Blasen im Glashaus

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Kultur
Safranski, Sloterdijk im Dresdner „Glashaus“
TA L K S H OW S
Blasen
im Glashaus
Ende der Woche startet im ZDF das
„Philosophische Quartett“.
Der Gastgeber, Wortakrobat Peter
Sloterdijk, ist an ProfiDenkern allerdings nicht interessiert.
W
enn er sich selbst „von weitem
begutachten“ müsste, dann, so
sagt Peter Sloterdijk, käme ein
„merkwürdiger Bastard“ in seinen Blick:
„Zusammengesetzt aus einem lyrischen
Extremisten und einem verdammten Schulmeister. Oder aus einem Mystiker und einem Conférencier.“
Palaver im Kreise dieser virtuellen
Wohngemeinschaft könnte Sloterdijk, 54,
somit locker im Alleingang anzetteln – der
Wortschwall seiner Bücher (darunter bisher zwei Bände zum Thema „Blasen“ und
„Globen“) hat das längst bewiesen. Spätestens seit er 1999 in der berüchtigten Rede
vom „Menschenpark“ das Bild vom Homo
sapiens als Züchter seiner selbst heraufbeschworen hat, sonnt sich der FormulierNarziss gern in der Gewissheit, er sende
„auf einer Frequenz, auf der die deutsche
akademische Intelligenz nicht empfängt,
auch die dominierende Publizistik nur zum
Teil, wohl aber das breitere Publikum“.
Fast eine Gnade also, dass der redefreudige Rektor der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe nun auf einmal voll ins
Breite geht und mitunter sogar andere Leute zu Wort kommen lassen will.
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den beiden Sofas Platz nehmen. Der Bergextremist und der Betroffenheitsathlet,
jeder ein Selbstdarsteller alter Schule, können routiniert über Ängste reden; als Philosophen haben sie sich bisher allerdings
kaum hervorgetan.
Doch echte Denker sind im Glashaus
ohnehin nicht erwünscht. „Wir wollen
keine Professoren haben“, sagt der verantwortliche ZDF-Redakteur Werner von
Bergen glashart. In Vorahnung solcher
Abwiegelungen hatte der Bielefelder Philosoph Ansgar Beckermann, Präsident der
Gesellschaft für Analytische Philosophie,
sich schon Anfang vergangenen Jahres sorgenvoll beim ZDF erkundigt, warum nicht
ein Moderator gewählt werde, der für eine
„seriöse argumentative“ Diskussionsleitung bürge. Monate später antwortete
Noch-Intendant Dieter Stolte: Sloterdijk
sei ein „kritisch-wacher Geist“; im Übrigen
kämen „fachphilosophische Fragen“ für
die Sendung gar nicht in Betracht.
Vertreter der Zunft sehen diese Ideenscheu vorerst eher gleichmütig. „Ich freue
mich über alles, wo Philosophie vorkommt“, sagt etwa Volker Gerhardt,
Nietzsche-Experte von der Berliner Humboldt-Universität. „Warum nicht?“, meint
auch der medienversierte Tübinger Philosoph Otfried Höffe, Kant-Kenner und
Spezialist für das aktuelle Thema der
Globalisierung. Nur die Mitwirkung des
betulichen Literaten Safranski scheint ihm
„nicht das Allerglücklichste“.
Gerade aufs Betuliche aber setzen die
Planer vom ZDF. Zwischen dem intellektuellen Don Quijote aus Karlsruhe und seinem Berliner Sancho Pansa kämen Menscheleien gerade recht. An Stelle von „tief
schürfenden Debatten“ oder gar sokratischer Fragekunst sind denn auch TalkshowEvergreens wie Religion, Tugenden oder
Erotik in Planung – Appetithäppchen für
das, was Sloterdijk sonst noch alles plant:
„In der Hauptsache“, droht er, „werde ich
künftig Luft-Medien-Theorie betreiben.“
Für eine „professionelle
Clownausbildung“, von der
er noch kürzlich träumte,
wird dem Fremdwortparfumeur da kaum Zeit bleiben.
Sei’s drum – als „Glashaus“-Impresario ist er allemal eine Traumbesetzung.
Erst vor ein paar Monaten
hat der ehemalige BhagwanAnhänger, der Denker vom
Fach gern als „theoretisierende Panzerlurche“ abtut,
zu Protokoll gegeben, er interessiere sich „seit jeher
eher für Möglichkeiten, sich
unmöglich zu machen“.
In einem „Philosophischen Quartett“,
inszeniert nach Art der jüngst beerdigten
literarischen Zeterpartie von Marcel ReichRanicki, wird Sloterdijk am Sonntag dieser
Woche erstmals den Conférencier geben.
Von 22.45 Uhr an sollen ausdauernde Zuschauer „Im Glashaus“ eine laut ZDFAnkündigung „ebenso amüsante wie geistreiche Denk-Reise“ auf der „Suche nach
dem Wesen der Dinge“ verfolgen. Mit seinem Freund, dem Berliner PhilosophenBiografen Rüdiger Safranski („Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie“), 57, und zwei Gästen will Sloterdijk
sechsmal pro Jahr versuchen, beim Publikum die „Libido des Denkens anzuregen“.
Zumindest für Nachteulen dürfte der
nächste Sendetermin, am 24. März um
23.30 Uhr, ideal sein. Sollten kurz vor der
Geisterstunde doch einmal Durchhänger
im Dialog auftreten, kann das Auge sich am
Blick durchs nagelneue Dresdner Studio
weiden: Gesendet wird aus der „Gläsernen Manufaktur“, in der VW seit kurzem
das neue Luxusauto „Phaeton“ zusammenschrauben
lässt. Den Inhalt der Sendung, so das ZDF, wolle
VW nicht mitbestimmen.
Dennoch könnte das Motto der Sendung lauten: Wesensfragen am Fließband,
intellektuelle Endmontage
unter den Augen der Öffentlichkeit.
Fragt sich nur, ob die Produkte fahrtüchtig sein werden. In der ersten Sendung,
einer Angst-Besinnung nach
den Terroranschlägen vom
11. September, sollen als
Gäste Reinhold Messner und Talk-Vorbild Reich-Ranicki
Friedrich Schorlemmer auf Gang ins Breite
d e r
s p i e g e l
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MONIKA ZUCHT / DER SPIEGEL
ZDF
Wesensfragen am Fließband
Johannes Saltzwedel,
Martin Wolf
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