Standesange1egenheiten.

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30. Juni1922
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DEUTSCHE MEDIZINISCHE WÖCHENSCHRIFT
Schadloshaltung zu wegen der durch die Erkrankung verursachten
wirtschaftlichen Nachteile. Das Krankengeld soll den Verdienstausfall teilweise ersetzen und dem Erkrankten die zur Wiedererlangung
seiner Arbeitskraft nötige Schonung ermöglichen. Der Versicherte
kann nicht gleichzeitig Krankenhilfe beanspruchen und sich durch
Weiterarbeiten der Gefahr einer Verschlechterung seiñes Zustandes
aussetzen. Arbeitsunfähigkeit allein begründet noch nicht das Recht
des Versicherten auf Krankengeld; weitere Voraussefzung ist der
Wegfall des aus der gewohnten Erweibstätigkeit bisher bezogenen
Lohnes; geht trotz Arbeitsunfähigkeit kein Lohn verloren, so entfällt der Grund für die Ersatzleistung und damit auch der Anspruch
auf sie. Da das Krankengeld keinen vpllen Ausgleich für den Wegfall des Arbeitsverdienstes gewährt, darf der Versicherte allerdings
zum Krankengeld etwas hinzuverdienen. Uebt er aber seine volle
Berufstätigkeit mit ihren Anstrengungen und Gesundheítsgefährdungen gegen vollen Lohn wie ein Gesunder aus, so tritt trOtz der
bestehenden Arbeitsunfähigkeit der wirtschaftliche Schaden, gegen
den versichert ist, nicht ein, und es entfällt der Anspruch auf
Krankengeld. Der auf Kosten der Kasse unter Verschweigung der
lohnenden Beschäftigung
rechtswidrig.
erstrebte Vermögensvotteil
war
daher
Es wurde die Frage aúfgeworfen, ob reinem Kassenarzt, der
der getroffenen Vereinbarung zuwider von dem Versicherten sich
Sonderhonorar bezahlen läßt, nach § 626 BUB. fristlos gekündigt
werden kann. Die Frage wird zu bejahen sein. In dem Verhalten.
des Arztes liegt ein Vertrauensbruch der Kasse gegenüber und eine
befürchten, daß er Kassenkranke, die nicht ein besonderes Honorar
bezahlen, minder sorgfältig behandelt. Sonach liegt ein wichtiger
Kündigungsgrund im Sinne des § 626 BOB. vor.
Im 3. Hefte des 14. Bandes der Veröffentlichungen aus dem
der Medizinalverwaltung behandelt Prof. Dr. l-1 u b ri e r
(Bonn) die Entmündigung wegen Qeisteskrankheil , Ueistesschwäche
und Trunksucht. Die Schrift enthält für den ärztlichen Praktiker wie
Gebiete
für den Entmündigungsrichter so viel Wissenswertes, daß es sich
empfiehlt, auf ihren Ihalt in der gebotenen Kürze einzugehen.
Abgesehen von den wertvollen praktischen Winken, die H ü b n e r
dem Arzt und dein Richter gibt, untersucht und beantwortet er
gleichzeitig die wiederholt aufgeworfene Frage, ob unser Entmündigungsrecht so ist, daß der Hilfsbedürftige Schutz findet, und
anderseits die Einrichtung der Entmündigung nicht dazu benutzt
werden kann, Menschen, die in der Familie oder in der Oeffentlichkeit unangenehm aufgefallen oder unbequem geworden sind, zu
Unrecht mundtot zu machen. Aus langjähriger Erfah'rung heraus
Standesange1egenheiten.
Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis.
Von Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer in Leipzig.
(Schluß aus Nr. 25.)
In
der Deutschen Aligem
Zeitung vom 16 XII 1921 finden
interessante Ausführungen von Oeh-Rat Schwatbe. über
Richter und Sachversthndige. Anknüpfend an einen kurz vorher in
sich
dem gleichen Blatte erschienenen Aufsatz des Amtsgerichtsrats. Dr.
Kleemann, vertritt Schwalbe ebenso wie Kleemann die An-
schauung, daß es verfehlt sei, in der Frage, ob eine Schrift, eiu
Theaterstück (z. B. der Reigen) unzüchtig sei, Künstlern pnd Kunstkritikern als Sachverständigen eine ausschlaggebende Rolle vor Gericht einzuräumen. Er meint, gleich Kleemann, hier könne die
Entscheidung nur von der Oeffentlichkeit getroffen werden, Angehörige von Sonderberufen könnten eine Ausnahmestellung nicht
beanspruchen. Zur Entscheidung öffentlicher ethischer Fragen sei
allein die communis opinio, die öffentliche Meinung, berufen, als
deren Vertreter der Richter zu gelten habe, da er auf Grund seiner
Entwicklung der Durchschnittsschicht der in ethischen und ästhetischen Fragen urteilsfähigen Menschen angehört und nach seiner
richterlichen Erfahrung sogar ein besonders gut begründetes Recht
zum Urteilen für sich annehmen kann. Ich möchte mich der Anschauung Schwalbes und Kleemanns durchaus anschließen. Derartige, auf der Grenze stehen'tle Schriftwerke sind nicht für einen
engen Kreis von Schriftstellern, Literaturprofessoren oder Aesthetikern
bestimmt, für die vielleicht die dichterische Behandlung der grob
sinûlichen Vorgänge im Vordergrunde stehen mag, sondern für die
Allgemeinheit, und deshalb muß deren ethische Auffassung entscheiden und nicht diejenige eines engen Kreises von Menschen,
die derartige Kunstwerke" ganz anders ansehen als das Publikum,
dem sie vorgeführt werden. Wesentlich anders liegt, worauf
Schwalbe mit. Recht hinweist, die Sache dann, wenn es sich um
Streitfragen handelt, deren Beurteilung besondere Fachkenntnisse
voraussetzt, wie z. B. im Fa'le des § 54 StGB. Nier kann der
Richter den Sachverständigen nicht entbehren, und keinem vernünftigen Richter wird es einfallen, trotz Mangéls eigener Sachkunde
sich uber das fachmannisch begrundete Gutachten des Sachverstan
digen hinwegzusetzen.
Ein Urteil des Reichsgerichts voni 13. VI. 1919 (RGS±. 53, 272)
erkannte das Mitglied eifler Ortskrankenkasse des Betrugs schuldig,
weil es als wegen Krankheit arbeitsunfahg Krankengeld erhob,
obwohl es der Berufsarbeit weitér nachging. Dem Versicherten
stand für den Fall der Erkrankung ein Anspruch auf teilweise
bejaht Hübner die erstere Frage und verneint die zweite.
Aus
der eingangs gegebenen Statistik ist von Interesse, daß sich unter
den Entmündigten auffallend wenig Angehörige der gebildeten
Stände befinden. Am größten ist die Zahl der wegen progressiver
Paralyse und Dementia praecox Entmündigten.. Mit. Recht hebt
H u b n e r hervor, daß bei Stellung des Entmündigungsantrages stets
zunächst zu prüfen ist, ob die Entmündigung dem Patienten nützlich
ist, und verweist dabei auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung,
wonach die Entmündigung nicht voraussetzt, daß der Geisteskranke
keine einzige seiner Angelegenheiten zu besorgen vermöge, daß es
vielmehr genügt, wenn durch die Krankheit alle diejenigen Dinge
des Kranken geschädigt werden, also mangelhaft besorgt bleiben,
die die eigentliche Gesamtheit eines Menschen ausmachen : Gesundheit, Vermögen, bürgerliche Rechte, Ansehen der Person und der
mit ihr in nächster Verwandtschaft stehenden Personen. Hübner
führt sodann die Fälle an, in denen die Entmündigung nicht beanfragt werden soll; so, wenn lediglich oder vorwiegend eine Schädi-
gung anderer vermieden oder ohne Rücksicht auf die Fähigkeit
zur Besorgung seiner Angelegenheiten von dem zu Entniündigenden
selbst ein bestimmter Schaden abgewandt werden soll. H ü b n e r
weist zutreffend dafauf hin, daß vielfach die Pflegschaft ausreichen
wird, ohne daß es zur Entmündigung zu kommen braucht. Des
weitereñ legt er dar, wie die Vernehmung der zu Entmündigenden
zu erfolgen hat und was das darüber zu errichtende Protokoll ent-
halten soll. An der Hand gerichtlicher Entscheidungen erläutert er
sodann die Begriffe Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht,
Verschwendung. Der spezielle Tèil der H ü b n e r schen Schrift geht
auf die wichtigsten Krankheitszustäride ein, bei denen die Entmündigung in Betracht kommt: angeborener Schwachsinn, Psychopathien und Neurosen, Epilepsie, Alkohoipsychosen, Morphinismus
und verwandte Zustände, Paranoia chronica, Querulanten, manischdepressives Irresein, Dementia praecox, Alterserkrankungen, Herderkrankungen des Gehirns, Schädel- und Gehirnverletzungen, Ge-
hirnarterioskierose; organische Gehirnkrankheiten. Vorstehende kurze
Inhaltsangabe ergibt, daß die H ü b n e r sche Schrift sowohl dem Arzt
wie dem Juristen wertvolle Fingerzeige gibt für ihr Verhalten im
Entmündigungsverfahren.
Unser nervöses Zeitalter wird immer empfindlicher gegen störende tieráusche, und1 Polizei und Gericht sind berufen dagegen
Schutz zu gewähren. Daß sie sich dieser Aufgabe bewußt sind,
mogen einige Urteile beweisen Einem Hotelbesitzer in einem See
bade wurde verboten, vormittags vor 8 Uhr Knochen zerschlagen
zu lassen, da das dadurch entstehende Geräusch auf in der Nähe
wohnende, nervös empfindliche Personen gesundheitsschädlich wirkte
(Urteil des, Preuß. Oberverwaltungsger. y. 4. 1. 1915). Der Ober-
präsident hatte den Betrieb von Kreissägen in einem vorzugsweise
von geistig arbeitenden Personen bewohnten Villenviertel unter-
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gegen die guten Sitten verstoßende Handlung, überdies steht zu
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DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 26
sagt. Das Preuß. Oberverw.-Gericht hob mit Urteil vom 18. III. 1915
das Verbot auf, da nach Ansicht der Sachverständigen, der Betrieb
auf die Zeit von 9-12 Uhr vormittags, 4-6 Uhr nachmittags be-
schränkt, eine Gesundheitsschädigung durch ûbermäßiges Oeräusch
nicht hervorrufe. dèshalb eilte Untersagung schlechthin nicht gerechtfertigt erscheine. Vo,n Interesse sind in dem erwähnten Urteil
die Ausführungen; daß nach dem Preufi. Landrecht die Polizei in
sólchen Fällen nicht nur dann zum Einsçhreiten berechtigt und verpflichtet sei, wenn das Publikum im allgemeinen gestört würde,
sondern auch bei Störung einzelner Personen, und daß es ohne
Bedeutung sei, ob die durçh das Geräusch gestörten Personen 'sich
erst zu einer Zeit, als der lärmende Betrieb schon bestand, in dessen
Nähe angesiedelt haben. Weitere Urteile des Oberverwaltungsger.
vom 20. XII. 1915 und 3. II. 1916 bestätigten die aus dem Gesichtspunkte gesundheitsschädigenden Lärmes erlassenen Verbote, in einer
Wirtschaft länger als bis 10 Uhr nachts Kegel schieben und in einem
Kaffeehaus die Musikkapelle länger als bis 11 Uhr nachts spielen
zu lassen. Ein weiteres Urteil vom 22. III. 1917 präzisiert die Voraussetzungen, unter denen störeddes musakilisches Geräusch verboten werden kann, dahin, daß, wenn die Verhütung einer Gesunddurch
besondere Einrichtungen
möglich ist (Schall-
dämpfer usw.), auch nicht vorübergehend bis zur Herstellung dieser
-Einrichtungen ein völliges Verbot erlassen werden darf, ferner daß
Verbote nur zulässig sind, wenn durch die Schaliwirkung der Musik
eine wirkliche objektive Gefahr für die Gesundheit anderer herbeigeführt wird, nicht nur- eine subjektive, sei es auch erhebliche Belästigung, und daß 'die Polizei nicht befugt ist, Geräusche, welche
die Gesundheit nicht kranker Personen nicht gefährden, zu untersagen, weil sie erkrankte oder besonders nervöse Personen zu
sch.ädigen geeignet sind. Auch ein Urteil vom 23. 11919 geht
davon aüs, daß es für ein Verbot nicht genüge, wenn bei Tage
Annehmlichkeiten, wie Mittagsruhe, ungestörte Erholung nach der
Arbeit oder selbst das Ungestörtsein bei geistiger Arbeit durch
Musik usw. 'beeinträchtigt werde, daß aber in der fortgesetzten
Störung der Nachtruhe ohne weiteres eine Gefahr zu erblicken, sei,
wobei angenommen wird, daß die Nachtruhe um 10 Uhr nachts beginnt. Entgegen seiner früheren Praxis, 'die ein polizeiliches Verbot des Teppichkiopfens zu bestimmten Zeiten nur für Kurorte als
zulässig erachtete, nicht aber für Qroßstädte, hat das Kammergericht
im Urteil vom 19. IV. 1915 solche beschränkende Verordnungen auch
für Großberlin als rechtsgültig bezeichnet.
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