Komorbide Störungen bei Suchterkrankungen im

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KOMORBIDITÄT
Sucht und Psychische Störungen
Felix Tretter
Suchtabteilung
Isar Amper Klinik Haar/München
Probleme:
A. Diagnose
* Welche psychische Störung liegt genau vor ?
* Welches Suchtmittel wird konsumiert?
* Ist die Sucht „Abhängigkeit“ oder „Missbrauch“ ?
* Was steht im Vordergrund ?
* Was war zuerst beobachtbar?
* „Ursachenmodell“
B. Versorgung
* Wo betreuen
* Was wurde schon probiert ?
* Wo lebt der Patient?
* Wer leidet am meisten, ist am „Ende“?
1.DATEN
„Doppel-Diagnosen“
(z.B. 35 Kombi-Diagnosen)
SUCHT (z.B. 5):
- Nikotin
- Alkohol
- Cannabis
- „Stimulanzien“
- Heroin
PSYCHISCHE STÖRUNG (z.B. 7):
- Persönlichkeitsstörung
- Angststörung
- depressive Störungen (affektive St.)
- somatoforme Störungen
- schizophrene Störungen
- posttraumatische Störungen
- Aufmerksamkeits-HyperaktivitätsStörung
(ADHS)
Multipler Substanzkonsum, multiple psychische Störungen
Epidemiologie
Quellen: Dilling u. Weyerer, Sokya , Krausz, vgl. Gouzoulis-Mayfrank 2008
Basis:
Schizo:30%
Basis:
PsychStörg
Sucht
Alk
PS
Angst:
24 %
Nik
Can
Ang
Dep
Schizo:
80%
Har
Drog
Sch
Dep:27 %
Sucht: 84%
antisoziale
PS
Schizo:
30% Schizo:
0,5 % ?
P = 20%/Bevölk ?
Alk:40
%
Alk:4%
S = 10%/Bevölk ?
Achtung: Altersgruppen, Regionaleffekt d. Stichproben, Diagnosekategorien...
DOPPELDIAGNOSEN – KLINISCH HÄUFIG
halluzinatorisches Syndrom
*LSD, Meskalin, THC, XTC (Ecstasy; Entaktogen)
paranoides Syndrom
* LSD, Meskalin, THC, XTC
hypomanisches Syndrom
* Kokain, Amphetamin XTC
Angstsyndrom
* Benzodiazepine (BDZ)
Posttraumatische Stressstörung (PTSD)
* Alkohol, BDZ, THC, Heroin
ADHS
* Stimulanzien
Borderline
* BDZ, u.a.
hebephrenes Syndrom
* THC
Typische Problemfälle in der Praxis:
- jugendlicher Borderline-Pat. mit
polyvalentem Konsum und CannabisSchwerpunkt => Mirtazapin ? Quetiapin ?
Perazin?
- Drogenabhängiger in der Substitutions-Th.
mit ADHS => Methylphenidat ? (BAS-Kriterien)
- Bipolarer Alkoholiker/in => Valproinsäure ?
- schizophrener Cannabiskonsument => ???
2. DROGEN
Wirkungen verschiedener Substanzen
STIMULATION
Ecstasy
Amphetamine
Kokain
LSD
Nikotin
Alkohol
Heroin
PSYCHOTOGEN
Cannabis
Benzodiazepine
SEDIERUNG
Q:Tretter, Suchtmedizin, 2000
STIMULANZIEN
z.B. Amphetamine
Wirkmechanismen
Suchtpotenzial
SEDATIVA
z.B. Benzodiazepine
von
psychoaktiven
Substanzen
(Q:Tretter 2000)
mit
ANTIDEPRESSIVA
Missbrauch, Stimulanzien
A C E T Y L C H O L IN
N O R A D R E N A L IN
G LU TA M A T
G ABA
S E R O T O N IN
D O P A M IN
(Q:Tretter 2000)
Antidepressiva (TCA) als Rauschmittel, bzw. Kokain/
Amphetamine als Selbstmedikation bei Depression
3. URSACHEN
Sucht-psychische Störung-Problem: Henne oder Ei?
- Artefakt d. Diagnose-Systematik nach ICD?
- psychischer Hintergrund der Sucht: in den letzten Jahren
aus den Augen verloren
- selbstverstärkende Kreisläufe /“zirkuläre Kausalität“
=> Psyche spielt Rolle bei Sucht, aber sehr differenziert, ebenso
das Suchtmittel für die Psyche
P
S
Frage:
UND als Parallelität oder
als Wechselwirkung (unidirektional oder bidirektional)
Verlust der ganzheitlichen Sicht in der Psychiatrie –
=> „Checklisten-Psychiatrie//-Medizin“
Ursachenmodelle
Sucht
* Droge – Person - Umwelt (z.B. Feuerlein 1987)
(„Drei-Faktoren-Modell“)
DROGE
UMWELT
PERSON
Achtung: „Alles Biochemie oder was..?“
Vulnerabilitäts-Stress-Modell der schizophrenen Doppeldiagnose
V= Vulnerabilität, S=Stress, D = Drogen
nach Gouzolis-Mayfrank 2008
HOFFNUNG AUF NEUROBIOLOGIE
=> GEHIRN-GEIST-PROBLEM!!!
„Wer ist der Lenker?“
??
Ursachenmodell psychischer / somatischer Störungen
soziale
Faktoren
psychische
Faktoren
somatische
Faktoren
Drogen
Vulnerabilität
Coping
Störung
Bio-psycho-soziale
Stressoren
*„bio-psycho-soziales“ Ursachenmodell (Engel 1977)
• Stress-Bewältigungs-Defizit-Modell („Vulnerabilität“, Zubin, Spring,
Böker u. Brenner)
Therapie soll ursachenorientiert erfolgen!
Adoleszenz als kritische Phase
-Differenzialdiagnose Adoleszenzkrise / psychische Störung
-Probierkonsum (50% 16-17LJ > 5 Gläser (= „Rausch“) /d/J;
BZgA 2007)
- subjektive Harmonisierung des Erlebens => Suchtrisiko
Risikofaktoren:
Impulsivität, Depressivität, Aggressivität, labiles / negatives
Selbstwertgefühl, DK im familiären Umfeld, Broken home,
Nikotingebrauch)
Psychische Störungen - Entwicklungsperspektive
Geburt
Schwangerschaft
Drogen
KleinSchul- Pubertät
Stillkind
kind
periode
ADHS
Autismus
Drogen
Hebephrenie
Zeitliche Superpositionseffekte
Schizophrenie: Ursachengefüge des Substanzgebrauchs
Biologische
Vulnerabilität
Konsum
Sozialer
Drift
Psychose
Prodromale
Symptome
Negativsymptome
PositivKonsum
Konsum
Konsum
symptome
AP
NW
PSI-Konsum
Soz-Konsum
Q: nachGouzolis-Mayfrank 2008)
Schizophrenie: Ursachengefüge des Substanzgebrauchs
Sedativa
Unruhe,
Ängste etc.
Schizophrenie
AP-Medikation
Anhedonie
Stimulanzien
Q: nachGouzolis-Mayfrank 2008)
KASUISTIK: Suchtverhalten ist mit komplexen psychischen Prozessen und
Zuständen gekoppelt - zirkuläre Kausalität
JE MEHR DESTO.........
Lustzustand
TRINKEN
Kater
Scham
Depression
Konflikte
Aggression
4. PSYCHOPATHOLOGIE
- VON DER SYMPTOMCHECKLISTE
ZUR SYSTEMISCHEN DIAGNOSTIK -
NEUE PSYCHOPATHOLOGIE !?
- Psychopathologie nach Checklisten reicht nicht
* ICD-10 /DSM IV–Checkliste
* AMDP-Checkliste
* Syndromchecklisten
- Keine integrale Psychopathologie
(vgl. Scharfetter , Payk, Reischiss ?, Klicpera,
-Systemische Psychopathologie
(Caspar, Tschacher [Bern]; Dauwalder [Lausanne])
- Defizit in Sinnanalyse /Hermeneutik
CHECKLISTE DER PSYCHOPATHOLOGIE
Prüfung von:
- Bewusstsein
- Aufmerksamkeit
- Wahrnehmung
- Denken
- Gedächtnis
- Gefühlen
- Antrieben
- Verhaltensplänen
- Verhalten
- Erwartungen
- Ich-Funktionen
----------------------------- Selbstbild
- Umweltbild
PSYCHE ALS NETZWERK
-Komponenten hängen zusammen: Wahrnehmung erzeugt
Denken, Denken erzeugt Gefühle , Gefühle erzeugen
Antriebe ...
=> Gefüge von vernetzten psychischen Zuständen bzw.
Prozessen / Teilsystemen / Funktionen und Inhalten…
z.B. : Zustand des Wahrnehmens, Denkens, Gedächtnisses
... / Inhalt des....
Prozess der Aktivierung oder der Hemmung von Gedanken
durch Gefühle usw.
Pathologie: entkoppelt, relativ autonom, zu viel / zu wenig…
PSYCHE ALS NETZWERK I
- ZUSTÄNDE UND PROZESSE Denk
Ged
Erw
Plan
Wahr
Verh
Gef
Antr
=
Aktivierung
/ Hemmung
PSYCHE ALS NETZWERK II
– ICH UND DIE UMWELT -
SELBST
+
_
UMWELT
+
_
vgl. „Objektbeziehungstheorie / Kernberg
PSYCHE ALS
NETZWERK
SELBST
UMWELT
+
_
+
_
INHALTE
Denk
ZUSTÄNDE,
PROZESSE
Ged
Erw
Plan
Wahr
Verh
Gef
Antr
Systemtheoretisches Krankheitsmodell - Struktur der Krankheit
ergibt anhaltende Über- oder Unteraktivität (z.B. Gefühlszustand)
als Nichtgleichgewicht; Gesundheit hat ein tieferes Tal
(gestrichelte Kurve), sodass Zustand nach Irritationen schnell
wieder hergestellt ist (Kugel rollt zurück)
Aktivierungsniveau
Manie
X
Depression
Ü
N
U
X
Unterfunktion
Normalbereich
Überfunktion
Zustands-Fluktuationen
Q: Tretter Systemtheorie, 2005
PSYCHOPATHOLOGIE
↑ Paranoid-halluzinatorisches Syndrom
Denk
Ged
Erw
Plan
Wahr
Ver
h
Gef
Antr
↓ Depressives Syndrom
Denk
Ged
Erw
Pla
Wahr
Verh
LSD
(5HT2A)
Gef
Antr
Kokain, Amphetamine (DA, NA)
SUB-NETZWERKE DER SUCHT:
ERWARTUNG, WAHRNEHMUNG, GEFÜHL, MOTIVATION
Denk
Ged
Erw
Pla
Wahr
Verh
Gef
Antr
Regelkreismodell als Affektregulationsmodell
- Hintergründe der Sucht Sollwert
ERWARTUNGEN
Vergleich
WAHRNEHMUNG
positives
GEFÜHL
Istwert
negatives
GEFÜHL
VERHALTEN
DRO
GENKON
SUM
UMWELT
Bewältigung affektiver Spannung => akutes Coping per Drogen
chronischer Konsum => Steigerung der Insuffizienz
Selbstbild des Suchtkranken: negativ und labil
Selbstbild
nüchtern
+
_
Angst,
Depression
Selbstbild
intoxikiert
Alkohol
Stimulanzien
Selbstbild ist bewertete Erfahrung mit sich selbst …
5. THERAPIE INSTITUTIONEN
PSYCH
SUCHT
10
1
12
Sucht
Klinik
Allg.Psych
2
4
7
8
3
5
6
9
Niedergel.
NÄ
Sozialpsych.
Dienste
13
12
Suchtberatungsst.
11
Suchtfachkliniken
Hausärzte
Getrennte Versorgungssysteme und einige Patientenflüsse
PERSONENZENTRIERTES VERSORGUNGSSYSTEM
Beratungsstellen
Überlebenshilfen
Niedergel.
Ärzte
Störung
Ambul.
Wohnbetreuung
Wohnung
Freizeit
Somatische
Kliniken
Person
Familie
Arbeit
Betriebl.
Suchthilfe
Psychiatr.
Kliniken
Übergangseinricht.
Arbeitsprojekte
Selbsthilfegruppen
Therapie
- Wohnsetting / Wohngruppe
- Akzeptanz durch Mitbewohner
- Langfristige Entwicklungsperspektive
=> Case Management
Suchttherapie - Kriterien:
- Gruppenfähigkeit (Psychoedukative Gruppe)
wenn gering => Psycho-Setting
- mentale Ablenkung,
wenn hoch=> Psycho-Setting
-Konfrontierbarkeit („empathische Konfrontation“),
wenn gering => Psycho-Setting
Introspektions- und Reflexionsfähigkeit,
wenn gering => Psycho-Setting
-Motivationale Intervention
-Suchtmittelinfo
Prinzipien der Behandlung / Betreuung bei Komorbidität
(Schwoon 2001)
* Kontinuität der Behandlungsbeziehung
* Diagnostische Klarheit
* Individuelles Krankheitskonzept
aus professioneller Sicht
aus subjektiver Sicht des Patienten
* Empathische Konfrontation
* Transparente Behandlungsplanung und -kontrakte
* Gemeinsame Behandlung beider Krankheitsanteile
* Psychopharmakologische Behandlung
Förderung der Compliance
Medikamenten-Management-Training
* Objektivierung des Suchtmittelkonsums
* Rückfallmanagement und –kontrakte
* Förderung lebenspraktischer Fähigkeiten
THERAPIEVORSCHLÄGE
(nach H. Dlabal 2008)
Sucht + Depression: Motivational Interviewing (MI) +
kognitive Depressionstherapie
Sucht + Angststörungen: Coping Skills Training
(kognitiv-behaviorale Therapie der Angststörung erhöhte
Abbruchraten und verschlechterte Trinkverhalten!)
Sucht + Borderline PS: Dialektisch Behaviorale Therapie
(DBT) in adaptierter Form
Sucht + andere PS: Dual Focus Schema Therapie
Sucht + Schizophrenie: adaptierte MI-Interventionen,
Skills-Training, VT-Adaptionen, Psychoedukation
MEDIKAMENTE
(vgl. Dlabal 2008)
Sucht + Psychose: Atypische Antipsychotika
(einschließlich Clozapin)!
Sucht + Affektive Störungen: SSRI, SNRI + Quetiapin
(+ Phasenprophylaxe mit Antiepileptika)
Sucht + AD(H)S: 1. Methylphenidat, 2. Atomoxetin
Sucht + Persönlichkeitsstörungen: ausprobieren!
(bevorzugt Quetiapin, Mirtazapin, Tiaprid, Valproinsäure,
rizyklische AD, niederpotente NL wie z.B. Perazin)
“off-label-use” oft nicht vermeidbar!
PSYCHOTHERAPIE
Gedankenstop,
kognitive Umstrukturierungen
Kognitives Training
Denk
Ged
Strukturierung
Stufung d. E.
Abwertung d.
Stimmen
Erw
Plan
Wahr
Verh
Entspannung
Sowohl als auch
Gef
Reaktionsunterdruckung,
Entspannung , Atmung
Antr
Selbstaktivierung /
Selbsthemmung
AUSBLICK
(Schwoon 2001)
„Psychische Krankheit und Suchmittelkonsum lassen
sich auch als Versuche eines Individuums verstehen,
einen Platz in der Welt zu finden und sein Leben zu
bewältigen.
Folgen wir konsequent dem Komorbiditätsgedanken,
dann laufen wir Gefahr, uns nicht mehr mit dem
Kranksein eines Menschen zu befassen, sondern mit
Patienten, die verschiedene Krankheiten haben. Für
jede Krankheit können wir damit eine spezielle
Behandlung entwerfen.
VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
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