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MARKETING
DONNERSTAG, 24. JULI 2008 | NR. 142
Hütchenspiele im
US-Wahlkampf
A
merikaner lieben es übersichtlich, und so ist in alten Western
made in Hollywood der Held zuverlässig am hellen Hut zu erkennen.
Egal, wie der Plot läuft, der Kerl mit
der schwarzen Kopfbedeckung ist
fast immer der Bösewicht. Am Ende
gibt es eine große Schlägerei, die
der hell Behütete knapp gewinnt.
Der Finsterling landet im Staub. Im
richtigen Leben hat nun der dunkle
Typ gewonnen. Auch im US-Wahlkampf gab es ein Scharfschießen
PETER
LITTMANN
Partner der
Markenberatung
Brandinsider und
Professor in
Witten/Herdecke
der demokratischen Bewerber Hillary Clinton und Barack Obama, aus
dem der Dunkelhäutige siegreich
hervorging. Unter den politischen
Analysten kam das eine Lager zu
dem Schluss, Hillarys Niederlage
habe vor allem an ihrer wenig
schlauen Wahlkampfstrategie gelegen. Das andere hingegen meinte,
Barack habe eben den Krieg ums
Image gewonnen. Demnach waren
Design und Marketing ausschlaggebend, nicht Inhalte. Man könnte es
auch so sagen: Offenbar ging es wieder um den schönsten Hut und
nicht so sehr um den Kopf darunter.
Vielen Deutschen wird es spätestens jetzt unbehaglich. „Verkaufen
wie Zahnpasta?“ lautet die in diesem Kontext stets fallende Suggestivfrage, die nahelegt, dass Reklame
und Marketing für Politik pfui sind.
Das ist verständlich, wenn man
weiß, dass Adolf Hitler das Wort
„Führer“ markenrechtlich schützen
ließ. Hakenkreuz, Uniformen und
das Image der Partei wurden
ebenso sorgfältig gestaltet wie die
politische Propaganda aus dem
Hause Goebbels. Nach 1945 waren
offensive Wahlkämpfe entsprechend unmöglich, Konrad Adenauer setzte noch 1957 auf den Slogan
„Keine Experimente!“, den er schon
aus der Reichstagswahl von 1932
kannte. Noch 1960 schimpften deutsche Politologen „Wahlkampfentartung“, wenn Parteien an die Gefühle
der Wähler appellierten, statt Sachinformationen zu liefern.
Im gleichen Jahr gewann allerdings John Kennedy die US-Wahl,
weil sein Gegner Richard Nixon in
einem TV-Duell so „unrasiert“ und
daher „finster“ ausgesehen habe.
Die Zuschauer nahmen offenbar
wahr: ein dunkler Hut! Folgerichtig
siegte der mit dem hellen, was in
der Politik gerne Charisma genannt
wird, das klingt vornehmer.
2008 jedoch hat das Internet die
Glotze als das Medium der Wahl abgelöst. John Edwards tauchte als Erster auf Youtube auf, Clinton verkündete ihre Kandidatur online, Obama
schuf seine persönliche Version von
MySpace mit „MyBarackObama“.
Fast alle Websites sind in Weiß-RotBlau gehalten wie die amerikanische Fahne. Nur Veteran John
McCain präsentiert sich unter einem militärisch wirkenden Stern
mit gelben Streifen, die wohl an die
Schulterstücke einer Uniform gemahnen sollen. Tatsächlich erinnern sie an den mit einem gelben
Balken gebrandeten Auftritt des kanadischen Unternehmens McCain,
das Tiefkühl-Pommes verkauft.
Welche Marke werden die Amerikaner also kaufen im November?
Wenn es stimmt, dass der künftige
Chef der Supermacht vor allem
„leader in the image war“ sein muss,
wie die „International Herald Tribune“ nahelegt, hat McCain keine
Chance. Obamas Slogan „Yes we
can“ ist schon zur Redewendung geronnen, sein Auftritt ist durchgestylt wie der von Coca-Cola. Seine
Gegner setzen auf die traditionelle
Weisheit, immer gleich auszusehen,
was den Wiedererkennungswert erhöht. Obama hingegen umarmt die
Fraktalisierung des Web 2.0 und
schneidet den Auftritt speziell auf
die jeweils angesprochene Zielgruppe zu. Die Logik dahinter lautet: In der Kakofonie der Medien hören wir nur noch das, was uns persönlich anzusprechen scheint. Also
gibt es nicht nur „Kids for Obama“
oder
„Environmentalists
for
Obama“, sondern auch Auftritte für
einzelne US-Bundesstaaten. Dank
eines „O“ als Logo ähneln sie sich genug, um wiedererkennbar zu sein,
sind jedoch im Stil ansonsten diversifiziert genug, um an die einzelnen
Wählergruppen zu appellieren.
Und die Inhalte? Ach, die Inhalte.
Die sind nicht so sehr die Frage, auf
das Hütchen kommt es an!
[email protected]
ACHTUNG, KAMPAGNE! Der, die, das Cola?
Das Slogan sorgt für Irritation: „Das
Cola von Red Bull“ prangt es auf Werbeplakaten, die derzeit viele deutsche
Städte zieren. Das Cola? Was für ein
Quatsch, die Cola heißt das, DIE Cola.
Sollten die Marketingexperten des Getränkeherstellers tatsächlich nicht in
der Lage sein, den treffenden Artikel
für ihr neuestes Produkt zu finden?
Oder ist es vielmehr so, dass sie sich
mit einem bewusst falsch gewählten
Artikel in ihrer Werbung von dem Platzhirsch Coca-Cola abgrenzen wollen?
Das erinnert ein wenig an eine Bierreklame, die mit einem ähnlich schrägen
Artikel bereits seit vielen Jahren
höchst erfolgreich ist: König Pilsener
bewirbt sein Gebräu mit „Das König
der Biere“. Der König, wie es in der
deutschen Sprache korrekt heißen
würde, konnte das Unternehmen damals nicht schreiben, denn diese Überhöhung wäre irreführende Werbung
und damit unzulässig gewesen. In der
Brauerei selbst sieht man es allerdings anders: „Das König der Biere“
sei selbstverständlich grammatikalisch richtig. König sei die Marke, nicht
die Person. Man könne auch sagen:
Das König-Pilsener der Biere. Ein Erklärungsversuch, immerhin. Eines ist jedoch gewiss: Die Aufmerksamkeit, die
eine Marke mit solchen schrägen
Claims auf sich zieht, ist nicht gering.
Im Übrigen sieht sich auch Red Bull
grammatikalisch völlig im Recht. Denn
in Österreich, dem Heimatland des
Energiegetränks, sollen die Menschen
an der Kasse tatsächlich „das Cola“
verlangen.
bia
Gummiparagrafen und Selbstzensur
Das strenge chinesische Werbegesetz stellt die internationalen Agenturen vor große Probleme
LU YEN ROLOFF | PEKING
Das Plakat zeigt ein Meer aus Abertausenden Chinesen. Im Vordergrund klettern die Menschen übereinander und bilden mit ihren Körpern
einen menschlichen Sprungturm, darauf steht der chinesische Turmspringer Hu Jia. Die Olympiakampagne
des Sponsors Adidas appelliert in
den U-Bahn-Stationen Pekings unverhohlen an das chinesische Nationalgefühl. Mit der Kreation gewann die
Werbeagentur TWBA Shanghai im
Juni als erste chinesischstämmige
Agentur einen goldenen Löwen in
Cannes: ein Meilenstein für die chinesische Werbebranche, die wie die Medienbranche durch die staatliche Zensur eingeschränkt wird.
Der noch junge Werbemarkt in
der Volksrepublik China, der mit 43
Mrd. US-Dollar Werbeausgaben immerhin der weltweit drittgrößte
nach den USA und Japan ist, wird seit
1994 durch das Werbegesetz der
State Administration of Industry and
Commerce (SAIC) reguliert. Danach
dürfen Werbungen weder nationale
Flaggen, Embleme oder die Hymne
der Volksrepublik China verwenden.
Tabu sind zudem vergleichende Werbung und Superlative. Das Gesetz
soll eine Irreführung der Bevölkerung verhindern – eine Reaktion auf
Studien, nach denen Chinesen Werbesprüche sehr viel wörtlicher als
die medienerfahreneren Kunden im
Westen nehmen.
Doch viele Paragrafen des Werbegesetzes sind schwammig formuliert
und werden nur schrittweise durch
konkretere Ausführungen ergänzt.
„Das Gesetz befindet sich wie der
Markt selbst in ständiger Veränderung“, sagt Zhihong Gao, Expertin
für chinesisches Werberecht an der
US-amerikanischen Rider University. Für Werbeagenturen erschwere
dieser schnelle Wechsel allerdings
die Orientierung.
Besonders problematisch ist für internationale Werbeagenturen Artikel 3 des Werbegesetzes, nachdem
Produktwerbung den „sozialistischen, kulturellen und ideologischen
Entwicklungsprozess“ der Chinesen
unterstützen und jede Bedrohung
der „sozialen Stabilität“ vermeiden
soll: Die vagen Formulierungen unterstehen der praktischen Auslegung
durch die Chinese Advertisement Association (CAA). Der einzige Ver-
Plakatwerbung des
Getränkeriesen
Coca-Cola zu den
Olympischen Spielen
2008 in Peking: Im
August startet das
sportliche Großereignis, dessen herausragender Sponsor der
US-Getränkekonzern
mit dem rot-weißen
Logo ist.
Foto: action press
MARKEN-ZEICHEN
| 19
band der Werbewirtschaft in China
genehmigt die Entwürfe der Agenturen und agiert als Zensurbehörde.
„Wir lassen eine TV-Kampagne
mehrfach durch die CAA prüfen“, berichtet Kathrin Guethoff, Kreativdirektorin der internationalen Netzwerkagentur Interone in Peking. „Zunächst die Storyboards, nach den
Dreharbeiten das Rohprodukt und
schließlich die ersten Ausstrahlungen der Kampagne.“ Die Änderungswünsche beträfen zumeist Details
wie die geforderte Einblendung von
chinesischen Untertiteln bei englischer Musik, doch durch die häufige
Abstimmung fühlt sich die Deutsche
„schon sehr eingeschränkt und kontrolliert“. Sie wirft der Kontrollinstanz Willkür vor: „Ich sehe zum Beispiel eine chinesische Shampoowerbung, in der ein dünnes Tuch an einem nackten Körper vorbeistreicht
und frage mich: Wie haben die das
durch die Zensur bekommen?“
Ein weiterer unberechenbarer Faktor sind die Konsumenten selbst. Auf
Druck der Öffentlichkeit können bereits genehmigte Kampagnen zensiert werden, weiß Daniel Lim aus eigener Erfahrung. Als in Peking ansässiger Executive Director bei der Werbeagentur Saatchi & Saatchi betreute
er 2003 die Kampagne, die zum Präzedenzfall für die kulturellen Probleme
UNTERNEHMENSPRAXIS
MO FAMILIENUNTERNEHMEN
DI STRATEGIE
MI RECHT & STEUERN
DO MARKETING
FR MANAGEMENT
internationaler Agenturen im chinesischen Markt wurde. In dem Spot
verneigten sich traditionelle chinesische Steinlöwen vor einem Landcruiser der japanischen Marke Toyota.
Tausende Chinesen protestierte gegen die „Erniedrigung“ nationaler
Symbole gegenüber der ehemaligen
Besatzungsmacht. Die Regierung
setzte die Kampagne daraufhin ab.
Das gleiche Schicksal ereilte in den
Folgejahren auch Kampagnen von
McDonald’s, Nike und dem Farbhersteller Nippon. Auch hier waren Proteste von Chinesen in Internetforen
und Blogs die Auslöser.
„Die Regierung vermeidet alles,
was größere Gruppen unzufrieden
stimmt“, erklärt die Chinesin Conny
Chan* die Ratio, nach der sie selbst
die Zensurangelegenheiten einer großen Pekinger Werbeagentur regelt.
Internationale Agenturen setzen angesichts der Restriktionen zunehmend auf Selbstzensur. „Gerade aus-
ländische Kreative verzichten inzwischen auf den ironischen und humorvollen Umgang mit nationalen Symbolen wie Drachen, chinesischen Mythen und Helden“, erzählt Saatchi&-Saatchi-Werber Lim. Die Agenturen ließen lieber vorgreifend ihre Slogans und die gesamte Stoßrichtung
der Kampagne absegnen, als das Risiko von millionenschweren Verlusten einzugehen. Beinahe jede Agentur beschäftigt für die Kommunikation mit der CAA eine hausinterne
Zensurabteilung oder gibt diese Arbeit an externe Dienstleister. Zudem
erhöhen große Agenturen wie Interone und die TWBA von Jahr zu Jahr
den Anteil chinesischer Mitarbeiter,
womit eine weitere Sinisierung der
Werbebotschaften einhergeht.
*Name geändert
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Ältere Kunden sind unzufrieden mit ihrer Bank
Studie des Meyer-Hentschel-Instituts attestiert Bankhäusern fehlendes Engagement gegenüber Senioren
CATRIN BIALEK | DÜSSELDORF
Viele ältere Konsumenten fühlen
sich anscheinend nicht als vollwertige Bankkunden. Zu diesem niederschmetternden Ergebnis kommt eine
aktuelle Studie des Meyer-Hentschel-Instituts in Saarbrücken, das
seit Mitte der 80er-Jahre das Konsumverhalten älterer Menschen erforscht und als Begründer des Seniorenmarketings gilt. Das Institut befragte in Kooperation mit der Internetplattform Feierabend.de, der nach
eigenen Angaben größten deutschen
Online-Community für Senioren,
rund 890 Konsumenten. Deren
Durchschnittsalter betrug 61 Jahre.
Die Studie stellt fest: In der Betreuung ihrer älteren Kunden haben viele
Banken offensichtlich noch nicht die
Zeichen der Zeit erkannt. So wünschen sich 61,9 Prozent der befragten
Senioren, von ihrer Bank als „vollwertiger Kunde“ behandelt zu werden.
Erheblicher Nachholbedarf besteht
nach dieser Untersuchung auch im
Hinblick auf die Beratungsqualität
der Bankhäuser: 78,5 Prozent der Befragten wünschen sich „Beratung,
die absolut klar und verständlich ist“.
„Es macht nachdenklich, wie gering offensichtlich das Engagement
vieler Banken für ihre älteren Kunden
ist“, sagt Gundolf Meyer-Hentschel,
Gründer des Instituts und Initiator
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].
der Umfrage. Viele Banken hätten es
bis jetzt versäumt, sich auf eine angemessene Betreuung der wachsenden
Zahl älterer Kunden vorzubereiten.
Auch die weiteren Kritikpunkte
machen auf den Nachholbedarf der
Geldinstitute aufmerksam: So wünschen sich 35,6 Prozent der Befragten
mehr Diskretion bei der Abwicklung
ihrer Bankgeschäfte und 24,2 Prozent mehr Freundlichkeit der Bankmitarbeiter.
Aber auch an die Marketingabteilungen und Werbeagenturen richtet
sich ein Teil der Kritik: 27,1 Prozent
der befragten Senioren erwarten „besser verständliche Broschüren“. Und:
19,6 Prozent würden sich über mehr
Sitzmöglichkeiten in den Bankfilialen
freuen, 16,1 Prozent fordern besser lesbare Kontoauszüge und Überweisungsträger und 14,2 Prozent einfacher zu bedienende Geldautomaten.
Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern
mit der ältesten Bevölkerungsstruktur: Das zahlenmäßige Verhältnis
zwischen älteren und jüngeren Menschen wird sich in den nächsten Jahren drastisch verschieben. Bis zum
Jahr 2050 werden die Menschen im
Alter von 58 bis 63 Jahren zu den am
stärksten besetzten Jahrgängen gehören. Dann wird es, so die Schätzungen, mehr als doppelt so viele ältere
als junge Menschen geben.
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