13.3 Milchsäuregärung

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13.3 Milchsäuregärung
Pyruvat + 2 Fdox + CoA-SH → Acetyl-S-CoA + CO2
+ 2 Fdred + H+ (ΔG0’ = –12,6 kJ mol–1)
2 Fdred + 2 H+ → H2 + 2 Fdox
(ΔG0’ ≈ 0 kJ mol–1)
13.2.8 Biotechnologische Bedeutung von Gärungen
Gärende Mikroorganismen werden seit Jahrtausenden
von Menschen zur Veredlung und Konservierung von
Nahrungsmitteln genutzt. Einige Beispiele dafür sind die
Herstellung von Bier und Wein, Joghurt, Käse und anderen Milchprodukten, Brot, Sauerkraut oder Silagefutter.
Die meisten klassischen Prozesse in der Lebensmitteltechnologie werden durch gärende Mikroorganismen
durchgeführt. Die wichtigsten Organismen sind dabei
insbesondere Hefen und Milchsäurebakterien. Allerdings
werden heute auch aerobe mikrobielle Verfahren in zunehmendem Maß biotechnologisch genutzt. Unabhängig
davon, wie die mikrobiellen Umsetzungen ablaufen, hat
sich dafür in der industriellen Mikrobiologie der Begriff
„Fermentation“ durchgesetzt, der eigentlich gleichbedeutend mit Gärung ist. Ebenso werden die Rührgefäße,
in denen über mikrobielle Verfahren Produkte hergestellt
werden, allgemein als Fermenter bezeichnet.
13.3 Milchsäuregärung
Als Milchsäurebakterien werden Bakterien bezeichnet,
die verschiedene Zucker zu Milchsäure (Lactat) als
Hauptprodukt vergären. Der wichtigste Prozess für die
Praxis ist die Vergärung von Milchzucker (Lactose), der
zu 100–250 mM (4–8 %) in der Milch von Säugern vorkommt. Die enzymatische Spaltung dieses Disaccharids
in die zwei Zuckerbestandteile D-Glucose und D-Galactose wird durch die β-Galactosidase katalysiert, die charakteristisch für lactoseverwertende Mikroorganismen ist.
Lactose + H2O → D-Glucose + D-Galactose
(ΔG0’ = –33 kJ mol–1)
Die Galactose wird zunächst über Galactose-1-phosphat und UDP-Galactose zu den entsprechenden Glucosederivaten umgewandelt (am C 4-Atom epimerisiert). Glucose-6-phosphat wird dann zu Milchsäure vergoren.
13.3.1 Milchsäurebakterien
Die Milchsäurebakterien gehören entweder zur Ordnung
Lactobacillales (Firmicutes) oder zur Gattung Bifidobacterium (Actinobacteria). Die Phylogenie der wichtigsten
Gattungen ist in ▶ Abb. 13.4 dargestellt. Die Lactobacillales umfassen stäbchenförmige Lactobacillus-Arten und
kokkenförmige Gattungen wie Enterococcus, Streptococcus und Leuconostoc. Milchsäurebakterien sind grampositiv, bilden keine Sporen und sind meist unbeweglich.
Bakterien, die Lactat nur als begleitendes Gärungsneben-
Streptococcus
Lactococcus
Enterococcus
Carnobacterium
Firmicutes
Lactobacillus
Leuconostoc
Oenococcus
Bifidobacterium (Actinobacteria)
Abb. 13.4 Stammbaum der Lactobacillales.
produkt ausscheiden (z. B. Enterobacteriaceae), werden
nicht zu den Milchsäurebakterien gezählt.
Milchsäurebakterien sind obligate Gärer und auf Zucker als Substrate angewiesen (Plus 13.4). Sie enthalten in
der Regel keine Hämine (damit auch keine Cytochrome)
und mit wenigen Ausnahmen keine Katalasen (Hämoder Mn-Typ), aber mit Häm im Medium werden oft Peroxidasen gebildet. Die meisten Arten sind aerotolerant,
d. h. sie wachsen in Gegenwart von Luftsauerstoff, können
aber keine Atmung betreiben. Diese Fähigkeit zum
Wachstum auf Zuckern unter oxischen Bedingungen
bei gleichzeitiger Abwesenheit von Katalase ist ein gutes
diagnostisches Kriterium. Milchsäurebakterien vergären
Zucker rasch und säuern das Medium dabei stark an (pKa
der Milchsäure = 3,7). Der entstehende geringe pH-Wert
verhindert das Wachstum schädlicher Bakterien, die mit
den Milchsäurebakterien um die Zucker konkurrieren
könnten.
Die Milchsäurebakterien werden nach ihren Gärungsprodukten in zwei Gruppen eingeteilt: Die homofermentativen vergären Glucose zu zwei Molekülen Milchsäure
als einzigem Produkt, während die heterofermentativen
je ein Molekül Milchsäure, Ethanol und CO2 pro Glucose
produzieren. Diese althergebrachte Gruppierung spiegelt
physiologische Unterschiede in der Biochemie der Gärungswege bei den beiden Gruppen wider, korreliert aber
nicht mit der Phylogenie.
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Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase:
▶ Vorkommen der Milchsäurebakterien. Wegen ihrer
hohen Nährstoffansprüche und der Energiegewinnung
durch Gärung findet man Milchsäurebakterien bevorzugt
an Standorten mit reichem Substratangebot bei gleichzeitigem Mangel an Sauerstoff. Sie kommen üblicherweise
nicht frei im Boden oder Wasser vor. Die Wachstumsbedürfnisse von Milchsäurebakterien und ihre Kultivierungsbedingungen ergeben sich aus ihren natürlichen
Standorten. Typische Standorte sind Milch und Milchprodukte mit Lactose als C-Quelle (Lactobacillus lactis, L. acidophilus, L. bulgaricus, L. helveticus, L. casei, L. fermentum,
Lactococcus lactis, Streptococcus thermophilus). Die Milch
der Säugetiere wird im Körper zunächst steril gebildet
und erst sekundär von Bakterien besiedelt, die z. B. bei
Kühen an den Drüsengängen der Euter vorkommen.
Milchsäurebakterien wachsen auch in mazeriertem
415
Plus 13.4
Wachstumsbedürfnisse und Kultivierung von Milchsäurebakterien
Im Gegensatz zu vielen anderen freilebenden Mikroorganismen wachsen Milchsäurebakterien nicht auf reinen Mineralsalzmedien mit Glucose oder anderen Zuckern als Kohlenstoff- und Energiequelle. Die Anzuchtmedien für ihre Vermehrung müssen wegen der starken Säureproduktion gut
gepuffert sein. Eine gebräuchliche Methode ist der Zusatz
von aufgeschlämmtem Kalk (Calciumcarbonat) zum Nähragar („Kreideagar“): Neben seiner Pufferwirkung dient das
Calciumcarbonat dabei auch als Indikator für säurebildende
Bakterien; diese erkennt man an der Bildung durchsichtiger
Höfe um die Kolonien infolge der Auflösung des Calciumcarbonats.
Die meisten Arten benötigen zusätzlich Vitamine, einige
auch Aminosäuren oder Nukleotidbasen als Supplemente.
Man kultiviert sie deshalb meist auf komplexen Nährböden,
denen Hefeextrakt, Molke, Fruchtsäfte oder sogar Blut zugesetzt wird. In Gegenwart von Häminen (z. B. aus dem Hämoglobin des Bluts) bilden viele Milchsäurebakterien Cytochrome und Peroxidasen, die in eingeschränktem Maß Reaktionen mit Sauerstoff erlauben. Eine de novo-Porphyrinsynthese ist jedoch von keiner Art bekannt.
Plus 13.5
Besiedlung des Menschen durch Milchsäurebakterien
Milchsäurebakterien gehören auch als meist harmlose
Kommensalen zur normalen Flora von Darm, Haut und
Schleimhäuten von Mensch und Tier (Lactobacillus acidophilus, Bifidobacterium, Enterococcus faecalis, Streptococcus salivarius, S. bovis, S. pyogenes, S. pneumoniae). Ihre Anwesenheit auf den Schleimhäuten des Mundes oder der Geschlechtsorgane verhindert die Ansiedlung oder übermäßige Zunahme von anderen, eventuell pathogenen Mikro-
Pflanzenmaterial, z. B. Sauerkraut oder Silage (Lactobacillus plantarum, L. delbrückii, L. fermentum, L. brevis, Leuconostoc mesenteroides). Dieses Substrat ist reich an verschiedenen Zuckern (auch vielen Pentosen) und hat wegen der Zerstörung der sauren Vakuolen der Pflanzenzellen bereits einen sauren pH-Wert. Schließlich sind die
Schleimhäute von Mensch und Tier von Milchsäurebakterien besiedelt (Plus 13.5).
13.3.2 Homofermentative Milchsäuregärung
Bei der homofermentativen Milchsäuregärung wird aus
Glucose und anderen C6-Zuckern reines Lactat (> 90 %)
416
●V
Der Supplementbedarf der Milchsäurebakterien ist vermutlich die Folge ihrer Anpassung an nährstoff- und vitaminreiche Standorte wie Milch, Darm oder Pflanzenmaterial. Milchsäurebakterien haben im Lauf der Evolution die Fähigkeit verloren, bestimmte Zellbausteine selbst zu synthetisieren. Einige Stämme setzt man sogar zur biologischen
Bestimmung von Vitaminkonzentrationen ein.
Viele Milchsäurebakterien haben breite Zuckerabbauspektren, verfügen also über mehrere Gensätze für die jeweiligen Transportsysteme und katabolen Enzyme. Da die
meisten praxisrelevanten Arten aus Milchprodukten stammen, ist die Fähigkeit zur Vergärung von Milchzucker
(Lactose) dabei besonders wichtig.
Die Anreicherung von Milchsäurebakterien ist leicht, da
sie sich in geeigneten Medien durch die Bildung von hohen
Milchsäurekonzentrationen (bis 100 mM) und ihrer Säuretoleranz (bis pH = 3–4) rasch durchsetzen. Sie dominieren
in der Regel in den primären Bakterienpopulationen nach
Einsetzen von Gärungsprozessen in nährstoffreichen Habitaten. Natürliche Anreicherungen finden sich in Sauermilch
und anderen Milchprodukten, Sauerteig, Sauerkraut, Silage
und an vielen ähnlichen Standorten.
●V
organismen. Die Ansäuerung durch Milchsäurebildung
hemmt das Wachstum der meisten Pathogene. Wird dieser
natürliche bakterielle „Schutzschild“ der Haut gestört, z. B.
durch eine Antibiotikabehandlung, so besteht eine erhöhte
Infektionsgefahr durch pathogene Mikroorganismen, die
sonst in Schach gehalten werden (z. B. Soor durch die Hefe
Candida albicans, Fußpilz). Die Verwertung von Lactose
durch einige Arten (z. B. Enterococcus faecalis) ist als spezifische Anpassung an die Standortbedingungen des Säugerdarms zu sehen.
produziert. Glucose wird über die Glykolyse abgebaut,
das entstehende NADH aus der Reaktion der Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase wird durch Reduktion
von Pyruvat zu Lactat reoxidiert (katalysiert von LactatDehydrogenase; ▶ Abb. 13.5). Hexosen werden unter Bildung von 2 ATP zu 2 Lactat vergoren. Je nach Stereospezifität der Lactat-Dehydrogenase(n) bzw. der Anwesenheit
einer Lactat-Racemase wird entweder L(+)- oder D(–)Milchsäure oder eine Mischung von beiden Stereoisomeren (DL-Lactat) produziert. Neben Lactat werden durch
homofermentative Milchsäurebakterien kleine Mengen
an Acetat, Acetoin und Diacetyl (Butteraroma) gebildet.
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Mikrobielle Gärungen
13.3 Milchsäuregärung
2 ADP + 2 Pi
2 ATP
2 Lactat
+
2 NAD
Lactat-Dehydrogenase
2 NADH
2 Pyruvat
Abb. 13.5 Homofermentative Milchsäuregärung. Pyruvat als
Endprodukt der Glykolyse wird durch die Lactat-Dehydrogenase
vollständig zu D- oder L-Lactat reduziert. Energieausbeute:
2 ATP/Glucose.
13.3.3 Heterofermentative Milchsäuregärung
Bei den heterofermentativen Milchsäuregärern verläuft
der Zuckerstoffwechsel nicht über die Glykolyse; die
Schlüsselenzyme Fructose-1,6-bisphosphat-Aldolase und
Triosephosphat-Isomerase fehlen. Die heterofermentative
Vergärung von Glucose stellt eine Anpassung an die Verwertung von Hexosen für solche Milchsäurebakterien
dar, die eher auf Pentosen als Substrate spezialisiert sind
(z. B. Xylose, Ribose, Arabinose). Diese stammen aus dem
Abbau der Zwischenzellwände von Pflanzen (Hemicellulosen). Die heterofermentative Milchsäuregärung wird
deshalb auch in vielen ansonsten homofermentativen
Pentose
Glucose
ATP
ATP
ADP
ADP
Glucose-6–PP
Pentose-1–PP
Glucose-6-phosphatDehydrogenase
Ethanol
NADP+
NAD+
NADPH
NADH
6– P –Gluconat
6-PhosphogluconatDehydrogenase
CO2
NADP+
NAD+
NADPH
NADH
Epimerase
O2
NAD+
NADH
H2O2
HSCoA
Pi H2O
Xylulose-5–PP
AlkoholDehydrogenase
Acetaldehyd
Ribulose-5–PP
Isomerase
NADH
Milchsäurebakterien (z. B. Lactobacillus plantarum oder L.
casei) bei Vergärung von Pentosen induziert, wobei Glucose homofermentativ vergoren wird.
Pentosen werden über Xylulose-5-phosphat vergoren.
Dieses wird durch Phosphoketolase, das Schlüsselenzym
der heterofermentativen Milchsäuregärung, mit Phosphat
(phosphorolytisch) zu Acetylphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten (▶ Abb. 13.6). Die Reaktion
der Phosphoketolase erfolgt dabei über ein kovalentes
Addukt an einem Thiamindiphosphatcofaktor im aktiven
Zentrum (▶ Abb. 13.7). Glycerinaldehyd-3-phosphat wird
wie in der Glykolyse weiter zu Pyruvat oxidiert (unter Bildung von 1 ATP), das anschließend zu Lactat reduziert
wird. Acetylphosphat wird durch die Acetat-Kinase zu
Acetat umgesetzt, wobei ebenfalls ATP gebildet wird. Pentosen werden also unter Bildung von 2 ATP zu 1 Lactat
und 1 Acetat vergoren (▶ Abb. 13.6).
Hexosen werden über die Reaktionen des Pentosephosphatwegs (S. 267) zuerst zu Ribulose-5-phosphat
und CO2 oxidiert, wobei zwei NADPH gebildet werden.
Ribulose-5-phosphat wird durch eine Epimerase in Xylulose-5-phosphat überführt. Dieser C5-Zucker wird dann
wieder, wie bereits beschrieben, von der Phosphoketolase
umgesetzt. Das gebildete Acetylphosphat muss jedoch
hier über Acetyl-CoA und Acetaldehyd zu Ethanol reduziert werden, um die 2 NAD(P)H zu reoxidieren, die bei
der Oxidation der Hexosen zu Pentosephosphat angefallen sind. Deshalb steht Acetylphosphat nicht für die ATPSynthese zur Verfügung und die Energieausbeute der Vergärung von Hexosen zu Milchsäure, Ethanol und CO2 be-
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Glucose
Abb. 13.6 Heterofermentative Milchsäuregärung. Bei der heterofermentativen
Milchsäuregärung entstehen Lactat, Acetat,
Ethanol und CO2. Rote Pfeile zeigen spezifische Reaktionen des Pentose-, grüne Pfeile
des Hexoseabbaus. Gezeigt ist auch die
Option vieler Arten zum Abbau geringer
Mengen NADH durch Oxidasen und Peroxidasen. Energieausbeute: 1 ATP/Glucose,
aber 2 ATP/Pentose.
Acetyl-CoAReduktase
HSCoA
Pi
Acetyl–PP
Acetyl
SCoA
Acetat
Phosphoketolase
ADP
ATP
Lactat
NAD+
LactatDehydrogenase
+
NAD
2 H2O
NADH
Glycerinaldehyd-3–PP
2 ADP + 2 Pi
Pyruvat
2 ATP
417
Mikrobielle Gärungen
TPP
H2C
C
HO
OH
S
O
CH
HC
H2C
N R
R'
CH 3
OH
O
P
Glycerinaldehyd3-phosphat
H2C
OH
H2C
HC
OH
C
N R
S
R'
CH 3
S
H2O
R'
Dihydroxyethyl-TPP
H3C
H3C
OH
C
N R
R'
Hydroxyvinyl-TPP
O
O
C
Acetylphosphat
N R
S
CH 3
P
Pi
TPP
N R
S
CH 3
Acetyl-TPP
R'
CH 3
Abb. 13.7 Reaktion der Phosphoketolase. TPP Thiamindiphosphat (häufig auch als Thiaminpyrophosphat bezeichnet).
●V
Plus 13.6
Alternative NAD+-regenerierende Reaktionen
Einige Arten heterofermentativer Milchsäurebakterien
oxidieren einen Teil des NADH durch Reduktion von Glucose oder Fructose zu Mannit, das als weiteres Gärungsprodukt ausgeschieden wird, oder durch Oxidation von
NADH mit Sauerstoff über Peroxidasen. Diese alternativen NAD+-regenerierenden Reaktionen erlauben die Konservierung von mehr Energie (bezogen auf vergorenen
Zucker), da pro zwei oxidierten NADH ein Acetylphosphat eingespart wird, mit dem durch die Acetat-KinaseReaktion ein ATP gebildet werden kann.
13.3.4 Bifidobacterium-Gärung
Bifidobacterium, das nach seiner ungewöhnlichen Y-förmigen Zellform benannt ist (lat. bifidus, zweigespalten),
nimmt auch phylogenetisch eine Sonderstellung unter
den Milchsäurebakterien ein. Es ist nicht näher verwandt
mit den anderen Milchsäurebakterien, sondern gehört
zum zweiten großen Phylum grampositiver Bakterien,
den Actinobakterien. Bifidobacterium bifidum ist im Gegensatz zu den sonstigen aerotoleranten Arten strikt anaerob und wächst nur mit CO2-angereichertem Medium.
Bifidobacterium gehört zu den Erstbesiedlern des Darms
von Säuglingen und trägt so zum Schutz vor Infektionen
bei. Die Zellen besitzen weder eine FructosebisphosphatAldolase als Schlüsselenzym der Glykolyse, noch die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, welche die heterofermentative Milchsäuregärung einleitet. Stattdessen verläuft die Gärung dieser Bakterien über einen eigenständigen Stoffwechselweg, der Lactat und Acetat als Endprodukte liefert (Plus 13.7).
●V
Plus 13.7
Biochemie der Bifidobacterium-Gärung
Das Schlüsselenzym der Bifidobacterium-Gärung ist eine
Phosphoketolase, die im Gegensatz zum analogen Enzym
der heterofermentativen Milchsäuregärung nicht nur Xylulose-5-phosphat, sondern auch Fructose-6-phosphat umsetzt. Aus letzterem entstehen dabei Acetylphosphat und
Erythrose-4-phosphat (C4). Der C4-Zucker wird dann durch
die Enzyme des Pentosephosphatzyklus, Transketolase und
Transaldolase, mit einem weiteren Molekül Fructose-6phosphat (C6) zu zwei C5-Zuckern (Xylulose-5-phosphat)
umgesetzt. Xylulose-5-phosphat wird durch die Phosphoketolase zu Acetylphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten, wie bei der heterofermentativen Milchsäuregärung (▶ Abb. 13.8). Insgesamt setzt Bifidobacterium 2
Glucose zu 2 Milchsäure und 3 Acetat um und bildet dabei
5 ATP.
2 Glucose
4 ADP + 2 Pi
2 ATP
2 ADP
2 Fructose-6– P (C6)
Pi
Phosphoketolase
H2O
Acetyl– P
H2O
2 Xylulose-5– P (C5)
C7
2 NADH
Pi
C3
Phosphoketolase
2 NAD+
Transketolase
C4
ATP
Abb. 13.8 Bifidobacterium-Gärung. Energieausbeute: 2,5 ATP/Glucose.
418
2 Pyruvat
2 Glycerinaldehyd-3– P
Transaldolase
ADP
Acetat
4 ATP
2 Lactat
2 Acetyl– P
2 ADP
2 ATP
LactatDehydrogenase
Acetat-Kinase
2 Acetat
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trägt nur 1 ATP. Einige Arten nutzen allerdings auch andere Möglichkeiten der NAD+-Regeneration und verbessern dadurch ihre Energiebilanz (Plus 13.6).
13.3 Milchsäuregärung
13.3.5 Praktische Bedeutung der
Milchsäurebakterien
Milchprodukte
Hier spielen Milchsäurebakterien als Säure- und Geschmacksstoffbildner für eine Vielzahl von wichtigen Lebensmitteln eine entscheidende Rolle (▶ Abb. 13.9). Es ist
heute gängige Praxis, sterilisierte oder teilentkeimte (pasteurisierte) Milch mit definierten Starterkulturen zu versetzen. Über verschiedene Milchprodukte gibt Plus 13.8
Auskunft.
Plus 13.8
Starterkulturen in der Milchwirtschaft
●V
Eine typische Starterkultur für Dickmilch oder Sauerrahmbutter enthält z. B. Stämme von Lactococcus lactis
und Leuconostoc cremoris, die für die Säuerung und die
Bildung des Butteraromas (Diacetyl) sorgen. Dickmilch,
Sauerrahm oder Buttermilch werden mit Kulturen der
oben genannten mesophilen Milchsäurebakterien hergestellt. Dagegen besteht die „klassische“ Joghurtkultur
aus den thermophilen Arten Lactobacillus bulgaricus und
Streptococcus thermophilus, die Milchzucker bei 43–45 °C
bereits nach wenigen Stunden vergären. Daneben wird
heute eine Vielzahl weiterer verwandter Produkte angeboten, wie verschiedene Arten von leicht bekömmlichen
Joghurten und ähnlichen Sauermilcherzeugnissen, die
meist mit Kulturen von Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus casei oder Bifidobakterien gesäuert sind. Da alle diese Arten zur normalen menschlichen Darmflora gehören,
schreibt man diesen Produkten eine gesundheitsfördernde, „probiotische“ Wirkung zu. Weitere Sauermilchspezialitäten sind Kefir und Koumiss, die aus Milch von verschiedenen Nutztieren durch eine gemischte Milchsäureund alkoholische Gärung hergestellt werden. Typische
Kefirkulturen bestehen aus Hefen und diversen Milchsäurebakterien-Arten der Gattungen Lactobacillus, Streptococcus und Leuconostoc, Koumisskulturen enthalten normalerweise Lactobacillus bulgaricus und Torula-Hefen.
Abb. 13.9 Vergorene Milchprodukte, Butter und Frischkäsesorten. (fotolia/tycoon101)
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Milchsäurebakterien setzen sich in der Natur als Erstbesiedler von zuckerhaltigen Substraten mit komplexen
Stickstoffquellen und Supplementen unter Luftabschluss
durch. Die rasche Ansäuerung durch Milchsäure (pH < 5)
hemmt das Wachstum vieler anderer anaerober Bakterien und wird für die Konservierung verderblicher Lebensmittel genutzt. Zudem ist die Geschmacksveränderung durch die Gärung erwünscht. Die Art der Milchsäurebakterien, die sich jeweils durchsetzt, ist u. a. von der
Ausgangsflora im Substrat und der Umgebungstemperatur (ca. 10–45 °C) abhängig. Die Milchsäuregärung wird
auch zur industriellen Herstellung von enantiomerenreiner D- oder L-Milchsäure aus zuckerhaltigen Substraten (Melasse, Glucosesirup, Sulfitablauge) eingesetzt; die
Wahl des Organismus bestimmt dabei das erhaltene Enantiomer.
Käse
Bei der Herstellung von Quark bzw. Sauermilchkäse koaguliert infolge der Ansäuerung durch Milchsäuregärung das Milcheiweiß Casein zum festen Käsebruch
(Dicklegung der Milch). Zusätzlich wird für viele Schnittund Hartkäsearten beim Start der Milchsäuregärung noch
Labferment (Chymosin, Rennin) zugesetzt, das durch
proteolytische Abspaltung eines hydrophilen Fragments
des Caseins zur besseren Proteinausfällung beiträgt. Je
nach Käsesorte wird mit mesophilen (20–30 °C) oder
thermophilen Milchsäurebakterienkulturen (32–45 °C)
gearbeitet. Erstere enthalten z. B. Lactococcus lactis oder
Leuconostoc cremoris, letztere Streptococcus thermophilus,
Lactobacillus bulgaricus oder Lactobacillus helveticus. Der
Käsebruch wird mit einer Käseharfe in verschieden große
Stücke geschnitten, dann wird die Masse gerührt, erhitzt
und entwässert. Je nach Aufbereitungsmethode und den
Mengen der dabei austretenden Molke bekommt man zunächst Frischkäse verschiedener Konsistenz (z. B. Quark
oder Hüttenkäse), dann auch reife Käsesorten mit unterschiedlichem Charakter. Zur Käseherstellung wird Frischkäse in Formen gepresst, gesalzen und zur weiteren Reifung gelagert (▶ Abb. 13.10). Dabei sind je nach Sorte
weitere Mikroorganismen beteiligt, z. B. Propionsäurebakterien (Schweizer Käse), Brevibacterium-Arten und
Hefen („Rotschmierekulturen“, z. B. beim Limburger) oder
Schimmelpilze (Camembert oder Roquefort), die für die
großen Unterschiede der Käsesorten verantwortlich sind
(▶ Abb. 13.11).
Weitere Lebensmittel
Sauerteig wird als Triebmittel und Quellungsmittel beim
Backen von Brot (besonders Roggenteig) verwendet. Die
Sauerteiggärung ist entscheidend an der Ausprägung vieler Geschmacksstoffe des Brotes beteiligt. Die typische
Sauerteigflora besteht aus verschiedenen Milchsäurebakterien (Lactobacillus plantarum, L. brevis, L. fermentum) zusammen mit Hefen (Gattungen Saccharomyces,
Torulopsis, Candida).
419
durch Vergärung des Glykogens des Fleisches gebildet.
Neben Milchsäurebakterien (Lactobacillus-Arten) sind
hier auch Micrococcus- und Staphylococcus-Arten und in
einigen Fällen Schimmelpilze der Gattung Penicillium
(weißer Belag der Außenseite) beteiligt.
Fermentierte Gemüse wie Sauerkraut, Salzgurken, Oliven und vieles mehr werden durch Milchsäuregärung
haltbar gemacht. Die Gärung erfolgt in der Regel durch
die Bakterienflora, die bereits auf dem geernteten Pflanzenmaterial vorhanden ist. Um die Entwicklung von
Milchsäurebakterien zu begünstigen, wird zum Gemüse
Salz (meist 2–3 % NaCl) zugesetzt, das die Entwicklung
von Fäulnisbakterien hemmt. In der Anfangsphase werden die Gärungsprozesse hierbei meist von heterofermentativen Leuconostoc-Arten dominiert, danach übernehmen säureresistentere homofermentative Arten wie
Lactobacillus plantarum.
Genussmittel wie Kaffee- und Kakaobohnen oder die
asiatische Sojasauce werden durch komplexe Fermentationsprozesse hergestellt. Milchsäurebakterien tragen hier
zur erwünschten Reifung der Produkte bei, wobei allerdings andere Bakterien und Pilze die Hauptrolle spielen.
Silage
Abb. 13.10 Käseherstellung. Käselaibe werden in Salzlake
getaucht und während der Reifung in Regalen zur Konservierung immer wieder mit Salz eingerieben. (fotolia/contrastwerkstatt)
Silage ist durch natürliche Milchsäuregärung haltbar gemachtes Viehfutter. Frisches oder angewelktes Pflanzenmaterial wie Gras, Klee, Mais, Getreide oder Rübenblätter
wird gehäckselt und in Silobehälter oder Foliensilos fest
eingepresst, dann wird der Behälter verschlossen und die
Gärung beginnt. Um Fehlgärungen zu vermeiden, z. B.
übermäßige Entwicklung von Buttersäure durch Clostridien, werden oft Zusätze beigemengt, welche die Entwicklung von säuretoleranten Milchsäurebakterien begünstigen (organische oder anorganische Säuren oder
leicht vergärbare Melasse). Nachdem die obligat und fakultativ aeroben Keime den Sauerstoff im Silagegut verbraucht haben, entstehen optimale Wachstumsbedingungen für die Milchsäurebakterien, obwohl diese zunächst
nur einen sehr kleinen Anteil der epiphytischen (auf der
Futterpflanze natürlich vorkommenden) Mikroflora ausmachen. In der Silage finden sich nebeneinander homound heterofermentative Arten der Gattungen Lactobacillus, Streptococcus und Leuconostoc.
13.3.6 Medizinische Bedeutung von
Milchsäurebakterien
Abb. 13.11 Verschiedene Käsesorten. (fotolia/fotocrew)
Rohwurst in verschiedenen Sorten (z. B. Salami) wird
durch Milchsäuregärung und die dadurch erzielte Ansäuerung haltbar gemacht. Die Milchsäure wird dabei
420
Milchsäurebakterien sind ein wesentlicher Teil der normalen Bakterienflora von Mensch und Tier (S. 643), die
für die Gesunderhaltung wichtig ist. Die Ansäuerung
nach Besiedlung der Schleimhäute schützt vor Invasion
durch pathogene Bakterien. Beispiele dafür sind die Besiedlung des Säuglingsdarms durch Bifidobacterium oder
der Vagina der Frau durch Lactobacillus acidophilus. Einige
Milchsäurebakterien, z. B. Streptococcus mutans oder
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Mikrobielle Gärungen
13.4 Ethanolgärung
den durch die seit fast 100 Jahren verpflichtende Milchpasteurisierung weit zurückgedrängt.
13.4 Ethanolgärung
Ethanol ist ein Gärungsprodukt vieler Mikroorganismen.
Viele Hefen und einige Bakterien produzieren Ethanol sogar als einziges Endprodukt der Zuckervergärung (zusammen mit CO2). Für die Praxis sind die Stämme der Hefe Saccharomyces cerevisiae („Zuckerpilz des Bieres“) am
wichtigsten. Die alkoholgärenden Hefen sind fakultativ
anaerob, bestreiten also ihren Energiestoffwechsel über
aerobe Atmung, solange Sauerstoff vorhanden ist, und
wechseln bei Luftabschluss zur Vergärung von Zuckern.
Unter den Bakterien sind nur wenige Arten als reine Alkoholgärer bekannt, die dann in der Regel strikt anaerob
sind (z. B. Zymomonas mobilis). Studien zur alkoholischen
Gärung haben wesentlich zum Verständnis des Stoffwechsels und der Begründung der Biochemie als Wissenschaft beigetragen (Plus 13.9).
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Streptococcus salivarius, besiedeln als Teil eines komplexen Biofilms die Zähne und verursachen Karies durch die
Bildung von Milchsäure aus Zuckern (▶ Abb. 13.12). Auslöser ist der übermäßige Verzehr von Saccharose (Rohroder Rübenzucker). Die Kariesstreptokokken vergären jeweils nur einen der beiden Zuckerbausteine des Disaccharids Saccharose (Glucose oder Fructose); den anderen setzen sie zu polymeren Dextranen (Polyglucosen)
bzw. Laevanen (Polyfructosen) um. Diese extrazellulären
Polysaccharide vermitteln eine besonders gute Haftung
der Zellen an den Zahnoberflächen (Plaque). Weitere Pathogene unter den Milchsäurebakterien sind die hämolytischen Vertreter der Gattung Streptococcus, z. B. Sc.
pyogenes, die u. a. Rachenentzündungen und Scharlach
auslösen können (▶ Abb. 13.13). Diese Arten kommen
aber in der Natur wesentlich seltener vor als die verwandten nichtpathogenen Milchsäurebakterien und wur-
●V
Plus 13.9
Ethanolgärung und Wissenschaftsgeschichte
Abb. 13.12 Krankheitsbild der Karies. Milchsäuregärung durch
Zahnbelagbakterien (z. B. Streptococcus mutans; S. salivarius)
führt zur Bildung von Löchern im Zahnschmelz. (aus Gängler
et al., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie,
Thieme, 2010.)
Am Beispiel der alkoholischen Gärung wies L. Pasteur um
1860 nach, dass Hefen für die Alkoholbildung aus Zucker
verantwortlich sind, und erkannte, dass Zucker bei der
Gärung schneller umgesetzt wird als unter aeroben Bedingungen. Dieser Befund zeigte die Regulation des
Energiestoffwechsels durch Sauerstoff als terminalem
Elektronenakzeptor auf und wurde als Pasteur-Effekt zu
einem mikrobiologischen Grundprinzip (Plus 13.10).
1896 beobachteten E. Buchner und M. Hahn, dass Zucker auch im zellfreien Extrakt von zerriebenen Bierhefen
noch zu Alkohol und CO2 vergoren wird; dies wird heute
als Geburtsstunde der Biochemie angesehen. Ebenfalls
an Hefepresssaft entdeckten A. Harden und W. Young
(1906), dass für die ersten Schritte der Glucosevergärung
anorganisches Phosphat notwendig ist und identifizierten Fructose-1,6-bisphosphat als frühes Zwischenprodukt der Glykolyse.
13.4.1 Biochemie der Ethanolbildung
Die Vergärung von Glucose zu Ethanol folgt der Gleichung:
C6H12O6 → 2 CO2 + 2 C2H5OH
Abb. 13.13 Krankheitsbild von Scharlach. Charakteristische
„Erdbeerzunge“ als Symptom einer Infektion mit Streptococcus
pyogenes. (aus Gortner et al., Duale Reihe Pädiatrie, Thieme,
2012)
(ΔG0’ = –218 kJ mol–1)
Hefen oxidieren Glucose zunächst über die Glykolyse
zu 2 Pyruvat. Dabei werden pro Glucose 2 ATP gebildet
und 2 NAD+ zu NADH reduziert. Ethanol wird in zwei enzymatischen Schritten aus Pyruvat gebildet: die zwei Moleküle Pyruvat werden zunächst durch die Pyruvat-De-
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