitpunkt.
5-10
Herunterladen