1 Thomas Gutknecht Erfolg: Im Schatten des Glücks – im Visier des

Werbung
Thomas Gutknecht
Erfolg: Im Schatten des Glücks – im Visier des Neids
Philosophische Erwägungen zu einem unphilosophischen Stichwort
[anlässlich des Sonntagsforums (Vortrag & Gespräch) 29.9.2002 in Reutlingen]
[Arbeits-Manuskript nur zum persönlichen Gebrauch – entspricht nicht den Standards wissenschaftlicher
Veröffentlichungen und gilt nicht als „Veröffentlichung“ mit urheberrechtlichen Ansprüchen. Rechtlich
verantwortlich für die Darbietung im Internet ist nicht der Autor.]
Vor einiger Zeit war ich eingeladen, bei einem Podiumsgespräch mitzuwirken,
das zum Thema hatte: „Dem Erfolg auf der Spur – Etappenziel oder
Marathonlauf?“ – Selten konnte die Philosophie so erfolgreich abschneiden,
auch wenn sie durch mich vertreten wurde. Denn ganz offenkundig war es
das Ziel der Veranstalter, der Moderatorin und der übrigen
Gesprächsteilnehmer, den Zuhörerenden und einander zu erklären, was
Erfolg ist und was es mit dem Erfolg auf sich hat. Allesamt sind sie dabei
gescheitert. Auch ich, soweit ich ihnen nicht bei Ihren Mühen helfen konnte.
Mein bzw. der Erfolg der Philosophie war schlicht der, dass es sich bei der
Kategorie des Erfolges um keinen philosophischen Begriff handelt. Und das
sagte ich denn auch. Stattdessen erzählte ich etwas über das gelingende Leben,
über geglücktes Leben, über den Lebenserfolg. Eben das machte Eindruck.
Und so schien es, dass alles zum Scheitern verurteilt ist, was man zum Erfolg
zu sagen weiß, wenn es nicht in Beziehung steht zur Lebenskunst. Das hatte
sonach die Philosophie den übrigen Beiträgen voraus: dass sie sich nicht um
das kümmert, was Tageserfolge sind, die zu Etappenzielen erklärt werden;
Tageserfolge, um die man sich müht vielleicht ein halbes Leben lang.
Die Moderatorin hieß Janet Pollock – Sie werden den Namen schon gehört
haben. Sie zählte auf, wen ein Philosoph vom Fach erwartungsgemäß gelesen
haben sollte, Platon etwa oder Aristoteles, Kant und Hegel, und fragte dann:
„Nun, und wie bestimmen Philosophen den Erfolg?“ Was sagt man da, ohne
frech zu werden? Was, ohne jemandem zu nahe zu treten. Marie von EbnerEschenbach hatte es sich noch getraut: „Erfolg ist der Ruhm der kleinen
Leute.“ Aber wenn der Philosoph zu erkennen gibt, dass diese heute zumal in
Wirtschaft und Sport so wichtige Größe, der Erfolg, nach Niedrigerem riecht,
dann wirkt das überheblich und arrogant. Auch der Spruch, der Erfolg gehöre
der verwegenen Mittelmäßigkeit, zählt zu dieser Rubrik.
Was würden Sie denken, dass Philosophen auf die Frage, was Erfolg sei,
antworten? Man könnte ihn unter Umständen bewerten und relativieren. Etwa
so: „Erst jagen wir nach Erfolg; dann jagt er uns.“ Oder: „Erfolg ist eine Strafe.
Er zwingt uns zum Verkehr mit Leuten, die man vorher meiden konnte.“ –
Aber halt. Dieser Satz gehört noch in die erstgenannte Rubrik und spricht
1
doch sehr verachtend von den Erfolgreichen. Nicht viel besser klingt das
scheinbar philosophischere Wort: „Der Erfolg ist der Lehrer der Toren.“ –
Darüber wird noch zu sprechen sein.
Es gibt wirklich viele bissige, ja sarkastische Sticheleien gegen den Erfolg. Man
könnte meinen, der Sarkasmus sei geradezu das Resultat, wenn Intellektuelle
ohne Erfolg bleiben. Erfolglose Intelligenz wird sarkastisch, das habe ich oft
erlebt.
Aber der Philosoph, der mit dem Erfolg zunächst wenig anzufangen weiß,
wird gerade deshalb auch nicht durch etwas angefochten, was andernorts als
Misserfolg oder Erfolglosigkeit betrachtet wird. Wäre Erfolglosigkeit und
Misserfolg überhaupt das Gegenteil zum Erfolg? Gibt es noch andere
Kandidaten? Etwa das Scheitern und Misslingen? Erhard Blanck wird in
dieser Frage regelrecht moralisch, wenn er sagt: Erfolg wird ohne „h“
geschrieben. Damit bringt er ihn nicht nur in die Nähe der Mittelmäßigkeit
und Verwegenheit, wie das Ebner-Eschenbach tat, sondern in die
Nachbarschaft zur Ruchlosigkeit und das geht in Richtung Ehrenrührigkeit. Es
wird mit vollem Recht gesagt, dass Erfolg nachfolgt, eine Folgeerscheinung ist.
Aber nun wird weiter gesagt, dass der Erfolg eben nicht die Folge ehrenhaften
Handelns sei. Die Tendenz geht auf die Ellenbogenmentalität.
Erfolgsmenschen sind demnach Menschen mit blauen Flecken an den
Ellenbogen. Bei Erfolgsmenschen, wird in diesem Sinne zu sagen sein, ist der
Erfolg größer... Und wie geht der Satz nun weiter? ...größer als bei den wenig
erfolgreichen Menschen? Das wäre nichtssagend. Der Satz wird daher so
lauten: Bei Erfolgsmenschen ist der Erfolg größer als die Menschlichkeit.
Muss man, einmal derart sensibilisiert, nicht auch das Wort von Max Frisch zu
den respektlosen Bemerkungen zählen. Er meint, dass der Erfolg einen
Menschen nicht verändern könne, er entlarve ihn bloß.
Ich will nun doch lieber in die Zone der Neutralität wechseln und mich
keineswegs diesen bösen Worten einfach so anschließen. In dieser
gemäßigteren Haltung bleiben aber immer noch Reserven. So etwa bei dem
Hinweis, Erfolg sei die Kunst, unbemerkt Fehler zu machen. Ins
Psychologische gewendet darf man durchaus festhalten, dass wer Erfolg
haben will, keine Angst davor haben darf, Fehler zu machen. Natürlich auch
nicht, kleinbürgerlich zu wirken oder Neid zu erregen. Auch davon, vom
Bezug zum Neid, wir ja noch ausführlich zu reden sein. Aus Misserfolgen und
Fehlern jedenfalls lernt man unstreitig mehr, weil es auch mehr weh tut und
kostet. So darf man das Wort: „Erfolg ist der Lehrer der Tor en“ ja auch
verstehen: der Erfolg lehrt nicht viel, beruhigt und lullt einen ein.
2
Andererseits weiß die Erfahrung aber auch um die normative Kraft des
Erfolgs. Der Erfolg wird’s lehren: eventus docet, sagt der Lateiner. Gemeint ist
hier zwar: der Ausgang. Denn das Wort Erfolg kommt ja vom Nachfolgen.
Schön sieht man das im englischen „success“: Sukzession, Nachfolge. Der
Ausgang folgt dem, was man zuvor getan.
Andererseits – so einfach stehen die Dinge nicht. Denn Erfolg ist oft genug
gleichsam ein glückliches Missverständnis. Lässt sich dann behaupten, der
Erfolg gebe einem recht? Man neigt dazu. Denn Erfolg scheint so etwas wie
Belohnung (Lohn) für einen bestimmten Weg zu sein. Deswegen wird
vermutet, dass der Erfolg sowohl den richtigen Weg als das richtig Ziel
offenbart. Durchaus moralistisch erinnert Nietzsche dabei an einen zu selten
bedachten Sachverhalt: Der Erfolg macht gern ein gutes Gewissen bei
schlechten Handlungen, so wie der Misserfolg womöglich auch ein schlechtes
Gewissen bei guten Handlungen erzeugt. Eben deswegen sollte der Erfolg
nicht alle Argumente ersetzen. Auch im Scheitern kann Größe liegen –
gemeint ist jetzt nicht ein fulminantes Scheitern, sondern die Tragik, dass etwa
die gerechte Sache unterliegt. Und im übrigen wäre der wahre Erfolg dann
doch erst, andernfalls erfolgreich mit Erfolg umgehen zu können.
Wenn „normative Kraft des Erfolges“ meint, dass im Recht sei, wer Erfolg hat,
so spielt recht pragmatisch jene These darauf an, die sagt, wer Erfolg haben
wolle, müsse sich so verhalten, als hätte er schon Erfolg. Das ist die
Abwandlung der Lehre: „Um es zu etwas zu bringen, sollte man so tun, als
hätte man es schon zu etwas gebracht.“ Allerdings darf man es nach Auskunft
der Lebensklugheit dabei nicht übertreiben, und wieder öffnet sich hier eine
Tür zum Neidkapitel. Man kann nämlich keinen schlechteren Gebrauch von
seinem Erfolg machen, als sich damit zu brüsten. Montesquieu drückt es am
besten aus: „Um Erfolg zu haben, muss man närrisch scheinen und weise
sein.“ Das geht auch ohn e Lüge und Verstellung, zum Beispiel mit
Bescheidenheit.
Sie sehen: über den Pragmatismus kommt man nun doch zu eher affirmativen
Aussagen zum Stichwort Erfolg. Die Erfolgsverliebten könnten sagen: Glück
gehabt. Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und die Rechnung
nicht ohne den philosophische Grieskram machen, analog zu jener süffisanten
Bemerkung: Der Optimist behauptet, wir lebten in der besten aller Welten,
während der Pessimist fürchtet, dass das stimmen könnte. Denn der Erfolg
selbst ist oft genug, wir sagten es schon, nur Glückssache – um an
Montesquieu anzuschließen: etwas Sein, mehr Schein, sehr viel Schwein. Diese
Bestimmung des Erfolgs würde ich als philosophisch haltbar bezeichnen.
Damit ist Erfolg aber eine unsichere Größe. Erfolg ist wirklich keine Schande,
aber in jedem Sinne unserer Absicht entzogen, meint denn auch Max Frisch.
Wie die Absichtslosigkeit mit dem rechten Tun verbunden und das dann mit
3
dem wahren Lebenserfolg verknüpft ist, wird mein Thema im Hauptteil sein.
Ich schließe diesen ersten Durchgang durch das Zitatenwäldchen mit einem
wirklich wichtigen und sinnvollen Hinweis: Es macht einen großen
Unterschied, ob man sich über einen Erfolg freut – was der Philosoph
unbedenklich findet – oder ob man einen Erfolg für sich in Anspruch nimmt.
Aus schon erwähnten Gründen ist das sehr riskant, und ich wiederhole es
nochmals mit anderen Worten: Vielleicht ist ein Erfolg nur ein aufgeschobener
Misserfolg. Erfolgserlebnisse sind näher betrachtet Stufen, denen man wirklich
nicht ansieht, ob sie zu einer Leiter oder einer Tretmühle gehören. Beim Erfolg
wollen alle Vater gewesen sein, der Misserfolg lässt einen verwaist zurück.
Dann, wenn der Sieg sich als wertlos erwiesen hat, weil darüber doch die
Schlacht verloren ging, will niemand Ahnherr des Pyrrhussieges gewesen
sein. Dabei könnte uns das Misslingen alle miteinander besser verbinden und
die Solidarität verwirklichen lassen, die doch auch schon in dem Wort
mitschwingt, irren sei menschlich. Denn die Vernunft verbindet. Und die
Vernunft versteht sich auf Gründe. Nun gilt aber: Alles Gelingen hat sein
Geheimnis, alles Misslingen seine, man könnte sagen, seine eben
durchsichtigen und kommunizierbaren, Gründe.
Nun habe ich auf die Frage von Janet Pollock alles dies nicht gesagt, obschon
ich es hätte sagen können. Ich habe etwas gesagt, wovon ich nicht gedacht
hätte, dass es auch Brigitte Bardot gesagt hat, wenn es mir nicht versichert
worden wäre: es nützt wenig, viele Erfolge im Leben zu haben, wenn nicht das
Leben zum Erfolg wird. Ich habe mich dabei auf Aristoteles bezogen, Brigitte
Bardot offenbar ohne diesen Bezug. Sie soll gesagt haben: „Ich hatte viel
Erfolg, aber ich will mein Leben zum Erfolg machen.“ Zum Erfolg der
Philosophie bei dieser Gesprächsrunde trug bei, dass ich mich erfolgreich
gegen die Zumutung zur Wehr setzen konnte, was Erfolg sei allein durch
diejenigen definieren zu lassen, die angeblich erfolgreich sind. Denn sie
konnten das erstens selber nicht richtig bestimmen. Zweitens bestand hier die
Kunst, erfolgreich zu sein, eher darin, das Rentable dem Sinnvollen, das
Sichere dem Abenteuer und das Erwartbare dem Gewollten vorzuziehen. Von
dieser Anleihe bei Walter Benjamin ausgehend konnte ich also das Sinnvolle,
das Abenteuer und die Freiheit vertreten, und gerade da la der Erfolg. Erfolg
kann eben kein Ziel um seiner selbst willen sein. Wenn man Erfolg, wie
gesagt, ohne „h“ schreibt, passt er zum Ehrgeiz, wo mit dem Ehrenvollen
offenbar gegeizt wird. Und so geht der Ehrgeiz in die Irre, wenn man den
Erfolg sucht um des Ruhmes willen. Es kann also erfolgreich sein, beharrlich
bei der Philosophie zu bleiben und damit den Mythos Erfolg zu entlarven.
Erfolg ist demnach also kein eigentlich philosophisches Wort. In
philosophischen Lexika kommt der Begriff nicht vor. Und dennoch eignet sich
4
das Thema Erfolg vortrefflich dazu, um ins philosophische Gespräch, ins
Philosophieren zu kommen. Vielleicht eben auch deshalb, weil es nicht den
Philosophen im engeren Sinn vorbehalten ist, sondern weil wir uns hier in
einem weiten Spannungsfeld bewegen und es nicht nur schwer zu fassen ist,
weil es fast nichts sagt, sondern weil es zugleich auch um ein Thema handelt,
das Fächergrenzen ignoriert. Am ehesten, aber auch missgestaltetsten, ist das
Wort in der Wirtschaft und in der Wirtschaftspsychologie zuhause. Auch
wenn Sie es von mir nicht unbedingt erwarten würden (so wie ich Sie kenne
und wie ich meine, dass Sie von mir denken), möchte ich Ihnen wenigstens
kurz referieren, was Personalentwickler zur, sagen wir, „Psychologie des
Erfolgs“ vorzubringen haben.
Allgemeinpsychologisch, das schicke ich noch als wichtigen Punkt voraus,
sind Erfolg und Misserfolg relativ zum Anspruchsniveau. Das Ergebnis einer
Tat ist nicht ausschließlich an einem Bedürfnis zu messen, z.B. dem nach
Anerkennung. Denn schon die Bedürfnisse entsprechen personalen
Entwürfen. Das Gelingen von etwas, das man sich vornimmt, hängt ab von
der Einschätzung des Subjekts. Aber aus diesem Grund betreffen Erfolg und
Misserfolg das Ich auch im Innersten der Persönlichkeit.
Erfolg beflügelt, Misserfolg deprimiert. Erfolg setzt Mut und „Vertrauen“
voraus. Und damit kommen wir schon zur Ratgeberliteratur und dem
Fachwissen im Bereich von H-R oder Human-Kapital, wie man da sagt.
„Die Formel der Erfolgreichen“
24 wichtige Regeln, um privat und beruflich erfolgreich zu sein
(„man muss nur wissen, wie man das Beste aus sich herausholt“):
Willenskraft entwickeln
von Erfolgreichen lernen, z.B. Mut zu Fehlern
Ziele verfolgen, Zielvorstellungen entwickeln
Prioritäten setzen
Planvoll die Zukunft vorbereiten, sich vorbereiten
„Nein“ sagen lernen
sich seiner Qualitäten vergewissern
gute Zeitbewirtschaftung
Hinterfragen, was fraglos vorausgesetzt wird
angemessen mit Stress umgehen (Stressoren erkennen)
Notweniges anerkennen
physische Fitness, z.B. Bewegung, Schlaf
Positives Denken
Entscheidungsfreude und Entschlossenheit
Delegieren
andere fördern
Nichts aufschieben (vgl. Zeitbewirtschaftung)
5
-
anderen zuhören
Vorausschauen
der inneren Stimme trauen
Bescheidenheit und Unbescheidenheit im rechten Verhältnis
andere loben
Lob für sich einwerben
Nicht sich ängstigen, etwas könne zu viel werden (Gelassenheit)
„Erfolgsintelligenz“
20 Eigenschaften der Erfolgreichen (20 Zutaten des Erfolgs)
nach Robert J. Sternberg
Hat ein Mensch Erfolgsintelligenz, dann muss er auf drei verschiedene Weisen
gut denken können: analytisch, kreativ und praktisch
Analyse: Erkennen, Urteil
Kreativität: Probleme + gute Ideen konzeptualisieren, Lösungen formulieren
Praktischer Sinn: Wirksamkeit, Umsetzung, Vermittlung
-
Selbstmotivation
Impulskontrolle
Frustrationstoleranz und Stehvermögen
Optimierung
Verwirklichung (Umsetzen von Gedanken in Taten)
Ergebnisorientierung
Abschlüsse fertig bringen
Initiativ sein
Ohne Angst vor Fehlschlägen
Nichts aufschieben
Selbstmitleid ablehnen
Unabhängigkeit
Freude, Schwierigkeiten zu überwinden
Konzentration auf Ziele
Ausgleich zwischen Überbelastung und Unterforderung
Lange ohne Belohnung auskommen
Balance zwischen Allgemeinem und Details (Wald/Bäume)
Selbstvertrauen
Gleichermaßen analytisches, kreatives, praktisches Denken
Geheimnis „Spitzenleistung“ und Könnerschaft:
These: Die Lust an der Routine unterscheidet Könner von Dilettanten
Könner „fließen“, tanzen zum Ende. Drei Gegenbilder
Der sprunghafte Dilettant – ins Beginnen verliebt
6
Der Obsessiv-Verkrampfte - voller Ehrgeiz
Der zufriedene Dilettant – anspruchslos
Kreative Genies (Meister [Könner], Macher [Führer], Vorbilder [Beeinflusser],
Weise [Introspektion] sagen:
a) Fehler sind Chancen, Krisen stärken
b) Rechenschaft ablegen vor sich (Selbst-, Gewissenserforschung, Bilanzieren)
c) Alle Kraft in Stärken investieren.
Sie tun nur, was man selbstzwecklich tun kann, ohne etwas damit erreichen
zu wollen, aus Freude an ihrer „Sache“.
„Sieben Schritte zur Spitzenleistung“:
Entspannung
Stressmanagement
Gedankenkontrolle
Selbstregulierung (Selbstmotivation)
Positive Phantasie (Visualisierung der Perfektion)
Konzentration
Energiekontrolle
Wenn man all dies hört und liest, könnte man schon meinen, Erfolg sei
machbar,
ja
trainierbar.
Durch
erfolgversprechende
weil
erfolgsoptimalprogrammierte Mitarbeiter wird das Unternehmensziel, die
Mitbewerber zu verdrängen, den Gewinn zu mehren und die Kapazitäten zu
steigern und wie sonst noch Ziele lauten, sicher erreicht werden. Warum die
Wirtschaft aber krankt und die Balance von Beruf und Partnerschaft so oft
missling, warum Sorge und Neid die Gesellschaft prägen und nicht die
Lebensfreude, ist schwer zu verstehen angesichts der Ausrichtung auf Erfolg,
von dem ja alle gerne etwas, ja eine große Menge abbekommen wollen.
Wenn in der Folge der Erfolg sozusagen problematisiert wird, dann möchte
ich das nicht aus der Dackelperspektive dessen tun, der etwa aus dem
Ressentiment gegen Erfolgreichere heraus denkt, sondern im Blick darauf,
dass es etwas persönlich beglückenderes und sozialverträglicheres geben
kann: Geschenk, Gnade, Liebe, Partnerschaft und Freundschaft, Wohlwollen
und Zusammenarbeit. Der Erfolg der Erfolgreichen, was immer das ist, soll
nicht madig gemacht werden. Da spreche ich nicht von sauren Trauben, die zu
hoch hängen, sondern von noch schmackhafteren Früchten. Silber ist nicht
wertlos, weil es Gold gibt, also heißt Gold loben auch nicht, Silber verwerfen.
Von den Ellenbogen sehe ich also gänzlich ab und zitiere nicht Petan, der sagt:
„Der Weg zum Erfolg ist mit fremden Misserfolgen gepflastert“. Denn das ist
7
nicht das Problem des Erfolgs, sondern Erfolgs um jeden Preis oder ein Frage
der rechtmäßigen Schrittfolgen auf dem Weg zum Ziel.
Apropos Gold und Silber. Da kann ich mir doch ein Zitat nicht verkneifen:
„Erfolgreich heißt für die meisten Menschen nicht reich an Erfolg, sondern
reich durch Erfolg. Diese innere Verkehrung im erfolgreich sein wollen ist
versteckter und damit verderblicher. An dieser Stelle möchte ich Ihnen den
weiteren Gedankengang vorstellen, wie er sich auf dieses Thema bezieht.
Meine These lautet, dass im Erfolg zumeist die Anerkennung gesucht wird.
Wenn jemand Reichtum anstrebt, dann vielleicht letztlich doch deswegen,
weil bei uns Anerkennung auch vermittelt ist durch den Besitz. Dort, wo sich
alles um Geld dreht, darf erwartet werden, dass anerkannt wird wer Geld
gemacht hat. Im Erfolg wird ein Ziel erreicht. Der wahre Erfolg, wiederum
philosophisch gesprochen, wäre die Erfüllung im Zusammen mit Menschen
und Sachen. Auf seine Weise leben, auf die sachgerechte Weise sich einlassen
können auf alle möglichen Sachen – ich nenne das später „absichtslos“, das
wäre es, wie das Tun zu erfolgen hätte, um vom Gelingen und insoweit vom
Erfolg zu sprechen. Viele aber suchen den Erfolg eben um der Anerkennung
willen und gerade deswegen den Erfolg als Erfolg und nicht als Nebenfolge.
Das wiederum bedeutet, dass notwendig auch die Kehrseite der Medaille mit
ins Spiel kommt, nämlich der Neid. Ein völliger Erfolg im Sinn des Strebens
nach Anerkennung wäre es, wenn es gelingt, neidlose Anerkennung zu finden
und möglichst alles abwehren und abwenden zu können, was dem Neid
Nahrung gibt.
Für den Moment müssen wir uns nun einem scheinbar neuen Thema
zuwenden, nämlich der Absichtslosigkeit, die dem, was im Begriff des Erfolgs
mit angelegt ist, zunächst direkt zu widersprechen scheint. Denn zum erfolg
gehört ja die Absicht, ein zu erreichendes Ziel. Nur vom Ziel her kann man ja
ermessen, ob ein erfolgreicher Abschluss gegeben ist oder nicht.
Sehen wir also einmal zu. Es gibt ein Weisheitswort aus dem alten China, das
sagt, je weniger Absichten jemand habe, desto mächtiger sei er; die größte
Macht sei die volle Absichtsfreiheit. Der Gedanke ist uns aber fremd. Das
Menschenbild, das seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bei uns
maßgebend geworden ist, ist von anderer Art. Es ist das des Aktiven, der
entschlossen auf die Welt zugeht und in ihr seine Zwecke durchsetzt. Dieser
Mensch ist voll von Absichten und glaubt, vollkommen zu sein, wenn alles,
was er tut, sich den Zielen unterordnet, die er sich setzt. Dass er viel erreicht
und in diesem Sinn erfolgreich ist, würden auch die Lehrer jener alten
Weisheit nicht bestreiten. Sie würden aber wahrscheinlich sagen, das Meiste
davon liege im Bereich der Oberfläche; an dem, worauf es eigentlich
ankomme, gehe es vorbei.
8
Wie lebt ein Mensch, den die Absichtshaltung beherrscht? Im
zwischenmenschlichen Umgang wendet er sich nicht einfach offen dem
anderen Menschen zu, vielmehr will er immer etwas. Zum Beispiel will er
Eindruck machen, beneidet werden, Vorteile gewinnen, vorankommen. Er
lobt, um gelobt zu werden. Er hilft, damit später er Hilfe erwarten kann.
Darum sieht er auch im Anderen nicht wirklich den Menschen, sondern den
Reichtum, oder die gesellschaftliche Stellung - immer aber die Konkurrenz im
Dasein.
Bei ihm fühlt man sich gewarnt. Man muss vorsichtig sein. Man spürt solche
Absichten und zieht sich zurück. Das freie Miteinander, worin sich doch das
Eigentliche der menschlichen Beziehungen verwirklicht, kommt nicht zu
Stande. Natürlich hat das sogenannte alltägliche Leben sein Recht. Viele
Bedürfnisse müssen befriedigt werden und dabei ist eine große Zahl der
menschlichen Beziehungen auf Abhängigkeiten und auf Zwecke aufgebaut; so
ist es nicht nur richtig, sondern schlicht notwendig, dass wir in diesen
Zusammenhängen zu erreichen suchen, was wir brauchen.
Es gibt aber auch andere Beziehungen, und zwar nicht wenige, die auf der
offenen Begegnung von Mensch zu Mensch ruhen. Wenn hier Zweck und
Absicht die Haltung bestimmen, dann verschließt und verfälscht sich alles.
Überall da, wo sich die wesentlichen Beziehungen des Ich und Du
verwirklichen sollen, müssen die Absichten zurücktreten. Der Eine muss den
Anderen in ihm selbst sehen, einfach mit ihm sein und mit ihm leben. Er muss
in die Situation eintreten, wie sie aus ihrem Sinn heraus es verlangt: in ein
Gespräch, in eine Zusammenarbeit, eine gemeinsame Freude, ins Durchstehen
eines Schicksals, einer Gefahr, einer Trauer... Nur so ist wirkliche
Freundschaft, echte Liebe, berufliche Kooperation, die uneigennützige Hilfe in
der Not möglich. Wenn die Absichten in diesen Verhältnissen herrschend
werden, verkümmert alles.
Romano Guardini weiß: „Ein Mensch, der die Absichten lässt, wo sie
hingehören, bekommt auch Macht über die Anderen; allerdings eine Macht
von ganz eigener Art. Wir nähern uns so der chinesischen Weisheit, von der
die Rede war. Je mehr man zu erreichen sucht, desto fester schließt der Andere
sich zusammen und wehrt ab. Je deutlicher er aber das Gefühl bekommt, dass
man ihn zu nichts treiben, sondern nur mit ihm sein und leben will; dass man
nichts von ihm erreichen, nur der Sache dienen will, um die es sich handelt,
desto früher und schneller lässt er seine Abwehr fallen und öffnet sich dem,
was aus der Persönlichkeit hinauswirkt.
Die Kraft der Persönlichkeit selbst wird um so stärker, je weniger Absichten
am Werk sind. Der wahre Meister wirkt durch sein Sein, nicht durch sein Tun,
geschweige denn, dass er spezifische Absichten verfolgt. Seine Kraft ist etwas
9
ganz anderes als jene bei aller »Dynamik« doch recht äußerliche Energie, mit
welcher ein Mensch andere seinem Willen unterordnet. Entsprechendes gilt
übrigens auch für das Verhältnis des Menschen zu seiner Wirksamkeit bzw.
dem, was er schafft. Wenn der von Absichten Beherrschte arbeitet, dann fehlt
in seiner Arbeit gerade das, was diese eigentlich wertvoll macht: der reine
Dienst an der Sache. Die erste und beherrschende Frage für ihn geht darauf,
wie er durch das, was er tut, vorankommt und Karriere macht. Von der
Freiheit des Tätigseins und der Freudigkeit beim Schaffen weiß er wohl nicht
viel. Er kann dann in nichts wirklich eingehen bzw. darin aufgehen.
Nehmen wir z.B. einen Studenten. Der arbeitet nur auf den Beruf hin. Oft
genug nicht einmal auf das, was den Namen des Berufes eigentlich verdient,
was damit zu tun hat, dass jemand sich »berufen« fühlt und dass er merkt,
was seine Aufgabe im Zusammenhang der menschlichen Gesellschaft ist. Ihn
interessiert viel mehr, was die meisten Aussichten auf Geld und Ansehen
öffnet. Eigentlich arbeitet er sogar nur auf das Examen hin; lernt, was dafür
verlangt wird, was gerade der betreffende Lehrer besonders fordert. Das ist in
einem gewissen Maß vielleicht auch notwendig; aber wenn so etwas allein
bestimmend wird, dann geht das Eigentliche verloren. Ein solcher
Absichtsstudent erlebt nie, was es heißt, in dem Raum zu stehen, der der
Wissenschaft dient; so jemand fühlt nie dessen Freiheit und Größe. Ihn berührt
dann auch nie die große Erfahrung der Erkenntnis; die Absichten sperren ihn
zu. Was gerade von einem solchen Studenten gesagt wird, gilt aber ebenso
von allen anderen Formen der Vorbereitung auf das spätere Leben.“
Natürlich und noch einmal gesagt, hat das alles sein Recht. Jeder muss wissen,
was er will, sonst zerfließt ihm sein Tun. Er muss ein Ziel haben und sein
Leben daraufhin ordnen; aber das Ziel soll vor allem in der jeweiligen Sache
selber liegen, der er sich widmet. Er kann auch klug auf mögliche Vorteile und
berufliche Weiterkommen achten; seine Arbeit soll ihm ja die Mittel bringen,
deren er und andere bedürfen, u.U. sogar Wohlstand und Ansehen. Aber das
Eigentliche und Wesentliche muss doch immer sein, was aus der Sache heraus
verlangt ist, damit sie sozusagen zugleich ganz professionell und mit einer
gewissen Spiritualität, etwa in der Haltung der Hingabe, realisiert wird. Wer
so denkt, wird nicht von Rücksichten bestimmt, die neben der Sache liegen. In
diesem Sinne ist er absichts-los: er dient, im schönen und besten Sinn dieses
etwas altmodischen Wortes. Er tut die Arbeit, die jeweils wichtig und an der
Zeit ist. Er ist ihr innerlich zugewandt und tut sie so, wie sie eben getan sein
will. Er lebt in ihr und mit ihr, ohne Rücksichten und Seitenblicke.
Das ist eine Haltung, die weithin zu verschwinden scheint. Menschen, die ihre
Sache in reiner Hingabe tun, weil sie wertvoll, weil sie schön ist – und das
kann sogar Staub wischen sein (weil Dreck Materie am falschen Ort ist und
damit also der Schönheit der Ordnung gedient ist), scheinen selten zu werden.
10
Immer häufiger wird das Tun auf eine neben der Sache herlaufenden Absicht
des Nutzens und Erfolges abgestellt. Dabei ist jene Absichtslosigkeit aber doch
die einzige Haltung, aus welcher das echte Werk, die reine Tat kommt, weil in
ihr das Schöpferische frei wird. Nur aus ihr geht Großes, Befreiendes hervor,
und nur ein Mensch, der so arbeitet, wird innerlich reich.
Vom Gesagten öffnet sich auch der Weg zur letzten Eigentlichkeit des
Menschen, nämlich der Selbstlosigkeit. Es bildet eines der tiefsten Paradoxe
des Lebens, dass ein Mensch um so voller er selbst wird, je weniger er an sich
denkt. Vielleicht liegt die große Attraktivität des Buddhismus in dieser
Haltung, die für den westlichen Mensche zu einem immer dringenderen
Korrektiv wird. Aber auch in der traditionellen christlichen Spiritualität wird
gesagt: „In uns lebt ein falsches Selbst und ein richtiges. Falsch is t das
beständig betonte »Ich« und »Mir« und »Mich«, das alles aufs eigene Gelten
und Gedeihen bezieht, genießen und durchsetzen und herrschen will. Dieses
Selbst verdeckt das eigentliche, die Wahrheit der Person. Im Maß das erste
verschwindet, wird das zweite frei. Im Maß der Mensch in der Selbstlosigkeit
von sich weggeht, wächst er in das wesenhafte Selbst hinein. Dieses blickt
nicht auf sich, aber es ist da. Es erlebt sich auch - aber im Bewusstsein einer
Freiheit, eines Offenseins, einer Unzerstörbarkeit von innen her. Der Weg, auf
dem der Mensch das falsche Selbstsein abtut und in das eigentliche
hineinwächst, ist jener, den die Meister des inneren Lebens Loslösung
nennen.“ (Romano Guardini)
Diese Haltung ist in der Tat gleichgültig gegen den Erfolg, sofern das, was
getan wird, nur sachgemäß geschieht. Wenn durch günstige Umstände dann
auch der Erfolg im äußeren Sinn dazu kommt – um so besser.
Im Grunde sind eigentlich nur solche Menschen beneidenswert, die so leben
können. Dies zu sagen ist übrigens kein Ausdruck von Neid, wie er jetzt noch
anzusprechen ist. Denn diese Redewendung bedeutet ja nur, dass man damit
zum Ausdruck bringt, dass der so zu Beneidende alles richtig macht und man
es ihm gleich tun würde, wenn man es nur könnte.
Der Neid, von dem jetzt aber noch zu sprechen ist, ist von anderer Art und
hängt ganz eng mit einer Gesellschaft zusammen, die den Erfolg bzw. die
Erfolgreichen vergöttert.
Was ist damit gemeint? Zunächst also noch eine Charakteristik des Neids, um
dadurch besser zu verstehen, wie Erfolgswille aus dem Wunsch nach
Anerkennung in unserer Neidgesellschaft fast zwangsläufig Verlierer
produziert, eine Wachstumsspirale erzeugt und in welche Dilemmata der
Erfolgreiche gerät, der doch alles tun muss, damit der Neid nicht allzu
bewusst wird und hoch kocht.
11
Die beste Studie zum Neid ist schon beinahe 40 Jahre alt und stammt von
Helmut Schoeck. Er konnte zeigen, wie sehr es letztlich der Neid ist, der die
Gesellschaft zwar auch zusammenhält, sie aber auch stets in Widersprüche
treibt.
Modernes Denken und Handeln ist tiefgreifend dadurch bestimmt, dass
zunehmend allem, was Wert hat, Knappheit zugeschrieben wird. Dies gilt vor
allem auch umgekehrt: Nur was knapp ist, was nicht jedem zukommt, ist
etwas wert, denn nur weil es knapp ist, zeichnet es den, der es sich leisten
kann, aus und macht ihn beneidenswert. Und beneidenswert will jeder sein,
um nicht in Bedeutungslosigkeit zu versinken. In einer Gesellschaft, die ihren
Mitgliedern nützliches Tun versagt und sie zu belieferungsbedürftigen
Mängelwesen degradiert, entsteht ein wucherndes Bedürfnis nach Sinn. Der
neidvolle Blick der anderen ist ein wenn auch schäbiger Sinnersatz, er verleiht
dem Beneideten den Schein der Bedeutsamkeit. Der moderne Mensch
erzwingt es durch das, was er hat. Dass beliebige Objekte wertvoll sind, nur
weil sie knapp sind, dass also Knappheit Wert schöpft, ist nur möglich unter
Beanspruchung der menschlichen Fähigkeit zum Neiden. Man könnte sich
aber auch vorstellen, dass sich das, was reichlich vorhanden ist, so reichlich,
dass es für alle reicht, ohne dass man sich dafür abrackern muss, besonderer
Wertschätzung erfreute. Dann gäbe es zum Neid keinen Anlass.
Was heißt Bedürfnisbefriedigung, wenn Neid im Spiel ist? Dann geht es um
viel mehr als um schlichte Bedürfnisbefriedigung, die ja so einfach sein
könnte. Würden wir nicht im Sozialen um Anerkennung buhlen und denken,
wir könnten sie erlangen durch mehr Erfolg, wäre Konkurrenz sinnlos und
würden die meisten Dinge überflüssig erscheinen. So jedoch will jeder, der
sich nicht bewusst mit den Gefahren der seelischen Augenkrankheit, wie
Seneca den Neid nennt, auseinandersetzt, sich losreißen von dem nagenden
selbstverzehrenden, quälenden Neid, an den er gebannt ist. Nicht so, dass er
ihm abschwört, sondern so, dass er durch den Erwerb der einschlägigen
Insignien aufsteigt in die seligen Gefilde der Beneideten. Das heißt: er sucht
den Erfolg. Dies Erlösungsversprechen hält die Knappheit aufrecht. Denn jetzt
gilt: Der Aufstieg wird umso triumphaler sein, je weniger Auserwählte an ihm
teilhaben. Schon F. Bacon schreibt: "Personen von edler Herkunft sind
bekanntlich neidisch auf solche, die im Emporsteigen sind. Denn der Abstand
ändert sich, und es ist wie eine Gesichtstäuschung, dass sie
herunterzukommen glauben, sobald sie andere steigen sehen."
Es gibt also auch einen Neid von oben nach unten. Wer oben ist, ist allerdings
gehalten, seinen missgünstigen Argwohn, mit dem er die eben erreichte
soziale Distanz gegenüber dem Emporkömmling überwacht und gegen dessen
Aufsteigen verteidigt, nicht zu zeigen. So würde er sich wiederum als Neider
zu erkennen geben und verlöre sein Gesicht. Ebenso wenig darf er einen
12
Triumph zur Schau stellen, denn damit würde er die Vernichtungsgelüste der
neidvollen anderen anstacheln. Da nun aber auch die weniger gesegneten
Vielen teilhaben an der Aufwärtsbewegung, wenn es ihnen nur gelingt, auf
der Stufenleiter Zentimeter um Zentimeter empor zu klimmen, während
andere unten bleiben oder gar abstürzen, harmonieren in gewissem Sinne die
Interessen von Neidern und Beneideten - zugunsten der Knappheitsdynamik.
Beide steigen auf. Beide sonnen sich im Glanze des Neides anderer. Allerdings
braucht es immer Verlierer zu diesem Spiel.
Und damit das Spiel möglichst wenig Verlierer hat, muss im Ganzen aber das
Anspruchsniveau steigen. Kaum merklich schrauben sich die Standards nach
oben. Die Distanz bleibt gewahrt, dennoch wird das Begehren des Neiders
nicht nur frustriert. Er ist besänftigt, seinen Neidgefühlen ist die gefährliche
Spitze abgebrochen. Er bleibt dem Beneideten als Neider erhalten, ohne ihn zu
bedrohen.
„Die Ausbeutung des Neides ist die Voraussetzung dafür, dass die
fortlaufende Etablierung neuer Standards, die für das Wachstum der
Knappheit unerlässlich ist, überhaupt gelingen kann. Neid ist derjenige
Mechanismus, mit dem neue Standards in Bedürfnisse von Individuen
transformiert werden. Die Erlösung, die der Neider sich von den Attributen
verspricht, mit denen er sich zum Beneideten empor adelt, stimuliert die
Begehrlichkeit mehr als irgendein Objekt der Begierde es je könnte. Es macht
im Gegenteil das Begehren und den Begehrenden gegenüber den tatsächlichen
Eigenschaften des Begehrten vollkommen gleichgültig. Jedes beliebige Objekt,
sei es schädlich oder nützlich oder keines von beidem, kann Ziel des heißesten
Strebens sein, wenn es die wundersame Verwandlung vom Neider zum
Beneideten verspricht. Umgekehrt kann die nachahmende Begierde, die sich
allein durch Neid leiten lässt, nur geschürt werden, wenn die genuinen
Beziehungen der Subjekte zu den Gegenständen unterbrochen sind. Solange
Menschen zu den Gegenständen ihres Bedarfs in einem Verhältnis stehen, das
durch Eigentätigkeit und unverwechselbare Erfahrung konstituiert ist, sind
die Gegenstände in der Biographie der Person verwurzelt, sie sind nicht
beliebig austauschbar. Nur käufliche Waren, denen keine lebens- und
erfahrungsgeschichtliche Bedeutung anhaftet, die erinnerungslos und leer
sind, erlauben ein blindes Umherschweifen der Begierden. So kann man also
sagen, der Neid begünstigt ausschließlich die quantitativen Bedürfnisse, also
jene, die die Knappheitsgesellschaft bedient.
Neidhandeln entspricht den Erfordernissen der Knappheitserzeugung
makellos. Es stimuliert die Bedürfnisse, ist imstande, sie an x-beliebige
Gegenstände zu heften und macht sie unersättlich. Das muss mindestens
hellhörig machen gegenüber der Behauptung, der Neid sei biologisch
angelegt, potentiell allgegenwärtig, eine anthropologische Grundkategorie. Es
13
wäre schon verwunderlich, wenn die Natur dem rüdesten Kapitalismus so
bereitwillig zu Hilfe käme.
Die Diktatur der Knappheit verfolgt eine Doppelstrategie im Umgang mit dem
Neid, sie stimuliert ihn, um mit seiner Hilfe die Produktion und den Profit
anzuheizen, und sie hält ihn im Zaum, damit die in ihm enthaltenen
Vernichtungsenergien nicht explosiv werden.“ (Marianne Gronemeyer)
Leidtragende sind zunächst die Schwächsten unter den Mitmenschen, aber
längerfristig ist es die Natur. Der Mensch sägt mit der Steigerung des
Anspruchniveaus am Ast, auf dem er sitzt. Die ökologische Krise verlangt
daher weniger eine Steuerung durch Steuerpolitik oder neuest Techniken,
sondern ökologisch erfolgversprechender wäre die Besinnung auf Kriterien
des Erfolgs, und gemeint ist damit dann natürlich der Lebenserfolg, der
niemals Gegenstand des Neids sein kann.
Könnte man dies alles nicht auch mit Begriffen wie Konkurrenz und Rivalität
beschreiben und hätte den Vorteil, sich zeitgemäßer Ausdrucksweise zu
bedienen, statt einen vormodernen Begriff und ein altes Laster zu bemühen?
Der Neid geht über die Konkurrenz in einem entscheidenden Punkt hinaus. Es
kennzeichnet die Knappheitsgesellschaft geradezu, dass sie das
bestandssichernde Wechselspiel der Stimulation und Kontrolle des Neides als
Konkurrenz, ja sogar als friedlichen Wettbewerb deklariert. Unterschlagen
wird im Konkurrenzbegriff jene Komponente des Neides, die im
konkurrierenden Begehren eines bestimmten Objektes nicht aufgeht, nämlich
die geradezu krankmachende Getriebenheit, das zu vernichten, was man
selbst nicht hat, unabhängig davon, ob man es nun aussichtslos begehrt oder
ob man es überhaupt nicht begehrt.
(Hast du Erfolg, hast du auch Neider,
doch denk um Gottes Will´n nicht: Leider!
Im Gegenteil, nur wenn sie fehlen
Das müsste dich gebührend quälen.
Denn dann, wie die Erfahrung lehrt,
ist am Erfolg noch was verkehrt.
Karl Heinz Söhlker, Es schadet nichts, vergnügt zu sein)
Dass die Balancierung des gefährlichen Wechselspiels zwischen Neiderregung
und Neidbannung zuletzt doch eine Illusion ist, demonstrieren in tödlicher
Deutlichkeit die grassierenden Vernichtungswünsche, die die Menschheit an
den Rand der endgültigen Selbstzerstörung getrieben haben. Eine
Gesellschaft, deren Funktionieren auf Neiderregung angewiesen ist,
produziert zwangsläufig überschüssige Vernichtungsenergien, die sich
letztlich auch gegen sie selbst richten.
14
Die Menschen im Westen neigen, weil sie in einer Tradition leben, nach der
Gott oben im Himmel thront, dazu, nach dem Weg nach oben zu fragen. Im
Buddhismus wird nahe gelegt, den Weg nach Innen zu suchen. Wieder ein
Gesichtspunkt für dessen steigende Attraktivität. Nur wenn den Frommen
klar wird, dass Gott es ganz anders macht, könnte man sich von dem
Gotteskomplex befreien. Der Weg der Agape ist nicht der nach oben, sondern
nach unten; oder besser: der vom Selbst zum anderen und – konkreter – vom
Ich zum Du. Erfolg, sagt Buber, ist keiner der Namen Gottes.
Um nun nicht ganz so ernst zu enden, möchte ich Ihnen abschließend aus
meinem Zitatenschatz noch ein paar Perlen anbieten und Sie nach so viel
Bedenklichem heiter stimmen: Erfolg steigt zu Kopf – so beginnen zwei
Aphorismen, die aber unterschiedlich fortgeführt werden. Erfolg steigt zu
Kopf, aber am schlimmsten wirkt er sich gewöhnlich in den Bauchpartien aus,
so Orson Wells. Ein anderer aber sagt: „Erfolg steigt zu Kopf, wenn der
entsprechende Hohlraum dafür vorhanden ist.“ Und wenn Max Frisch meinte,
der Erfolg verändere die Menschen nicht, sondern entlarve sie, stimmt Sir Karl
Popper nur teilweise zu: Zwar sei es falsch, zu behaupten, der Erfolg verderbe
den Menschen. Weil nämlich die meisten durch Misserfolge verdorben
werden. Die richtige Mitte findet hier Epikur, der stoische Philosoph: „Kleine
Seelen
werden
durch
Erfolge
übermütig,
durch
Misserfolge
niedergeschlagen.“
Ein besonders schönes Wort stammt von Ida Ehre: „Wenn ein Mann keinen
Erfolg hat, meint er, er sei kein Mann. Wenn eine Frau keinen Erfolg hat, weiß
sie immer noch, dass sie eine Frau ist.
Wenn Ihnen meine Überlegungen gefallen haben sollten, dürfen Sie nun auch
klatschen, weil Sie wissen, dass mich das nicht taub macht. Denn so
erfolgreich bin ich Gott sei Dank nicht, dass man das Wort von Elias Canetti
bemühen müsste: „Der Erfolgreiche hört nur noch Händeklatschen. Sonst ist
er taub.“ Halten wir es wie auch bisher: Hören w ir aufeinander, hören wir
einander zu. Nach der Kaffeepause sind Sie eingeladen zum Gespräch. Denn
manchmal hat sogar der alte Henry Ford philosophische Wahrheit
gesprochen, selbst wenn er es so nicht gemeint haben sollte: „Um Erfolg zu
haben, musst du den Standpunkt des anderen einnehmen und die Dinge mit
seinen Augen betrachten.“
Danke, dass Sie gewillt waren, auf den Erfolg in meiner Perspektive zu
schauen.
15
Herunterladen