Im GröFaZ-Stadion

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# 2006/23 Inland
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Im GröFaZ-Stadion
Von ines kappert
In Berlin informiert eine Ausstellung über die nationalsozialistische
Vergangenheit des Olympiastadions. von ines kappert
Exakt um 17.03 Uhr eröffnete Adolf Hitler im Jahr 1936 die Olympischen Spiele in Berlin
und ließ Brieftauben, vor allem aus Armeebeständen, als Symbol der »Friedensspiele«
aufsteigen. Heute zählt das von dem Architekten Werner March in den dreißiger Jahren
entworfene Olympiastadion samt Maifeld, Waldbühne und Langemarckhalle zu den
größten verbliebenen Architekturdenkmälern der nationalsozialistischen Ära in
Deutschland.
Im Jahr 2000 wurde die aufwändige Sanierung von Stadion und Gelände in Auftrag
gegeben, was sich mit dem Anspruch verband, zugleich eine geschichtliche Reflexion, wie
es in der Fachsprache heißt, zu gewährleisten. Keine Weiternutzung ohne
Geschichtsaufarbeitung, lautete das Diktum, nicht zuletzt des mit der Sanierung
beauftragten Architektenbüros. Die Ergebnisse der Aufarbeitung lassen sich nunmehr,
rechtzeitig zur Weltmeisterschaft, besichtigen. Dazu zählen eine beleuchtete
Informationsstele am Olym­piaplatz, ein Rundweg mit 27 Glasstelen auf dem
Olympiagelände selbst und eine Dauerausstellung in dem Tribünengebäude unter dem 76
Meter hohen Glockenturm, der Langemarckhalle. Mit der Einbindung der ehemaligen
Gedenkhalle, die insbesondere zu dem Zweck errichtet wurde, die jungen deutschen
Soldaten auf den Heldentod einzuschwören, wird die Verknüpfung von Nationalismus,
Sport, Krieg und massenhaftem Vergnügen im Nationalsozialismus hervorgehoben. Der
Sport fun­gierte schlicht als »Grundschule der Wehrmacht«.
Während der Glockenturm einen guten Überblick über die nazistische Vision vom
beabsichtigten »Gesamtkunstwerk« Olympia gewährt, bietet die vom Deutschen
Historischen Museum konzipier­te Ausstellung mit dem nüchternen Titel »Geschichts­ort
Olympia 1909-1936-2006« vor allem Informa­tionen auf Stellwänden dar. Etwa 40
Textstelen – das Konzept der Stele scheint von den Experten für unübertrefflich befunden
worden zu sein – finden sich in der Halle ordentlich nebeneinander aufgereiht. Mit etwa
100 Wörtern auf einer zwei Meter hohen Tafel handeln die Ausstellungsmacher die Fakten
über die Baugeschichte des Olympiageländes und die Verbindung von Sport und Krieg,
von »Fassade und Realität« rund um das Jahr 1936 ambitionslos ab. Eine graue
Grundierung und schwarze Schriftzeichen müssen für Seriosität bürgen. Die kurzen
Zusammen­fassungen auf Englisch finden sich leicht abgesetzt darunter und zwingen
selbst kleinere Menschen sich zu bücken.
Dass ein so kurzer Text kaum etwas erzählen oder gar mit Details oder
Widersprüchlichem aufwarten kann, liegt auf der Hand. 100 Wörter erlauben keine
Abweichung von der großen und leicht verständlichen These. Bekanntlich liest es sich im
Stehen auch nicht besonders gut. Die drei bis vier Fotos pro Tafel bieten dem
aufmerksamen Besucher immerhin vereinzelt ein unvermutetes oder wenigs­tens
charmantes Detail. Spätestens nach der vierten Textstele aber hat jeder Besucher
bewusst oder intuitiv die Botschaft verstanden: Das hier ist eine Pflichtübung! Wir
machen ordentlich unseren Historikerjob und dokumentieren, wie die Nationalsozialisten
den Sport im Allgemeinen und die olympische Idee im Besonderen für ihre ideologischen
und propagandistischen Ziele instrumentalisierten. Die genannten Zahlen sind korrekt,
und das barbarische Propagandatheater des Naziregimes offenkundig.
In aller Klarheit wurde also für die Ausstellung aufgeschrieben, was der gemeine
Museumsbesucher bereits geahnt hat. Et­wa, dass zur Zeit der Friedensshow für die
internationale Gemeinschaft das erste Konzentrationslager in Sachsenhausen erbaut
wurde, jüdische Sportler und Sportlerinnen von den Spielen selbstverständlich
ausgeschlossen und viele interniert wurden. Diese Tatsachen konnte bereits 1936 kaum
jemanden überraschen. Aber nur für einige wenige Menschen waren sie der Grund, an
den Spielen nicht teilzunehmen, sei es als Sportler oder als Zuschauer.
Wie der Titel der Ausstellung nahe legt, bilden die Olympischen Spiele 1936 den
Schwerpunkt der Dokumentation. Der architektonische Vorgänger, die von March Senior
1909 entworfene Berliner Pferderenn­bahn, findet ebenso wie die im Jahr 1914
ent­standenen Sportstätten eine nur periphere Erwähnung. Die Sanierung und die
Weltmeisterschaft 2006 schließlich markieren das lichte Ende einer dunklen Geschichte:
»Der inzwischen vollzogene Umbau erwies sich als eine herausragende architektonische
Lösung, die sich offen der Geschichte stellt und damit die Ansprüche an eine ›Arena des
21. Jahrhunderts‹ mit denen des schwierigen Denkmals Reichsportfeld verbindet.«
Gut. Dann sind wir ja beruhigt. Die kontroversen Diskussionen um die Weiternutzung des
Geländes wurden also keiner Abbildung für Wert befunden. Auch hätte man gerne mehr
über die Nutzung des Olympiageländes in den fünfziger Jahren erfahren. Bereits kurz nach
Kriegsende be­suchten hier oft bis zu 100 000 Zuschauer diverse Kirchentage, Treffen von
Heimatvertriebenen, die »seit 1951 alljährlich statt­findende Große Polizeishow« oder die
allseits beliebten »Bunten Abende«, deren krönender Abschluss stets ein großes
Feuer­werk war. Mehr als eine Auflistung dieser illustren Veranstaltungen findet man
nicht. Insofern verfolgt die Reihung »1909-1936-2006« wohl vorrangig den Zweck, die
nationalsozialistische Anlage in den Fluss der Geschichte einzubetten.
Angesichts dieser dürftigen Dokumentation bleibt dem heutigen Besucher nicht viel mehr,
als sich möglichst zügig den bunten Bildern auf der einzigen Großleinwand im Raum und
der TV-Dokumentation im Nebenzimmer zuzuwenden. Ein 3D-Computer-Animationsfilm
zeigt die Entstehung des Olympiageländes. Menschenfrei. Die Produktionsgeschichte wird
aus der Baugeschichte getilgt, und Fragen wie die, wie viele Arbeiter hier zu welchen
Bedingungen zum Einsatz kamen, werden weder gestellt noch beantwortet. Die Folge ist
eine sicher unfreiwillige Naturalisierung der Naziarchitektur. In der CAD-Animation
entwachsen die Gebäude geradezu notwendig dem Boden.
Dass die Oberflächen bisweilen allzu glatt ge­raten sind, zeigt sich auch bei der TVDokumentation »Ich rufe die Jugend der Welt«. Hier kommen die »Zeitzeugen« zu Wort.
Vor allem einer, Reinhard Appel mit Namen und seines Zeichens Hitlerjunge, der in den
letzten Kriegstagen auf dem Reichssportfeld stationiert war. Die grausame Folge des
Langemarck-Mythos. Appel steht, gemeinsam mit Leni Riefenstahl, Werner March und
dem einen oder anderen Sportler – so will es der Film und so wollen es die
Ausstellungsmacher – »stellvertretend für die Erfahrungen einer ganzen Generation«.
Auch hier gilt demnach: keine Vielstimmigkeit, sondern Repräsentationslogik. Dass die
Ausgeschlos­senen, dass die Opfer oder auch Kritiker keine Stimme erhalten, ist dabei die
Konsequenz eines Konzepts, das Verknappung und kuratorische Einfalt mit Klarheit
verwechselt.
Die Ausstellung »Geschichtsort Olympiagelände 1909 – 1936 – 2006« im
Tribünengebäude unter dem Glocken­turm ist in den Sommermonaten (bis 31. Oktober)
täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.
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