Bestimmungsfaktoren und Probleme der politischen Partizipation

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Prof. Dr. phil. habil. Helmut Willems
Luxemburg, den 14.03.2012
Soziologie
Université du Luxembourg
Faculty of Language and Literature, Humanities,
Arts and Education (FLSHASE)
Vize Director of Integrative Research Unit on Social
and Individual Development (INSIDE)
Route de Diekirch
L-7220 Walferdange
Luxemburg
Bestimmungsfaktoren und Probleme der politischen
Partizipation von Migranten
Stellungnahme für die Enquete-Kommission 16/2 “Bürgerbeteiligung” des
Landtages Rheinland-Pfalz; Anhörung 10.03.2012
I.
Konzeptionelle Vorbemerkungen
Die in den letzten Jahren aufgekommene Forderung nach mehr Partizipationsmöglichkeiten
für Migranten muss hinsichtlich der Analyse von Chancen und Grenzen eingebettet werden in
die aktuelle Diskussion um Partizipation in westlichen Demokratien generell und die
Erkenntnisse der wissenschaftlichen Partizipationsforschung zu den Faktoren, die eine
Partizipationsbereitschaft eher fördern oder eher hemmen.
Die Partizipationsforschung hat die Frage nach der Entwicklung der politischen Partizipation
in westlichen Demokratien in den letzten Jahren meist mit einem spürbar pessimistischen
Unterton behandelt. Die Befunde sprechen einerseits von einem nachlassenden Interesse an
Politik, von geringerer Wahlbeteiligung und einem generell geringeren Interesse an
politischer Partizipation; andererseits aber auch von großen Unterschieden hinsichtlich der
Ausprägung des politischen Interesses und der Partizipationsbereitschaften bei verschiedenen
Bevölkerungsgruppen: Insbesondere bei Frauen, bei Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, bei sozial schwach integrierten Personengruppen sowie bei Menschen mit
Migrationshintergrund wird das Partizipationsverhalten als deutlich schwächer ausgeprägt
beschrieben.1
Im Folgenden sollen zunächst zentrale Argumente für eine Stärkung der gesellschaftlichen
und politischen Partizipation von Migranten dargestellt werden, bevor aus wissenschaftlicher
Perspektive die zentralen Faktoren der Erklärung von Partizipation kurz dargelegt werden.
2
Vor diesem Hintergrund werden dann die Fragen der Enquete-Kommission beantwortet.
1
II.
Zur gesellschaftlichen Bedeutung der
Migranten – Argumente und Begründungen
Partizipation
von
Die Förderung und Stärkung der politischen Partizipation gehört zum einen zu den zentralen
Elementen liberaler Demokratien (Roth 1998)3 und ist damit Ausdruck der demokratischen
Kultur und des demokratischen Selbstverständnis eines Landes. Sie ist aber zum anderen
auch mit einer Reihe von konkreten Erwartungen und Hoffnungen verbunden, die in der
Frage nach der Legitimation und gesellschaftlich Funktion von mehr Partizipation gebündelt
werden. Im Folgenden sollen daher einige zentrale Argumente vorgestellt werden, die im
Diskurs über die Förderung der politischen Partizipation von Migranten eine wichtige Rolle
spielen. (Thränhardt 2010)4

Partizipation der Migranten als Antwort auf die veränderten Bevölkerungsstrukturen
in der Einwanderungsgesellschaft
Die Stärkung der Partizipation der Migranten ist als eine demokratisch notwendige Reaktion
auf die veränderte, heterogene Bevölkerungsstruktur in unserer gegenwärtigen Gesellschaft
zu sehen. Aufgrund des Übergangs von einer Zuwanderungs- zu einer Einwanderungsgesellschaft (Bade 2006)5 ist es heute mehr denn je erforderlich, dass Migranten stärker in die
politischen und gesellschaftlichen Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden
werden. Zugleich wächst die Einsicht, dass Migranten produktive Beiträge sowohl für die
Entwicklung ihres sozialen Umfeldes als auch für die Entwicklung der Gesellschaft und der
Demokratie liefern können.

Partizipation als Menschenrecht
Ein grundsätzliches Argument für die Förderung und Stärkung der Partizipation von
Migranten basiert auf den allgemeinen Menschenrechten und Bürgerrechten. In Artikel 21
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es:
„Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten […] durch frei
gewählte Vertreter mitzuwirken“. Dieser Grundsatz macht die Universalität der
Menschenrechte deutlich und liefert damit die umfassendste Form der Begründung der
Partizipationsrechte auch von Migranten.

Die demokratietheoretische Bedeutung der Partizipation von Migranten
Der Partizipation von Migranten kommt auch aufgrund demokratietheoretischer Aspekte
verstärkte Aufmerksamkeit zu. Dies insbesondere deshalb, weil sich das Verständnis von
Demokratie und Teilhabe in den letzten Jahrzehnten weltweit nachhaltig verändert und
weiterentwickelt hat. Konventionelle Formen politischer Partizipation, wie etwa die
Teilnahme an Wahlen, wurden durch andere, unkonventionellere Formen wie
Demonstrationen, Protestaktionen, Unterschriftensammlungen oder Petitionen erweitert.
Auch die neuen Medien haben einen wesentlichen Beitrag zur Veränderung demokratischer
Dialog- und Partizipationsformen geleistet. Inzwischen wird ein Großteil der
Partizipationsideen und -programme weltweit durch Internetplattformen, Foren, Blogs oder
Internetnetzwerke kommuniziert und auch praktisch umgesetzt und vernetzt („e2
partizipation“).6 Die Ausweitung der politischen Beteiligung und die Veränderung der
Beteiligungsformen kann nach Roth und Olk (2007) als Teil eines Reformprozesses
verstanden werden, der auf die Weiterentwicklung „liberaler Demokratien“ zielt.7 Im
Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Idee, dass die Voraussetzung und die Bedingung für
eine moderne, beteiligungsorientierte Demokratie aktive und interessierte Bürger sind. Das
heute populäre Konzept der Bürgergesellschaft steht demzufolge für die Vision einer aktiven
Gesellschaft, in der ein großer Teil der Bevölkerung sich politisch einmischt, Verantwortung
übernimmt und solidarisch handelt.
Auch die Migranten werden in diesem Zusammenhang dazu aufgefordert, als Akteure im
politischen Gemeinwesen zu agieren, d.h. Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft zu
übernehmen und aktiv an den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen
mitzuwirken. Gerade in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung, in denen
Gesellschaften zunehmend heterogener werden, sich Traditionen und Kulturen stärker
miteinander vermischen, ist die Beteiligung der Migranten ein wesentlicher Einflussfaktor für
die Generierung einer gemeinsamen zivilen und demokratischen Identität. In diesem Sinne
hat die EU die Verbesserung die Migrantenpartizipation als eines ihrer Kernziele definiert,
um so die Ausgestaltung und Legitimierung europäischer Erweiterungs- und Erneuerungsprozesse auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen und dadurch zur Förderung und
Stärkung einer europäischen Bürgerschaft und eines gemeinsamen europäischen
Verständnisses beizutragen. (Cyrus 2008)8

Bildungstheoretische Begründungen der Partizipation von Migranten
Die Notwendigkeit zur Förderung von mehr Partizipation für Migranten kann zudem mit
pädagogischen und bildungstheoretischen Argumenten begründet werden. Insbesondere die
frühe Partizipation von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenmilieus an gesellschaftlichen
oder politischen Aktivitäten wird in der Pädagogik als eine wichtige Voraussetzung für die
Entwicklung demokratischer und sozialer Kompetenzen und Orientierungen angesehen. Hier
werden nicht nur wichtige Kenntnisse vermittelt, sondern auch das Selbstbewusstsein und die
Kompetenz der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund entscheidend gestärkt.
Die Einrichtungen und Institutionen der politischen Bildung sowie die Schulen und die
Jugendarbeit sind besonders gefragt, wenn es um die Unterstützung dieser Lern- und
Entwicklungsprozesse und deren Ausrichtung auf Migranten geht. Sie verfügen über ein
breites Spektrum an Möglichkeiten, um jungen Menschen ein zivilgesellschaftliches und
demokratisches Selbstverständnis näher zu bringen.

Stärkung der gesellschaftlicher Integration und sozialen Kohäsion durch Partizipation
von Migranten
Angesichts einer zunehmenden ethnisch kulturellen Heterogenität der Bevölkerung in
modernen Gesellschaften hat Partizipation vor allem als Integrationsstrategie eine hohe
Bedeutung. Der hohe Anteil von Migranten in Deutschland und auch in Rheinland Pfalz führt
dazu, dass eine Vielfalt an Kulturen und Traditionen in einer Gesellschaft zusammenleben.
Dies hat Folgen für das Zusammenwachsen in einer Gesellschaft und für die Entwicklung
3
eines gemeinsamen Verständnisses von demokratischen Werten. In der politischen
Diskussion wurde diese Thematik lange aus einer Problemperspektive heraus diskutiert:
Zentrale Themen waren die Gefahr der Bildung von Parallelgesellschaften9, die Aufweichung
demokratischer Grundüberzeugungen sowie ethnisch-kulturelle Segregation und soziale
Exklusion von gesellschaftlichen Teilgruppen, v.a. von Migranten.
Die aktive Förderung der Partizipation von Migranten unterschiedlicher Herkunft (an den sie
speziell betreffenden Fragen und Themen aber auch darüber hinaus an den Belangen des
Gemeinwesens schlechthin) fördert deren gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung
und stärkt damit insgesamt deren Integration. Durch die gemeinsame Erfahrung in
demokratischen Partizipationsprozessen können daher die Grundlagen für die Integration der
Migranten in die Gesellschaft und für die Entwicklung sozialer Kohäsion und gemeinsamer
demokratischer Überzeugungen gelegt werden. Dabei ist soziale Integration nicht mit der
einseitigen Anpassung der Migranten an einen bestehenden Wertekanon gleichzusetzen,
sondern Ausdruck eines wechselseitigen Lernprozesses. (Willems et al. 2010)10
Damit Menschen unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkunft eine zivile Identität und ein
gemeinschaftliches demokratisches Verständnis erwerben können, sind offene Bildungs- und
Beteiligungsstrukturen von Nöten, die Wissen über demokratische Prozesse vermitteln und
die einen Erfahrungsraum bieten, in dem sich Migranten als Bürger eines weltoffenen und
demokratischen Landes wahrnehmen können.
III.
Partizipation als Untersuchungsgegenstand in Forschung und
Wissenschaft – zentrale Faktoren der politischen Partizipation
Die Grundfragestellungen der wissenschaftlichen Partizipationsforschung beziehen sich
schwerpunktmäßig darauf zu erkunden, in welcher Form, unter welchen Voraussetzungen
und aus welchen Gründen Bürger an politischen, aber auch an gesellschaftlichen
Entscheidungsprozessen partizipieren. Dabei wird die Bedeutung von individuellen
Ressourcen, Einstellungen und Erfahrungen einerseits (Mikroebene), sowie von rechtlichen,
sozio-strukturellen und institutionellen Bedingungen andererseits (Makroebene) für die
Erklärung unterschiedlich ausgeprägter politischer und gesellschaftlicher Partizipation in
allen Studien sichtbar.11 Seit den Studien von Barnes & Kaase (1979) 12 und Jennings et al.
(1990)13 werden traditionell-konventionelle Formen der politischen Partizipation (Wahlen,
Parteimitgliedschaften usw.) und unkonventionelle Formen der politischen Partizipation
(Proteste, Demonstrationen, Petitionen) als komplementäre Strategien der Teilhabe und
Mitbestimmung an politischen und sozialen Entscheidungsprozessen behandelt. Dass die
Bevölkerung heute über ein breites, über Wahlen weit hinausreichendes Beteiligungsreservoir
verfügen, belegt die neuere Partizipationsforschung.14
Der Schwerpunkt der theoretischen Erklärungen zu politischer und gesellschaftlicher
Partizipation liegt jedoch nicht in erster Linie bei den strukturellen Anreizen („Incentives“)
und Herausforderungen, sondern bei den individuellen Ressourcen jedes Einzelnen. Das
durch Verba, Nie und Kim, (1978)15 begründete sozioökonomische Standardmodell
4
politischer Partizipation („SES-Model“) und dessen weiterentwickelte Form („Civic
Voluntarism Model“)16 dienen als Instrumente zur Klärung der Frage, inwiefern die
individuelle Ressourcenausstattung als wesentliche Bedingung für die politische Beteiligung
zu sehen ist. Neben kulturellen Prägungen spielen vor allem soziodemografische Merkmale
(wie das Geschlecht, die Altersstruktur), aber vor allem auch Bildungsniveau,
Sprachkompetenzen, der soziale Status sowie die soziale und kulturelle Verwurzelung in der
Gesellschaft und die damit einhergehende Integrationsbereitschaft eine zentrale Rolle.
(Schneider/Willems 2009)17
Dabei spielt neben allgemeinen Faktoren wie Bildungsniveau und Sprachkompetenzen vor
allem auch das politische Selbstvertrauen und Kompetenzbewusstsein („internal efficacy“), d.
h. das Gefühl, wirkliche Einflussmöglichkeiten zu haben, sowie die Überzeugung von der
Responsivität der Politik („external efficacy“) eine zentrale Rolle. (Millbrath 1977)18
Migrantenpopulationen unterscheiden sich hinsichtlich dieser partizipationsrelevanten
Faktoren von der einheimischen Bevölkerung: Insbesondere das im Durchschnitt niedrigere
Bildungsniveaus, der geringere soziale Status sowie Sprachprobleme und unvollendete
soziale Integration spielen hierbei eine zentrale Rolle. Zugleich können wir beobachten, dass
Menschen mit einem höheren politischen Selbstvertrauen, also solche, die ihre
Einflussmöglichkeiten höher einschätzen, auch das politische System als zugänglicher
betrachten. Im Umkehrschluss können soziale und politische Benachteiligungen oder die
damit zusammenhängende Unzufriedenheit und Frustration als weniger bedeutsam für
politische Beteiligung gewertet werden. Diesen Erklärungsmodellen entsprechend sind es
also nicht die gesellschaftlichen Randgruppen oder sozial Benachteiligten und
diskriminierten Gruppen, die sich überdurchschnittlich stark politisch beteiligen, sondern
diejenigen, die ihr politisches Engagement als positive Erfahrung wahrnehmen.(Roller et al.
2006)19
Zentrale Faktoren zu Erklärung des geringer ausgeprägten Partizipationsverhaltens von
Migranten können aber vor allem auf struktureller bzw. rechtlicher Ebene (seitens der
Aufnahmegesellschaft) festgestellt werden. Zur Analyse der Partizipationsbereitschaften und
Partizipationsprobleme bei Migrantengruppen spielen diese strukturellen Faktoren eine
dominante Rolle. Denn Migranten werden in allen europäischen Demokratien nicht die vollen
Bürgerrechte zu gestanden. Diese fehlende rechtliche Gleichstellung aufgrund fehlender
Staatbürgerschaft reduziert die politischen Partizipationsmöglichkeiten erheblich und wirkt
als Signal auch darüber hinaus. Nachdem diese rechtlichen Voraussetzungen mittelfristig
nicht zu verändern sind spielen für eine grundlegende Mobilisierung von Migranten zu mehr
Partizipation vor allem lokale Partizipationskulturen und die Offenheit administrativer
gesellschaftlicher und politischer Institutionen für Migranten vor Ort eine wichtige Rolle.
(Roth/Gesemann 2011)20
5
IV.
Beantwortung der Fragen der Enquete-Kommission
1. Welche rechtlichen, sozialen, öknomischen und sonstigen Beteiligungshemmnisse
sehen Sie hinsichtlich der politischen Partizipation von Einwohnern und
Einwohnerinnen
mit
Migrationshintergrund?
Wie
können
diese
Beteiligungshemmnisse Ihrer Meinung nach aufgelöst oder reduziert werden? Welche
Maßnamen sind hier zu empfehlen? Wie kann aus Ihrer Sicht der Anteil an
Migrantinnen und Migranten in Parteien und Parlament erhöht werden?
Rechtliche Hemmnisse und mögliche Maßnahmen
Die fehlende Staatsbürgerschaft stellt für die Mehrzahl der Migranten in den jeweiligen
Aufnahmeländern das wichtigste formale Hindernis für die Zuerkennung aller
Bürgerschaftsrechte (citizenship rights) dar und ist damit das zentrale rechtliche Hemmnis für
mehr demokratische und zivilgesellschaftliche Partizipation von Migranten (Thränhardt
2008)21. Dies kann angesichts z.T. großer und dauerhaft bestehender Diskrepanzen zwischen
Wohn- und Wahlbevölkerung hinsichtlich Ihrer politischen Teilhaberechte (in Luxemburg
zum Beispiel haben über 43% der Wohnbevölkerung nicht die luxemburgische Nationalität
und damit keine vollen Bürgerschaftsrechte) durchaus auch als Ausdruck eines
Demokratiedefizits angesehen werden.22 Was sind die Folgen dieser Situation?
In Deutschland haben nur eingebürgerte Migranten und deutschstämmige Zuwanderer
(Spätaussiedler) das volle Wahlrecht auf allen Ebenen; eingewanderte Bürger aus anderen
Ländern der europäischen Union haben es zumindest auf der Ebene der Kommunalwahlen.
Migranten aus sog. Drittstaaten (ausserhalb der europäischen Union) ohne deutsche
Staatsbürgerschaft besitzen keine politischen Wahlrechte, auch nicht auf kommunaler Ebene,
und verfügen damit insgesamt nur über sehr eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten.
Das Fehlen dieser Rechte kann in den Fällen, in denen es einen nennenswerten Anteil von
Migranten aus Drittstaaten gibt, zu einer Einschränkung bzw. Schwächung der Legitimation
der gewählten Repräsentanten der Migranten führen, da diese nicht von einer Mehrheit der
Migranten gewählt wurden. 23
Weiterhin kann es zu Spannungen innerhalb der Migrantengruppen führen, wenn sozial
integrierte Drittstaatler, die schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland
leben, politisch nicht teilhaben dürfen, während frisch eingewanderte EU Bürger politisch
durchaus durchaus aktiv werden können. Dies kann Frustration und Resignation hervorrufen
und den Integrationsprozess behindern. (Hunger 2010)24
Als Lösungsansatz wird von Ausländerbeiräten zum Beispiel das Anhängen des Kommunalwahlrechtes an die Rechtsstellung zur langfristgen Aufenthaltsberechtigung
Drittstaatsangehöriger vorgeschlagen.25 Ein weiterer Lösungsansatz wäre, die Migranten
ohne deutschen Pass verstärkt zu einer Einbürgerung zu bewegen. Dies kann zum durch eine
verbesserte Mobilisierung und Ermunterung, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen,
6
oder durch verbesserte Möglichkeiten einer Doppelstaatsangehörigkeit gelingen. 26 Auf
kommunaler Ebene kann das Schaffen einer offenen Willkommensatmosphäre zum Beispiel
mit Einbürgerungsfeiern, motivierenden Briefe an langjährige Mitglieder der Gemeinde, die
sie zur Einbürgerung ermutigen, hilfreich sein.27 Jedoch gibt es auf dem Weg zur
Einbürgerung heute noch weitere Hindernisse. Migrantenorganisationen z.B. proklamieren
den seit 2008 durchgeführten Einbürgerungstest als zusätzliches Hindernis.28
Eine weitere Stärkung der Partizipation von Migranten wird darin gesehen, dass den
Ausländerbeiräten über ihre beratenden Kompetenzen hinaus direkte Teilhabe in der
kommunalpolitischen Entscheidungsfindung zugestanden wird. (Hunger 2010)29
Sozioökonomische Hemmnisse und mögliche Maßnahmen
Bislang liegen die Partizipationsraten von Migranten bei Kommunalwahlen meist deutlich
unter den Werten für die einheimische Bevölkerung (siehe Abbildung 1: im Anhang).
Obwohl sich viele wahlberechtigte Migrant/innen möglicherweise mit der Stadt, in der sie
leben, verbunden fühlen, kann die geringere Wahlbeteiligung Ausdruck davon sein, dass sie
sich politisch nicht als vollwertige Staatsbürger verstehen und ihnen entscheidende
Ressourcen nicht im gleichen Ausmass zur Verfügung stehen wie deutschen
Wahlberechtigten.
Zentrale Voraussetzungen für Integration und Teilhabe sind das Beherrschen der
Landessprache (Esser (2006)30 spricht sogar von “Sprache als Schlüssel der Integration”),
kulturelle Kompetenzen und sozialer Status. Diese Voraussetzungen stehen in einem
wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. (Esser 2006)31 Die Unterschiede im
sozialen Status einer Gesellschaft entstehen durch die unterschiedliche Verteilung der
Ressourcen Bildung, Beruf und Einkommen. (Kreckel 2004)32
Integration beginnt im lokalen Umfeld der Migranten, aus diesem Grund können vor allem
auf dieser Ebene wichtige Hilfestellungen gegeben werden. Diese Hilfestellungen sollten die
Teihabefähigkeit der Zuwanderer an der Gesellschaft fördern, zum Beispiel über
Sprachekurse, Informationen oder Fördermaßnamen zum Beschäftigungszugang, Aufbau von
Allgemein- und rechtlicher Bildung (z.B. Maßnahmen gegen Diskiminierung).33 Politische
Partizipation baut auf der Erfahrung auf, als Einzelpersonen und Vertreter einer
Interessengruppe die gesellschaftliche Realität und soziale Lebenswelten aktiv mitgestalten
zu können. Viele, gerade junge Menschen mit Migrationshintergrund, haben diese Erfahrung
in ihren Elternhäusern und Nachbarschaften nicht erlebt. Hier bedarf es eines verstärkten
politischen Bildungsangebots für Migranten, in denen gelernt werden kann, Heterogenität
und Unterschiedlichkeit konstruktiv zu bewältigen, gemeinsam etwas zu bewegen und ein
neues Wir-Gefühl zu schaffen.
Bei der Mobilisierung von Migranten für mehr soziales Engagement und politische
Partizipation tragen vor allem auch die politischen Parteien gemeinsam eine hohe
Verantwortung. Sie können sich stärker noch interkulturell öffnen und z.B. verstärkt Personal
aus Migrantengruppen rekrutieren. Diese sollten auf allen politischen Ebenen aktiv
7
eingebunden werden, statt nur Experten auf dem Gebiet der Migration zu sein.34 Parteien
können so besser auch Themen integrieren, die Eingewanderte ansprechen z.B. die
Gleichstellung von Migranten in der Gesellschaft.35 Denn viele Migranten geben als Ursache
für ihr geringes Engagement an, dass die Parteien ihre Themen zu wenig repräsentieren.
(Hunger 2010)36
Zusätzlich sollte sowohl die Wahlbeteiligung von Deutschen mit Migrationshintergrund als
auch der Anteil der Mandatsträger/innen mit Migrationshintergrund statistisch erfasst werden.
(Monitoring) Diese Beobachtungsdaten sind für die Evaluation und Steuerung von
Integrationsprozessen von großer Bedeutung.
Das ehrenamtliche und bürgerliches Engagement von Migrantengruppen hat in einer Reihe
von Städten in vielen Bereichen, wie zum Beispiel Kultur, Sport, Religion und Bildung die
lokale Partizipationskultur vorangebracht. Durch eigene Aktivitäten und Organisationen aber
auch durch vielfältige Kooperationen erwerben Migranten hier politische Kompetenz und
erlangen praktischen Einfluss. Solche Kooperationen bieten zudem eine zusätzliche
Beteiligungschance für die Migranten. Häufig scheitern Migrantenorganisationen aber an
finanziellen Hürden und Förderauflagen. Um ein langfristiges, nachhaltigen Wirken dieser
zivilgesellschaftlichen Akteure zu gewährleisten, sollen die Kommunen bei dem Aufbau
professioneller Strukturen behilflich sein und neben der Projektfinanzierung auch eine
Regelfinanzierung ins Auge fassen. Bei der Erfüllung von bestimmten Qualitätsstandards
sollten diese Organisationen mit etablierten Vereinen und Wohlfahrtsverbänden gleichgestellt
werden. 37
2. Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Reform der Ausländerbeiräte in Rheinland
Pfalz zu Beiräten für Migration Integration? Halten Sie diese Auswirkungen für
ausreichend?
Kommunen sind in den meisten Fällen die erste Instanz politischer Beteiligung von
Eingewanderten. Häufigste Formen der Partizipation sind Ausländer- und Migrationsbeiräte,
die meist von gewählten Repräsentanten geführt werden; sowie Migrations- und
Integrationsausschüsse, die eher durch ausgewählte, für qualifizierte befundene Migranten
z.B. von Räten besetzt werden.
Beide Formen haben Vor- und Nachteile. Während die demokratische Wahl nicht immer
auch qualifizierte und damit effiziente und erfolgreiche Mandatsträger garantiert und die
Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß gering ist, hat die gesteuerte Auswahl eines
Beratergremiums nur begrenzte Legitimation unter der ausländischen Bevölkerung.
Gerade für Angehörige von Drittstaaten sind diese Institutionen oft aber die wichtigste
Vertretungsinstanz ihrer Interessen. Die Funktionen und Augaben solcher Institutionen
könnten ausgeweitet und klarer definiert werden. Wichtige Arbeitsbereiche könnten zum
Beispiel die Ausarbeitung konkreter Handlungsziele für innerstädtische Integrationskonzepte
sein. Durch solche Aufgaben würde die Akzeptanz dieser Organisationen ingesamt gesteigert
8
und das Interesse an ihrer Arbeit und dem gesellschaftlichen und politischen Geschehen
gestärkt.
Am 12. November 2008 wurde vom Landtag Rheinland-Pfalz die Reform der
Ausländerbeiräte beschlossen. Das Gesetz ist am 01.01.2009 in Kraft getreten. Die "neuen"
Beiräte sind nunmehr nicht nur für die ausländischen, sondern auch für die Bevölkerung mit
Migrationshintergrund (Eingebürgerte, Doppelstaatler, Spätaussiedler) Ansprechpartner und
Interessenvertretung gegenüber der Kommune, in der sie wohnen. Die Anliegen von
Migranten werden über diese Organe dem Stadtrat, der Verwaltung und auch der
Öffentlichkeit dargelegt. Der Beirat für Migration und Integration kann über alle
Angelegenheiten der Migration und Integration beraten.38 Die ursprünglichen
Ausländerbeiräte entwickeln sich also in vielfältiger Form weiter:
Positiv zu sehen ist, dass nun eingebürgerte Mitglieder der Migrantengruppen, die sich
einbürgern lassen und häufig die kompetentesten und integriertesten Mitglieder im
Migrantenmilieu darstellen, nicht für die Partizipation verloren gehen. Auch Personen mit
Migrationshintergrund dürfen fortan nach ihrer Einbürgerung im Beirat aktiv bleiben. Auch
bleiben Gruppen, wie z.B. die Spätaussiedler nicht weiter außen vor. Sie besitzen zwar einen
deutschen Pass, haben jedoch genauso mit Integrationshürden zu kämpfen. Weiterhin werden
die Beiräte im Hinblick auf ihre kommunale Aufgabe bestärkt und weiter verzahnt. Es sollen
bessere Möglichkeiten für Migranten geschaffen werden sich politisch zu engagieren. Analog
hat auch das Handlungsfeld der Beiräte zugenommen. Fortan kann über alle Belange von
Migration und Integration beraten werden und nicht nur über Belange von Ausländern.39
Zur besseren Zusammenarbeit zwischen Institutionen der Kommune und den Beiräten besteht
die Möglichkeit, zusätzlich zu den gewählten Mitgliedern weitere Beiratsmitglieder zu
berufen, z.B. Gemeinderatsmitglieder. Diese Regelungen führen zu einer deutlichen
Verbesserung der Position und Handlungsfähigkeit der Beiräte. Sie haben sich so aufgestellt,
dass Ihre Funktion, selbst bei einer zukünftigen Ausweitung des kommunalen Wahlrechtes
auf Drittstaaten, wichtig bleibt. Kritisiert wird aber dennoch, dass den Beiräten keine
Entscheidungsrechte zugesprochen wurden, was als ein weiterer Schritt in Richtung
multikulturelle Demokratie angesehen wird. 40
3. Wie ist aus Ihrer Sicht die Ausgestaltung der politischen Beteiligungsrechte von
Migrantinnen und Migranten in Deutschland im internationalen Vergleich zu
beurteilen?
Die Zusammenarbeit in Einwanderungs- und Asylfragen stellt eines der Felder der
europäischen Integrationspolitik dar und hat sich zu einem der Kernbereiche des
europäischen Integrationsprojekts entwickelt. Aufgrund der Souveränitätsansprüche der
Mitgliedsstaaten kam es jedoch nur vereinzelt zu gemeinsamen Politiken auf europäischer
Ebene. Was die politischen Beteiligungsrechte von Migrangen angeht, so gibt es eine nach
wie vor Vielzahl verschiedener Regelungen über die Mitgliedstaaten hinweg. (Koopman et
9
al. 2005)41 Die nachfolgenden Ausführungen sollen die Heterogenität in diesen Regelungen
andeuten.




Nach Artikel 19 Absatz 1 des EG-Vertrags und Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie
94/80/EG können Mitgliedstaaten Ausnahmen von den im Vertag von Mastricht
geregelten aktiven und passiven Wahlrechten für EU Bürger vorsehen, wenn der
Anteil der Unionsbürger im Wahlalter, die ihren Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat
haben ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, 20% aller Unionsbürger im
Wahlalter mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat überschreitet. Luxemburg hat unter
Hinweis darauf, dass der Anteil der ausländischen Unionsbürger im Wahlalter mit
Wohnsitz in Luxemburg mehr als 40% der Gesamtzahl der Wohnbevölkerung beträgt,
als einziger Mitgliedstaat bislang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das
Wahlrecht ist hier beschränkt auf ausländische Unionsbürger, die mindestens fünf
Jahre vor Eintragung ihren rechtmäßigen Wohnsitz im luxemburgischen
Hoheitsgebiet hatten. Seit dem Jahr 2005 dürfen aber auch Drittstaatler ihre Stimme
bei Kommunalwahlen abgeben, vorausgesetzt, sie leben seit mindestens fünf Jahren
im Großherzogtum. (Bauer 2008)42
In Luxemburg werden weiterhin soziale Wahlen durchgeführt, um die Bedürfnisse der
hier arbeitenden, nicht luxemburgischen Staatsbürger, zu repräsentieren. In
Fachkammern und Gesundheits- und Fürsorgefonds sind solche Wahlen üblich. Alle
die in Luxemburg arbeiten, dürfen an diesen Wahlen teilnehmen, unabhängig von
Nationalität und Ausfenthaltsdauer im Land. 43
In Belgien können Migranten aus Nicht-EU-Staaten, nach Erfüllung bestimmter
Voraussetzungen, seit 2006 an allen Wahlen teilnehmen. Voraussetzung ist eine
gültige Aufenthaltsgenehmigung für mindestens 1 bis 5 Jahre mit Verlängerungsoption. Weiterhin müssen sie sich 5 Jahre legal in Belgien aufgehalten haben. Vor
den Wahlen versuchen die Migrantenorganisationen, die Migranten auf Ihre Rechte
aufmerksam zu machen und zur Wahlbeteiligung motivieren. 44
In Italien gibt es zwei verschiedene Beteiligungsformen für Migranten auf lokaler
Ebene. Erstens eine beratende Institution, deren Mitglieder von den ansässigen
Migranten direkt gewählt werden. Sie beraten die Politik und können eingeladen
werden, im Parlament zu beraten. Zweitens eine Art Ausländerbeirat (Consigliere
Aggiunto), der an jeder Sitzung des kommunalen Parlamentes teilnehmen darf. Die
Anzahl dieser Ausländerbeiräte ist abhängig von der Größe der Gemeinde und dem
Anteil an Migranten in der Gemeinde.45
Die Niederlande führten 1985 ein neues Gesetz zur Staatsbürgerschaft ein. Dieses
erleichterte das Erlangen der Staatsbürgerschaft für Migranten der zweiten
Generation. Kinder von Zugewanderten, die in den Niederlanden geboren worden
sind, können seitdem zwischen ihrem 18. und 25. Lebensjahr entscheiden, ob sie die
niederländische Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Die dritte Generation von
Einwanderern (somit die zweite Generation von Kindern, die in den Niederlanden
geboren wurden) erhält die niederländische Staatsbürgerschaft bei der Geburt
automatisch. Einwanderer können sich nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in
den Niederlanden einbürgern lassen. Diese Zeit wird auf drei Jahre reduziert, wenn
10

eine Person, die eingebürgert werden möchte, mit einem niederländischen
Staatsbürger verheiratet ist. Bis zum Jahre 2003 waren die EinbürgerungsAnforderungen an die Einwanderer äußerst gering: Antragsteller auf Einbürgerung
mussten lediglich vorweisen, dass sie keine erheblichen Vorstrafen hatten und
mussten einen verhältnismäßig anspruchslosen mündlichen Sprachtest absolvieren.
Die niederländische Regierung förderte in den 1980er und 1990er Jahren nicht nur die
Einbürgerung, sondern organisierte auch immer wieder öffentliche Kampagnen,
welche die Einwanderer ermutigen sollten, sich einbürgern zu lassen. Im Zuge der
allgemeinen Verschärfung der Zuwanderungspolitik in den letzten Jahren sind aber
auch die Bedingungen, die an eine Einbürgerung geknüpft sind, strenger geworden.
Die Anerkennung der Staatsangehörigkeit wird nicht mehr als ein Prozess betrachtet,
der die Integration beschleunigt, sondern als Belohnung für Einwanderer, die sich
durch eine bereits erfolgreiche Integration als der Staatsbürgerschaft würdig erwiesen
haben. Um prüfen zu können, wie erfolgreich ein Antragsteller bereits in die
Gesellschaft integriert ist, wurde 2003 ein offizieller Einbürgerungstest eingeführt.
Nach Einführung dieses strengeren Einbürgerungstests ist die Einbürgerungsrate bis
2005 auf 3,1 % gesunken (siehe Abbildung 2: im Anhang)
Im Januar 1992 wurde die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Dies führte zu
einem Anstieg der Einbürgerungsrate. Dennoch blieb das Konzept der doppelten
Staatsbürgerschaft höchst umstritten, und somit wurde im Oktober 1997 die Auflage
wieder eingeführt, dass Einwanderer ihre alte Staatsbürgerschaft aufzugeben haben.
Auch dies hatte ein Abfallen der Einbürgerungsrate zur Folge.
Was die politischen Rechte angeht, so haben Zuwanderer, die keine niederländischen
Staatsbürger sind, nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthaltes die Möglichkeit, an
Wahlen auf kommunaler Ebene teilzunehmen. In den Niederlanden gibt es weiterhin
eine große Zahl von Stadträten, in denen Abgeordnete mit Migrationshintergrund
vertreten sind, unter ihnen auch einige, die keine niederländische Staatsbürgerschaft
besitzen. 46
Schweden: Nach dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) ist primär die
Staatsangehörigkeit der Eltern entscheidend dafür, welche Staatsangehörigkeit ihr
Kind bei der Geburt bekommt. Dieses Abstammungsprinzip wird heute ergänzt um
Elemente des Territorialprinzips (ius soli), sowie die Möglichkeit, die
Staatsangehörigkeit nachträglich zu erwerben. Wer als Ausländer seinen Wohnsitz
seit mindestens fünf Jahren in Schweden hat, volljährig ist, eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis besitzt und keine Straftaten begangen hat, kann die schwedische
Staatsangehörigkeit beantragen. Sprachkenntnisse, spezielle Kenntnisse der Staatsund Gesellschaftsordnung oder auch Einkommensnachweise werden nicht verlangt.
Für bestimmte Nationalitäten gelten sogar Ausnahmen: Staatenlose Personen oder
anerkannte Flüchtlinge können bereits nach vier Jahren einen Antrag auf die
schwedische Staatsbürgerschaft stellen. Dänen, Finnen, Isländer und Norweger
können dies sogar schon nach zwei Jahren Aufenthalt. Während das frühere
schwedische Recht keine doppelten Staatsbürgerschaften zuließ, dürfen Ausländer
seit 2001 ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft behalten, wenn sie die schwedische
11



annehmen. Viele Gemeinden halten heute feierliche "Einbürgerungszeremonien" am
Nationalfeiertag ab. 47
Anders als in jedem anderen europäischen Staat hat Irland bis 2005 jedem die
Staatsbürgerschaft erteilt, der auf seinem Staatsboden geboren wurde (das jus soliPrinzip). Nach dem 1. Januar 2005 jedoch hat ein in Irland geborenes Kind
ausländischer Eltern nicht mehr automatisch ein Anrecht auf die irische
Staatsbürgerschaft, wenn sich nicht mindestens ein Elternteil für mindestens drei
Jahre vor der Geburt des Kindes legal in Irland aufgehalten hat. Alle ausländischen
Staatsbürger in Irland können einen Einbürgerungsantrag stellen. Neben
verschiedenen anderen Voraussetzungen müssen Antragsteller nachweisen, dass sie
ein Jahr vor dem Antrag ohne Unterbrechung in Irland gelebt und sich während
mindestens vier der acht vorhergehenden Jahre in Irland aufgehalten haben. Dabei
liegt es allein im Ermessen des Justizministers, ob die Einbürgerung bewilligt wird
oder nicht. Für die ausländischen Ehegatten von irischen Staatsbürgern sind die
Bedingungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer weniger streng, aber ein absolutes
Anrecht auf irische Staatsbürgerschaft durch Eheschließung wurde abgeschafft.
Politisch erlaubt Irland seinen Zuwanderern eine weitreichende Teilnahme am
politischen Leben auf Lokalebene. Irland gilt in dieser Hinsicht als beispielhaft. Alle
ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Irland aufhalten (inklusive
Arbeitserlaubnisinhaber, Asylbewerber und Studenten), dürfen an Kommunalwahlen
teilnehmen, wenn sie am 1. September im Jahr vor der Wahl ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Irland hatten. Bei den letzten Wahlen 2009 hatten alle Parteien außer
der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin auch Kandidaten mit Migrationshintergrund aufgestellt. 48
In Frankreich geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten mit vollendetem 18.
Lebensjahr automatisch die französische Staatsangehörigkeit. Im Ausland geborene
und in Frankreich lebende Personen können die französische Staatsangehörigkeit
erwerben, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen einen
Mindestaufenthalt von fünf Jahren vorweisen können und über ausreichende
Sprachkenntnisse verfügen. (Bauer 2008)49
Alle Menschen, die im Vereinigten Königreich Großbritanniens als Kinder von
dauerhaften Bewohnern oder anerkannten Flüchtlingen geboren werden, erhalten bei
der Geburt die britische Staatsbürgerschaft. Alle anderen können sich nach drei Jahren
Ehe mit einem britischen Staatsbürger oder nach fünf Jahren legalem Aufenthalt im
Vereinigten Königreich einbürgern lassen. Das Prinzip der doppelten
Staatsbürgerschaft ist akzeptiert. Im Jahr 2005 hatten schätzungsweise 61 % aller
Menschen, die nicht im Vereinigten Königreich geboren wurden und dort mehr als
sechs Jahre gelebt hatten, die britische Staatsbürgerschaft angenommen. Seit 2005
müssen zukünftige Staatsbürger sowohl einen Einbürgerungstest bestehen als auch
einen Sprachtest. Seit dem Jahr 2007 müssen auch Zuwanderer, die sich um eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis bewerben, diese Anforderungen erfüllen.50 Die
automatische Einbürgerung von im Land geborenen Kindern nach dem ius soli hat
12

dazu geführt, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht-britischer Abstammung
bereits über die britische Staatsbürgerschaft verfügt. (Bauer 2008)51
Alle Personen, die in den USA geboren werden, erhalten automatisch die USStaatsbürgerschaft. Menschen, die keine gebürtigen US-Staatsbürger sind, können die
Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erhalten, müssen jedoch eine Reihe von
Kriterien erfüllen. Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein, mindestens fünf Jahre in
den USA gelebt haben (drei Jahre, wenn die Person mit einem US-Staatsbürger
verheiratet ist) und dürfen nicht vorbestraft sein. Außerdem muss ein Bewerber
ausreichende Englischkenntnisse sowie Kenntnisse der Geschichte und des
Regierungssystems der USA in einem Einbürgerungstest nachweisen.52 Kommunales
Wahlrecht für nicht eingebürgerte Migranten ist in einigen Staaten erlaubt.
(Thränhardt 2008)53
In Deutschland ist die Regelung der politischen Partizipationsrechte für Einwanderer aus
Drittstaaten im europäischen Vergleich immer noch eher restriktiv. Für sie bleibt bist Dato
der Ausländerbeirat oder Integrationsbeirat als einzige Partizipationsmöglichkeit. (Hunger
2010)54 Andere europäische Länder koppeln die kommunalen Wahlrechte jedoch nicht mehr
an eine EU-Staatsbürgerschaft, sondern an eine bestimmte legale Aufenthaltsdauer im Land.
Eine Lockerung der Beteiligungsregeln für nicht EU Bürger auf kommunaler Ebene ließe auf
ein höheres Engagement seitens der Migranten hoffen. Eine weitere Erfahrung zeigt, dass
immer dann, wenn die Vergabe der Staatsbürgerschaft an strengere Einbürgerungstests
gebunden wird, die Einbürgerungsrate sinkt. Daher werden die Einbürgerungstests in
Deutschland von den Ausländerbeiräten auch als Hemmnis ausgewiesen und kritisch
hinterfragt. Die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft hat hingegen deutlich
positive Effekte auf die Einbürgerungsrate55 , wie am Beispiel der Niederlande empirisch
nachvollzogen werden kann.
Obwohl die Geschichte der gegenwärtigen Migration in Deutschland vor mehr als 50 Jahren
mit der Anwerbung der ersten “Gastarbeiter” beginnt haben wir eine mehr oder weniger
systematische, nationale Integrationspolitik erst seit Ende der 90er Jahre. Mit dem
Staatsangehörigkeitsgesetz von 2000, dem Zuwanderungsgesetz von 2005, dem nationalen
Integrationspaln von 2007, der Antidiskriminierungspolitik etc. lassen sich wichtige
“Meilensteine” (Heckmann 2010)56 dieser Entwicklung benennen. Doch die jahrzehntelange
Weigerung, eine reale Einwanderungssituation auch als solche zu akzeptieren, kann nicht mit
einem völligen Fehlen jeder Integrationsanstrengung und Integrationspolitik gleichgesetzt
werden. (Heckmann 2010)57 Sowohl auf der Ebene der sozialstaatlichen Politik wie auch auf
betrieblicher, gewerkschaftlicher, kirchlicher und kommunaler Ebene sowie bei den
Wohlfahrts-Verbänden wurden die Belange der Migranten aufgenommen und
Unterstützungs- sowie Integrationsmassnahmen angeboten. Bade und Münz, (2000) 58 haben
für diese paradoxe Situation, “dass positive Effekte sozialstaatlicher (und gesellschaftlicher;
der Autor) Integration durch den Mangel an rechtlicher Integration ...kontakariert wurden”,
(Heckmann 2010)59 die schöne Formel von der “appelativen Verweigerung und
pragmatischen Integration” gefunden. Ihre Auswirkungen auf die Integrationsbereitschaft von
Migranten wie von “Einheimischen” sind bis heute zu spüren.
13
Gleichwohl hat die Integrationspolitik und das Bewusstsein von ihrer Notwendigkeit in den
letzten Jahren einen enormen Aufwind bekommen. Neben nationalen und europäischen
Gesetzesvorgaben, Regelungen und Impulsen sind dabei insbesondere die Anstrengungen auf
lokaler Ebene hervorzuheben. Mit einer Fülle von Massnahmen, Projekten, Initiativen und
lokalen Aktionen hat die kommunale Integrationspolitik sich als eine tragende Säule der
Integration erwiesen. Sie wird auch im Hinblick auf die politische Partizipation von
Migranten am ehesten in der Lage sein, schnelle und hilfreiche Antworten auf diese
drängende Frage zu geben.
14
Anhang:
Abbildung 1:
Kommunale Wahlbeteiligung in Deutschland
Berlin
68
Hamburg
70
67
64
71
69
64
56
24
22
18
1995
1999
26
22
2001
2006
19
1997
2001
Bremen
63
62
59
2004
22
16
2003
2008
54
52
50
18
17
15
Stuttgart
27
1999
18
2007
Deutsche
1999
2004
15
2009
EU Ausländer
Quelle: Eigene Erstellung anhand von Daten von Andreas Wüst (2010): Wahlrecht von
Migranten bedeutet nicht automatisch bessere Integration.
15
Abbildung 2:
Einbürgerungsrate in den Niederlanden
Einführung doppelte Abschaffung doppelte
Staatsbürgerschaft
Staatsbürgerschaft
Quelle: http://www.bpb.de/popup/popup_bild.html?guid=VBM0IR
16
Quellen:
1
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2
Für Unterstützung und kritische Kommentare möchte ich mich herzlich bedanken bei Dipl. Kfm. Jean Philippe
Décieux, Prof. Dr. Dieter Ferring und Dipl. Soz. Andreas Heinen von der Universität Luxemburg.
3
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4
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55
Bpb, Migration und Integration (2010): Newsletter, Ausgabe 10, Berlin.
56
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57
Heckmann, F. (2010): 50 Jahre Integrationspolitik in Deutschland?, in:efms paper 2010, 5.
58
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59
Heckmann, F. (2010): 50 Jahre Integrationspolitik in Deutschland?, efms paper 2010, 5.
19
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