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Süddeutsche Zeitung
WISSEN
Donnerstag, 30. März 2017
Bayern, Deutschland, München Seite 14
James Bond – hier Daniel Craig in „Spectre“ – könnte als Beispiel für einen erfolgreichen Psychopathen gelten. Der SuperAgent kennt keine Furcht, er agiert dominant, und seine sozialen Fertigkeiten kommen bei Frauen sehr gut an. FOTO: AP
Furchtlos und dominant
Psychopathen landen im Gefängnis? Nein, die sanfte Version dieser
Eigenschaft kann Höchstleistungen hervorrufen – ohne dass andere leiden
von sebastian herrmann
E
in Dasein im Angestelltenverhältnis
sichert dem Büromenschen ein finanzielles Auskommen und die Möglichkeit, stets einen Sündenbock zu identifizieren. Egal was passiert, es findet sich
immer eine argumentative Abzweigung,
um die Schuld beim Vorgesetzten abzuladen. Ein Urteil fällt dabei besonders häufig: Der Chef, so heißt es dann, sei ein Psychopath genauso wie überhaupt der Großteil aller Karrieretypen Psychopathen seien. In diesem Kantinentisch-Urteil stecken etwas Wahrheit und ein Missverständnis: Zum einen kann unter Umständen eine Persönlichkeit mit psychopathischen
Facetten in der Tat beruflichen Erfolg begünstigen; zum anderen handelt es sich
bei diesen Psychopathen keinesfalls um jene antisozialen Verbrechertypen, welche
die populäre Vorstellung dominieren.
Die Psychologen Gerhard Blickle und
Nora Schütte von der Universität Bonn zeigen in einer Studie im Fachblatt Personality and Individual Differences, dass eine
gutartige Ausprägung von Psychopathie
beruflichen Erfolg begünstigt. „Diese
Form kann zu Spitzenleistungen führen,
ohne dass dabei andere oder das Unternehmen geschädigt werden“, sagt Blickle. Menschen dieses Schlages zeichnen sich demnach dadurch aus, dass sie furchtlos und
dominant auftreten, ein starkes Selbstbewusstsein haben, resistent gegen Stress
sind und gute soziale Fertigkeiten besitzen. Als besonders relevant entpuppte sich
das Merkmal der „furchtlosen Dominanz“.
Das alleine aber reicht nicht, wie Blickle
und Schütte in ihrer Studie festgestellt haben, für die mehr als 500 Berufstätige Auskunft über sich oder die Persönlichkeit
und Arbeitsleistung eines Kollegen gegeben haben. „Ein und dasselbe Persönlichkeitsmerkmal kann zwei gegensätzliche
Ergebnisse hervorbringen“, sagt Blickle.
Hohe Intelligenz und Bildungserfolg führen den furchtlosen Dominanten quasi auf
den rechten Weg, diese Menschen werden
von Kollegen als tüchtig und keinesfalls als
antisozial bewertet, wie die Psychologen
feststellten. Unterdurchschnittliche Intelligenz und niedrige Bildung erhöhen hingegen die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit diesem Charaktermerkmal ihren Kollegen den Berufsalltag zur Hölle machen und zugleich mit ihrem Verhalten das
Unternehmen schädigen.
Wissen über Psychopathie
stammt meist aus Studien
mit verurteilten Verbrechern
Die antisozialen Ekel entsprechen eher
der populären Vorstellungen psychopathischer Menschen. „Bei einer Psychopathie
handelt es sich nicht um eine Störung“,
sagt Blickle, „sondern um mehrdimensionale Persönlichkeitsmerkmale.“ Der toxische Psychopath zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er impulsiv handelt,
kein Schuldempfinden entwickelt, selbstbezogen ist und sein soziales Gespür nutzt,
um sein Umfeld zu manipulieren. „Menschen dieses Schlages lernen nicht aus ihren Fehlern, weil ihnen diese keine Schmerzen bereiten“, sagt Blickle. Eiskalt, gefühllos, skrupellos – das entspricht dem gängigen Bild vom Psychopathen, den sein Verhalten auch eher ins Gefängnis als in die
Vorstandsetage befördert. Dass Psychopathie hingegen einen Karrierevorteil bieten
könnte und sich unter gewissen Umstän-
den positiv auswirkt, wird seit einigen Jahren verstärkt diskutiert.
Die Psychologen Scott Lilienfeld und Sarah Smith von der Emory University wiesen 2015 in einer Meta-Analyse im Fachmagazin Current Directions of Psychological
Science auf die Schwierigkeiten hin, diese
These zu beforschen. Zum einen, so die Autoren, stamme das meiste Wissen über Psychopathie aus Studien mit Menschen, die –
überspitzt formuliert – alle im Gefängnis
sitzen. Der erfolgreiche, sozial unauffällige Karrierist drängt sich ja nun nicht unbedingt als Studienobjekt auf, wenn es um
Psychopathie geht.
Darüber hinaus, so Lilienfeld und
Smith, herrsche im Detail Uneinigkeit darüber, wie „erfolgreiche Psychopathie“ exakt zu definieren ist und welche Aspekte
dieses mehrdimensionalen Persönlichkeitsmerkmals dabei eine wesentliche Rolle innehaben. Auch sie bringen in der Studie die „furchtlose Dominanz“ als Faktor
ins Spiel – und sie werfen einen interessanten Typ als Beispiel für einen höchst erfolgreichen Psychopathen in den Ring: Forest
Yeo-Thomas. Der britische Spion diente
dem Autor Ian Fleming offenbar als Inspiration für die Figur des James Bond. Wie
seine fiktive Kopie verführte auch Yeo-Thomas mit großem Erfolg Frauen, überstand
Folter sowie Gefängnis und erfüllte ohne
Furcht die gefährlichsten Missionen. So gesehen könnte James Bond als Beispiel für
einen erfolgreichen Psychopathen gelten,
der in seinem Beruf Spitzenleistungen erbringt. Andererseits pflastern stets Leichen den Weg von 007, und am Ende fliegt
immer alles in die Luft. Der Umgang mit
Psychopathen bleibt eben kompliziert,
egal ob es sich um einen Superagenten
oder den eigenen Vorgesetzten handelt.
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