Klimawandel – was dem Eisbären sein Leid

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April
Klimawandel – was dem
Eisbären sein Leid ...
... ist dem Bienenfresser sein Freud’! Tropisch anmutende, schillernde Vögel jagen durch die Luft, darunter flattern Segelfalter und am Teich steht dekorativ
der Seidenreiher, umschwirrt von knallroten Feuerlibellen. Ein Bild aus den Tropen oder aus dem Urlaub in Spanien? Keineswegs, all das ist bereits Wirklichkeit hier bei uns in Deutschland. Während wir noch über die Auswirkungen des
Klimawandels streiten, ist er in der Natur längst Wirklichkeit geworden.
Unglaubliche Umwälzungen
„Mit unglaublichen Umwälzungen bei
Flora und Fauna“, so Professor Matthias
Freude, Präsident des Landesumweltamtes Brandenburg, „die sehr schnell
vonstatten gehen.“ In welch rasantem
Tempo das wirklich geschieht, zeigt eine
Studie an einem 1200 km2 großen Gebiet am Bodensee. Hier wurden in den
vergangenen knapp 30 Jahren alle Vogelarten kartiert und von Mainzer Forschern ausgewertet. Ergebnis: Während
die Temperatur am Bodensee um 2,4 °C
anstieg, erhöhte sich die Zahl der Vogelarten von 141 auf 156. „In so kur-
zer Zeit“, so Katrin Böhning-Gaese, Ökologin an der Universität Mainz „ist das
dramatisch. Alles gerät in Bewegung“.
Ursprünglich am Mittelmeer beheimatete Arten wie Zaun- und Zippammer,
Orpheusspötter, Mittelmeermöwe und
Purpurreiher zählen nun schon zur festen Fauna am Bodensee.
Immer nordwärts
In Deutschland hat der gemessene
durchschnittliche Temperaturanstieg
von 0,95 °C für eine Verschiebung der
Klimazonen um bis zu 100 km nach Norden gesorgt. So existiert mittlerweile
eine Brutkolonie mit etwa 500 Vögeln
des wärmeliebenden Bienenfressers im
Freiburger Umland. Mittlerweile ist der
Neubürger auch in der Wiesener Marsch
bei Hamburg keine Seltenheit mehr. Daneben werden andere südeuropäische
Arten wie Felsenschwalbe, Orpheusspötter und Seidenreiher, sehr zur Freude
der Vogelbeobachter, immer häufiger
gesehen.
Insekten und Spinnen auf dem
Vormarsch
Doch nicht nur hübsche Vögel breiten
sich in Richtung Norden aus. Vor allem
F Gewinner des Klimawandels: der zauberhafte Bienenfresser.
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Checkliste: Top 10 der Gewinner
Bienenfresser (Merops apiaster)
Seidenreiher (Egretta garzetta)
Roter Knurrhahn (Trigla lucerna)
Gottesanbeterin (Mantis religiosa)
Feuerlibelle (Crocothemis erythraea)
Großer Fuchs (Nymphalis polychloros)
Maikäfer (Melolontha melolontha)
Borkenkäfer (Scolytidae)
Wespenspinne (Argiope bruennichi)
Zecke (Ixodida)
Insekten und Spinnen, die ja größtenteils wärmeliebend sind, profitieren vom Klimawandel. So kommt die
schöne Wespenspinne (Argiope bruennichi), noch vor 50 Jahren in Mitteleuropa sehr selten, mittlerweile regelmäßig sogar in Schleswig-Holstein vor. Im
Raum Berlin werden immer öfter Menschen vom Dornfinger (Cheiracanthium
punctorium) gebissen – einer bis zu
1,5 cm großen, wärmeliebenden Spinne,
die auch Menschen tatsächlich spürbar
schmerzhaft beißt.
So sehr der Anblick der eingewanderten
Feuerlibelle (Crocothemis erythraea),
der hübschen Schmetterlingsart Großer
Fuchs (Nymphalis polychloros) und der
imposanten Gottesanbeterin (Mantis religiosa) uns erfreut – gleichermaßen profitieren auch lästige oder schädliche
Arten wie Borkenkäfer (Scolytidae), Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea
processionea), Blattläuse (Aphidoidea)
und Zecken (Ixodida) von immer milderen Wintern und längeren Sommern. So
wachsen Borkenkäfer in den zunehmend
wärmeren Jahren statt in normalerweise
nur zwei nunmehr in drei oder sogar
vier Generationen heran, und die Maikäfer (Melolontha melolontha) vollziehen
ihre Entwicklung vom Ei zum fertigen
Käfer jetzt schon in drei statt in vier Jahren. Das heißt auch sie vermehren sich
schneller – und öfter. Was noch hinzukommt: In milden Wintern ohne strengen Dauerfrost überleben zusätzlich viel
mehr Insektenlarven als früher. E
H Beißt äußerst schmerzhaft: der Dornfinger
profitiert vom Klimawandel.
H Schöner Neubürger: immer öfter taucht
die Feuerlibelle in Mitteleuropa auf.
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Neue Meeresfische
Nicht nur an Land sind deutliche Veränderungen spürbar – auch im Wasser hat
die Artenwanderung bereits eingesetzt.
Im Mittelmeer werden zunehmend tropische Fischarten wie der Weißspitzenriffhai, Barrakudas und Rotfeuerfische
gesichtet. Seit 1995 ist das Mittelmeer
um bis zu 3 °C wärmer geworden und
damit auch salziger, was vielen tropischen Arten entgegenkommt. Allein
vor der Küste Italiens zählen Forscher
mittlerweile 59 Fischarten, die aus dem
Roten Meer eingewandert sind. Aber
auch in der Nordsee beobachten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institus für
Polar- und Meeresforschung einen Anstieg südlicher Fischarten, darunter Roter Knurrhahn, Sardine, Meeräsche und
Streifenbarbe.
Flexibel muss man sein
Soviel ist klar: Künftig hat die besten
Chancen, wer wärmeliebend ist – und
anpassungsfähig. Nur wer in der Lage
ist, flexibel zu reagieren und sein Verhalten entsprechend kurzfristig zu verändern, kann beim Klimawandel mithalten.
Bereits jetzt sind Änderungen im Zugverhalten vieler Vögel nachgewiesen:
So hat der Anteil hierzulande überwinternder Arten deutlich zugenommen.
Immer mehr Stare, Zilpzalpe, Kraniche,
Kiebitze und Stieglitze bleiben einfach
hier. Aber auch unter den Langstreckenziehern sind Veränderungen messbar:
So verlassen nach einer Studie des WWF
Deutschland einige Arten Mitteleuropa
im Herbst heute eine Woche früher als
G Trockene Sommer setzen Amphibien wie
dem Feuersalamander schwer zu.
noch in den 1960ern, um im tropischen
Afrika zu überwintern, kehren aber im
Frühjahr eher zurück. Beispiele hierfür
sind Schafstelze, Fitis und Grauschnäpper. Andere europäische Langstreckenzieher wie Fischadler und Mehlschwalbe
haben einfach ihr Überwinterungsgebiet
von Zentral- und Südafrika nach Norden
in den Mittelmeerraum verlegt.
Schon besetzt!
Das Nachsehen haben viele Transsaharazieher unter den Vögeln: Einerseits
dehnen sich die Wüstengebiete immer
weiter aus, was ihre Überquerung erschwert und Energie kostet, andererseits
Checkliste: Top 10 der Verlierer
Rotmilan (Milvus milvus)
Schneehuhn (Lagopus)
Kuckuck (Cuculus canorus)
Nachtigall (Luscinia megarhynchos)
Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca)
Bachforelle (Salmo trutta fario)
Unken (Bombina)
Feuersalamander (Salamandra salamandra)
Große Moosjungfer (Leucorrhinia dubia)
Fichte (Picea abies)
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sind viele Brutplätze bei der Ankunft bereits von den Reisemuffeln unter den
Vögeln besetzt. Ein weiteres Minus: Dadurch, dass das Frühjahr immer früher
einsetzt, haben sie den „Peak“ in der Insektenentwicklung bereits verpasst und
ihre Jungen verhungern. Doch „einfach
hierbleiben“ ist für etliche Arten keine
Alternative, selbst wenn sie flexibel genug wären, ihr Verhalten umzustellen:
Viele reine Insektenfresser können auch
einen noch so milden Winter bei uns
nicht überleben.
Nachteil für Spezialisten
Zu den Verlierern des Klimawandels
zählen Wissenschaftler Rotmilan, Kuckuck, Nachtigall, Gartenrotschwanz,
Pirol und Trauerschnäpper – so wird
es für den Kuckuck bei seiner Ankunft
im Mai immer schwieriger, noch Nester mit Eiern zu finden, in die er seine
eigenen Eier legen kann. In den Niederlanden ging der Bestand des Trauerschnäppers als Folge der Nahrungsverknappung schon um bis zu 90 % zurück.
Heimischen Meerestieren wie Kabeljau
und Hummer wird es in der Nordsee bei
uns zu warm – der Kabeljau legt seine
Eier bei hohen Wintertemperaturen zu
früh, so dass seine Larven noch vor dem
Auftreten der Futterorganismen schlüpfen und verhungern. Auch Bachforelle,
Huchen und Barsche geraten mit der Erwärmung von Flüssen und Seen in enormen Klimastress. Die großen Verlierer sind aber unter den Amphibien zu
finden. So sieht die Weltnaturschutzunion (IUCN) eine „globale Amphibienkrise“ auf uns zurollen: Zu trockene
G Sein Lebensraum schrumpft infolge des
Klimawandels: der Rotmilan.
Sommer, eine immer intensiver werdende UV-Strahlung und durch Straßen zerschnittene Wanderwege werden
den Tieren zum Verhängnis. Auch der
Ausbruch einer Pilzinfektion, die insbesondere Feuersalamander, Geburtshelferkröte und Erdkröte betrifft, wird
mittlerweile auf die Klimaerwärmung
zurückgeführt. Größter Verlierer unten den Bäumen ist die Fichte: Trockenstress und Insektenschäden wirken sich
dramatisch auf unsere Bergwälder aus.
Immer wärmer
Setzt kein Umdenken ein, so prognostizieren Klimatologen für die nächsten
100 Jahre eine weitere Erwärmung um
1,4 – 5,8 °C mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf unsere Umwelt. Genaue
Wechselwirkungen zwischen Temperaturanstieg und Artenzuwachs sind äußerst schwierig zu bewerten – ob und
wie sich die neu angesiedelten Arten in
die vernetzten Biotope und Nahrungsgefüge einfinden, kann niemand mit Gewissheit sagen. „Nur eins ist jetzt schon
klar“, so die Ökologin Katrin BöhningGaese der Universität Mainz: „ Wir werden von Süden her aufgerollt – und es
geht schneller als gedacht vonstatten.“
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