Neue Methoden der Konfliktbewältigung im Gemeindebau

Werbung
Neue Methoden der Konfliktbewältigung im Gemeindebau:
Erinnerungstheater
Die Wohnhausanlage Koppstraße 97-101 war einer jener Gemeindebauten, für den bereits im
Herbst 2003 mit der Entwicklung eines Schwerpunktprogramms der Gebietsbetreuung Ottakring
begonnen wurde.
BewohnerInnen der Wohnhausanlage hatten sich massiv über den Lärm und das Verhalten der
SchülerInnen aus der benachbarten Kooperativen Mittelschule - Vienna Bilingual School beschwert.
Großes Misstrauen herrschte auf beiden Seiten. Die jungen SchülerInnen wurden ein Mal mit
Wasser beschüttet, ein anderes Mal kam ein verärgerter Mieter mit einem Messer in der Hand in
den Hof hinunter. Die älteren BewohnerInnen fürchteten sich, und die Jungen antworteten mit
verbalen Provokationen.
Die Idee, eine adaptierte Form des Erinnerungstheaters bei diesem Konflikt einzusetzen, entstand
im Anschluss an eine lebhafte Diskussion am Abend einer Forumtheateraufführung am 20.
September 2003 im Pensionistenklub in der Zagorskystraße, an der sich besonders die älteren
BewohnerInnen der Wohnhausanlage Koppstraße 97-101 und der anwesende Direktor der KMS Vienna Bilingual School Koppstraße 110 beteiligten. Das Ziel sollte eine Annäherung und
Verbesserung des Verständnisses für die Lebenssituationen der jeweils anderen sein. Die
Theatergruppe TdU (Theater der Unterdrückten) war den BewohnerInnen bereits bekannt und
somit ein gewisses Vertrauen schon hergestellt.
Die Theatergruppe TdU und die Gebietsbetreuung luden zunächst die SeniorInnen der Koppstraße
in die Schule zu einem Kaffeekränzchen ein. Die TheaterpädagogInnen hatten auf Flohmärkten und
aus dem Privatfundus alte Haushaltsgeräte gesucht und einen "Gabentisch" im Eingangsbereich
gestaltet. Der Direktor der Vienna Bilingual School - Kooperative Mittelschule Koppstraße stellte ein
Klassenzimmer zur Verfügung, die SchülerInnen stellten ein Empfangskomitee zusammen und
halfen den Gästen mit der Garderobe. Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion unter den
Gästen über die Geräte auf dem "Gabentisch". Die TheaterpädagogInnen stellten Fragen und
lauschten den Geschichten. Bereits an diesem ersten Abend kamen sehr viele berührende
Geschichten auf. Der Direktor dankte den Gästen und hob die Bedeutung der "lebendigen
Geschichte" hervor. Er könne nicht auf eine Ressource wie die Lebensgeschichten "seiner"
Nachbarn verzichten und lud sie ein, am Prozess Erinnerungstheater mitzumachen.
Die Schule stellte zwei 4. Klassen für das Projekt zur Verfügung. Die LehrerInnen und der Direktor
waren äußerst kooperativ, die Theatergruppe konnte bereits am Anfang des Projekts einen ganzen
Schultag für die Projektvorbereitung verwenden. Das Angebot von Räumlichkeiten oder Zeit waren
für den Direktor nie ein Problem, er war mit seinem Lehrpersonal für den reibungslosen Verlauf von
großer Bedeutung.
Der Ablauf:
Interviews mit den älteren MieterInnen der Wohnhausanlage
Theaterworkshops mit den Jugendlichen zum Thema "Alter und Generationenkonflikt"
Szenische Erarbeitung von Geschichten der "Alten" durch die "Jungen"
Ein "authentisches" Erinnerungstheater konzentriert sich in erster Linie auf eine Gruppe, nämlich
die SeniorInnen. In diesem speziellen Fall war aber die Vermittlung zwischen zwei
gleichberechtigten Gruppen das Ziel, deshalb wurden die Methoden diesem Ziel angepasst. Im
Erinnerungstheater werden die SeniorInnen selbst auf die Bühne geladen, um die Geschichten zu
spielen. Dies hätte aber den zeitlichen und organisatorischen Rahmen gesprengt und würde nicht
unbedingt den Prozess um das Verständnis zwischen Jung und Alt beschleunigen. Im Gespräch mit
den SchülerInnen kam auch zur Sprache, dass die Jugendlichen durchaus der Meinung waren, nicht
nur sie sollten den Älteren zuhören, sondern sie wollten auch den Älteren ihre Geschichten
erzählen. Die Jugendlichen haben daher auch im Stück Vergleiche zwischen der Erfahrungswelt der
SeniorInnen mit ihrer eigenen Gegenwart angestellt.
Im Juni 2004 wurde das Theaterstück aufgeführt. Die erste Aufführung fand im Turnsaal in der
Kooperativen Mittelschule - Vienna Bilingual School Koppstraße 110 statt. Viele Eltern, aber auch
BesucherInnen aus anderen Bezirken und natürlich aus Ottakring kamen zur Uraufführung. Die
Minderheitenredaktion des ORF zeigte großes Interesse am Projekt. Ein Ausschnitt aus dem Stück
und Interviews mit der Leiterin der Theatergruppe sowie mit der Mietervertreterin der städtischen
Wohnhausanlage wurde am 20. Juni 2004 vom ORF in der Sendung "Heimat, fremde Heimat"
gezeigt.
Die zweite Aufführung fand bei großem Anklang in der Spettergarage der Wiener Linien statt. Die
SchülerInnen spielten die Geschichten der Älteren mit Engagement und Witz und stellten dabei
Vergleiche mit ihrer Erfahrungswelt an.
Die positiven Auswirkungen des Projekts sind nach wie vor zu spüren. Obwohl sich zeitweise mehr
Jugendliche in der Grünanlage des Gemeindebaus aufhalten als vorher, haben die BewohnerInnen
offenbar das Gefühl, dass sich der Lärm und die Belästigung durch die Jugendlichen in Grenzen
hält. Wenn manchmal doch Probleme auftreten, rufen die Betroffenen nicht etwa in der
Gebietsbetreuung an, sondern besprechen die Probleme mit dem Direktor der Schule direkt bzw.
holen sich Unterstützung durch die VertreterInnen von "Back on Stage". Zum Direktor haben die
SeniorInnen mittlerweile sehr großes Vertrauen.
Für die Gebietsbetreuung steht fest, dass solche Methoden zu einem Umdenken der Menschen
führen können. Die BewohnerInnen der Koppstraße 97-101 haben gelernt, ihre Probleme und
Konflikte selbst in die Hand zu nehmen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Koförderung des Projektes: BKA, MA 13.
Projektträger
Theater der Unterdrückten-Wien
Projektleitung/Bearbeiter
Birgit Fritz
Laufzeit
Jänner bis Oktober 2004
Kontakt
birgit.fritz chello.at
Herunterladen