schwarze .ahnen - henschel SCHAUSPIEL

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Thomas Martin
SCHWARZE FAHNEN
nach Strindberg
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Montage nach August Strindbergs Roman "Svarta Fanor" (1904).
Uraufführung 8. März 1997, Stockholms Stadsteater, Regie Frank Castorf
© henschel
SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1997
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch
einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch
Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und
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Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der
Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen
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Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von:
henschel SCHAUSPIEL
Marienburger Straße 28
10405 Berlin
Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist
dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
F1
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FIGUREN
Zachris, Schriftsteller und Verleger
Jenny, seine Frau
Brunte/Pirre, Söhne
Falkenström, Schriftsteller
Kilo, Buchhändler und Theosoph
Dr. Borg, Frauenarzt
Smartman, Revisor und Redakteur
Harald, Korrespondent
Graf Max, Theosoph und Klosterherr
Hanna Paj, Emanze
Maja, Schauspielerin
Der Raum als Niederschlag der Zeit.
Fin de siècle zwischen drei Wänden.
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MAJA
Was uns ins Leben bringt ist Schuld
Was uns im Leben hält Geduld
Was trennt im Leben uns vom Tod
Was scheidet Morgen oder Abendrot
Im Schlaf vielleicht der bloße Traum
Wir sind geworfen alle in denselben Raum
Gespensterdiner
Davor.
Falkenström
Ist die Liga auch eingeladen.
Kilo
Nein, nur die Fronde.
Falkenström
Sind junge Damen dabei.
Kilo
Ein paar.
Falkenström
Ist das Roastbeef weich- oder mittelgebraten.
Kilo
Bestimmt viel zu zäh.
Falkenström
Glaubst du, es wird gehetzt heute abend.
Kilo
Bestimmt. Was ist ein Gespensterdiner ohne Hetze.
Falkenström
Was kommen denn für Leute. Ich hoffe, Doktor Borg.
Kilo
Er kommt. Aber er hat geschworen, kein Wort zu sagen.
Er ist furchtbar, wenn er hetzt und entsetzlich, wenn er
schweigt.
Falkenström
Hast du dir die Füße abgetreten, Kilo.
Brunte/Pirre
Jetzt drängeln sie durch die Tür. Jetzt sind sie drin. Bevor
die Suppe kommt ist es still. Da kneten sie Brot mit den
Fingern und machen Kügelchen draus. Dann kommt die
Suppe und sie beugen die Köpfe über die Teller, damit
jeder nur sich selber sieht zwischen Fleischfasern und
Kraut. Denn sie sind alle verfeindet, und nur gekommen,
weil keiner Mut hat, nicht dabeizusein. Wenn ich dabei
bin wird wohl weniger gehetzt wie wenn ich nicht. Jetzt
ist die Suppe gegessen, jetzt stecken sie ihre Haken in die
Brotkügelchen und werfen die Köder aus. Jetzt trinken sie
Wein. Jetzt geht es los. (Eine Uhr schlägt.)
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Graf Max
Ich eröffne: auf das Wohl von uns allen.
Dr. Borg
Wie stehts, Revisor, mit der Freiheit im Land.
Smartman
Noch ist sie nicht verloren, Doktor, sie ist nur subtiler verteilt. Das ist die Demokratie.
Falkenström
Der falsche Märtyrer. Sodomit.
Borg
Die Diktatur, die den Körper nicht mehr meint, meinen Sie,
sondern die Seele. Oder was man dafür hält, Revisor: den
Kopf.
Max
Die Erinnerung, Borg.
Brunte/Pirre
Kühltruhe Borg, daß einem die Kiefer klappern vor Frost,
und niemand mit Appetit essen kann. Emanze Hanna Paj
sitzt nebenan, fragt nach Adressen. Jetzt sitzt sie schon bei
Papa, den sie hier Klein Zachris nennen. Papa kennt alle
Adressen.
Hanna Paj
Du bist auf Deutsch herausgekommen, Klein Zachris.
Wer übersetzt dich denn jetzt.
Zachris
Ich würde gern diese Schauspielerin kennenlernen.
Hanna
Ach. Wo wohnt die denn jetzt.
Smartman
Jetzt wird Hanna auf Deutsch kommen und die miesen
Schriftsteller hier ducken. Prost, Doktor, lassen Sies laufen.
Borg
Du, Falkenström, bald ist der Tag, an dem Hanna den
Revisor mordet, warts ab.
Falkenström
Mordet.
Borg
Ja, weißt du denn nicht. Wir sind hier unter Mördern
und Dieben. Sie stehlen sich die Gedanken, Adressen, die
Freunde dazu. Das ist Hanna Pajs Politik. Weil sie keine
Kinder bekommt, versucht sie zu töten. Sie konstruiert zur
Zeit eine glänzende Heirat für Smartmans Frau, die ihre
Freundin ist. Sie soll ihre Schönheit sparen, indem sie
den Mann unter der Hand hält, kein Verkehr. Wenn die
Smartman den ihren loswerden soll, beschuldigt Hanna ihn
der Impotenz, die Jungen bezeugen, und am Ende hat die
Witwe das Veto: der Revisor schneidet sich die Kehle durch.
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Falkenström
Dekadenz schön und gut, aber so etwas Verrottetes wie diese
Fronde hats noch nicht gegeben. Die Paj, die junge Frauen
liebt, versucht durch Redakteur Harald eine Notiz gegen
dich in die Zeitung zu schmuggeln. Jetzt sitzt Zachris’ Jenny
daneben und vergiftet Smartman mit geilen Augen und
ihren Nasaltönen.
Jenny
Lassen Sie mich Ihnen ein Haselhuhn und drei Austern
vorlegen.
Smartman
Wolln Sie mich unbedingt zu Ihren Füßen sehn, Gnädigste,
schätzen Sie Sterbefälle bei Tisch.
Hanna
Nein, es müssen warme Teller für den Spargel sein.
Brunte/Pirre
Der Revisor ist vom Haselhuhn befreit, und der Paj, die
er nicht ausstehn kann, dankbar, übergibt er sich in einer
Flut von Sympathiebekundungen, während er das Huhn
in ein Haché verwandelt, und die Knochen unter der Haut
und die Haut unter den Knochen versteckt, daß der Teller
aussieht, als hätte er drei Hühner gegessen.
Harald
Kilo ist tot. Habt ihr die Notiz schon bekommen.
Brunte/Pirre
Jetzt kommt der siebente Gang, der aus Riesenspargeln
besteht. Wie sie schmatzen, leere Gesichter über vollen
Gläsern, und je mehr sie trinken, um so leerer werden sie.
Mama trägt eine Rüstung und lockt Männer in ihre Umarmung, wie das Foltergerät, das sie die Eiserne Jungfrau
nennen. Jetzt knöpft Mama das Mieder auf.
Jenny
Doktor Borg, haben Sie den Witz vom kleinen Mann gehört,
der soo klein war und einen sooo Kleinen hatte.
Borg
Schießen Sie los.
Brunte/Pirre
Es ist heiß und feucht wie in der finnischen Sauna, und
es stinkt wie in der Achselhöhle. Der ganze Saal steht im
Schweiß. Falk hat die Technik entwickelt, wie ein Truthahn
sein Diner im Stück zu schlucken. Doch einen ganzen Apfel,
das traut er sich nicht.
Falkenström
Den nehme ich mit nachhause für die Kinder.
Jenny
Sind Sie verheiratet, Falkenström.
Falkenström
Ja, manchmal. (Jenny lacht.)
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Smartman
Was hat der Falkenström da Lustiges gesagt.
Harald
Kilo ist tot. Habt ihr die Notiz schon bekommen.
Falkenström
Geistreiche Bemerkungen kann man nicht wiederholen.
Ich habe gesagt, daß die Frauen mich immer am liebsten
hatten, wenn ich ein bißchen illuminiert war.
Brunte/Pirre
Das sagt er, wenn er besoffen meint: illuminiert, weil er
denkt, wir verstehn seine Fremdwörter nicht. Hanna
hat gar nichts getrunken, die markiert. Jetzt hat sie alle
Adressen in der Tasche, langweilt sich, und Borg sitzt immer
noch ungenutzt rum.
Hanna
Doktor, an welcher Krankheit ist eigentlich ihre Frau gestorben.
Falkenström
Auf die Gesundheit. Jetzt bist du dran, Borg.
Hanna
Doktor, aus mir ist noch kein Arzt schlau geworden. Wenn
Sie mich untersuchen wollen.
Borg
So gehn Sie gratis in die Klinik, täglich zwischen zwölf
und eins. Und wenn ich Ihnen ein Rezept empfehlen kann:
werden Sie schwanger. Das reinigt den Kopf und reguliert
die Triebe.
Brunte/Pirre
(tun besoffen) Gutes Essen, was meinst du, Falk. Der Nach-
tisch, Götterspeise. Und der Punsch, zu viel getrunken,
Mama. Ja, verdammt noch mal, Revisor, du, was is das
noch: der falsche Mäh-ty-ra.
Smartman
Das Theater ist ja auch nicht, was es war. Wo sind die
Schauspieler geblieben.
Brunte/Pirre
Der falsche Mäh-mäh, bist du das. Dann sag du mir doch,
was so ein So-so-so-do-mit eigentlich ist.
Falkenström
Jetzt bin ich an der Reihe.
Brunte/Pirre
Hör mal, Falk, hast du Papa gekauft, oder hat er dich.
Wer von beiden wars gewesen, Mama.
Zachris
Mir ist übel, Freunde. Gehen wir.
Brunte/Pirre
Jetzt stehn sie auf nach der Folter. In den Stühlen sind die
feuchten Sitzlöcher zu sehn, die Servietten liegen dreckig
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und verschlungen da wie Eingeweide, verwelkte Gehirne.
Wie Gesichter von Toten oder Glieder von Geräderten
im Korb, wie Kissen nach durchwühlter Nacht oder ein
Taschentuch in der Wunde. Ein Haufen Müll aus Essensresten, Bierpfützen und Asche. Die Schalen, in die sie
gespuckt haben, stinken wie ein Klo. Jetzt bilden sie
Gruppen und verleumden den Wirt.
Smartman
Wir danken den Gastgebern.
Brunte/Pirre
Hier sind keine Gastgeber, wo sich jeder selbst eingeladen
hat.
Falkenström
Zachris, grauenvoll ist das.
Zachris
Was meinst du.
Brunte/Pirre
Papa ist einer von diesen Hunden, die über jeden gut
sprechen.
Harald
Kilo. Wißt ihr, daß der kleine Buchhändler ruiniert ist.
(Die Uhr schlägt.)
Zachris
Dreiviertel, jetzt werde ich krank. Ich entschuldige mich.
(Ab.)
Falkenström
Tatsache, Kilo ist ruiniert.
Smartman
Ungewöhnlich, aber wahr.
Brunte/Pirre
Der kleine Buchhändler steht in der Ecke dort drüben.
Er ist noch nicht so alt wie die andern, aber er hat einen
Bart und die Augen von einem kranken Hund. Wenn
er lächelt, weint er bloß, die Augen werden rot und er
schnüffelt.
Falkenström
Kilo kann niemandem etwas Böses tun, nichteinmal
denken. Er kann eben nicht nein sagen, wenn ein Mensch
ihn wozu verleiten will.
Harald
Kilo ist in allem zu mäßig. Trinkt wenig, raucht gar nicht.
Borg
Seine Buchhandlung ging gut, dann hat ihn Zachris geschoben, die Zeitschrift zu starten. Er hat gewußt, daß
Zachris spekuliert, doch ist er von Natur derart, daß er
das Tier nicht traurig machen kann. Er glaubt nämlich,
ein Vampir kann traurig werden.
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