Die Zeitung des Ruhrgebiets Deutschlands größte Regionalzeitung WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE Zeitung fürALLGEMEINE Buer WESTDEUTSCHE Energie entsteht jetzt über Tage Nachhaltige Entwicklung im Schatten von Hugo 2 Seite 2 extra Mit dem Segway durch den Nordsternpark ... hat einen hohen Spaßfaktor und ist ökologisch korrekt Seite 8 Unabhängig · Überparteilich Freitag, 17. Juni Donnerstag, 22.2016 September 2012 | Nr. 160 / 40. Woche Kultur statt Kohle www.waz.de Auf den ehemaligen Zechenbrachen, mit dem Bewusstsein für das Vergangene, entsteht im Stadtnorden ein neues Lebensgefühl Mo.-Fr. 1,20 € | Sa. 1,40 € | EE EDITORIAL Von Friedhelm Pothoff Der Aha-Effekt ist garantiert W er sich täglich im Raum Buer bewegt, wird manchmal betriebsblind. Warum? Na, weil er die Angebote, die andere über die Maßen schätzen (würden), selbst gar nicht mehr als etwas Besonderes wahrnimmt. Eine ganz wichtige Aufgabe Ihrer WAZ-Redaktion, liebe Leserinnen und Leser, ist es daher, neben der kritischen Begleitung vieler Sachthemen, auch einen besonderen Blick zu haben für die lebens- und liebenswerten Seiten, die Buer bietet. Für das, was es wert ist, in Erinnerung gerufen zu werden. In dieser Beilage werden Sie mal wieder den berühmten Aha-Effekt erleben. Aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil Sie denken: Stimmt ja, das gibt es bei uns ja auch. Zum anderen, weil Sie auf Angebote treffen, die Sie einfach noch gar nicht kannten. Der Überraschungseffekt ist also garantiert. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Panoramseite. Da geht es um das Themen solidarische Landwirtschaft und wie sie funktioniert, da wo der Pott grüner kaum sein kann. In Resse. Dort werden Lebensmittel in der Gemeinschaft mit inzwischen 102 Genossen produziert. Unsere Kollegin Angelika Wölke porträtiert den Hof und das Prinzip, das dahinter steht. Außerdem ruft sie besondere Angebote in Erinnerung. Viel Freude beim Lesen! In Resse produzieren Stefanie und Martin Schulze Schleithoff ihre Lebensmittel auf einem alten Resthof ganz modern. FOTO: HEINRICH JUNG FESTE, DRITTE ZÄHNE AN EINEM TAG Info-Abend zu Sofortimplantaten jeweils mittwochs am 29. JUNI & 27. JULI von 19 bis 21 Uhr Wir sind für Sie da: Montag bis Freitag von 7 bis 21 Uhr www.dr-schlotmann.de | www.dritte-zaehne-an-einem-tag.de PRAXISKLINIK DR. SCHLOTMANN | Platz der Deutschen Einheit 8 46282 Dorsten | T: 02362/61900 | [email protected] IMMER DIE PERFEKTE LÖSUNG für gesunde, schöne Zähne – ein Leben lang! LANDWIRTSCHAFT IM WANDEL EXTRA Stefanie und Martin Schulze Schleithoff produzieren ihre Lebensmittel auf einem alten Resthof ganz modern: Alternativ – und in Gemeinschaft mit inzwischen 102 „Genossen“. Das Konzept nennt sich „Solawi“ – solidarische Landwirtschaft Von Angelika Wölke 1 Stefanie und Martin Schulze Schleithoff leben ihren Traum. 1997 haben Martins Eltern einen alten Resthof in Resse von der Stadt Gelsenkirchen gekauft und saniert. Seit 2013 bewirtschaften Stefanie und Martin Schulze Schleithoff den Hof. Zunächst landeten Tomaten, Gurken, Kartoffeln & Co nur auf den eigenen Tellern. Seit Januar 2016 produzieren sie ihre Lebensmittel ganz modern: alternativ – und in Gemeinschaft. 3 Einkaufen, wo erzeugt wird, das ist das Motto der Landfleischerei Winkelmann. Der konventionell geführte Betrieb hat sich spezialisiert auf die Bullen- und Schweinemast. Aus deren Fleisch produziert der Familienbetrieb über 60 Produkte aus dem Bereich Fleisch- und Wurstwaren. Abgerundet wird dies durch ein FrischfleischSortiment. In der Saison bieten die Winkelmanns auch Gänse an. Zudem betreibt die Landfleischerei Winkelmann einen Partyservice. Der an der Eichenstraße 85a gelegene Hofladen ist dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr und samstags von 9 bis 13 Uhr geöffnet. Fair, transparent und nachhaltig „Wir geben den Lebensmitteln ihren Wert zurück.“ Stefanie Schulze Schleithoff, die Kölnerin, die wegen der Liebe nach Gelsenkirchen gezogen ist, hat ihren Traum von einer fairen, transparenten und nachhaltigen Landwirtschaft verwirklicht. Vor einigen Tagen hat ihr Mann Martin die ersten Kohlrabi und Brokkoli auf dem Lindenhof geerntet und an die 102 „Genossen“ verteilt. 60 Menschen, so hatten sich Stefanie und Martin Schleithoff im Januar ausgerechnet, müssten sie von ihrer Idee begeistern. Dann könnte das Projekt auf dem 12,5 Hektar großen Hof gelingen. Damals waren die Beiden noch skeptisch, ob sich so viele Städter dem kleinen Wirtschaftskreislauf anschließen wollen. „Nach nur zwei Stunden“, so berichtet Martin SchulzeSchleithoff, „waren die Anteile weg“. Das habe den Jungunternehmern „schon ein bisschen Angst gemacht“. Denn die Menschen, die sich ihrem Projekt angeschlossen haben, zahlen nicht für das einzelne Kilo. Sie beteiligen sich an den Kosten für die gesamte Landwirtschaft, bekommen Tomaten, Fleisch und Eier dafür. Ihr monatlicher Obolus sorgt für ein gerechtes Einkommen der Familie Schulze Schleithoff, so dass sie ohne Preisdruck und Wachstumswahn ökologisch sinnvoll Landwirtschaft betreiben kann. Solawi (solidarische Landwirtschaft) heißt dieses Konzept, bei dem Gemüse und Gemeinschaft gleichermaßen wachsen sollen – oft beworben mit dem Wortspiel „Kraut-Funding“, man kann aber auch einfach Genossenschaft sagen. Immer freitags können die Genossenschafts-Mitglieder ihre Ernte einfahren. Je nach gezahltem monatlichen Beitrag (von 16 bis 158 Euro) bekommen sie fri- sches Gemüse, Obst und Apfelsaft, Eier von freilaufenden Hühnern und Fleisch. Von Tieren, die Tageslicht sehen und auf Weiden leben dürfen. „Mit etwas Glück gehen unsere Hinterwalder Rinder in Langenbochum Bertlich Disteln Hassel Scholven 5 6 Mitten im Stadtgebiet hat sich Imker Ralf Berghane ganz der Biolandimkerei verschrieben. Er betreut bis zu 18 Bienenvölker, die allesamt in der Nachbarschaft auf Nektarsuche sind. So entstehen Frühjahrs-, Sommer-, Lindenblüten- und Akazienhonig. Interessenten können, nach Absprache, dem Imker auch über die Schulter schauen. Neben den verschiedenen Honigsorten bietet Berghane auch Bienenwachskerzen und Cremes aus eigener Herstellung an. Die Imkerei an der Laurentiusstraße öffnet nur nach Absprache unter der Rufnummer 514828. 52 HERTEN 4 Resse Buer 2 1 3 BECK 2 Beckhausen Resser Mark Erle 7 GRAFIK: MIRIAM FISCHER GELSENKIRCHEN 42 Horst 6 Heßler Feldmark 7 gebackenem Brot und Hausmacher Wurst an. Wer möchte, kann die Kuchenspezialitäten auch mitnehmen. Das Bauerncafé Holz liegt an der Flurstraße 57 und ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, samstags und sonntags von 9.30 Uhr bis 18 Uhr. An Feiertagen öffnet das Café von 14 bis 18 Uhr seine Türen. 25 Jahren mit uns in Rente“, sagt der 31jährige Martin Schulze Schleithoff. Die „Coole Jule“ scheint ihn zu verstehen und leckt mit ihrer rauen Zunge seinen Unterarm während sich die „Flotte Lotte“ entspannt ihr helles Kopfhaar streicheln lässt. Neben Jule genießen die ersten Kälber in diesem Frühjahr im frischen Stroh oder wahlweise auf der Weide die Mittagssonne. REC Direkt vom Erzeuger zum Verbraucher Völlig unaufgeregt und neugierig streckt eine Sau dem Besucher ihre „Steckdosen-Nase“ entgegen. Auch sie verbringen ihre Zeit in direkter Nachbarschaft zu den Menschen. „Wir halten die Schweine in großzügigen Ställen auf Stroh mit gelegentlichem Weidegang. Ein Außenbereich ist in Planung“, sagt Stefanie Schulze Schleithoff. „Uns begeistert, dass wir eine kleinbäuerliche Landwirtschaft wieder tragfähig machen“, erklärt sie. Dabei können die Menschen mithelfen. „Es wird etwa sechs bis sieben Tage im Jahr geben, an denen sie uns zum Beispiel bei Ernte und Aussaat unterstützen können“, sagt ihr Mann, „aber nicht müssen.“ Die ersten Arbeitseinsätze hat’s auch schon gegeben. „Wir haben „Uns begeistert, dass wir eine kleinbäuerliche Landwirtschaft wieder tragfähig machen.“ Stefanie Schulze Schleithoff, Landwirtin aus Leidenschaft gemeinschaftlich eine Weide eingezäunt und Kartoffeln gehackt“, schwärmt der junge Landwirt. „Das hat richtig Freude gemacht“. Zur Zeit planen die freiwilligen Helfer ihr erstes Ernte-Dank-Fest. Und beleben eine alte Tradition: früher, eigentlich für die längste Zeit der Menschheitsge- schichte, waren Menschen mit dem Land verbunden, das sie ernährt hat. Anders als im Supermarkt gibt es bei der Solawi keine weiten Wege. Die Lebensmittel gehen direkt vom Erzeuger zum Verbraucher. Und, vielleicht noch wichtiger: Die Mitglieder der SoLawi „wissen woher ihre Lebensmittel kommen und wie sie erzeugt wurden“, sagt Schulze-Schleithoff. „Stadt und Land arbeiten Hand in Hand“ ist der Slogan der beiden. Die Teilhaber dürfen und sollen auch mitbestimmen, was angepflanzt und produziert wird. „Wenn sie fordern, dass alle Hühner rote Strickmützen tragen sollen – dann rechnen wir ihnen vor, was es kostet“, scherzt Schulze Schleithoff. „Wenn sie bereit sind, es zu finanzieren – bitte, gerne.“ Warteliste, um Ernteanteile zu bekommen : Alle Ernteanteile für das Jahr 2016 sind auf dem Lindenhof bereits vergeben. Für das Wirtschaftsjahr 2017/2018 allerdings merkt sich die Familie Schulze Schleithoff Interessierte gerne vor. Aus diesem Grund haben die landwirtschaftlichen Jungunternehmer eine Warteliste angelegt. : Wer sich für die Solawi interessiert, kann auch gerne an der Brauckstraße in Resse vorbeischauen. : Eine Kontaktaufnahme ist auch online möglich: www.lindenhof-gelsenkirchen.de. Dort gibt’s weitere Details zur Philosophie des Unternehmens. 26 May 2016 © Stepmap, 123map Daten: OpenStreetMap, Lizenz ODbL 1.0 2 km Bulmke-Hüllen Altstadt Neustadt Omas Rezepte sind besonders beliebt bei den Besuchern des Bauerncafés Holz in Beckhausen. Im Sommer lädt hier eine schöne Sonnenterrasse Besucher zum Verweilen ein, im Winter sitzen die Gäste am Kaminfeuer. Dabei genießen sie die selbst gebackenen Kuchen des Familienbetriebs. Am Wochenende bietet das Café auch ein Frühstücksbuffet mit selbst Schweinestall mit Aussicht: Die Landwirte Stefanie und Martin Schulze Schleithoff halten ihre Bentheimer Landschweine in großzügigen Ställen auf Stroh mit gelegentlichem Weidegang. FOTOS (2): VOLKER HARTMANN Bismarck Schalke Ein Landwirt aus Illinois mit Federboa wird zum Vorbild Die Idee der Solawis wurde in Asien geboren. 1988 wurde die erste Gemeinschaft in Hamburg gegründet In Dortmund haben sich bereits im März 2014 60 Menschen, die gemeinsam ackern wollen, zur ersten Solawi im Ruhrgebiet, der „Kümper Heide“ im Norden der Stadt, zusammengeschlossen. Mattis Kögler ist einer von ihnen. Der gelernte Sozialtherapeut spricht gern über seine Freude, die Hände in die Erde zu stecken. „Ich hatte einen Wunsch, etwas zu verändern, und habe eine Alternative zum globalen Wahnsinn in der Lebensmittelproduktion gefunden.“ Regional und saisonal sind die Schlagwörter der Solawis. Neu ist das Konzept allerdings nicht. In den 60er-Jahren in Japan entwickelt, sind heute etwa ein Viertel der Haushalte an einem Teikei – deutsch „Partnerschaft“ – beteiligt. Von Japan in die USA Vom Reich der aufgehenden Sonne in Asien schwappte die Welle zunächst nach Amerika über. Obwohl sich in der Nähe von Hamburg bereits 1988 auf dem Buschberghof Verbraucher und Landwirte zusammenschlossen, wurde die Idee in Deutschland erst 2005 richtig populär: nach der Öko-Doku „Farmer John – mit Mistgabel und Federboa“ über das Schicksal des Hippie-Landwirts John Peterson aus Illinois, USA, das Taggart Siegel unter dem Originaltitel „Shadow of the Pepper Tree” verfilmte. Nebenbei blättert er damit mehrere erhellende Kapitel amerikanischer Landwirtschaftsgeschichte auf. Die Haflingerstute Cora hat den Überblick auf dem Lindenhof. Scherlebeck 2 Freitag, 17. Juni 2016 Der Traum von der solidarischen Landwirtschaft funktioniert – mitten im Pott, in Resse 5 Feines aus eigener Herstellung bietet der Hofladen der Familie Feldhaus in Westerholt an. Neben Kartoffeln, Eiern und Mich können Kunden hier selbst gemachten Joghurt und Fruchtaufstriche aus eigener Herstellung erwerben. Wer selbst Hand anlegen möchte bei der Ernte, kann ab August Zuckermais, Bohnen und Mais vom Feld holen. Ab September können Stadtmenschen auch bei der Kartoffelernte Landerfahrungen sammeln. Der Hofladen der Familie Feldhaus liegt am Ebbelicher Weg 56 in Herten. Geöffnet ist er werktags und samstags von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. Sonntags und an Feiertagen öffnet der Hofladen von 16 bis 18 Uhr. Der Wolterhof in Resse ist ein Ausflugsziel für Feinschmecker. Das Restaurant wartet schon mit einem Frühstücksbetrieb auf, bietet zudem einen Mittagstisch und eine Abendkarte an. Bei schönem Wetter können die Gäste ihren Kaffee und Kuchen auch im Außenbereich genießen. Dabei tischt das Hofrestaurant vieles aus eigenem Anbau auf. Das Rindfleisch etwa entstammt der eigenen Zucht. Brote und Kuchen werden in der eigenen Bäckerei hergestellt. Ergänzend können Besucher viele Produkte auch im Hofladen erwerben. Dieser hat mittwochs bis freitags von 9 bis 18 Uhr geöffnet und samstags von 9 bis 16 Uhr. Das Restaurant ist werktags von 9 bis 22 Uhr geöffnet, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 22 Uhr. Der Wolterhof liegt an der Middelicher Straße 194. WBBU_6/7 Ückendorf Rotthausen WATTENSCHEID 4 Schon seit 400 Jahren existiert der Eckermannshof in Resse. Im Hofladen bietet die Familie Föcker Produkte aus eigener Erzeugung an. So können Kunden hier Rohmilch frisch von der Kuh kaufen, dazu Eier und Kartoffeln. Etliche Gemüsesorten dürfen die Kunden selbst ernten. Im Herbst wird das Angebot um Enten und Gänse aus eigener Aufzucht ergänzt. Einmal in der Woche bieten die Föckers auch ihr selbst gebackenes Bauernbrot an. In der Saison gibt es Spargel. Der Hofladen ist über die Böningstraße 70 zu erreichen und hat montags bis donnerstags von 16.30 bis 18.30 Uhr geöffnet, freitags von 9 bis 18.30 Uhr und samstags von 9 bis 13 Uhr und noch einmal von 16.30 Uhr bis 18.30 Uhr. Die coole Jule und die beiden Bentheimer Weidenschweine genießen ihr Dasein. FOTO: OLIVER MENGEDOHT Zum Inhalt: Nach dem frühen Tod seines Vaters führt John Peterson die Farm im nördlichen Illinois weiter und sorgt für Dutzende Kühe, Hühner und Schweine. Als er während des Studiums die Gegenkultur der 60er Jahre kennen lernt, wandelte er seinen Hof zum Hippie-Mekka um und lebt im „Midwest-Coast”-Experiment eine Dekade lang seine wilden Jahre aus. Bis er 1982 hochverschuldet das meiste Land verkaufen muss, seine Depressionen mit dem Schreiben eines Buchs in Mexiko kuriert und schließlich auf ökologische Landwirtschaft umsteigt. Anfang 2016 hatten sich deutschlandweit 95 Höfe zum Netzwerk solidarische Landwirtschaft zusammengeschlossen. Zum Vergleich: Beim Statistischen Bundesamt sind 300 000 aw landwirtschaftliche Betriebe gemeldet.