Thermisches Regime der Erde

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Geothermie
Springer Geology
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Ingrid Stober · Kurt Bucher
Geothermie
123
Ingrid Stober
Universität Freiburg
Institut für Geowissenschaften
Albertstr. 23b
79104 Freiburg
Deutschland
[email protected]
Prof. Dr. Kurt Bucher
Universität Freiburg
Institut für Geowissenschaften
Albertstr. 23b
79104 Freiburg
Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-24330-1
e-ISBN 978-3-642-24331-8
DOI 10.1007/978-3-642-24331-8
Springer Heidelberg Dordrecht London New York
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Einleitung
Die Geothermie bietet eine nahezu unerschöpfliche Quelle zur Wärmebereitstellung
und zur Erzeugung von Strom. Geothermie ist klimaschonend und grundlastfähig.
Sie ist unabhängig vom Wetter rund um die Uhr verfügbar. Geothermie trägt zur
regionalen Wertschöpfung bei und macht unabhängig von fossilen Brennstoffen,
bzw. hilft diese zu schonen. Da die tiefe Geothermie die gleichzeitige Produktion von Wärme und Strom erlaubt, trägt sie zu einer zukunftssicheren, effizienten
Wärme- und Stromversorgung bei. Die entnommenen Tiefenwässer werden wieder
in das Reservoir zurückgeführt, so dass das natürliche Gleichgewicht erhalten bleibt
und ein nachhaltiger reservoirschonender Umgang gewährleistet ist. GeothermieAnlagen zeichnen sich durch einen geringen Flächenverbrauch aus; die optische
Beeinträchtigung in der Landschaft ist dadurch minimal.
Strom aus geothermischen Energiequellen kann zukünftig einen wichtigen Beitrag zur Deckung der Grundlast liefern und damit fossil betriebene Großkraftwerke
ersetzen. In den vergangenen Jahren wurde die Technologie zur Energieerzeugung
im Niedertemperaturbereich weiterentwickelt und zahlreiche technische Fortschritte auch auf diesem Sektor erreicht. Die Tiefengeothermie kann zur energetischen
Grundversorgung einen großen Beitrag liefern. Dazu sind EGS (Enhanced Geothermal Systems) notwendig, denn nur sie sind nahezu überall machbar. EGS muss
daher weiterentwickelt werden. Demonstrationsprojekte sind erforderlich.
Insbesondere die Grundlastfähigkeit macht die Geothermie zum festen Bestandteil und Partner auch anderer langfristig angelegter Energieszenarien. Durch
geschickte Kombination mit anderen Formen der erneuerbaren Energien können
sich bedeutende Synergieeffekte ergeben. Erste Projekte im Wohnungsbereich, bei
denen Erdwärmesonden mit Solarthermie kombiniert sind, zeigen eine sehr hohe
energetische Effizienz. Aber auch Projekte aus der tiefen Geothermie wie beispielsweise die Kombination von hydrothermaler Dublette mit Biogas zur thermischen
Anhebung oder die Benutzung des tiefen Reservoirs als „aufladbare Batterie“ zeigen
neue Wege für die Städte-Planung auch im Objektbereich auf.
Mit diesem Buch wollen wir einen Einblick in dieses spannende Thema der
Geothermie geben. Wir sind auf die Weiterentwicklung, auf neue Projekte und
neue Synergieeffekte in den nächsten Jahren gespannt und wünschen uns allen eine sichere, umweltschonende Wärme- und Energieversorgung. Wir hoffen mit dem
vorliegenden Buch dazu einen kleinen Beitrag leisten zu können.
V
Inhaltsverzeichnis
1 Thermisches Regime der Erde . . . . . . . . . . . .
1.1
Erneuerbare Energien, Globaler Status . . . .
1.2
Aufbau der Erde . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3
Energiedargebot der Erde . . . . . . . . . . .
1.4
Wärmetransport und thermische Parameter . .
1.5
Kurzer Abriss von Methoden zur Bestimmung
thermischer Parameter . . . . . . . . . . . . .
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2
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14
2 Geschichte geothermischer Energienutzung . . . . . . . . . . . .
2.1
Frühe geothermische Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . .
2.2
Geothermische Nutzungen in der späteren Neuzeit . . . . . .
17
18
23
3 Geothermische Energie-Ressourcen . . . . . . . . . .
3.1
Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2
Bedeutung der Erneuerbaren Energien . . . . .
3.3
Status der Nutzung der geothermischen Energie
3.4
Geothermische Energiequellen . . . . . . . . .
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31
32
4 Geothermische Nutzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . .
4.1
Oberflächennahe geothermische Energienutzung . . .
4.2
Tiefe geothermische Energienutzung . . . . . . . . .
4.3
Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4
Bedeutende Geothermie-Felder, Hochenthalpie-Felder
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5 Potentiale und Perspektiven geothermischer
Energienutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
6 Erdwärmesonden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1
Planungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2
Bau von Erdwärmesonden . . . . . . . . . . . . . .
6.3
Auslegung von Erdwärmesonden . . . . . . . . . .
6.3.1
Wärmepumpen . . . . . . . . . . . . . .
6.3.2
Thermische Parameter und Programme für
die Auslegung von Erdwärmesonden . . .
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66
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VII
VIII
Inhaltsverzeichnis
6.4
6.5
6.6
6.7
6.8
Bohrverfahren für Erdwärmesonden . . . . . . . . . .
6.4.1
Direktspülverfahren . . . . . . . . . . . . .
6.4.2
Imlochhammerbohrverfahren . . . . . . . .
6.4.3
Abschließende Hinweise, Bohrrisiken . . .
Hinterfüllung/Verpressung von Erdwärmesonden . . .
Bau von Erdwärmesonden mit Überlänge . . . . . . .
Potentielle Risiken, Fehler und Schäden
bei Erdwärmesonden . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Spezielle Nutzungssysteme und Weiterentwicklungen
6.8.1
Erdwärmesonden-Felder . . . . . . . . . .
6.8.2
Erdsonden und Kühlung . . . . . . . . . .
6.8.3
Kombination Solarthermie/Erdwärmesonden
6.8.4
Vermessung von Erdwärmesonden . . . . .
6.8.5
Erdwärmesonden mit Phasenwechsel . . . .
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7 Geothermische Brunnenanlagen . . . . . . . . . . . .
7.1
Bau von Grundwasserbrunnen . . . . . . . . . .
7.2
Wasserqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3
Thermischer Einflussbereich, Modellrechnungen
8 Hydrothermale Nutzung, Geothermische Dublette
8.1
Geologischer und tektonischer Bau . . . . .
8.2
Thermische und hydraulische Eigenschaften
des Nutzhorizontes . . . . . . . . . . . . . .
8.3
Hydraulische und thermische Reichweite
geothermischer Dubletten . . . . . . . . . .
8.4
Hydrochemie heißer Wässer aus großer Tiefe
8.5
Ertüchtigungsmaßnahmen, Stimulation . . .
8.6
Fündigkeit, Risiko, Wirtschaftlichkeit . . . .
8.7
Beispiele hydrothermaler Anlagen . . . . .
8.8
Projektierung hydrothermaler Anlagen . . .
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9 Enhanced-Geothermal-Systems (EGS), Hot-Dry-Rock
Systeme (HDR), Deep-Heat-Mining (DHM) . . . . . . .
9.1
Verfahren, Vorgehen, Ziele . . . . . . . . . . . .
9.2
Geschichte, erste HDR-Verfahren . . . . . . . . .
9.3
Vorgehen bei der Stimulation . . . . . . . . . . .
9.4
Erfahrungen und Umgang mit der Seismizität . . .
9.5
Empfehlungen, Hinweise . . . . . . . . . . . . .
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173
10 Potentielle Umweltauswirkungen bei der Tiefen Geothermie
10.1
Seismizität und Tiefe Geothermie . . . . . . . . . . . .
10.1.1 Induzierte Erdbeben . . . . . . . . . . . . . .
10.1.2 Erdbebenskalen . . . . . . . . . . . . . . . .
10.1.3 Die Ereignisse von Basel . . . . . . . . . . .
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181
183
184
Inhaltsverzeichnis
IX
10.1.4
10.1.5
. .
187
. .
. .
. .
190
193
195
11 Bohrtechnik für Tiefbohrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
12 Geophysikalische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.1
Geophysikalische Vorerkundung, Seismik . . . . . . . . . .
12.2
Geophysikalische Bohrlochmessungen
und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217
218
13 Hydraulische Untersuchungen, Tests . . . .
13.1
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . .
13.2
Testarten, Planung und Durchführung,
Auswerteverfahren . . . . . . . . . . .
13.3
Tracerversuche . . . . . . . . . . . . .
13.4
Temperaturauswerteverfahren . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
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230
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
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245
247
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. . . . . . . . . . . . .
251
252
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
254
262
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283
10.2
10.3
Seismische Beobachtungen bei EGS-Projekten .
Folgerungen und Empfehlungen für
hydrothermale und petrothermale
Nutzungen (EGS) . . . . . . . . . . . . . . . .
Auswirkungen durch und auf den Untergrund . . . . . . .
Übertägige Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 Hydrochemische Untersuchungen . . . . .
14.1
Probennahme und Analytik . . . . .
14.2
Wichtigste Untersuchungsergebnisse
und Interpretationen . . . . . . . . .
14.3
Ausfällungen, Korrosion . . . . . . .
224
Kapitel 1
Thermisches Regime der Erde
Vulkano bei Sizilien
I. Stober, K. Bucher, Geothermie, Springer Geology,
C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
DOI 10.1007/978-3-642-24331-8_1, 1
2
1
Thermisches Regime der Erde
1.1 Erneuerbare Energien, Globaler Status
In einer Presseerklärung (IGA News No. 76, 2009, www.geothermal-energy.org)
des “Renewable Energy Policy Network for the 21st Century” steht, dass die Erneuerbaren Energien weltweit im Jahr 2008 gegenüber 2007 um 16% auf 280.000 MW
angestiegen sind. In Europa und den USA stieg erstmalig der Anteil an Erneuerbaren Energien stärker an als derjenige konventioneller Energien. In weit über 60
Ländern werden mittlerweile die Erneuerbaren Energien politisch und finanziell
unterstützt.
Den größten Anteil an der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien hatte im
Jahre 2008 die Große Wasserkraft mit 860 GWel inne, gefolgt von der Windkraft mit
121 GWel , der Kleinen Wasserkraft mit 85 GWel und der Biomasse mit 52 GWel .
Mit größerem Abstand folgen Photovoltaik (13 GWel ) und die Geothermie mit 10
GWel . Bei der Erzeugung von thermischer Energie ist die Biomasse mit 250 GWth
führend, dann folgen die Solarthermie für Warmwasseraufbereitung oder Heizen
mit 145 GWth und die Geothermie mit etwa 50 GWth (Bertani 2005, 2010).
Unter den erneuerbarer Energiequellen könnte der Geothermie eine besondere Rolle zukommen, denn sie ist praktisch überall vorhanden und regeneriert
sich kontinuierlich. Ihr Potenzial ist nahezu unbegrenzt. Die Wärme- und Stromgewinnung ist kontinuierlich abrufbar und damit grundlastfähig. Die Nutzung
geothermischer Energie ist umweltfreundlich und der übertägige Platzbedarf ist
gering. Inwieweit sich diese positiven Erwartungen auch in Regionen mit ausschließlich Niedrigenthalpie-Vorkommen umsetzen lassen, werden die kommenden
Jahre zeigen.
1.2 Aufbau der Erde
Geothermie ist die in der Erde gespeicherte Wärmeenergie; Geothermie ist Erdwärme. 99% der Erde sind heißer als 1000◦ C; 0,1% der Erde sind kälter als 100◦ C. Die
mittlere Temperatur an der Erdoberfläche beträgt 14◦ C. Auf der Sonne sind es etwa
5800◦ C, was in etwa der Temperatur im Erdkern entspricht (Abb. 1.1).
Unsere Erde ist schalenförmig aufgebaut (Abb. 1.1). Unter der sehr dünnen
Erdkruste folgt der Erdmantel und im Zentrum unserer Erde befindet sich der
Erdkern, der außen flüssig, innen aber fest ist. Das war nicht immer so. Ganz
zu Beginn der Geschichte unseres Planeten bestand die Erde vermutlich durchgehend etwa aus demselben homogenen Material. Erst einige hundert Millionen Jahre
später erfolgte während der weiteren Entstehungsgeschichte eine Reorganisation
und Differentiation zu einem geschichteten, in einzelne radiale Zonen aufgebauten
Körper.
Im Erdkern, dem Zentrum unseres Planeten, liegt das dichteste und damit
schwerste Material; die Erdkruste besteht aus dem leichtesten Material, d. h. Materialien mit den geringsten Dichten. Der Erdmantel dazwischen besitzt eine mittlere
1.2
Aufbau der Erde
3
Abb. 1.1 Aufbau der Erde
Dichte. In Abb. 1.1 ist die jeweilige Dicke der einzelnen Schichten, die Schichtmächtigkeit, eingetragen. Die Abbildung zeigt, dass der Erdkern, mit etwa 2250 km
außen und 1220 km innen, etwas mächtiger ist als der Erdmantel (2860 km) und
sich über mehr als die Hälfte des Erdradius erstreckt. Am Gesamtvolumen der Erde
macht der Erdkern jedoch nur etwa 16% aus. Aufgrund der hohen Dichte verfügt er
allerdings über fast 32% der Erdmasse.
Im Inneren Erdkern in über 6000 km Tiefe rechnet man mit Temperaturen um
5000◦ C und Drucken von bis zu 4 Millionen Bar. Der Innere Erdkern besteht aus
einer festen Eisen-Nickel-Legierung, was uns an Eisen-Meteorite erinnern mag.
Abbildung 1.2 zeigt einen aufgesägten Eisenmeteoriten. Auf der polierten, angeätzten Schlifffläche sind die sog. Widmanstätten Figuren erkennbar, die durch
unterschiedliche Nickelgehalte hervorgerufen werden.
Der Äußere Erdkern ist bei Temperaturen um 2900◦ C und entsprechend niedrigeren Drucken im Prinzip eine flüssige Eisenschmelze und daher im Zusammenwirken
4
1
Thermisches Regime der Erde
Abb. 1.2 Widmanstätter Figuren in einem Eisenmeteoriten. Die Figuren werden von den beiden
Mineralen Karnacit und Taenit hervorgerufen, die unterschiedliche Nickelgehalte besitzen
mit der Erdrotation und seiner elektrischen Leitfähigkeit Ursache für das Magnetfeld der Erde. Die physische Bewegung von Ladungsträgern ist nichts anderes als
ein elektrischer Strom, der wiederum das Magnetfeld unseres Planeten verursacht.
Der Übergang zwischen Erdkern und Erdmantel ist durch eine sprunghafte Dichteabnahme gekennzeichnet, die durch den Wechsel von Eisen zu verschiedenen
leichteren Mineralen verursacht wird.
Der Obere Erdmantel beginnt unterhalb der Erdkruste und reicht bis in ca.
1000 km Tiefe. Innerhalb des Oberen Erdmantels befindet sich eine Schicht, die
aus partiell aufgeschmolzenem Gesteinsmaterial besteht und daher eine erhöhte
Fliessfähigkeit besitzt. Dadurch sind die darüber liegenden starren und spröden
Platten der Erdkruste und des obersten Teils des Oberen Erdmantels beweglich. Im
darunter liegenden Erdmantel gibt es riesige walzenförmige Fliessbewegungen, die
bis zum Erdkern reichen, diesen aber nicht einbeziehen, denn der Erdkern ist die
„Heizplatte“, er ist der eigentliche „Motor“ für die Konvektionsströme. Der sich
langsam abkühlende Erdkern liefert genügend Kristallisationswärme, also Energie
aufgrund der Änderung des Aggregatzustandes, um den darüber liegenden Erdmantel aufzuheizen. Der innere Motor der Erde, die Konvektionsbewegungen im
Erdmantel, wird durch die Wärmequelle im Erdinneren seit der Entstehung der Erde
angetrieben.
Durch die thermischen Konvektionsströme bewegen sich die Platten quasi
schwimmend aufeinander zu oder voneinander weg, je nachdem, ob sie sich über
absinkenden Strömungen oder über aufwärts gerichteten Strömungen befinden
(Abb. 1.3). Im aufsteigenden Bereich von Mantelmaterial sind die Temperaturen im
1.2
Aufbau der Erde
5
Ozeanischer
Rücken
Lithosphere
Tiefseegraben
Tiefseegraben
Asthe
no
sp
hä
re
Erdmantel
äußerer Erdkern
Innerer
Erdkern
Abb. 1.3 Thermische Konvektionsströme für die Plattentektonik
Oberen Erdmantel höher als im absteigenden Ast einer Konvektionszelle. Beim Aufeinanderzubewegen verschiedener Platten können durch Kollision riesige Gebirge,
wie die Alpen oder der Himalaya, entstehen oder Tiefseegräben, wenn eine Platte
bei der Kollision unter eine andere abtaucht. Auseinander driftende Platten dehnen
die Erdkruste bzw. den obersten Teil des Oberen Mantels, erzeugen Gräben, wie den
Oberrheingraben, bis hin zu groß angelegten Grabenstrukturen in Ozeanböden, wie
den Mittelozeanischen Rücken mit aufsteigendem heißen Erdmantelgestein, Magma
(Grotzinger et al. 2008, WM 2008).
Alle Plattengrenzen sind in unterschiedlichem Ausmaß durch Vulkanismus und
Erdbeben geprägt. Da die Größe der Erdoberfläche weder zu- noch abnimmt, ist mit
jedem Abtauchen einer Platten eine Neubildung an anderer Stelle, an einem ozeanischen Rücken, verbunden. An etlichen Stellen der Erde kommt die Natur auf diese
Weise dem Menschen, der die Erdwärme nutzen möchte, weit entgegen. Das älteste und berühmteste Beispiel sind die Thermalquellen bei Larderello in der Toskana
(Kap. 2).
Im Nordatlantik hebt sich der Mittelozeanische Rücken an einem sog. Hot Spot
über den Meeresspiegel. Er verläuft mitten durch Island. Hot Spot besagt, dass der
Erdmantel an dieser Stelle besonders heiß ist, wahrscheinlich als Folge davon, dass
dort Mantelmaterial aus größerer Tiefe nahe der Grenze zum Erdkern aufsteigt.
Island ist also eine Insel vulkanischen Ursprungs und noch heute finden Vulkanausbrüche in schöner Regelmäßigkeit statt, wie auch jüngste Ereignisse durch den
Ausbruch des Eyjafjallajokull im Frühjahr 2010 mit den Folgen der Stagnation des
gesamten nordeuropäischen Flugraumes über mehrere Wochen hinweg eindrücklich
belegte.
Die vulkanische Tätigkeit im Yellowstone Park basiert ebenfalls auf einen riesigen Hot Spot, der relativ betrachtet den Nordamerikanischen Kontinent quert.
Zahlreiche heiße Quellen, kochende Schlamm-Poole, Kohlensäure-Exhalationen
6
1
Thermisches Regime der Erde
und Geysire sind im Park verteilt (Abb. 1.4). Etwa alle 600.000 Jahre wird dort ein
sehr großer Ausbruch erwartet, dessen zerstörerische Reichweite bisher jeweils viele Kontinente erfasste und das Leben auf ihnen weitestgehend auslöschte. Zeitlich
gesehen steht dort unmittelbar wieder ein Ausbruch bevor.
Abb. 1.4 Beginn, Höhepunkt und Abklingen einer Eruption des Echinus Geysir im Norris Geyser
Basin, Yellowstone Nationalpark, Wyoming, USA
1.2
Aufbau der Erde
7
Abb. 1.4 (Fortsetzung)
Zur Entstehung der Kanarischen Inseln gibt es verschiedene Hypothesen, die
von der Theorie eines relativ zur Lage der Inseln von Osten nach Westen wandernden Hot Spot bis zur Theorie einer Vielzahl von „Mantel Plumes“ reichen. Alle
diese Hypothesen zur Kanaren-Entstehung sind jedoch wenig gesichert und z.T. widersprüchlich. Abbildung 1.5 zeigt die vulkanische Landschaft Lanzarotes; einige
Abb. 1.5 Die vulkanische Landschaft Lanzarotes, Kanarische Inseln
8
1
Thermisches Regime der Erde
hundert Krater prägen noch heute das Gesicht der Landschaft. Eine Vielfalt verschiedener Farben zeigen die Vulkanhügel dem Betrachter: von rot über orange,
gelb, blau und Grautönen bis hin zu schwarz. An vielen Stellen auf der Insel ist
das Gestein bereits direkt unter der Erdoberfläche noch so heiß, dass einsickerndes
Oberflächenwasser spontan verdampft. Die letzten großen vulkanischen Ausbrüche
wurden von der Besatzung der Santa Maria, dem Schiff von Christoph Columbus, als schlechtes Ohmen für die Fahrt nach Westen, der Entdeckung Amerikas,
gedeutet.
Der Teide auf Teneriffa (Kanarische Inseln) ist mit über 3718 m der höchste
Berg Spaniens und der dritthöchste Inselvulkan der Erde. Er erhebt sich aus einer
riesigen eingebrochenen Magmakammer eines älteren Vulkans (Caldera), die einen
Durchmesser von etwa 17 km hatte. Die Flanken des Teide sind mit Lawaströmen
verschiedener Farbnuancen, einem Anzeichen für ihr jeweiliges Alter, bedeckt.
1.3 Energiedargebot der Erde
Die mittlere Temperatur der Erde an der Erdoberfläche liegt bei 14◦ C, im Erdinneren
bei 5000◦ C. Da die Erde im Inneren sehr heiß außen jedoch relativ kühl ist, strömt
aus der Erde ein kontinuierlicher Strom von Wärme in Richtung Erdoberfläche.
Der terrestrische Wärmestrom, also die von der Erde pro Quadratmeter abgegebene Leistung (Wärmestromdichte), beträgt durchschnittlich etwa 0,065 W/m2
(65 mW/m2 ). Die Erde verliert dadurch Wärme. Aber sie gewinnt auch wieder Wärme durch die Strahlung der Sonne. Sonnenlicht ist elektromagnetische Strahlung,
die im Sonneninnern durch Kernfusion entsteht und in den Weltraum abgestrahlt
wird. Im Jahr trifft in Mitteleuropa eine Energiemenge von ca. 1000 kWh/m2 auf
die Erdoberfläche.
Die zur Erde kommende Sonnenenergie wird durch Wolken, Luft und Boden
zu 30% wieder in den Weltraum reflektiert. Die restlichen 70% werden absorbiert:
rund 20% von der Atmosphäre und 50% vom Erdboden. Letztere werden durch
Wärmestrahlung und Konvektion wieder an die Lufthülle abgegeben. Die globale
Sonneneinstrahlung liegt bei 174·1015 W. Davon werden etwa 89·1015 W von
den Landmassen und Ozeanen absorbiert. Ein kleiner Bruchteil davon wird dazu
benutzt, um die Erdoberfläche zu erwärmen, mit einer Eindringtiefe von einigen
Dezimetern im Tagesgang und einigen 10er Metern im Jahreszyklus. Daher hat
die solare Energie auf das thermische Regime der Erde nur einen kleinen Einfluss
(Clauser 2006).
In der Erdkruste nimmt die Temperatur im Mittel um etwa 3◦ C pro 100 m Tiefe
zu. Der Wärmestrom aus der Erde, der an der Erdoberfläche gemessen wird, stammt
nur zu einem kleinen Teil aus dem Erdmantel oder dem Erdkern (Abb. 1.1). Über
70% werden in der relativ dünnen Erdkruste „gebildet“ und nur knapp 30% dieses
Wärmestromes kommen aus dem Erdkern und dem Erdmantel. Der über die gesamte Erdoberfläche integrierte Erdwärmestrom ergibt die eindrückliche thermische
Leistung von 40 Millionen Megawatt. Der Erdwärmestrom wird durch die inneren
1.3
Energiedargebot der Erde
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Wärmequellen der Erde gespeist: ein grosser Beitrag stammt aus dem radioaktiven
Zerfall der natürlichen Radioisotope Uran (238 U, 235 U), Thorium (232 Th) und Kalium (40 K) in der Erdkruste, nämlich ∼900 EJ/a. Bei diesem Zerfall entsteht Wärme.
Diese Wärme wird in der Erdkruste kontinuierlich neu gebildet. Der kleinere Beitrag stammt aus dem Erdkern: ∼300 EJ/a. Zusammen sind das ∼1200 EJ/a, die
der Erde pro Jahr entströmen. Der größte Teil dieser Wärme wird in der Erdkruste
kontinuierlich neu gebildet.
Die Wärmeproduktion wird in Energie pro Zeit und Volumen (J/sm3 ) angegeben. Die Erdkruste ist unterschiedlich dick und stofflich sehr unterschiedlich
zusammengesetzt. Sie ist unter den Kontinenten deutlich dicker als unter den Ozeanen. Unter den Kontinenten besteht sie aus sauren Gesteinen, unter den Ozeanen
aus basischem Material. In sauren Gesteinen (z.B.Granit) ist die Wärmeproduktion deutlich höher als in basischen Gesteinen (z.B. Gabbro). Die Wärmeproduktion
von Granit kann beispielsweise um ein Vielfaches so groß sein wie die von einem
Gabbro (Tabelle 1.2). Die produzierte Wärmeenergie kann somit innerhalb der Erdkruste sehr stark differieren. Die ständige, globale Wärmeproduktion der Erde durch
radioaktiven Zerfall ist in Ahrens (1995) mit 27,5·1012 W angegeben.
Der Wärmestrom wird an der Erdoberfläche als Wärmestromdichte (q [J/sm2 ])
gemessen. Die Wärmestromdichte setzt sich somit aus einem quasi konstanten
Strom aus dem Erdkern und Erdmantel sowie einem nicht konstanten Wärmestrom
aus der Erdkruste zusammen. Die Wärmestromdichte kann sehr unterschiedlich
sein; man spricht auch hier von Anomalien. Große Anomalien treten sowohl auf
den Kontinenten als auch in den Ozeanen auf, insbesondere dort, wo die Wärme nicht nur thermisch durch das Gestein geleitet wird, sondern zusätzlich durch
aufsteigende Fluide transportiert wird. Besonders große Anomalien hat es daher
beispielsweise entlang des Mittelozeanischen Rückens oder in Vulkangebieten. Die
mittlere Wärmestromdichte aus den Kontinenten und Ozeanen beträgt jeweils 65
mW/m2 und 101 mW/m2 . Das gewichtete Mittel berechnet sich daraus zu 87
mW/m2 und entspricht einem globalen Wärmeverlust der Erde von 44,2·1012 W
(Pollack et al. 1993). Demgegenüber steht die ständige Wärmeproduktion der Erde durch radioaktiven Zerfall, durch Reibungswärme u.a. Netto verliert die Erde
Wärme in einer Größenordnung von etwa 1,4·1012 W (Clauser 2006). Der Abkühlungsprozess der Erde ist jedoch sehr langsam, denn Berechnungen ergaben, dass
die Temperatur im Erdmantel in den letzten drei Billionen Jahren sich nicht mehr
als um 300–350◦ C abgekühlt hat.
Verglichen mit der Größe der solaren Einstrahlung oder dem von den Landmassen und Ozeanen absorbierten Anteil der solaren Einstrahlung ist der Wärmeverlust
der Erde durch die Wärmestromdichte mit 44,2·1012 W sehr gering. Die solare Einstrahlung ist etwa um den Faktor 4000 größer und der Anteil der Adsorption etwa
um den Faktor 2000.
Der gesamte Wärmeinhalt der Erde beträgt nach Armstead (1983) ca. 12,6 1024
MJ. Die geothermische Ressourcenbasis der Erde ist demnach riesig und omnipräsent. Sie wird jedoch kaum genutzt. Geothermische Energie ist fast überall
verfügbar und gewinnbar. Die Nutzung von Geothermie ist umweltfreundlich, und
geothermische Energie ist grundlastfähig.
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