Beeinflussung körpereigener Regulationsmechanismen zur

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Beeinflussung körpereigener
Regulationsmechanismen zur
Therapie von Typ-2-Diabetes
Bei der Entwicklung neuer oraler
Medikamente zur Behandlung des
Typ-2-Diabetes konzentrieren sich
die Forscher auf die Aktivierung
oder Hemmung körpereigener
Enzyme und Rezeptoren, die eine
Rolle im Glukosestoffwechsel
spielen.
Bevor sich ein Typ-2-Diabetes (T2D) mit allen
den auf S. 14 aufgeführten Symptomen manifest
ausprägt, vergehen oft bis zu 40 Jahre mit «diabetogenem» Lebensstil, gekennzeichnet durch
kalorienreiche Ernährung, Übergewicht und mangelnde körperliche Bewegung. Meist sind Jahre vergangen, in denen die
Betroffenen bereits eine gestörte Glukosetoleranz und Symptome eines sog. metabolischen Syndroms, aber noch keine Anzeichen eines klinisch manifesten T2D aufwiesen.
Was passiert, wenn
sich ein Typ-2-Diabetes
entwickelt
Vorstadium metabolisches Syndrom
Warum und wie entwickelt sich ein metabolisches Syndrom?
Unter einem metabolischen Syndrom versteht man ein ganzes
Bündel verschiedener Symptome, deren wichtigste Ursache eine
zunehmende Insulinresistenz der Gewebe ist. Was passiert dabei
auf zellulärer Ebene? Bisher weiss man, dass bei der Insulinresistenz eine normale Bindung des Insulins (siehe Kasten) an den
Insulinrezeptor auf den Zelloberflächen erfolgt. Der Signalreiz,
der dadurch ausgelöst werden sollte, bleibt jedoch aus. Mit
anderen Worten: Die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip erfolgende Bindung von Insulin an den Insulinrezeptor setzt nicht
mehr die normalerweise ablaufenden intrazellulären Signalkaskaden in Gang. Die Glykolyse, d. h. der Abbau von Glukose unter
Bildung des Energiespeichers und -lieferanten Adenosintriphosphat (ATP), sowie die Synthese des Reservekohlenhydrates Glykogen aus Glukose sind gehemmt. Diese Herunterregulierung der durch Insulin-Insulinrezeptor-Bindung eingeleiteten Signalwege versucht der Körper durch ein vermehrtes
Ausschütten des Botenstoffes Insulin (Hyperinsulinämie)
auszugleichen. Die Insulinresistenz ist aber nur ein Kennzeichen
des metabolischen Syndroms. Es ist weiterhin gekennzeichnet
durch Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck.
Klinisch-manifester Typ-2-Diabetes
Die ständige Überbeanspruchung der insulinproduzierenden
-Zellen in den Langerhans’schen Inseln des Pankreas führt
letztendlich zu ihrer Erschöpfung und zum Funktionsverlust.
Diese -Zelldysfunktion auf der einen Seite und eine Insulinresistenz der wichtigsten Zielgewebe der Insulinwirkung,
❚ der Skelettmuskeln,
❚ der Leber und
❚ des Fettgewebes,
48
Insulin
Insulin vermittelt seine kurzzeitige Stoffwechselaktivität
und seine langfristige, wachstumsfördernde Wirkung
durch Bindung an den Insulinrezeptor an der Zelloberfläche. Es stimuliert die Aufnahme von Einfachzuckern
(Monosacchariden), Aminosäuren und Fettsäuren in die
Zellen. Es fördert die Synthese und Einlagerung von
Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen, während es deren
enzymatischen Abbau und Freisetzung in den Blutkreislauf
hemmt. Insulin erhöht den Transport von Glukose in Fettund Muskelzellen durch Stimulierung der Verlagerung des
Glukosetransporters GLUT4 vom Zellinneren zur Plasmazellmembran [4].
Die Insulinsynthese wird schon durch Glukosekonzentrationen von über 2–4 mmol/l im Blut angeregt. Zur
Insulinausschüttung sind allerdings Glukosekonzentrationen von über 4–6 mmol/l erforderlich. Normalerweise
beträgt beim Menschen die Konzentration von Insulin im
Blut 1 ng/ml. Dieses einzige blutzuckersenkende Hormon
wird schnell aus dem Blutkreislauf entfernt und durch spezifische insulinabbauende Enzyme in den Zellen der Leber
und anderer Gewebe inaktiviert [5].
ABBILDUNG 1: Dreidimensionale Darstellung des
humanen Insulinmoleküls. Das Peptidhormon ist
aus einer 30 Aminosäuren enthaltenden A-Kette
(rot dargestellt) und aus einer 21 Aminosäurenbausteinen bestehenden B-Kette (grün markiert)
aufgebaut. Zwei Disulfidbrücken (gelb) halten die
beiden Ketten zusammen. Die Abbildung wurde
von Dr. Bernd Kuhn, Molecular Design, F. Hoffmann-La Roche AG, nach den in [6] angegeben
Daten erstellt.
auf der anderen Seite sind die Ursachen für den erhöhten
Blutzuckergehalt (Hyperglykämie) bei T2D ohne Behandlung
(siehe Abb. 2). Durch die Insulinresistenz sinkt die Glukoseaufnahme in Muskel- und Fettzellen. In der Leber bewirkt die
Insulinresistenz eine Steigerung der körpereigenen Glukoseproduktion, denn Insulin hemmt dort normalerweise die Glukoneogenese. Insulinsekretionsstörung und Insulinresistenz sind
bei verschiedenen Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt.
Beide Faktoren können sich gegenseitig bedingen. Zum
Zeitpunkt der Diagnose T2D sind 40–50 % der Betroffenen
übergewichtig [1]. Mit zunehmender Erkrankungsdauer nimmt
bei T2D-Patienten leider oft auch das Körpergewicht und der
Anteil von Fettgewebe zu. Fettgewebe wirkt wie ein endokrines
Organ und fördert durch Freisetzung von Botenstoffen die
Lipolyse (Fettspaltung). Dadurch steigt die Konzentration an
freien Fettsäuren1 im Blut. Eine erhöhte Konzentration an freien
1
Freie Fettsäuren sind nicht veresterte
Fettsäuren. Fette sind Mono-, Di- und
Triester des Glyzerins mit Fettsäureresten. Triglyzeride sind Triester des Glyzerins.
Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
49
-Zelldysfunktion
Insulinresistenz
erhöhte
Konzentration
freier
Fettsäuren
Bauchspeicheldrüse
erhöhte
Fettspaltung
Leber
+
-Zellen schütten weniger
Insulin aus
erhöhte
Adipozytokinwerte
Muskel
niedriger
Insulinplasmaspiegel
Fettgewebe
erhöhte
Freisetzung
von Glukose
Hyperglykämie
ABBILDUNG 2: Wie Insulinresistenz und -Zelldysfunktion zu Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes führen:
Insulin senkt nicht nur den Blutzuckerspiegel, es
reduziert auch die Glukoseproduktion in der Leber
(Glukoneogenese) und erhöht die Glukoseeaufnahme, -verwertung und -speicherung in Muskel- und
Fettgewebe. Steht weniger Insulin zur Verfügung, so
kommt es zur Erhöhung der Glukoneogenese. Fettzellen spielen eine bedeutende Rolle im Stoffwechsel.
Sie setzen freie Fettsäuren (FFA) und verschiedene
erniedrigter Glukosetransport,
erniedrigte Aktivität des
Glukosetransporters GLUT4
Adipozytokine, wie z. B. Tumornekrosefaktor- (TNF) oder Leptin, frei. Adipozytokine regulieren die Nahrungsaufnahme, Energieverbrauch und Insulinsensitivität. Ist mehr Fettgewebe vorhanden, so wird
vermehrt TNF- freigesetzt. Dadurch wird die Fettspaltung (Lipolyse) gesteigert, der FFA-Spiegel steigt.
Die FFA aber reduzieren die Glukoseaufnahme durch
Muskelzellen, die Insulinfreisetzung durch die -Zellen und steigern die Glukoneogenese. (Abbildungsquelle: J. Mizrahi, F. Hoffmann-La Roche AG)
Fettsäuren verstärkt nicht nur Hyperinsulinämie und Insulinresistenz. Sie hat auch noch andere unangenehme Folgeerscheinungen: Sie stimuliert die Synthese von triglyzeridreichen
Lipoproteinen sehr geringer Dichte, VLDL (von engl.: very lowdensity lipoprotein)2. Auch Cholesterin wird von diesen freien
Fettsäuren verestert und an Lipoproteine hoher Dichte (HDLCholesterin, von engl.: high-densitiy lipoprotein) oder Lipoproteine niedriger Dichte (LDL-Cholesterin, von engl.: low-densitiy lipoprotein) gebunden. Man hat erniedrigte HDL-Cholesterin-Werte und erhöhte Konzentration der LDL-Cholesterin2
50
Die Fettsäuren werden zu Fetten verestert und im Körper zusätzlich an sog.
Apolipoproteine gebunden, denn nur so
wird ihr Transport in wässriger Umgebung (Blutplasma) möglich.
Partikel gefunden. Die LDL-Partikel tragen wesentlich zur Bildung atherosklerotischer Plaques bei. Lösen sich solche Plaques
und gehen mit dem Blutstrom auf Wanderschaft, so können sie
Verstopfungen in kleinen Blutgefäßen verursachen. Herzinfarkt
und Schlaganfall drohen.
Die Hyperinsulinämie sorgt darüber hinaus auch für eine
erhöhte Rückresorption von Na+-Ionen in der Niere. Diese
wiederum bewirkt über eine Volumenzunahme eine Blutdruckerhöhung. In Industrieländern weisen Typ-2-Diabetiker mit
53 % sehr viel häufiger erhöhte Blutdruckwerte auf als die altersgleiche Allgemeinbevölkerung mit 17,3 % [3].
1998 wurden die Ergebnisse der bislang größten
medizinischen Langzeitstudie überhaupt, der
UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes
Study) veröffentlicht. 5102 neu diagnostizierte Menschen mit
T2D wurden im Mittel über einen Zeitraum von 11,1 Jahren
beobachtet. Dabei zeigte sich deutlich: Wenn durch geeignete
Maßnahmen Blutzucker und Blutdruck der Betroffenen im
physiologischen Bereich gehalten werden konnten, nahm die
Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Spätschäden signifikant ab [7].
Nach den Empfehlungen der International Diabetes Foundation
sollten der HbA1c-Wert3 und der Blutzuckerspiegel, nüchtern
sowie nach Mahlzeiten, in den in Tab. 1 gezeigten Bereichen
Frühe Therapie kann
Folgeschäden verhindern
TABELLE 1: Kontrollparameter zur Verhinderung von Diabetes-Folgeschäden [7].
Parameter
Risiko von Makroangiopathien,
Risiko von Mikroangiopathien
(Herzinfarkt, Schlaganfall)
(Nephropathie, Retinopathie,
Neuropathien)
HbA1c
unter 7,5 %
Nüchternplasma-
unter 7,0 mmol/l
unter 6,5 %
unter 6,0 mmol/l
glukosegehalt
(bzw. 126 mg/dl)
(bzw. 108 mg/dl)
Blutzuckergehalt
unter 9,0 mmol/l
unter 7,5 mmol/l
nach Mahlzeiten
(bzw. 162 mg/dl)
(bzw. 135 mg/dl)
3
Zur Definition des HbA1c-Wertes siehe
Erläuterung auf S. 13.
Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
51
TABELLE 2: Bisherige Medikamente zur Senkung des Blutzuckergehaltes.
Medikamenten-
chem. Substanzklassen
gruppe
(Beispielpräparate)
Insuline
biotechnologisch her-
wie körpereigenes Insulinhormon
Dosierung ohne
gestellte Humaninsuline
mit verzögertem Eintreten der
kontinuierliches
mit Modifikationen
Wirkung bei Retardpräparaten
Monitoring schwierig
insulin-
Sulfonylharnstoffe
regen die Insulinausschüttung in
Gefahr der Unterzuckerung
sekretions-
(z. B. Glibenclamide),
den pankreatischen -Zellen an
anregende
neuere Generation der
schöpfung der -Zellen durch
Substanzen
Meglitinide
Überstimulierung
Insulin-
Thiazolidindione
Herabsetzung der bei 85 % aller
Zunahme des
Sensitizer
(Glitazone)
Typ-2-Diabetiker vorliegenden
Körpergewichtes
(z. B. Rosiglitazon,
peripheren Insulinresistenz durch
Pioglitazon, Troglitazon)
Wirkungsweise
Probleme
bei Überdosierung, Er-
Senkung der freien Fettsäuren
im Blut, dadurch Ankurbelung
des Glukosestoffwechsels und
Senkung der körpereigenen
Glukoseproduktion in der Leber
(Glukoneogenese) und Senkung
des Blutzuckergehaltes
Biguanide
Metformin
Drosselung der Glukoneogenese,
gastro-intestinale
Erhöhung der Effektivität der
Beschwerden und sehr selten
AMP-Kinase, die die Glukoseauf-
Milchsäureazidose
nahme in den Muskel stimuliert
und z. B. die Neubildung von
Cholesterol, Lipiden und
Triglyzeriden in der Leber hemmt
Kohlenhydrat-
Acarbose,
Hemmung der -Glukosidase,
gestörte Verdauung,
aufnahme-
Miglitol
die aus Stärke Glukose freisetzt,
Blähungen
hemmer
Freisetzung der Glukose aus Nahrungskohlenhydraten wird verzögert, postprandiale Hyperglykämien werden reduziert
Fettaufnahmehemmer
Xenical
®
Reduktion der Fettspaltung
gestörte Verdauung,
im Magen-Darm-Trakt und
Blähungen
damit der Fettaufnahme um 30 %
gehalten werden [8]. Dies gelingt oft schon durch eine fettarme
Diät mit einem hohen Anteil komplexer Kohlenhydrate und
mehr körperliche Aktivität, denn durch Muskelarbeit wird nicht
nur eine Insulinresistenz verbessert [1], sondern auch eine
insulinunabhängige Glukoseaufnahme in den Muskel möglich.
Reichen Ernährungs- und Bewegungstherapie nicht aus, um die
in Tab. 1 aufgeführten Werte zu realisieren, stehen gegenwärtig
52
neben Insulin andere medikamentöse Möglichkeiten zur Verfügung. Meist kommt eine Kombination mehrerer oraler Antidiabetika zum Einsatz. Der Vorteil solcher Kombinationstherapien
liegt in den im Vergleich zu Monotherapien geringeren
einzusetzenden Dosen der Präparate. Da die verschiedenen
Klassen oraler Antidiabetika unterschiedliche Wirkmechanismen haben, gelingt dadurch ein maximaler Effekt bei Minimierung der Nebenwirkungen [9].
Die bisherigen oralen Antidiabetika haben die in Tab. 2 aufgeführten Nebenwirkungen, wie Erhöhung des Körpergewichtes,
Gefahr der Unterzuckerung und makrovaskuläre Komplikationen oder Durchfall. Sie wirken überdies auch nur in frühen
Stadien eines T2D, wenn der Blutzuckergehalt im nüchternen
Zustand unbehandelt nicht höher als 180 mg/dl liegt. Bei 40 %
der Menschen mit T2D kann derzeit mit oralen Antidiabetika
keine ausreichende Kontrolle des Blutzuckers erzielt werden, sie
müssen zusätzlich Insulin erhalten.
Ein Bedarf an neuen, wirksameren medikamentösen Behandlungsansätzen besteht. Die Forschung konzentriert sich dabei
auf eine bessere Früherkennung und eine «aggressivere» Therapie. Dies bedeutet im Einzelnen:
❚ Früherkennung der Erkrankung, bevor sich ein klinisch
manifester T2D sowie kardiovaskuläre Komplikationen und
andere Schäden z. B. an Nieren und Augen entwickelt haben,
❚ Vorbeugung makrovaskulärer Schäden durch intensive Behandlung der Risikofaktoren des metabolischen Syndroms,
❚ Verbesserung der Dyslipoproteinämie, gekennzeichnet durch
erhöhte Triglyzeridwerte und erniedrigte HDL-CholesterinSpiegel sowie
❚ Kontrolle des Blutdrucks [10].
Ein orales Antidiabetikum sollte als Monotherapie
oder in Kombination mit anderen Medikamenten
nahezu alle bei T2D aus den Fugen geratenen
Mechanismen beeinflussen können. Es sollte
❚ die Insulinsensitivität wieder herstellen,
❚ die Funktion der insulinproduzierenden -Zellen der Bauchspeicheldrüse verbessern,
❚ die Menge freier Fettsäuren im Blut senken,
❚ vorteilhafte Wirkungen auf die Lipide und andere Komponenten des metabolischen Syndroms haben,
❚ vorteilhafte Effekte auf die Gefäßendothelfunktionen ausüben,
Ein ideales orales
Antidiabetikum
Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
53
gestörte Insulinausschüttung
GLP-1, DPP-IV
Bauchspeicheldrüse
Glukose
Fettgewebe
freie
Fettsäuren
Darm
Glukoseaufnahme
Glukosefreisetzung
aus der Leber
Hyperglykämie
AMPK
Glukokinase
Glukoseaufnahme
Muskel
Leber
Glykogenphosphorylase
Insulin-Sensitizer
PPAR-Coagonisten
ABBILDUNG 3: Zielorte bzw. Angriffspunkte, um mittels medikamentöser Ansätze (orange Pfeile) die physiologischen Mechanismen zu beeinflussen, die bei
Typ-2-Diabetikern gestört bzw. außer Kontrolle gera-
ten sind. Erläuterungen der Abkürzungen und detaillierte Erklärung im Text. (Abbildungsquelle: J. Mizrahi,
F. Hoffmann-La Roche AG)
❚
❚
die Glukoseproduktion in der Leber unterdrücken sowie
eine Langzeitkontrolle des Blutzuckers gewährleisten.
Daneben sollte es selbstverständlich gut verträglich sein [10].
Wie lässt sich dies erreichen? Die Forscher konzentrieren sich
auf die Beeinflussung körpereigener Mechanismen, Rezeptoren
und Enzyme, die eine Rolle im Glukosestoffwechsel spielen und
von denen bisher bekannt ist, dass sie bei T2D eine gestörte
Funktion aufweisen. Abbildung 3 zeigt eine Übersicht der verschiedenen Möglichkeiten, die im Folgenden näher erläutert
werden sollen.
Glukokinasemodulatoren:
den Glukoseabbau fördern
Das Enzym Glukokinase gehört zu den Transferasen. Die Aufgabe des Enzyms im Organismus besteht darin,
eine Phosphatgruppe von ATP auf eine -OH-Gruppe des Glukosemoleküls zu übertragen, zu «transferieren». Diese Phosphorylierung ist der erste Schritt bei der Verstoffwechselung der
Glukose. Glukokinasen befinden sich in der Leber und in der
Bauchspeicheldrüse. In der Leber leitet das Enzym den Abbau
Beeinflussung wichtiger
Stoffwechselenzyme
54
der Glukose und die Speicherung von Glukose in Form des
Reservekohlenhydrats Glykogen ein. In der Bauchspeicheldrüse
hat die Glukokinase eine Funktion als Glukosesensor und ist
an der Regulation der Insulinausschüttung beteiligt. Mit der
Aktivierung dieses Enzyms kann man also eine Senkung des
Blutzuckergehaltes auf zwei Wegen erreichen:
❚ durch Verbesserung der durch Glukose stimulierten Insulinausschüttung und
❚ durch erhöhte Glukoseaufnahme der Leber.
Forscher der F. Hoffmann-La Roche AG fanden niedermolekulare Substanzen, sog. kleine Moleküle, welche die Fähigkeiten
der Glukokinase zurVerstoffwechselung von Glukose verbessern
konnten. Dafür identifizierten sie die Arzneimittelbindungsstelle im Glukokinasemolekül, die für eine Enzymaktivierung verantwortlich ist. In verschiedenen Diabetes-Tiermodellen konnten Glukosemodulatoren den Blutzuckerspiegel senken [13].
Hemmung der Glykogenphosphorylase:
den Abbau von Reservekohlenhydraten hemmen
Das Enzym Glykogenphosphorylase spaltet die Bindung zwischen zwei Glukosebausteinen im Glykogen phosphorolytisch
unter Bildung von Glukose-1-Phosphatbausteinen4. Glykogenphosphorylasen kommen im Muskelgewebe und in der Leber
vor. In der Leber sorgt das Enzym für den Abbau von Glykogen,
um so normalerweise bei niedrigem Blutglukosegehalt Glukose
zum Transport in andere Organe zur Verfügung zu stellen. Hohe
Blutglukosegehalte können es hemmen. Eine medikamentöse
Hemmung dieses Enzyms könnte helfen, die bei Typ-2-Diabetikern erhöhte körpereigene Glukosefreisetzung aus der Leber
zu drosseln.
Aktivierung der AMP-Kinase: körperliche Aktivität vorgaukeln
Muskelarbeit hat einen insulinähnlichen Effekt: Sie fördert die
Aufnahme von Glukose in die Zellen. Andauernde Muskelarbeit
z. B. durch ein Ausdauertraining hat außerdem positive Auswirkungen auf die Insulinsensitivität. Dies wird z. T. auf die
durch andauernde Muskelarbeit erhöhte Konzentration des
Glukosetransporters GLUT4 im Muskelgewebe zurückgeführt.
4
Das sind Glukosemoleküle, die am Kohlenstoffatom 1 im Molekül eine Phosphatgruppe tragen.
Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
55
Die Erhöhung der Glukosetransporterfunktion wiederum
hängt von der Aktivierung einer Protein-Kinase im Muskel ab,
der durch Adenosinmonophosphat (AMP) aktivierten ProteinKinase (AMPK). Mit fortschreitender Dauer der Muskelkontraktion wird zur Deckung des dafür benötigten Energiebedarfs
energiereiches ATP in Adenosindiphosphat (ADP) und AMP
gespalten. Gleichzeitig wird zur Bereitstellung von genügend
Nachschub an ATP ein Phosphatrest von Kreatinphosphat auf
ADP übertragen. Wenn also der Muskel kontrahiert, nimmt
daher in Abhängigkeit von der Intensität der Arbeitsleistung die
Konzentration an AMP zu und die Konzentration von Kreatinphosphat ab. Durch erhöhte AMP-Konzentrationen während
der Muskelarbeit wird die AMPK, wie der Name schon sagt,
aktiviert und durch erhöhte Kreatinphosphatkonzentrationen
inaktiviert [14]. Im Allgemeinen sind Protein-Kinasen Enzyme,
die Phosphatgruppen übertragen und so die Aktivität bestimmter Proteine regulieren. Man nimmt an, dass die aktivierte
AMPK Proteine, die Prozesse zur Energiegewinnung (also zur
Bildung von ATP) einleiten, phosphoryliert und damit aktiviert.
Dazu zählen z. B. die Verbrennung von Fettsäuren und die
Glukoseaufnahme. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass solche energieverbrauchenden Prozesse wie die Synthese von Fettsäuren,
Triglyzeriden und Cholesterin vorübergehend eingestellt werden. Sie wacht also über den Energiezustand der Zelle. Das Ausmaß ihrer Aktivierung hängt dabei von der Arbeitsleistung des
Muskels und von der Konzentration des Langzeitglukosespeichers Glykogen ab. Eine therapeutische Beeinflussung dieses
Enzyms eignet sich daher hervorragend zur T2D-Behandlung.
Durch Aktivierung der AMPK sollten sich die physiologischen
Prozesse in den Muskelzellen in Gang setzen lassen, wie sie normalerweise durch körperliche Anstrengung hervorgerufen werden. Körperliche Aktivität wird vorgegaukelt.
PPAR: eine Wirkung am Zellkern
Geht man noch einen Schritt weiter, so versucht
man nicht nur, auf wichtige Stoffwechselenzyme
direkt Einfluss zu nehmen, sondern über die
Aktivierung bestimmter Rezeptoren z. B. das Ausmaß der körpereigenen Produktion dieser Enzyme zu beeinflussen. In
Leber-, Muskel- und Fettgewebe sowie in Makrophagen kommen beispielsweise sog. Peroxisomen-Proliferation-aktivierte
Rezeptoren (PPAR) vor. Es handelt sich um Zellkernrezeptoren,
Noch einen Schritt
weiter: die Aktivierung
von Rezeptoren
56
die nach Aktivierung als Transkriptionsfaktoren wirken. Sie
heften sich im Zellkern an Abschnitte der Erbinformation,
welche die Bauanleitung für Proteine tragen, die beim Transport
und Stoffwechsel von Glukose, Lipiden und Lipoproteinen eine
Rolle spielen. Auf diese Art und Weise regulieren sie, wieviel
dieser Proteine gebildet werden, und haben letztlich dadurch
einen Einfluss auf den Stoffwechsel. Aktiviert man die -PPARezeptoren in Leber- und Muskelgewebe, lassen sich
❚ eine erhöhte Fettverbrennung,
❚ eine Absenkung der Triglyzeridkonzentrationen im Blut sowie
❚ eine Verbesserung der HDL-Cholesterin-Werte
feststellen. Die -PPA-Rezeptoren in Makrophagen und Fettzellen sind u. a. an der Regulierung des Glukosestoffwechsels
und der Speicherung von Energie in Fettzellen beteiligt. Ihre
Aktivierung kann eine Insulinresistenz senken. Das in Tab. 2
aufgeführte Troglitazon kann z. B. die Glukoseaufnahme der
Zellen durch eine erhöhte Bildung der Glukosetransporter
GLUT1 und GLUT4 steigern [9]. Forscher der F. Hoffmann-La
Roche AG suchen derzeit nach weiteren Substanzen, welche
die -PPA-Rezeptoren oder beide PPA-Rezeptortypen (PPARCoagonisten) aktivieren können. PPAR-Coagonisten sollten
einen noch stärkeren Einfluss auf die Senkung der Insulinresistenz und die Beeinflussung des metabolischen Syndroms
haben.
Angriff auf die Insulinresistenz über den Eingriff in intrazelluläre
Signalwege
Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt zur Bekämpfung einer
Insulinresistenz ist sicherlich der, den intrazellulären Bereich
des Insulinrezeptors zu aktivieren. Dies ist jener Bereich, der
nach erfolgter Insulin-Insulinrezeptor-Bindung auf der Zelloberfläche, intrazellulär über eine Abfolge von Reaktionen verschiedene Signalwege aktiviert. Störungen dieser Prozesse sind,
wie man annimmt (s. o.), für die Ausprägung einer Insulinresistenz bei T2D bedeutsam.
GLP-1: ein Botenstoff mit vielen Funktionen
Woher bekommen die insulinproduzierenden Zellen des Pankreas die Information, wann und
wie viel Insulin sie nach einer Mahlzeit ausschütten müssen? Ein
Schlüsselbotenstoff heißt Glukagon ähnliches Peptid GLP-1
Beeinflussung von
Enzymen und Rezeptoren
Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
57
(von engl.: glucagon-like peptide). Es handelt sich um ein nur aus
wenigen Aminosäurebausteinen bestehendes Peptidhormon.
Dieses Peptidhormon wird im Darm, neben anderen Peptiden,
aus dem in den -Zellen der Langerhans’schen Inseln der
Bauchspeicheldrüse produzierten Proglukagon gebildet und
zwar abhängig von der zugeführten Nahrung! GLP-1 kann nicht
nur die Magenentleerung und damit die Ankunft der Nahrung
im Darm verzögern. Abhängig von der Glukosekonzentration
im Darm hemmt GLP-1 in der Bauchspeicheldrüse die Freisetzung von Glukagon5 und fördert gemeinsam mit Glukose die
Freisetzung von Insulin, indem es GLP-1 an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche von insulinproduzierenden -Zellen
in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse andockt. Dadurch werden intrazelluläre Signalkaskaden in Gang
gesetzt, die zur Insulinfreisetzung führen [5]. Diese Steuerung
der Insulinfreisetzung durch GLP-1 und Glukose stellt sicher,
dass nicht zu viel Insulin freigesetzt wird. Es kann keine
Unterzuckerung entstehen.
GLP-1 wird schnell durch das Enzym Dipeptidyl-peptidase-IV
(DPP-IV) inaktiviert. DPP-IV ist eine Protease, die im Blutkreislauf zirkulierendes Protein oder Peptid spaltet und somit inaktiviert. Dieser interessante physiologische Regelmechanismus
bietet gleich mehrere Ansatzpunkte einer therapeutischen Beeinflussung, sofern noch eine Insulinproduktion bei Typ-2-Diabetikern vorhanden ist:
❚ Durch Gabe von GLP-1 lässt sich der Glukoseanstieg nach
Nahrungsaufnahme verzögern [1] und die Freisetzung von
Insulin steigern.
❚ Erhöhte GLP-1-Konzentrationen im Blut lassen sich z. B.
aber auch dadurch erreichen, dass man das Enzym DPP-IV,
welches diesen Botenstoff abbaut, hemmt.
❚ Eine Substanz, die wie GLP-1 an den GLP-1-Rezeptor auf der
Oberfläche der -Zellen binden könnte, ein sog. GLP-1-Rezeptor-Agonist, könnte außerdem beispielsweise für eine Anregung der Insulinfreisetzung sorgen, ohne dass es langfristig
zu einer Erschöpfung der insulinproduzierenden Zellen
kommt, da nur im Zusammenspiel mit Glukose eine
5
58
Glukagon ist der natürliche Gegenspieler,
ein Antagonist, des Insulins. Glukagon
stimuliert also die Glukosesynthese und
den Abbau des Glykogens und sorgt so
für eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels.
Insulinfreisetzung erfolgt. Die bisher eingesetzten insulinsekretionsanregenden Substanzen, wie z. B. die Sulfonylharnstoffe (siehe Tab. 2) können längerfristig zu einer Erschöpfung der -Zellen führen, da sie die Freisetzung von Insulin
unabhängig von Glukose oder anderen insulinstimulierenden Nahrungsbestandteilen vermitteln [1].
Wie gezeigt, gibt es viele hoffnungsvolle Ansätze, die bei T2D
außer Kontrolle geratenen physiologischen Prozesse so zu beeinflussen, dass es zu einer Senkung des erhöhten Blutzuckergehaltes kommt. Der beste Weg im Kampf gegen T2D ist aber
sicher der, ihn erst gar nicht entstehen zu lassen.
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Typ-2-Diabetes: Entwicklung oraler medikamentöser Therapien
59
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