Daidalos, der Schutzgott der athenischen Handwerker – Urbild des

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Ansprache für Freitag, den 15. Januar 2010
Lass mein Volk ziehen!
In den beiden kommenden Wochenabschnitten aus dem zweiten Buch Moses
(Ex 7-11) steht die berühmte Geschichte von den 10 Plagen. Pharao wollte die
Kinder Israels nicht aus der Sklaverei ziehen lassen, darum schlug Gott Ägypten
mit immer lästigeren, immer tödlicheren Plagen. Das Wasser des Nils
verwandelte sich in Blut; Frösche, Mücken, Ungeziefer, Viehpest, Ausschlag,
Hagelschlag, Heuschrecken, Finsternis fielen über das Land. Doch der Pharao
blieb hart, bis alle Erstgeborenen Ägyptens erschlagen waren. Nicht erst
moderne Wissenschaftler, auch Pharao und seine Weisen haben für die Plagen
natürliche Erklärungen gesucht. Und in der Tat lassen sich wenigstens die neun
ersten Plagen als Folgen einer ökologischen Katastrophen deuten. Vor wenigen
Jahren beobachtete man z. B. in den USA, wo man gerne naturwissenschaftliche
Beweise für die Bibel sammelt, wie sich ein Fluss nach einer Überschwemmung
durch Bakterienbefall blutrot färbte. Wie in der Bibel starben Fische und die
explosionsartig wachsende Froschpopulation verließ die Feuchtbiotope. Als
Folge davon vermehrten sich die Mücken und das Ungeziefer. Tiere und
Menschen, die mit dem verseuchten Wasser in Berührung kamen, hatten
scheußliche Wunden und die Mücken- und Ungeziefer verbreiteten
Krankheiten. In der Bibel kommt noch das große Unwetter hinzu, dass die
Vermehrung der Heuschrecken begünstigte, riesige Schwärme heranwehte und
einen Sandsturm auslöste, der mehrere Tage lang die Sonne verdunkelte. Mag
sein, dass sich Gott bei seinen Strafaktionen einer solchen ökologischen
Kettenreaktion bediente, aber damit ist der Sinn der Plagen keineswegs
erschöpft.
In der Bibel laufen die Plagen unter dem Titel: „Wunder und Zeichen“.
Wunder (Moftim) sind die Plagen erstens, weil nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge nicht die Sklavenhalter sondern die Sklaven geplagt werden. Darüber
hinaus sollen sie verständliche „Zeichen“ (Ottot, Ex 7, 3) sein, gleichsam
lebende Hieroglyphen, damit die Ägypter, und mit ihnen die ganze Welt (9, 29),
den Gott Israels erkennen (7, 5). Nehmen wir das erste Moseswunder, das noch
nicht zu den Plagen zählt, aber an dem Stock geschieht, mit dem Moses die
Plagen auslösen und den verstockten Herrscher schlagen wird. Moses warf ihn
vor dem Pharao auf die Erde und er verwandelte sich in eine Schlange (10).
Diesen Schlangenbeschwörertrick beherrschten auch die ägyptischen Zauberer.
Die Schlange von Moses verschlang jedoch die Schlangen der Ägypter. Das war
womöglich ein politischer Fingerzeig. Denn die Schlangen prangten auch als
Insignien am Diadem des Pharao. Das Verschlingen des Symboltiers konnte als
deutliche Drohbotschaft an das Nilreich aufgefasst werden (// Gen 41, 4).
Die erste Plage ereignete sich nicht zufällig auch am Nil (15). Moses
schlug mit seinem Schlangenstab die Lebensader Ägyptens und der Fluss
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verwandelte sich in eine blutige, faulende, tote Brühe (21). Der so genannte
„rote Nil“ war auch den Ägyptern bekannt (22), die Plage war aber darüber
hinaus auch ein deutliches Zeichen. Das vergossene Blut wurde sichtbar, die
faule Kehrseite der glänzenden Kultur ruchbar. Jedenfalls verdankt sich Ägypten
nicht nur dem Wasserstrom, sondern auch den Strömen von Blut und Schweiß
seiner Arbeiter - das könnte der Zeichensinn der ersten Plage gewesen sein.
Als nächstes ruft Moses mit dem Schlangenstab die Frösche aus dem Nil
(28). Der Frosch, sonst treuer Begleiter des Nilgottes und Künder des jährlichen
Hochwassers, ist diesmal kein Segensbringer, sondern ein unerfreulicher Fluch,
der die überreinlichen Ägypter in ihren Küchen und Schlafzimmern heimsucht
(8, 10). Das Auftauchen der Sumpfbewohner in der properen Oberwelt, könnte
aber auch den Aufstand der Proleten signalisieren. Karl Marx, der einen langen
rabbinischen Stammbaum hatte, schrieb: „Der Despot sieht die Menschen
immer entwürdigt. Sie ersaufen vor seinen Augen und für ihn im Schlamm des
gemeinen Lebens, aus dem sie auch, gleich den Fröschen, immer wieder
hervorgehen.“ Die Frösche vermochten freilich ebenso wenig das Herz des
Pharao zu erweichen (11).
Die Dritte, die Mückenplage, ist mehr als ein Ekel erregendes
Schauwunder, sie geht im wahrsten Wortsinn „unter die Haut“. Wie schon der
Grieche Herodot berichtete, waren Mücken im alten Ägypten eine ständige
Plage, vor der sich die Ägypter mit engmaschigen Moskitonetzen schützten
(Historien II, 95). Aber auch in diesem Wunder steckt vermutlich ein Zeichen.
Der kleine Blutsauger sollte die Ägypter vielleicht daran erinnern, wie sie ihre
Sklaven aussaugten. Im Mückenrüssel erkannten sogar die ägyptischen
Zeichendeuter den „Finger Gottes“ (15).
Aber Mückenstiche reichten bei weitem nicht, ein ganzes Heer von
Zerstörung und Tod bringenden Plagen mussten das Land verwüsten, ehe der
Pharao einsah, dass er seine Sklaven ziehen lassen muss. Um hier nur noch die
beiden letzten Plagen zu erwähnen. Von kaum zu übertreffender Deutlichkeit
war die Symbolik der 9. Plage. Die totale Finsternis kündigt den Untergang der
ägyptischen Sonne an, also des ägyptischen Hauptgottes Re. Aber Pharao blieb
weiterhin stur, vielleicht war es ja nur ein heftiger Sandsturm gewesen … . Er
kapitulierte erst, als ihm seine Grausamkeit „Maß für Maß“ (Midda Keneged
Midda) heimgezahlt war. So wie er einst geboten hatte, die neugeborenen
israelitischen Jungen in den Nil zu werfen (1, 22), so wurden nun alle
Thronfolger Ägyptens von einem dieser geretteten Jungen und seinem Gott
getroffen (4, 23).
Die modernen Anwälte des Pharaonenreichs werfen dem biblischen Gott
Gewalttätigkeit und Grausamkeit vor, vergessen jedoch die erbarmungslose
Ausbeutung, die in der Pracht der ägyptischen Monumente steckt. Die Plagen
als Zeichen, legen diese Kehrseite der Pracht bloß und die Geschichte der
Plagen
ist
zur
großen
Hoffnung
aller
Befreiungsund
Emanzipationsbewegungen geworden.
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