christophe rousset

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C HR I S T O P HE R O U S S E T
CHRISTOPHE ROUSSET
Herr Rousset, Armide ist bereits Ihre sechste Gesamtaufnahme einer Oper von Jean-Baptiste Lully – nach Amadis, Bellérophon, Persée, Phaëton und Roland. Insgesamt
16 Opern hat Lully komponiert. Wollen Sie alle machen?
Ich würde es tun. Aber wir haben keinen festen Plan,
denn das wäre ja Selbstmord heutzutage. Ich werde im
Sommer zunächst mit Alceste weitermachen. Der generelle
Blick ist es, der mich interessiert. Lully hat ihn verdient,
denn er war es, der die Form der Oper geschaffen hat, von
der wir bis heute leben.
ICH MAG KEINE
EXZESSE
Warum ist Lully dann so unbeliebt?
Das frage ich mich auch. Und wissen Sie was:
Genau das ist doch meine Chance!
Lully gilt als pompös. Richtig – oder falsch?
Nicht richtig. Ich würde es „Grandeur“
nennen. Lully ist aber auch voller Überraschungen. Bei ihm gibt es ein Moment der
Exaltation – der festlichen Erregung und
des musikalischen Fiebers. Doch dabei blieb
er stets ein sehr politischer Komponist, der
etwas über das Regime erzählt. Er betrieb
Propaganda für seinen König und schrieb
repräsentative Werke, in dessen Glanz sich
der Monarch sonnen konnte. In Armide,
seinem Meisterstück, kombiniert er alle
seine Mittel. Er befindet sich auf der
Höhe seines Könnens, allerdings nicht
mehr auf der Höhe seiner Macht.
Armide wurde 1686 außerhalb von Versailles uraufgeführt, nämlich in Paris.
Lully war in Ungnade gefallen. Hat das
seinen Stil beeinflusst?
Überhaupt nicht. Das liegt daran,
dass Lully hoffte, sich mit dem Werk
gleichsam „zurückbewerben“ zu können. Er wollte etwas gutmachen, nachdem sein Privatleben für einen Skandal
gesorgt hatte.
CHRIS T OPHE ROUSSE T
ist Experte auf dem Gebiet der französischen Barockmusik, vor allem die Werke
seines Landsmannes Lully haben es ihm
angetan. Im Interview spricht der Dirigent
über seinen Lieblingskomponisten, die alten
Herren der historischen Aufführungspraxis
und über die Erotik der Macht.
Sie spielen auf die Vorwürfe in Bezug
auf Lullys Homosexualität an?
Ganz genau. Vor allem für Madame
de Maintenon, die heimliche Gemahlin des Königs, war Lully ein Dorn im
Auge. Das Amüsement am Hof war
insgesamt im Rückgang begriffen. Lully
aber war der Skandal, der um seine Person entstanden war, nicht peinlich. Darin
war er Pragmatiker.
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Foto: Ignacio Barrios
Von Kai Luehrs-Kaiser
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CHRISTOPHE ROUSSET
Foto: Ignacio Barrios Martinez
C HR I S T O P HE R O U S S E T
Französische Opern aus dieser Zeit weisen gewöhnlich auch einen
sogenannten Haute-contre auf. Können Sie kurz erklären, was das
ist?
Der männliche Held, in diesem Fall Rinaldo bzw. Renaud, wurde
zur Zeit Lullys grundsätzlich mit einem solchen Haute-contre
besetzt. Es handelt sich um einen besonders hoch liegenden Tenor.
Denn man mochte in Frankreich keine Kastraten. Ein richtiger
Mann musste es sein! Der aber durfte einige Ambiguität ausstrahlen.
Haute-contres sind heute nur noch schwer zu finden. In Deutschland
hat man den wunderbaren Julian Prégardien. Mit Cyril Auvity und
Emiliano Gonzalez Toro haben wir gleichfalls zwei exzellente Vertreter dieser Spezies im Boot.
Man muss eine gewisse Autorität behaupten,
sonst weiß das Orchester nicht mit dem umzugehen, was man ihm sagt. Ich habe eine Weile
versucht, das zu unterlaufen, indem ich nach
den Konzerten immer mit den Musikern essen
gegangen bin. Davon habe ich schon lange Abstand genommen.
Es klappt nicht. Dirigent kann man nur dann werden, sofern
man sich nie langweilt, wenn man mit sich allein ist.
Christophe Rousset
Die Uraufführung im Palais Royal wird man sich als überaus festlich vorstellen. War sie es wirklich?
Sie war zumindest weit größer als ich es mir heute leisten kann!
Wir müssen bedenken: Versailles selbst verfügte damals über kein
Theater. Man führte die Opern im Hof auf oder in der Grand Écurie,
dem Marstall. In Paris dagegen waren die räumlichen Verhältnisse
weit großzügiger. Lullys Ensemble war doppelt so groß wie meines.
Wo bleibt denn da die historische Aufführungspraxis?!
Wir spielen lauter. (lacht) Und wir haben, wie ich doch denken
würde, die besseren Instrumente. Auf der Bühne sah man 50 Sänger
und darüber hinaus 20 Tänzer – gigantische Verhältnisse. Man hatte
Geld und wollte es zeigen.
Was für eine Sorte Sopran verlangt die Titelrolle?
Einen recht dramatischen. Armide ist ein sehr expressiver Charakter, stimmlich sehr fordernd. Sie ist fast ständig auf der Bühne,
alles basiert auf ihr. Man braucht eine echte Performerin. Dafür habe
ich hier erstmals mit der Sopranistin Marie-Adeline Henry gearbeitet, die das hervorragend macht.
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Und was kommt danach?
Schwer zu sagen, da sich Lully im Laufe der Zeit so stark verändert
hat. Wenn Sie meine persönlichen Favoriten wissen wollen, so sind
dies – außer Armide – sein Amadis und ebenso Roland. Mir kommt
entgegen, dass in diesen späten Werken das Orchester immer wichtiger wird.
Opernaufnahmen sind heutzutage das Teuerste, was man sich
überhaupt leisten kann. Wie finanzieren Sie diese Projekte?
Durch privates Sponsoring. Im Fall von Armide hatten wir außerdem eine szenische Produktion in Nancy. Ein eher einfacher Fall.
Als einer der ganz wenigen Spezialisten der Alten Musik konzentrieren Sie sich gern auf die Barockmusik Ihrer französischen
Heimat. Sind Sie dort im Vorteil?
Ich glaube schon. Wir haben die ganze Geschichte in unseren
Genen drin und müssen sie nicht erst mühsam zu verstehen suchen.
Natürlich hat es auch etwas mit der Sprache zu tun. Je mehr man sie
versteht, desto besser versteht man auch die Musik. Grundsätzlich
allerdings ist alles eine Frage der theatralischen Geste.
Foto: Eric Larrayadieu
Lullys Armide steht heute ziemlich im Schatten der gleichnamigen
Oper von Christoph Willibald Gluck. Ungerecht?
Ja, denn man missversteht die Geschichte. Gluck hat seine Oper
nur wegen Lully geschrieben. Glucks Armide ist ein fantastisches
Stück, aber nicht sein bestes. Anders bei Lully: Armide ist der Gipfel
seines Gesamtwerks.
In den letzten Jahren hat die Alte Musik etliche Protagonisten der
ersten Generation verloren, darunter Gustav Leonhardt, Nikolaus
Harnoncourt und Frans Brüggen. Zu welcher Generation rechnen
Sie sich?
Zur dritten Generation. Zur zweiten würde ich William Christie,
auch Marc Minkowski zählen, die in den 80er Jahren begannen. Musiker meiner Generation, auch ich selber, haben in ihren Ensembles
angefangen. Es gibt übrigens sogar einen musikalischen Unterschied.
Ich mag keine Exzesse, halte mich treu an den Notentext und bin,
glaube ich, in dieser Hinsicht „old school“. Angehörige jener zweiten
Generation indes würden viel mehr darauf bestehen, dass alles neu
sein muss. Ich bin altmodisch. Freilich, frisch muss es trotzdem sein.
Ich rieche, hoffe ich, noch nicht wie alter Fisch.
Sie haben in Interviews gelegentlich zugegeben, schüchtern zu
sein. Können Sie sich das als Dirigent leisten?
Von Haus aus bin ich eigentlich Cembalist. Das ist ein leises,
intimes Instrument, das in eher kleinen Räumen seinen Platz hat. So
erklärt sich die Wahl meines Instruments auch aus meiner Schüchternheit. Nur: Sobald ich raus auf die Bühne muss, nützt mir diese
Tatsache gar nichts. Ich muss mich exponieren, egal hinter welchem
Instrument ich mich verstecken will. Das Auftreten war für mich
auch eine Art Therapie. Vor dem Orchester zu stehen, ist, daran gemessen, eher leichter. Ich muss zwar reden, fühle mich aber weniger
nackt als alleine auf einem Podium. Es ist wie so oft bei ausübenden
Künstlern: Sie sind privat das Gegenteil von dem, wofür man sie auf
der Bühne hält.
Den Beruf des Dirigenten stellt man sich gern als einsam vor. Ein
Klischee?
Nein, das stimmt. Man muss eine gewisse Autorität behaupten,
sonst weiß das Orchester nicht mit dem umzugehen, was man ihm
sagt. Ich habe eine Weile versucht, das zu unterlaufen, indem ich
nach den Konzerten immer mit den Musikern essen gegangen bin.
Davon habe ich schon lange Abstand genommen. Es klappt nicht.
Dirigent kann man nur dann werden, sofern man sich nie langweilt,
wenn man mit sich allein ist.
Sie sind jetzt Mitte 50. Ist es für Dirigenten einfacher in die Jahre
zu kommen als für andere?
Ja, das mag wohl sein. Einerseits wird das Dirigieren immer
leichter. Andererseits bleiben die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, immer gleich jung. Ich bin umzingelt von jüngeren
Leuten, und das ist eine herrliche Sache. Es ist übrigens auch ein sehr
gesunder Beruf. Gut für das Herz, weil man die ganze Zeit mit den
Armen rudert. Die reinste Herzmassage.
Viele Dirigenten haben sogar private Beziehungen zu deutlich
Jüngeren. Würden Sie zugeben, dass Sie und Ihre Berufskollegen
in einer beneidenswerten Lage sind?
Ja, und ich weiß auch, warum das so ist. Es gibt da wohl irgend so
eine Erotik der Macht, die an Dirigenten zu faszinieren scheint. Ich
sage nicht, dass ich mich mächtig fühle. Aber die Folgen der Tatsache, dass es so rüberkommt, genieße ich durchaus. n
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