Unruhe im Bienenstaat

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Das Leben im Stock folgt einem festgelegten R
­ hythmus.
Im Frühling sterben die Altbienen und
werden durch die Jungbienen des Sommers ersetzt
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Fleissig und erstaunlich gut organisiert machen die Winterbienen jetzt ihren Frühlingsputz und räumen den Stock auf. Sie entrümpeln den Unrat, der sich in der kalten Jahreszeit angesammelt hat, und reinigen alles
fein säuberlich. Die Bienen des Winters und
des Sommers leben noch gemeinsam im
Nest. In den kommenden Wochen ändert
sich dies, und es findet eine Art Generationenwechsel statt.
Bei schönem Wetter sammeln einige der
alten Winterbienen derzeit Pollen von den
blühenden Krokussen und Weiden, den sie
dann den jungen, vor kurzem geschlüpften
Sommerbienen im Stock überreichen. Diese produzieren daraus den proteinreichen
Futtersaft für ihre noch im Larvenstadium
befindlichen Schwestern und füttern sie damit. Ansonsten zehren die Bienen weiterhin
von ihren angelegten Wintervorräten.
Dieses Jahr scheinen allerdings viele Bienen den Winter nicht überlebt zu haben.
«Erste Meldungen von Imkern deuten darauf hin, dass wir mit 20 bis 30 Prozent Verlusten rechnen müssen», sagt Jean-Daniel
Charrière vom Zentrum für Bienenforschung
von Agroscope in Bern. Nächste Woche beginne die jährliche, schweizweite Umfrage
bei 1300 Imkern, die noch detailliertere
­Zahlen liefere.
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Februar bis April: Beginn der Bruttätigkeit
Im Vorfrühling nehmen die Bienen die Bruttätigkeit wieder auf. In dieser
Zeit erhöht sich der Futterverbrauch. Erforderliches Eiweiss für die Futter­
safterzeugung wird zunächst aus den körpereigenen Eiweiss-Fett­
polstern der Arbeiterinnen, später von eingetragenen Pollen entnommen.
Das ­erste Nektarangebot bewirkt, dass die Königin ihre Legeleistung
­steigert.
Mai bis Juli: Vermehrungsphase
Im Mai kann die Königin pro Tag bis zu 1500 Eier ablegen. Das Volk wächst
explosionsartig und hat im Juni bis zu 40 000 Individuen. Drohnen w
­ erden
in grosser Zahl erbrütet. Der Schwarmtrieb erwacht, und die alte Königin
verlässt mit der Hälfte des Volkes die Behausung. Dort bleiben neue
­Königinnen zurück, die in den kommenden Tagen schlüpfen und auf
­Begattungsflüge gehen. «In dieser Jahreszeit werden auch die Vorräte
für den Winter gesammelt und massenhaft in Form von Honig eingelagert»,
sagt Tom Scheuer von der Imkerei Wabe 3 in Zürich.
August bis Oktober: Vorbereitung der Ruhephase
Das Honigbienenvolk ist ein strikt
geführter Superorganismus
Im Spätsommer schlüpfen Jungbienen für die Überwinterung, die bis zu
sechs Monate leben. Für den Winter lagern sie mehr Fett und Eiweisse im
Hinterleib und in den Drüsen ab. Die viel kurzlebigeren Arbeiterinnen des
Sommers sammeln noch fleissig Pollen und Nektar und werden dann aber
von Winterbienen ersetzt. Drohnen werden aus dem Volk getrieben.
Die Winterbienen ziehen sich zwischen Flugloch und Futtervorräten zur
Wintertraube zusammen, um eine circa bis Ende Januar dauernde Ruhepause zu verbringen. Die Königin befindet sich dabei im Zentrum. In d
­ ieser
Phase sind die Bienen ständig in Bewegung und zehren von den Futtervorräten. Durch die Aktivität ihrer Flugmuskeln wird Wärme in der Wintertraube erzeugt. Kühlen die sich am Rand befindlichen Bienen ab, drängen
sie wieder nach innen, und andere gelangen nach aussen.
Charrière befürchtet, dass zum einen das
warme Frühlingswetter 2014 die Vermehrung der Varroa-Milbe sehr stark begünstigte und zum andern aufgrund eines kalten
und regnerischen August ihre Bekämpfung
nicht so gut wie in den beiden Vorjahren
wirkte. Damals habe es Verluste von nur 10
bis 15 Prozent gegeben, was normal sei.
Vor allem durch internationalen Warenaustausch nimmt die Bedrohung der raschen
Verbreitung von Schädlingen laufend zu,
wie etwa des 2014 nach Süditalien ein­
geschleppten, in Afrika heimischen Kleinen
Beutenkäfers. In der Schweiz ist seit diesem
Die Sommerbiene
Blüten und Bienen
November bis Januar: Winterruhe
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Angaben in Tagen
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1.–4.
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100 000
Januar deshalb unter anderem die Einfuhr
von Honigbienen sowie Wabenhonig aus
Sizilien und Kalabrien untersagt.
Das Bienen­
sterben ist nicht
nur für Imker dramatisch. Denn das
kleinste Nutztier des Menschen
ist auch eins der wichtigsten: Die Honigbiene bestäubt viele Nutz- und Wildpflanzen. Seit Jahrtausenden wird sie vom
Menschen genutzt und gehalten. Die
­
­ersten bekannten Imker waren die ­alten
Ägypter, wie Noah Wilson-Rich* im
Buch «Die Biene» schreibt. Höhlenmalereien in Ägypten liessen
darauf schliessen, dass
die Bienenhaltung
dort 2400 v. Chr.,
wenn nicht sogar bereits 5000 v. Chr., begann.
Das Honigbienenvolk ist ein strikt
­geführter Superorganismus, bei dem die
­Königin die Macht und auch die Hoheit über
die Fortpflanzung hat. Geradezu selbstlos
arbeiten hier im Winter bis zu zehntausend
und im Sommer bis zu vierzigtausend
­Bienen in einem Team zusammen, um das
Dasein aller zu sichern. In der kalten Jahreszeit besteht ein Bienenstaat nur aus Weibchen.
Erst in den kommenden Wochen legt
die Herrscherin Eier ab, aus denen Drohnen
schlüpfen. Die Männchen bleiben in
der Minderheit und
sind nur ein paar
Hundert pro Volk.
Sie kümmern sich nicht um soziale Arbeiten wie Brut- und Stockpflege, sondern
um die Entstehung des Nachwuchses. Deshalb suchen sie an markanten Punkten in
der Landschaft zu Tausenden in 50 bis 100
Meter Höhe nach noch zu begattenden Partnerinnen – neuen Königinnen, die nach der
Paarung mit vielen Männchen einen Staat
gründen. Die alte Königin zieht derweil mit
einem Teil ihres Volkes aus.
Die Königin
Weil sie als Larve
mit Extrarationen
des Sekrets Gelée
royale gefüttert
wird, entwickelt sie
sich anders als die
Arbeiterinnen.
Nach ein bis
drei Hochzeitsflügen
wird sie
jedoch zur
Sklavin des Stocks:
Sie lebt etwa 3 bis 4
Jahre und legt in
dieser Zeit mehrere
Hunderttausend
Eier ab.
Foto: Alex Wild
Der Drohn
Er entstammt einem
unbefruchteten Ei
und besitzt nur das
Erbgut der Mutter.
Ein Drohn hat also
keinen Vater,
sondern nur einen
Grossvater
mütterlicherseits. Er
verfügt auch über
keinen Stachel zur
Verteidigung. Seine
einzige soziale
Aufgabe ist es, die
Königin zu
­befruchten. Danach
stirbt er sofort.
Kilometer müssen sie etwa für
ein Kilogramm Honig fliegen –
also 2½-mal um die Erde.
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1500
Eier kann die Bienenkönigin pro
Tag ablegen. Diese Menge
entspricht ihrem Eigengewicht.
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Flügel haben die Bienen:
zwei grosse Vorderflügel und
zwei kleinere, direkt dahinter.
Beim Fliegen verhaken sie sich.
130
Nutzpflanzenarten bestäuben sie
weltweit. Nach Kühen und
Schweinen sind sie vom
landwirtschaftlichen Nutzen her
an dritter Stelle.
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März und April: Neue Königinnen
Für den Imker beginnt die Saison. Er kontrolliert den Zustand des jeweiligen Bienenstaates, tote Völker entfernt er, schwache Völker verstärkt er.
Zudem entnimmt er den Völkern alte Waben und setzt neue ein. Auch
neue Königinnen kann er in dieser Jahreszeit den Völkern hinzufügen. Mit
Beginn der Obstblüte passt er die Bienenbehausungen so an, dass die
Bienen viel Honig einlagern können.
Mai bis Juli: Zucht, Kontrolle und Ernte
«Die Völker sind im Mai in Schwarmstimmung», sagt Tom Scheuer von der
Imkerei Wabe 3 in Zürich. Das bedeute viel Arbeit. Der Imker müsse deren natürlichen Schwarmtrieb entweder verhindern oder ihn für eigene
­Zwecke nutzen. Die Bienen sammeln jetzt viel Nektar und Honigtau, sodass ­danach die Ernten des Honigs anstehen. Statt aus Blütennektar können sie den zuckerhaltigen Rohstoff auch aus den Ausscheidungen von
an Pflanzen saugenden Insekten wie etwa Läusen produzieren. Meist ist
im Juli die letzte Ernte.
August bis Oktober: Ersatzfutter geben
«Manchmal kann man im August noch eine Honigernte durchführen», sagt
Scheuer. Der geerntete Honig wird oft durch eine Rübenzuckerlösung
­ersetzt, die von den Bienen zu Honig verarbeitet wird und als Futter im
Volk bleibt. Die Völker werden nun gegen die Varroa-Milbe behandelt. Die
Grösse der Bienenbehausung wird reduziert und für den Winter angepasst.
November bis Februar: Zweite Schädlingsbehandlung
In dieser Zeit arbeitet der Imker hauptsächlich im Lager – er repariert und
säubert Bienenbehausungen und Rähmchen, schmilzt altes Wachs ein
und bereitet alles für die neue Bienensaison im Frühling vor. Im November oder Dezember behandelt er die Bienenvölker noch einmal gegen die
­Varroa-Milbe. «Wenn im Spätwinter bei manchen Völkern der Futtervorrat zur Neige geht, wird notgefüttert», erklärt Scheuer.
Pollenschlauch
Pollenkörner
Blütenblatt
Stempel
Staubblatt
2 Stempel
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Aufgaben einer S
Blüte
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Staubbeutel
Innerer Fruchtschicht (Kern)
Putzbiene:
Leere Zellen
putzen
Ammenbiene:
Füttern
von Larven
Eizelle
4 Samenanlage
Fruchtknoten
Pollenkorn
mit Spermazelle
Larve, Puppe,
Biene
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3.–1
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1.
0.
Stockbiene: Füttern
von Larven, Baubiene:
Bau neuer Wabenzellen,
Wächterbiene: Verteidigung am Eingang
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Biene mit
Pollenhöschen
11.–21.
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10 bis 30
Kilogramm Honig erntet ein Imker
im Jahr pro Volk.
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väterliche Linien lassen sich
maximal im Stock einer Königin
nachweisen – sie verpaart sich
mit vielen Drohnen.
* Noah Wilson-Rich, «Die Biene»,
Haupt-Verlag, 223 Seiten, 2015, 35.90 Fr.
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12
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Millionen Blüten müssen
die Bienen für die Produktion
von einem Kilogramm Honig
besuchen.
Vor 100 Millionen Jahren begannen Pflanzen bunte, duftende Fortpflanzungsorgane mit Nektar und Pollen zu entwickeln. Gleichzeitig gaben einige fleischfressende Wespen ihre räuberische Lebensweise teilweise auf, sodass mit
der Zeit erste Bienen entstanden. Heute summen weltweit 20 000 Bienenarten
herum, darunter die Westliche Honigbiene. Bienen benötigen den eiweissreichen
Pollen für die Brut und den Nektar für sich als Energiespender. Abgebildet ist
eine Auswahl typischer Bienentrachtpflanzen.
Ei
Flugbiene:
Sammlerin und
am Schluss
Kundschafterin
1,5
DE
APRIL
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Barbara Reye (Text) und
Sandra Niemann (Infografik)
Gramm Honig verzehren
Schweizerinnen und Schweizer
pro Kopf und Jahr.
Der Imker nutzt die jahreszeitlichen Arbeiten seiner
Bienenvölker. Er unterstützt sie bei der Entwicklung,
entnimmt Honig und behandelt sie gegen Schädlinge
MÄRZ
APRIL
AU
Die Varroa-Milbe wird diesen Frühling
für grosse Verluste unter den
europäischen Bienenvölkern sorgen.
Zudem droht ein neuer Parasit aus Afrika
MÄRZ
OKTOBER
N
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DE
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Die Arbeiterin
Sie entwickelt sich
aus einem be­
fruchteten Ei, das
die Königin in eine
Brutzelle gelegt hat.
Im Frühling und
Sommer hat eine
Arbeiterin viele
Jobs. Erst am
Schluss ihres
kurzen Lebens
sammelt sie Pollen,
Nektar und
Honigtau.
1300
Das Imkerjahr
OKTOBER
Unruhe im
Bienenstaat
Das Bienenjahr
53
SEPTEMBER
sonntagszeitung.ch | 5. April 2015
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Biene als Bestäuber
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Saalweide
März–April
Winterling
Februar–März
Februar
Kirsche
April–Mai
Schneeglöckchen
Februar–März
März
Erika
März–April
Löwenzahn
April–Mai
April
Apfel
April–Mai
Robinie
Mai–Juni
Linde
Juni-Juli
Raps
Mai
Mai
Perlschnurbaum
Juli–August
Himbeere
Mai–Juli
Juni
Borretsch
Juni–August
Juli
Götterbaum
Juni–Juli
Weissklee
Mai–September
August
Phacelia
Juni–September
September
Buchweizen
Juli–September
Oktober
Efeu
September–
Oktober
Äussere Fruchtschicht
(Fruchtfleisch)
5
Sie bringt Pollen aus dem Staubbeutel 1 zum Stempel 2 einer
anderen Blüte. Der nun gebildete Pollenschlauch 3 wächst zu der
weiblichen Samenanlage 4 . Nach der Verschmelzung der Spermazelle mit der Eizelle bildet sich daraus der Samen. Der Fruchtknoten,
der den Samen umschliesst, entwickelt sich zur reifen Frucht 5 .
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