Fortgeschrittenes Üben im Anfängergeist

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Gerda Imhof l Dipl. Yogalehrerin YS l [email protected] l 077 420 42 78 l www.gerdaimhof.ch Fortgeschrittenes Üben im Anfängergeist
Woran denken Sie, wenn Sie „Yoga für Fortgeschrittene“ hören? Geht es für Sie darum, immer anspruchsvollere Yogahaltungen zu meistern, stundenlang auf dem Kopf zu stehen oder ewig den Atem anhalten zu können? Und sind Sie unzufrieden mit sich, wenn das nicht ganz bald – vielleicht gar nicht – gelingt? Wenn wir in die alten Grundlagentexte schauen, wird schnell deutlich, dass Yoga ursprünglich ganz andere Ziele verfolgte. „Yoga ist der Zustand, in dem die Aktivitäten des Geistes zur Ruhe kommen“, heisst es in Patanjalis Yoga-­‐Sutra (I,2), dem 2000 Jahre alten Leitfaden (Sutra) des Yoga. Und im grossen Lehrtext des Hatha-­‐Yoga, der Hatha-­‐Yoga-­‐Pradipika, aus dem 15. Jahrhundert, finden wir: „Der Yogi, der im Zustand des Yoga (Samadhi) weilt, unterscheidet nicht kalt noch warm, nicht den Schmerz oder das Vergnügen, nicht Ehrungen und Demütigungen. Jemand, der in diesem Zustand verweilt, ist mit Sicherheit befreit.“ (IV, 111/112). Es geht also im Yoga um die Klärung, Beruhigung und Stabilisierung unseres Geistes und darum, gelassen, gleichmütig und frei von äusseren Bedingungen zu werden, egal wie hoch die Wogen in unserem Leben schlagen. Yoga versteht sich seit seinen Anfängen vor rund 3500 Jahren als Geistesschulung. Folglich interessiert ihn, wenn wir komplexe Asanas wie den Kopfstand lernen, vor allem, wie wir lernen und welche mentalen Muster wir in uns vorfinden, zum Beispiel Selbstzweifel oder Ängste, die uns hindern, unsere Pläne in die Tat umzusetzen. Wer sich auf den Yogaweg macht, wird bald feststellen, dass er im Lauf seines Lebens viele Denkweisen erworben hat, mit denen er sich belastet, sein Leben erschwert und sich selbst Druck macht. Diese Erfahrungen haben Sie sicherlich auch gemacht, denn kaum einer von uns ist innerlich so frei, dass er nicht versuchen würde, den Leitlinien unserer Leistungsgesellschaft zu folgen, die verlangt, dass alles immer noch höher, schneller, weiter und besser geht. Von Kindheit an wird uns eingebläut, was wir alles noch brauchen, um endlich perfekt zu werden. Innere Freiheit statt Leistungsdruck
Den Yoga interessiert hingegen, wie wir all das loswerden können, was unsere natürlichen Fähigkeiten und unsere Vollkommenheit verdeckt. Er geht davon aus, dass in jedem Menschen alles gut und richtig angelegt ist und dass wir – wenn wir günstige Bedingungen schaffen – wie jede Blume auf vollkommene Weise erblühen werden. Deswegen ist er eher ein Weg des Reinigens und Loslassens. Um solche günstigen Bedingungen zu schaffen, hat uns der Yoga nicht nur unzählige hilfreiche und erprobte Übungen wie Körperhaltungen (Asana) und Atemlenkungen (Pranayama), Energiearbeit (Mudra, Bandha) und Meditation überliefert, sondern vor allem auch eine tiefgründige und zeitlose Philosophie. Sie liefert uns all die Konzepte für unsere Übungspraxis, die wir brauchen, um eine Neuausrichtung unseres Lebens einleiten zu können und sie im Alltag zu integrieren. Yogaphilosophie, zum Beispiel die Yoga-­‐Sutras des Weisen Patanjali, vermittelt uns Richtlinien für günstiges Denken und Handeln und schenkt uns Lebensweisheit. Sie gibt uns Leitlinien, mit deren Hilfe wir uns „verankern“ können, um stabil im Getriebe des täglichen Lebens zu ruhen und um in unserer Mitte zu bleiben. Gerda Imhof l Dipl. Yogalehrerin YS l [email protected] l 077 420 42 78 l www.gerdaimhof.ch Achtsam und bewusst statt akrobatisch
Fortgeschritten zu üben heisst nicht nur, immer beweglicher und kräftiger zu werden, sondern vor allem zu lernen, immer bewusster und achtsamer mit sich umzugehen. Dafür brauchen wir zuerst einfache Übungen. Wenn wir uns zu früh einer komplexen und vielleicht sogar akrobatischen Übungspraxis widmen, benötigen wir alle Aufmerksamkeit dafür, den vielen Anforderungen der Form, der Ausrichtung (Alignment) und der Selbstkorrektur zu genügen. Das heisst, dass unsere Aufmerksamkeit zwar geschult wird, aber doch eher mit der äusseren Form beschäftigt bleibt. Wenn wir dagegen zu einfachen Übungen (zurück-­‐)finden, können wir die Form leichter meistern und haben dann die Möglichkeit, unsere Bewegungs-­‐, Atem-­‐, Denk-­‐, und Fühlmuster während des Übens zu beobachten. So lernen wir etwas über uns, und wir finden übend einen Freiraum, die Konzepte des Yoga anzuwenden und sie in die Praxis umzusetzen. Immer wieder Anfänger sein
Als Anfänger begegnen wir allem, was wir auf dem (Yoga-­‐)Weg erleben, frisch und unvoreingenommen. Wir sind neugierig, und unser Gehirn ist offen für sämtliche Eindrücke und sehr aktiv. je öfter wir jedoch etwas tun, desto eher meinen wir, es zu kennen. Wir entwickeln Routine – und unser Gehirn interessiert sich nicht mehr so sehr für das, was wir gerade tun. Plötzlich merken wir beim Üben, dass wir mit den Gedanken ganz woanders sind. Tatsache ist aber, dass kein Mensch jemals dasselbe zweimal tut, denn wir sind jeden Tag anders. Wenn Sie sich das bewusst machen, fällt es Ihnen vielleicht leichter, die Yogaübungen jedes Mal neu zu entdecken und ihnen mit voller Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zu begegnen. „Yoga ist die Fähigkeit, sich aussschliesslich auf einen Gegenstand, eine Frage oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen“, heisst es in einer Übersetzung des Yoga-­‐Sutra. Diese Fähigkeit ist Ausdruck einer fortgeschrittenen Yogapraxis, in der wir die Übungen und die Philosophie des Yoga immer wieder neu erforschen und damit ein Leben lang Lernende bleiben. Jedes Mal, wenn wir unsere Yogamatte betreten, entdecken wir Neuland. Jedes Mal sind wir eingeladen, zu experimentieren und vollkommen neue Erfahrungen zu machen. So wird der Weg zum Ziel, denn das was zählt, ist unsere Erfahrung hier und jetzt, unsere absolute Geistesgegenwart und Präsenz. Das ist wichtiger als „Resultate“ in Form perfekter Asanas – geht es doch darum, dass dieses Da-­‐Sein durch uns hindurch zu strahlen beginnt. Die Erfahrung „im Yoga zu sein“, ist ein Moment grosser Verbundenheit und reiner Freude. Dieser Text stammt aus Anna Trökes & Dr. Ronald Steiner: Yoga für Fortgeschrittene. GU Verlag. 
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