SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
"Vier hoch fünf"
Streichquartette im Profil (4)
Von Christian Schruff
Sendung: Donnerstag, 23. Oktober 2014
Redaktion: Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff
23.10.2014
Donnerstag,
"Vier hoch fünf"
Streichquartette im Profil (4)
Signet: SWR 2 Musikstunde
Mit Christian Schruff. Herzlich willkommen zu
„Vier hoch fünf“ – Streichquartette im Profil.
Heute im vierten Teil: das Artemis Quartett.
Titelmusik
So expressiv, als wäre die Musik ganz neu, dabei akribisch, präzise und
voll Energie und Temperament: Das Berliner Artemis Quartett hat sich den
Ruf erworben, so zu musizieren. Und es hat sich diese kompromisslose Art
erhalten, obwohl von den vier Mitgliedern, die das Artemis Quartett vor 25
Jahren gegründet haben, nur noch einer dabei, der Cellist Eckart Runge.
Hier spielt er das Finale aus Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 6,
B-Dur, mit der Besetzung, in der das Artemis Quartett fünf Jahren lang
erfolgreich gewesen ist: Natalia Prishepenko und Gregor Sigl, Violine,
Friedemann Weigle, Viola, und Eckart Runge, Cello.
*Musik 1
CD Track 5
Ludwig van Beethoven:
Streichquartett Nr. 6 B-Dur, op. 18, Nr. 6
5. Satz: Allegretto quasi allegro
Artemis Quartett (Aufn. 2009)
VIRGIN, 50999 694584 0 8, LC07873
4:31
Absage
Mit Beethoven hat das Artemis Quartett mal angefangen, 1989 in Lübeck,
als man zum ersten Mal zusammen spielte. Und Beethovens Musik ist bis
heute der „Markenkern“ des Ensembles. Immerhin sind die vier Musiker
Ehrenmitglieder des Beethovenhauses Bonn. Als das Ensemble zwanzig
Jahre seines Bestehens feierte, da legte es einen Beethoven-Zyklus auf
und spielte ihn in Berlin, wo es längst seinen Sitz hat, daneben in der
3
Beethoven-Stadt Wien, in London, Paris, Tokyo und in Florenz.
Das Artemis Quartett ist zur Zeit das Beethoven Quartett, so wie es vorher
vielleicht das Alban Berg Quartett gewesen ist und davor das Quartetto
Italiano. Friedemann Weigle, der Bratscher hat mir als Grund für die
besondere Affinität zu Beethovens Musik gesagt, dass es die Gegensätze
seien, die das Quartett immer wieder herausfordern. Beethovens
Lieblingsdynamik sei das „Subito“, das plötzliche Umschlagen der
Charaktere. Ein Satz, den Walter Levin den Musikern mitgegeben hat, der
Primarius des La Salle-Quartetts.
Levin war der erste Mentor des Artemis Quartetts. Als sie 1996 den ARDMusikwettbewerb gewonnen haben und im Jahr darauf den renommierten
italienischen Preis „Paolo Borciani“, da haben die vier Musiker sich nicht
sofort in die Konzertsäle und Aufnahmestudios gestürzt, um ihre Karriere
voran zu bringen, sondern sie haben erst einmal weiter studiert.
Beim legendären Alban Berg Quartett in Wien haben sie anderthalb Jahre
lang gelernt, danach beim Emerson String Quartet in den USA. Und zuletzt
gingen sie mit Walter Levin noch ins „Berliner Wissenschaftskolleg“ - zum
Üben, aber auch, um sich geistig auszutauschen mit Spitzenköpfen aus
ganz anderen Fächern. Denn Streichquartettspielen – das ist eine
besonders intellektuelle Form des Musizierens.
Musik 2
CD I, Track 3 & 4 > 00:38
Ludwig van Beethoven:
Streichquartett Nr. 9 C-Dur, op. 59, Nr. 3 „Rasumowky“
3. Satz: Menuetto. Grazioso & Beginn der Schlussfuge
Artemis Quartett (Aufn. 1998)
VIRGIN, 50999 694584 0 8, LC07873
6:07
Absage
Das Artemis Quartett in einer Aufnahme von 1998 in der Besetzung, die
kurz vorher zwei wichtige internationale Preise gewonnen hatte – den
Premio Paolo Borciani und den ARD-Musikwettbewerb - mit Natalia
Prishepenko und Heime Müller, Violine, Volker Jacobsen, Viola, und Eckart
Runge, Cello.
4
Das Radikale, das Kompromisslose in Beethovens Musik fasziniert die
Musiker immer wieder. Und gerade in den frühen Jahren des Quartetts, als
die Musiker alle noch in ihren 20ern waren, da hatte jeder von ihnen auch
persönlich wenig Lust auf Kompromisse. Beethoven sei zugleich klassisch
und modern, ja sogar aufmüpfig, hat mir der Cellist Eckart Runge gesagt,
und das passe eben zu ihnen.
Darum sind die vier Musiker auch nicht von der Musikhochschule in eines
der Spitzenorchester gegangen, wo sie dann entweder nach der Pfeife
eines Dirigenten hätten spielen müssen oder eines Stimmführers, wie
Bratscher Volker Jacobsen einmal sagte. Alle vier suchten die Freiheit,
brauchten den demokratischen Prozess, sich in der Gruppe abzustimmen.
Dieser Prozess erzeugt Reibungen, er bringt aber auch jeden der vier
Musiker dazu, für seine Ansichten zu kämpfen. Dazu gehören Debatten,
dazu gehört aber auch vor allem das Ausprobieren – und auch das Wissen
darum, dass die Auseinandersetzung nie zu Ende ist. Schon im nächsten
Konzert kann man alles anders spielen, muss vielleicht sogar anders
spielen, weil ein Saal ganz anders klingt als der andere.
Lange haben sich die Geigen im Artemis Quartett abgewechselt, die
Positionen von erster und zweiter Geige getauscht. Daraus ist durchaus
Konkurrenz im Innern erwachsen, aber auch eine kreative Kraft. Der
ehemalige Artemis-Bratscher Volker Jacobsen fand, dass dieses Potential
die Cavatine in Beethovens Opus 130 geradezu atemberaubend schön
habe werden lassen. Denn beide Geigen hätten sich gegenseitig im
schönen Spiel übertrumpfen wollen.
Hier spielen Natalia Prishepenko und Gregor Sigl.
Musik 3
CD Track 10
Ludwig van Beethoven:
Streichquartett Nr. 13 B-Dur, op. 130
5. Satz: Cavatina. Adagio molto espressivo
Artemis Quartett (Aufn. 2009)
VIRGIN, 50999 694584 0 8, LC07873
Absage
6:16
5
Zur selben Zeit, in der das Artemis Quartett sich mit dem späten
Beethoven beschäftigt hat, haben die vier Musiker auch drei SchubertQuartette eingespielt. Eine „Exkursion in Traumwelten von Schubert“ hat
Eckart Runge das genannt. Den „Schubert-Ton“ zu finden, sei gar nicht so
schwer gewesen, sondern sogar eine willkommene Abwechslung gewesen
für das Quartett im „Beethoven-Modus“. Was Schubert von seinem Wiener
Zeitgenossen Beethoven grundlegend unterscheide, das sei vor allem das
Liedhafte seiner Erfindungen, seine schlichten Melodien, manchmal sogar
sein naiver Ton.
Aber dann haben die Musiker auch überraschende Parallelen entdeckt.
Denn auch Schubert habe die Quartettkunst erneuert, er habe die
Dimensionen erweitert, im späten G-Dur-Quartett sogar bis ins
Sinfonische. Und er habe auch die Kontraste bis in Extreme ausgenutzt.
Hier der 2. Satz, das Andante aus dem a-Moll-Quartett Nr. 13, in dem
Schubert eine seiner Lieblingsmelodien verwendet hat. In seiner
Schauspielmusik zur „Rosamunde“ erklingt sie in einer Zwischenaktmusik
und von daher rührt der Name „Rosamunden-Quartett“.
Musik 4
CD I, Track 6
(7:09)
Franz Schubert:
Streichquartett Nr. 13 A-Moll (D 804) „Rosamunde“
2. Satz: Andante
Artemis Quartett
VIRGIN, 50999 602512 2 0, LC07873
4:28
Absage
Die Kammermusik-Agentin Sonia Simmenauer hat ihr Leben den großen
Quartetten gewidmet, dem Alban Berg Quartett, dem Guarneri Quartett
und auch dem Artemis Quartett. „Leben im Quartett“ heißt deshalb ein
kleiner Band im Untertitel, in dem sie von ihren Erfahrungen mit
Quartettmusikern schreibt und worin sie diese auch zu Wort kommen
lässt. Eckart Runge, Cellist im Artemis Quartett, zitiert Simmenauer mit
diesen Zeilen:
„Für mich gibt es zwei gleichwertige Dinge, die das Quartett zu der
vollkommensten musikalischen Form machen. Da ist zunächst das
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Repertoire: Komponisten aller Epochen haben für diese Besetzung ihre
vielleicht schönsten und vor allem avanciertesten Werke geschrieben. ...
[Das Quartett war] zugleich ein Experimentierfeld wie auch die ideale
Form, die innigsten und persönlichsten Empfindungen ausdrücken zu
können.
Ebenso reizvoll wie das Repertoire finde ich das Menschliche im Quartett:
Man ist ein Team, in dem man Verantwortung teilt, annimmt und abgibt
... [Dadurch] ist man ein hundertprozentig unersetzlicher Teil des Ganzen
mit aller Verantwortung, aber ohne jemals allein zu sein – das ist für mich
ein Idealmodell. Das fast utopische Ideal einer funktionierenden
Gemeinschaft.“
Soweit Eckart Runge in Sonia Simmenauers Buch „Muß es sein? Leben im
Quartett“.
Nachdem verschiedene Zeitgenossen für das Artemis Quartett komponiert
haben, z.B. Jörg Widmann oder Mauricio Sotelo, hat das Quartett nun zum
ersten Mal einen Kompositionswettbewerb ausgelobt. Alle drei Jahre soll
der „Artemis Wettbewerb“ stattfinden, 2015 zum ersten Mal. Vor allem soll
er für Komponisten ein Anreiz sein, für diese Besetzung zu schreiben. Es
gibt keine Altersbeschränkung. Das Siegerwerk soll im Januar 2016
uraufgeführt werden, in der Berliner Philharmonie, und danach noch in der
Alten Oper Frankfurt, im Wiener Konzerthaus und im legendären
Kammermusiksaal in London, in der Wigmore Hall.
In dieser SWR 2 Musikstunde können wir auf diese Zukunftsmusik nicht
warten, darum hier jetzt drei Sätze aus dem 1. Streichquartett des Ungarn
György Ligeti, ein Werk aus dem Jahre 1956 mit deutlichem Bezug zu Béla
Bartók.
Musik 5
CD I /Tracks 7, 8, 9
5:16
György Ligeti:
aus Streichquartett Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“
7.-9. Satz: Tempo di Valse ...; Subito prestissimo; Allegretto, un
poco gioaviale
Artemis Quartett (Aufn. 1999)
WARNER MUSIC, 50999 6 27905 2 9, LC06646
Absage
7
„Rock’n’Roll“ und „Gänsehaut“ – diese beiden Schlagworte fallen Bratscher
Friedemann Weigle immer wieder ein, wenn er das Spiel seines Artemis
Quartetts beschreiben soll. „Rock’n’Roll“ steht dafür, dass jeder jederzeit
alles gibt für die Musik – übrigens spielt das Artemis Quartett im Stehen.
Die „Gänsehaut“ steht dafür, dass man immer wieder auf die Suche geht,
in jedem Konzert, nach den magischen und wunderbaren Momenten, die
unter die Haut gehen.
Bei der Suche nach solchen Momenten greifen die Artemis-Musiker oft erst
zu Worten, dann erst zu den Instrumenten, denn das Verbalisieren helfe,
genau zu bestimmen, um welche Nuance es geht. Seit 2012 ist der
Wortschatz für diese Suche größer geworden, denn mit Vineta Sareika hat
das Ensemble eine neue 1. Geige bekommen und seitdem wird auf
Englisch geprobt. Eine der vielen positiven Veränderungen, von denen es
im Laufe von 25 Jahren Quartettgeschichte einige gegeben hat.
Gregor Sigl und Friedemann Weigle kamen 2007 neu ins Artemis Quartett
und gingen mit viel Lampenfieber ins erste gemeinsame Konzert in
Salzburg. Doch sehr schnell hat das Ensemble seinen Ton gefunden.
Impulse zur Entwicklung bieten auch immer wieder Entdeckungen
außerhalb des klassischen Repertoires. 2004 auf der „Schubertiade
Schwarzenberg“ spielte das Artemis Quartett die „Suite del Angel“ von
Astor Piazolla, dessen Musik – so Eckart Runge – „ähnlich wie Schubert,
zwischen traumhaft schön und todtraurig“ changiert.
Musik 6
CD Tack 8
Astor Piazolla
Suite del Angel
2. Satz: Tango del Angel
Artemis Quartett
WARNER CLASSICS, 50999 267292 0 6, LC07873
4:36
Absage
Die Suche nach der neuen Primaria war schwierig, zumal sie nicht in
einem öffentlichen Casting stattfinden durfte, sondern diskret geschehen
musste. Es gab eine lange Liste von Geigern, die in Frage kamen, die die
Kriterien erfüllten. Gesucht wurde ein Musiker oder eine Musikerin mit
Solisten-Qualitäten, aber ohne Solo-Ambitionen; denn neben dem
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Quartett lassen sich keine 100 Solo-Auftritte absolvieren. Der Kandidat
musste außerdem teamfähig sein, um in der besonderen Demokratie des
Artemis Quartetts zu funktionieren.
Das Ensemble versteht sich als „urbanes“ Quartett, es residiert in Berlin,
und zu Berlin passe diese innere Struktur eben. Ein primarius-zentriertes
Quartett mit klarer Hierarchie passe eher nach Wien. Der oder die Neue
musste also auch in Berlin leben – und Kammermusikerfahrung haben.
Am Ende blieben sechs Kandidaten. Beim Probespiel mit Vineta Sareika
war klar: Hier passen Flexibilität und aufeinander Eingehen am besten.
Und so fiel die Wahl auf sie, die Lettin, die in der russischen Geigenschule
ihre Wurzeln hat, aber in Frankreich studiert hat. Erste gemeinsame CD ist
das Mendelssohn-Album aus diesem Jahr. Über das Tempo für das
Intermezzo im a-Moll-Quartett wurde anfangs gestritten. Vineta Sareika
wollte ihre wunderbare Gesangsmelodie gerne langsam aussingen, ihr
Geigenkollege hätte es lieber schneller gehabt. Kompromisse aber lehnt
das Artemis Quartett ab. Hier ist das Ergebnis.
Musik 7
CD II / Track 3
Felix Mendessohn Bartholdy
Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 13
3. Satz: Intermezzo
Artemis Quartett
WARNER CLASSICS/ERATO, 0825646366903, LC00200
4:54
Absage
Um Mendelssohn hat das Artemis Quartett lange einen Bogen gemacht.
Im 25. Jahr seines Bestehens wird nun diese Repertoirelücke gefüllt mit
Vineta Sareika am 1. Geigenpult und mit Musik, für die sich die ArtemisMusiker vor allem wegen der Spannungsfelder interessieren, in denen sie
entstanden ist: zwischen Klassik und Romantik, zwischen Judentum und
Christentum, zwischen jugendlichem Überschwang und reifer
Komponistenpersönlichkeit.
Mit der neuen 1. Geige sei das Artemis Quartett „jünger, blonder und
französischer“ geworden, schrieben die Zeitungen. Nur in Frankreich fand
man, der Ton sei „deutscher“ geworden. Ganz sicher aber bleibt das
9
Quartett eines der führenden Quartette. Benannt hat es sich übrigens
nach der Jagdgöttin Artemis. Deren Attribut ja auch der Bogen ist,
Mittlerweile unterrichtet das Artemis Quartett auch und kann auch da
schon einen bemerkenswerten Erfolg verzeichnen: 2012 gewann das
„Armida“-Quartett aus seiner Schule den ARD-Wettbewerb. Leicht wird es
für neue, junge Quartette nicht auf dem harten Musikmarkt. Sie brauchen
neben Fleiß und Können auch Glück – wie es das Artemis Quartett auch
immer hatte.
Musik 8
CD I / Track 1
(12:39)
Felix Mendessohn Bartholdy
Streichquartett Nr. 3 D-Dur op. 44, Nr. 1
1. Satz: Molto allegro vivace
Artemis Quartett
WARNER CLASSICS/ERATO, 0825646366903, LC00200
3...
Absage
Das war die SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff:
"Vier hoch fünf" - Streichquartette im Profil (4)
Morgen stelle ich Ihnen zum Abschluss dieser Reihe das Mandelring
Quartett vor.
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