Echte und vorgetäuschte Posttraumatische Belastungsstörungen

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Originalarbeit
Psychotraumatologie 2002; 26
DOI: 10.1055/s-2001-20177
Echte und vorgetäuschte Posttraumatische
Belastungsstörungen
Dr. phil. Psychologin Angelika Birck
Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin
1
Zusammenfassung
In Deutschland basiert das Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien auf dem
Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). In der politischen Debatte
wurden Vorwürfe der Simulation erhoben. In dieser Übersichtsarbeit werden verschiedene
Motivationen für das Vortäuschen psychischer Störungen sowie Merkmale von Simulation und
artifiziellen Störungen besprochen. Es werden detaillierte Hinweise gegeben, die dem
Diagnostiker zu unterscheiden helfen, ob eine PTBS tatsächlich vorliegt oder aber vorgetäuscht
wird (Symptomverlauf, Charakteristika spezifischer Symptome, Inhalte von Alpträumen u. a.).
Genuine and Malingered Posttraumatic Stress Disorder
In Germany, since November 2000 refugees from Ex-Yugoslavia can get a residence permit if
they are diagnosed as suffering from PTSD. A political debate has emerged arguing that some
refugees could malinger PTSD in order to obtain a residential status. This article describes
different motivations for malingering psychic disorders and distinguishes simulation and
artificial disorders. In the overview of the existing literature, indicators for genuine and
malingered PTSD are described in detail (e. g. course of symptoms, specific avoidance and
intrusion features, involuntary arousal symptoms, contents of nightmares, details of recall,
dissociative amnesia etc.) Comparison of descriptions of symptoms by the patients and
observations of symptoms by the clinician during the diagnostic interview can give hints on
malingering. Further sources of information can be used in the assessment of PTSD
(descriptions by family members of symptoms of the patient, test data etc.) In malingered
psychic disorders, symptoms which lead to major social problems or to reduced self-esteem (e.
g. aggressive outbursts against family members, feeling guilty about own conduct, sexual
dysfunction) are not very likely to be reported. Repeated patient interviews, performed on
different days are most likely to detect malingering because it is nearly impossible to describe
traumatic events and symptoms consistently and in detail during different assessments over
longer periods of time.
Einleitung
Im November 2000 wurde das Bleiberecht von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina
und dem Kosovo neu geregelt, das Vorliegen einer PTBS ist dabei das Hauptkriterium für den
Erhalt einer Aufenthaltsbefugnis.[1] Zuvor war eine PTBS die Voraussetzung für ein Aussetzen
der Abschiebung gewesen. In der politischen Diskussion wurde wiederholt der Vorwurf der
Simulation erhoben.
Die Grundlage für die Diagnostik psychischer Störungen bilden Aussagen einer Person zum
eigenen Erleben und Verhalten und Beobachtungen des Diagnostikers in der
Untersuchungssituation. Selbstbeschreibungen von psychischen Beschwerden sind schwieriger
zu überprüfen als körperliche Erkrankungen, da keine organischen Befunde die Beschwerden
verifizieren können. Es scheint daher relativ einfach zu sein, eine psychische Störung
vorzutäuschen.
Vorgetäuschte Störungen
Manchmal werden Symptome von Personen bewusst vorgetäuscht oder hervorgerufen, um
offensichtliche Ziele zu erreichen (z. B. sicherer Aufenthalt, Frührente), dabei spricht man von
Simulation. Resnick (1988, S. 85) unterscheidet die reine Simulation, bei der eine Störung, die
bei der Person noch nie exisitiert hat, absichtlich vorgetäuscht wird; die teilweise Simulation,
bei der existierende leichte Beschwerden bewusst übertrieben werden oder früher vorhandene
Beschwerden, die abgeklungen sind, als präsent angegeben werden; und die falsche
Zuschreibung, bei der tatsächlich bestehende Symptome als Folge eines bestimmten
Ereignisses beschrieben werden, obwohl bekannt ist, dass sie anders verursacht wurden (z. B.
wenn Schmerzen als Folge eines Unfalls beschrieben werden, obwohl sie schon zuvor
bestanden).[2]
Es gibt auch Menschen, die körperliche oder psychische Erkrankungen absichtlich hervorrufen
oder vortäuschen, ohne dass eine von außen ersichtliche Motivation oder die Möglichkeit eines
offensichtlichen Nutzens vorliegt. Der sekundäre Gewinn der vorgetäuschten Symptomatik ist
hier ein rein psychischer, z. B. Erhalten von Mitgefühl und Aufmerksamkeit. Beim Vortäuschen
von Erkrankungen zur Befriedigung psychischer Bedürfnisse spricht man von einer Artifiziellen
Störung (DSM-IV: 300.16 und 300.19; ICD-10: F68.1). Hier sind sich die Patienten zwar
bewusst, dass sie die Symptome absichtlich vortäuschen, wissen aber nicht, warum sie dies
tun. Oft bestehen jahrelange Krankheitsgeschichten mit unterschiedlichsten Diagnosen,
wiederholten Klinikaufenthalten, invasiven Eingriffen etc. Szoke & Boillet (1999) berichten den
Fall eines 46-jährigen Mannes mit vorgetäuschter depressiver Trauerreaktion, der sich seit
seinem 26. Lebensjahr wegen unterschiedlichster angeblicher Erkrankungen 32-mal in
stationärer Behandlung befunden hatte.[3] Neben den artifiziellen Störungen werden oft
zusätzlich Persönlichkeitsstörungen und/oder Beziehungsstörungen beobachtet.
Für Menschen, die eine Erkrankung vortäuschen, ist es schwierig, die Vortäuschung über einen
längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten, ohne sich in grobe Widersprüche zu verstricken. Es ist
anzunehmen, dass Personen, die psychische Störungen fingieren, in geringem Umfang dazu
bereit sind, eine längere Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, da dies das Risiko, entlarvt
zu werden, erhöht. So werden in der Literatur mehrere Fälle berichtet, in denen Personen, die
zunächst eine PTBS vortäuschten, im Rahmen der Therapie zugaben, nie das angebliche
traumatische Ereignis erlitten zu haben (gleichwohl werden manchmal andere bisher nicht
benannte, weiter zurückliegende traumatische Erfahrungen deutlich; Sparr & Pankratz, 1983;
Lacoursiere, 1993) [4][5].
Szoke & Boillet (1999) schlagen folgende Richtlinien für die Diagnose artifizieller psychischer
Störungen vor:
Die vorgetäuschte Symptomatik ist schwer und verhindert, dass längerfristige
Arbeitsverhältnisse, Familien- und Freundesbeziehungen aufrecht erhalten werden
können. Der Beginn der Störung liegt meist im frühen Erwachsenenalter, meist mit
chronischem Verlauf.
Die vorgetäuschten Symptome sind dramatisch und tauchen in ungewöhnlicher Art,
Kombination und Vielzahl auf. Einzelne Symptome können verschiedenen schweren
psychiatrischen Störungen und nicht nur einem Krankheitsbild zugeordnet werden. Die
Beschwerden sind labil und wechseln stark (häufig dann, wenn die Person sich
beobachtet fühlt). Die Veränderung der Symptomatik kann durch die Behandlung nicht
erklärt oder beeinflusst werden. Häufig bestehen neben der vorgetäuschten psychischen
Störung vorgetäuschte körperliche Symptome oder Trauerreaktionen (angeblicher Tod
von Angehörigen).
Angaben zur Biographie und Krankengeschichte sind schwer zu erhalten, weil der
Patient seine Beschwerden im Zusammenhang mit dramatischen Lebensgeschichten
berichtet, dabei bleiben wesentliche Details oft vage, manchmal werden zur Erklärung
ungewöhnliche Gedächtnisstörungen beschrieben. Der Patient versucht zu verhindern,
dass aktuell behandelnde Ärzte oder Psychotherapeuten Kontakt mit früheren
Behandlern oder mit Familienmitgliedern aufnehmen. Es bestehen kaum soziale
Kontakte.
Externe Belege für die Störung fehlen oder das Ausmaß der berichteten Beschwerden
steht in keinem Verhältnis dazu.
Die Kriterien einer Antisozialen Persönlichkeitsstörung sind erfüllt, [3].
Rogers (1988, S. 251, S. 261ff) [6] nennt zusätzlich folgende Hinweise für das Vortäuschen
einer psychischen Störung:
Der Diagnostiker erhält meist nur vage und unspezifische Antworten, wenn er die Art,
Intensität und Häufigkeit der angeblichen Beschwerden präzisieren möchte.
Manche Symptome werden ungewöhnlich spezifisch beschrieben (z. B. untypische
Genauigkeit bei Häufigkeit und Dauer von Beschwerden).
Die Symptomatik entwickelt sich sprunghaft oder heilt abrupt wieder ab. Eine
graduierte Veränderung der Symptomatik wird nicht beobachtet. Das rasche
Auftauchen und Verschwinden von Symptomen entspricht dabei nicht den klinischen
Erwartungen an den Verlauf der beschriebenen Störung.
Es gibt Unterschiede zwischen beschriebener und beobachteter Symptomatik.
Es überwiegt die Darstellung einer Positiv-Symptomatik (z. B. Halluzinationen,
wahnhafte Gedanken), nur wenige Negativ-Symptome (z. B. Antriebsverlust) werden
benannt.
Es werden wenig subtile Symptome beschrieben.
In mehreren Untersuchungen werden Beschwerden widersprüchlich und inkonsistent
beschrieben (Art, Intensität, Häufigkeit etc.).
Erkennen einer vorgetäuschten PTBS
Es ist methodisch schwierig, Angaben zur Häufigkeit des Vortäuschens von psychischen
Störungen zu machen. Schätzungen zur Häufigkeit des Vortäuschens von PTBS beziehen sich
meist auf Vietnam-Veteranen, Lacoursiere (1993) nennt dabei etwa 6 %. In unserer Arbeit im
Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin (BZFO) sind uns ebenfalls schon Fälle begegnet, bei
denen sich die PTBS als vorgetäuscht erwies. Sparr & Pankratz (1983) nehmen an, dass
Personen, die sich fälschlich als Vietnam-Veteranen ausgeben, eher allgemeine
niedergelassene Ärzte und Psychologen aufsuchen und spezialisierte Einrichtungen meiden, da
sie fürchten müssen, dort eher entlarvt zu werden [4][5].
Mehrfach stellte sich eine PTBS als vorgetäuscht heraus, weil nachgewiesen werden konnte,
dass eine Person bei angeblichen traumatischen Ereignissen gar nicht anwesend war (wobei
keine anderen Traumata berichtet wurden). So waren z. B. angebliche Vietnam-Veteranen gar
nicht in Vietnam gewesen [4][5]. Fingierte Fälle fielen auf, weil nicht nur Aussagen zu
angeblichen traumatischen Ereignissen in Kernbereichen grob inkonsistent waren, sondern
auch Angaben zur Lebensgeschichte starke Abweichungen aufwiesen (z. B. unterschiedliche
Anzahl von Geschwistern, Sparr & Pankratz, 1983). Nach tatsächlich erlebten traumatischen
Ereignissen sei die reine Simulation von posttraumatischen Beschwerden selten, öfter komme
es zur teilweisen Simulation mit einer Übertreibung bestehender Symptome (Resnick, 1988, S.
87) [2].
Verschiedene Autoren empfehlen, Aussagen zu angeblich erlittenen traumatischen Ereignissen
durch externe Quellen zu überprüfen (z. B. Militärakte) und eine PTBS-Diagnose solange als
vorläufig zu betrachten, bis diese das traumatische Ereignis bestätigen (Sparr & Pankratz,
1983; Lacoursiere, 1993). Leider liegt es in der Natur mancher traumatischer Ereignisse, dass
sie nur schwer zu beweisen sind. Etwa sind bei Gewalt innerhalb der Familie (z. B. sexueller
Missbrauch) oder bei Folter externe Belege selten, Geheimhaltung ist hier Bestandteil des
Verbrechens. Staaten geben Folter nicht freiwillig zu, Folterer versuchen, keine eindeutigen
Spuren zu hinterlassen (Graessner & Wenk-Ansohn, 2000) [4][5][7]. In Terrorregimen
geraten Ärzte, die Folter attestieren, selbst in Gefahr.
Wenn keine externen Hinweise vorliegen, ist eine Methode zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit
des Erlebens fraglicher Ereignisse die kriteriumsorientierte Aussagenanalyse (Greuel et al,
1998; Birck, 2002).[8][9] Im BZFO erlauben uns unser Behandlungsauftrag, unser
Berufsverständnis und unsere begrenzten Ressourcen nicht, die Aussagen unserer Patienten
entsprechend der kriteriumsorientierten Aussagenanalyse zu beurteilen. Wir überprüfen aber,
ob Kernaussagen konstant bleiben und ob externe Quellen Aussagen bestätigen. Manchmal
berichten uns unterschiedliche Patienten vom gleichen traumatischen Ereignis (Zerstörung
eines Dorfes, Inhaftierungen bei Demonstrationen etc.) oder schildern das selbe Gefängnis mit
den gleichen, mitunter untypischen Details. Opfer von spezifischen Folterungen können
manchmal die dafür notwendigen Apparaturen und Vorgehensweisen schildern (oft ist das
wegen verbundener Augen, peritraumatischer Dissoziation und posttraumatischer Vermeidung
nicht möglich), dieses spezifische Wissen ist ereignistypisch und nicht Allgemeingut und daher
ein deutlicher Hinweis auf den Erlebnisbezug.
Die Erkenntnis, dass eine PTBS vorgetäuscht werde, gelinge häufiger durch die Entdeckung,
dass die angeblichen traumatischen Ereignisse von der Person gar nicht erlebt wurden, als
durch das Erkennen, dass die Symptome der Störung nicht echt seien. Wenn eine
vorgetäuschte PTBS anhand ihrer Symptome erkannt werde, liege das häufig am
ungewöhnlichen Charakter und Verlauf der einzelnen Symptome und ihrer Beziehung
zueinander (Szoke & Boillet, 1999) [3]. Bei den in der Literatur geschilderten Fällen von
vorgetäuschter PTBS bei angeblichen Vietnam-Veteranen fällt auf, dass die Personen, die sich
als traumatisiert präsentierten, oft zusätzlich eine Reihe anderer, oft körperlicher
Erkrankungen vortäuschten, für die auf organischer Ebene keine Hinweise bestanden (z. B.
Epilepsie, Diabetes; Sparr & Pankratz, 1983; Lacoursiere, 1993), [4][5]. Zusätzlich zu den
bereits beschriebenen Indizien, die auf das Vortäuschen einer psychischen Störung hinweisen,
werden folgende spezifischen Merkmale genannt, in denen sich eine vorgetäuschte von einer
echten PTBS unterscheidet (Resnick, 1988) [2]:
Typisch für fingierte Fälle von PTBS scheint, dass der Symptomverlauf in keinem erkennbaren
Zusammenhang zur Behandlung oder zu äußeren Bedingungen steht, die Beschwerden sind
stattdessen unvorhersehbar wechselhaft und inkonsistent, ohne dass dies erklärt werden
könnte (Sparr & Pankratz, 1983) [4]. Umgekehrt ist eine Veränderung der Symptomatik, die
dem erwarteten Krankheitsverlauf entspricht, ein Hinweis auf das tatsächliche Vorliegen der
Erkrankung (bei PTBS z. B. eine Reaktivierung einzelner Beschwerdenkomplexe oder der
Gesamtsymptomatik durch äußere Belastungen).
Vortäuschende Patienten haben häufig offensichtliche Schwierigkeiten, in Untersuchungs- oder
Behandlungssituationen zu kooperieren. Die differenzierte Abklärung der Symptomatik ist
aufgrund von ausweichenden Antworten und Widersprüchen schwierig. Therapeutische
Maßnahmen oder empfohlene Medikamenteneinnahmen werden oft nicht befolgt. Nach Resnick
(1988, S. 91) vermeiden Menschen, die Beschwerden simulieren, Untersuchungen und
Behandlungen, sofern diese nicht Bedingung für das Erreichen von Zielen sind. Wenn die
offensichtlichen Ziele erreicht wurden, bleiben Patienten weiteren Terminen meist fern.
Allerdings gehört mangelnde Kooperation manchmal auch zu einem tatsächlich vorhandenen
Störungsbild [2].
Einen weiteren Hinweis auf das Vortäuschen einer PTBS können unterschiedliche Möglichkeiten
des Patienten für angenehme und unangenehme Aktivitäten geben. Dies kann der Fall sein,
wenn der Patient z. B. über Konzentrationsstörungen klagt, die jedoch nur seine Arbeit, nicht
aber Freizeitaktivitäten (z. B. Karten spielen) beeinträchtigen, ohne dass dieser Unterschied
erklärt werden könnte. Auffällig ist, wenn der Patient über generalisiertes Misstrauen und
sozialen Rückzug klagt, sich aber seine Familien- und Freundesbeziehungen seit dem Trauma
unverändert und unauffällig gestalten. Bei einer tatsächlich vorhandenen PTBS, vor allem
dann, wenn die Traumatisierung von Menschenhand ausging, werden häufig Probleme in der
Familie (z. B. mit Kindern, mit Lebenspartnern) beschrieben oder beobachtet, dies ist bei
vorgetäuschten Störungen selten.
Tatsächliche PTBS-Patienten beschreiben das Erlittene meist mit einer Vagheit und
Ungenauigkeit für einzelne Aspekte des Traumas und mit einer übergroßer Detailliertheit für
andere Aspekte. Erinnerungslücken einerseits und einzelne unzusammenhängende,
nebensächliche oder bizarre und überdeutliche Details andererseits sind typisch. Dagegen
schildern Menschen, die eine PTBS nur vortäuschen, die traumatischen Ereignisse oft mit
gleichmäßigem Detailreichtum oder gleichförmig verschwommen und ohne Lücken (Resnick,
1988, S. 91). Für echte Traumatisierungen ist zudem ein beobachtbarer Bruch der
Lebensgeschichte zwischen dem Leben vor dem Trauma und der Zeit danach charakteristisch
[10].
Echte PTBS-Patienten tendierten häufig dazu, das traumatische Ereignis oder ihre
Beschwerden herunterzuspielen, z. B. indem sie sagen, dass andere noch Schlimmeres erlebt
haben, dass sie einzelne besonders schlimme Ereignisse (z. B. Vergewaltigung) nicht erlitten
haben und daher relativ heil geblieben seien (Resnick, 1988, S. 101f) [2]. Tatsächliche
Trauma-Überlebende haben manchmal Schwierigkeiten zu erkennen, dass ihre aktuellen
Beschwerden auf die traumatischen Ereignisse zurückzuführen sind. Sie nennen mitunter
andere Ursachen, um ihre Symptome zu erklären (etwa aktuelle Belastungen), diese Ursachen
können in den Augen des Diagnostikers die bestehende Symptomatik jedoch nicht vollständig
erklären. Sie versuchen manchmal, ihre Symptome vor anderen Menschen zu verbergen, weil
sie sich schämen. Eine beobachtbare Beschämung darüber, in der traumatischen Situation zum
hilflosen Opfer geworden zu sein und darüber, weiterhin an psychischen Beschwerden zu
leiden, ist bei Personen, die eine PTBS vortäuschen, nicht zu erwarten. Die Bagatellisierung des
Zusammenhangs zwischen dem traumatischen Ereignis und der Symptomatik einerseits und
der Stärke der Beschwerden andererseits ist für tatsächliche Trauma-Überlebende oft
intrapsychisch notwendig, um ein einigermaßen positives Bild von sich selbst und der Welt
aufrecht zu erhalten und damit das Ausmaß der Zerstörung zu minimieren. Dagegen versuchen
Simulanten in der Regel, die traumatischen Ereignisse besonders zu betonen, indem sie die
eigene „Zerstörung” in den Vordergrund rücken. Sie versuchen damit, den Kliniker davon zu
überzeugen, wie traumatisierend das beschriebene Ereignis war. Gleichzeitig beschreiben
Simulanten häufig ein idealisiertes Funktionsniveau vor dem angeblichen traumatischen
Ereignis und führen alle ihre Probleme auf das angebliche Trauma zurück.
Widersprüche bei Angaben zu Beschwerden und angeblichen traumatischen Ereignissen
tauchen bei Personen, die eine PTBS vortäuschen, gehäuft auf (Resnick, 1988, S. 97) [2].
Dabei müsse der Diagnostiker zwischen Gedächtnisstörungen und Erinnerungsschwierigkeiten,
die aufgrund einer Traumatisierung zu erwarten sind, und vorgetäuschten
Erinnerungsproblemen unterscheiden. Brandt (1988) gibt dazu folgende Hinweise: Personen,
die einen dissoziativen Gedächtnisverlust vortäuschen, können manche Anforderungen (z. B.
Tests) schlechter bewältigen als Personen, die tatsächlich an Erinnerungsstörungen leiden. Bei
der echten dissoziativen Amnesie seien die Fähigkeiten, neutrales Faktenwissen zu
reproduzieren, früher erlernte Fertigkeiten auszuführen und neue Informationen zu speichern,
in der Regel nicht beeinträchtigt. Bei Personen, die den Gedächtnisverlust simulieren, werden
hier mitunter Ausfälle in einem Ausmaß beobachtet, das selbst für Patienten mit organischen
Hirnschädigungen ungewöhnlich sei [11].
Während Menschen, die eine PTBS vortäuschen, häufig mit besonderer Vorliebe über die
angeblichen traumatischen Ereignisse sprechen und mit ihrer Schilderung offenbar nur wenig
Schwierigkeiten haben, fällt es tatsächlichen Trauma-Überlebenden oft schwer, das Erlittene zu
beschreiben. Echte PTBS-Patienten versuchen, die Erinnerung an das traumatische Ereignis zu
vermeiden und wollen deshalb oft nicht darüber sprechen. Dieser Aspekt der Vermeidung kann
bei Simulanten kaum beobachtet werden (Resnick, 1988, S. 102) [2].
Menschen, die an PTBS leiden, versuchen Reize, die mit dem ursprünglichen traumatischen
Ereignis assoziiert sind, zu vermeiden. Die Konfrontation mit Hinweisreizen ist für tatsächliche
PTBS-Patienten schmerzhaft und häufig von unwillkürlichen vegetativen Reaktionen begleitet.
Echte PTBS-Patienten fangen z. B. an zu schwitzen oder zu zittern, wenn sie über das
traumatische Ereignis sprechen oder daran denken müssen. Sie berichten oft unangenehme
körperliche Empfindungen (Übelkeit, Druck auf der Brust), wenn sie mit Erinnerungen an das
Trauma konfrontiert werden, beim Darüber-Sprechen kann der Diagnostiker gelegentlich
beobachten, dass Nervosität und Schreckhaftigkeit sowie Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen zunehmen. PTBS-Patienten wissen oft nicht, welche Reize sie gerade an
das ursprüngliche Trauma erinnert haben, manchmal wird der Auslöser erst nachträglich
bewusst. Z.B. reagierte eine Patientin verstört und mit plötzlichen Intrusionen, als die
Therapeutin das Schild „Bitte nicht stören” vor das Behandlungszimmer legte. Erst später
erinnerte sich die Patientin daran, dass in dem Haus, in dem sie zur Prostitution gezwungen
wurde, ähnliche Schilder vor die Türen der Frauen gelegt wurden, wenn Soldaten bei ihnen
waren. Personen, die eine PTBS vortäuschen, sind nicht in der Lage, vegetative Reaktionen,
die das unwillkürliche Wiedererleben begleiten, zu simulieren. Es ist ziemlich schwer, eine
erhöhte Schreckhaftigkeit auf einfache Umgebungsreize hin vorzutäuschen. Wenn sich
Personen einen hohen spezifischen Kenntnisstand angeeignet haben, können sie PTBS-typische
Symptome vielleicht genau beschreiben, aber sich kaum entprechend verhalten. Simulanten
können das Vermeiden von spezifischen mit dem Trauma assoziierten Stimuli sowie die
unwillkürlichen Reaktionen (Übererregung, Intrusion, vegetative Veränderungen), die darauf
bei echten PTBS-Patienten folgen, kaum vortäuschen.
Simulanten geben ungern unangenehme intime Beschwerden an, so sei es recht
unwahrscheinlich, dass sexuelle Dysfunktionen oder Alpträume fingiert würden, wenn diese
nicht als zentrale Bestandteile des vorgetäuschten Störungsbildes bekannt seien (Resnick
1988, S. 96). Wenn sich Personen über die PTBS informieren, werden sie erfahren, dass
Alpträume zu den typischen Symptomen der Störung gehören und dann auch behaupten,
darunter zu leiden, sie würden jedoch kaum von sich aus Inhalte der angeblichen Alpträume
ansprechen. Danach gefragt, könnten sie konkrete Trauminhalte nur schlecht schildern oder
berichteten Träume mit unverändertem Inhalt: Angeblich tauche das traumatische Ereignis in
der selben Form, in der es erlebt worden war, unverändert und gleichförmig Nacht für Nacht in
Alpträumen auf (Resnick, 1988, S. 96). Bei PTBS-Patienten dagegen beinhalten Alpträume
zentrale Aspekte des Traumas, manchmal werden einzelne Fragmente statisch und
unverändert in Träumen wiedererlebt, jedoch nicht das gesamte traumatische Geschehen in
seinem Ablauf. Es ist in der Regel so, dass verschiedene Aspekte des Traumas in
unterschiedlichen Alpträumen auftauchen und die Trauminhalte dadurch variieren. Sehr selten
werden traumatische Ereignisse genau so geträumt, wie sie stattgefunden haben. Resnick
(1988, S. 96) berichtet von einer Frau, die vergewaltigt wurde: Sie träumte in einer Nacht,
dass sie sich entsetzt und hilflos fühlte und misshandelt wurde, ohne vergewaltigt zu werden.
In einer anderen Nacht tauchten Teile der Vergewaltigung auf, aber andere Elemente der
traumatischen Ereignisse fehlten. Bei PTBS-Patienten spielen Gefühle von Ohnmacht,
Entsetzen, Angst und Schuld eine zentrale Rolle in den Alpträumen. Sie berichten oft spontan,
aus den Träumen schweißgebadet oder mit Herzklopfen zu erwachen und Angst vor dem
Einschlafen zu haben, weil sie fürchten, die Träume könnten wiederkehren, oder Partner
würden sagen, dass sie im Schlaf schrien. Solche Angaben erfordern eigenes Erleben oder eine
hohe spezifische Fachkenntnis. Simulierte Alpträume beinhalten öfter Gefühle von Wut und
Ärger auf die angeblichen Täter oder Elemente, in denen die eigene Macht und Furchtlosigkeit
zum Ausdruck kommt (z. B. heldenhaftes Verhalten, Resnick, 1988, S. 101) [2].
Menschen mit echter PTBS leiden oft an Schuldgefühlen, welche die in der traumatischen
Situation erlebte Ohnmacht abwehren. Manchmal wird ein allgemeines Gefühl der Schuld
dafür, überlebt zu haben, beobachtet. Das Schuldgefühl resultiert dabei aus dem
vermeintlichen Versagen bei der Verhinderung der traumatischen Ereignisse (Janoff-Bulman,
1985, S. 28) [12]. Menschen mit echter PTBS beschuldigen sich z. B., nicht genug
unternommen zu haben, Vorzeichen nicht richtig erkannt zu haben, sich nicht stark genug
gewehrt zu haben etc. Diese Selbstvorwürfe beziehen sich dabei auf konkrete Taten oder
Unterlassungen. Selbstanklagen dieser Art fehlen bei Menschen, die eine PTBS nur
vortäuschen, Simulanten drücken höchstens pauschale Gefühle des Bedauerns (für den Krieg,
die Toten etc.) oder auf Nachfragen hin ein allgemein gehaltenes Gefühl von Schuld aus. Mit
den echten Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen von tatsächlichen Trauma-Überlebenden
hängen manchmal auch Äußerungen von Wut zusammen, Menschen mit echter PTBS sind
häufig wütend auf sich selbst und auf die erlebte Erniedrigung und Hilflosigkeit. Solche
Aussagen fehlen bei Personen, die eine PTBS nur vortäuschen, sie beschreiben sich öfter als
Opfer der Umstände und beschuldigen ausschließlich andere (Resnick, 1988, S. 101).
Resnick (1988, S. 94) empfiehlt, dem Patienten im Anamnesegespräch zunächst keine
Hinweise darüber zu geben, welche Symptome für eine PTBS typisch sind und welche nicht.
Allerdings dürfe der Untersucher dem Patienten nicht mit deutlicher Skepsis begegnen,
dadurch wird eine Person, die tatsächlich an der PTBS leidet, in ihrem Misstrauen gegenüber
Menschen noch verstärkt. Wenn Menschen, die an psychischen Störungen leiden, das Gefühl
bekommen, dass der Diagnostiker ihnen nicht glaube oder ihre Beschwerden nicht ernst
nehme, könne das dazu führen, dass wirklich vorhandene Symptome übertrieben werden, um
im tatsächlichen Leiden doch noch Gehör zu finden. Der Diagnostiker sollte überprüfen, ob
einzelne Symptome, die im Rahmen einer PTBS vorhanden sein können, nicht schon vor dem
traumatischen Ereignis bestanden haben. Der Grad der Beeinträchtigung durch die
Symptomatik kann eingeschätzt werden, indem man sich vom Patienten die üblichen
Aktivitäten in einer ganz normalen Woche vor und nach dem traumatischen Ereignis schildern
lässt (Resnick, 1988, S. 94). Dabei ist eine mögliche Latenz der PTBS zu berücksichtigen [2].
Um eine vorgetäuschte von einer echten psychischen Störung zu unterscheiden, ist es
hilfreich, Informationen über die Art der Beschwerden in verschiedenen Kontexten und durch
unterschiedliche Quellen zu sammeln. Nach Bienenfeld (2001) führen vor allem längerfristige
direkte Beobachtungen über mehrere Untersuchungstermine hinweg dazu, dass eine
Vortäuschung von Symptomen entdeckt wird, da Personen fingierte Angaben und
Verhaltensweisen nicht über längere Zeiträume aufrecht erhalten können, ohne sich in
Widersprüche zu verstricken [13]. Daher können wiederholte Untersuchungen sehr hilfreich
sein um festzustellen, ob ein Patient Störungen nur vortäuscht.
Eine weitere Möglichkeit zur Absicherung der Diagnostik liegt darin, unterschiedliche Daten
miteinander zu kombinieren. So stützt sich eine fundierte Diagnostik nicht nur auf
Selbstbeschreibungen des Patienten, sondern auch auf Beobachtungen des Diagnostikers in
der Untersuchungssituation. Wenn Symptome wie sozialer Rückzug, übersteigerte
Schreckreaktionen, Misstrauen und schwer zu simulierende vegetative Symptome auf
bestimmte Reize hin beobachtet werden können, spricht das für das tatsächliche Vorliegen
einer psychischen Störung. Zusätzliche Informationen können standardisierte Instrumente und
fremdanamnestische Angaben liefern. Angehörige schildern manchmal Beziehungsprobleme,
die sich direkt aus den Verhaltensveränderungen des Patienten ergeben (z. B. aggressive
Durchbrüche).
Um weitere Hinweise über ein mögliches Vortäuschen einer psychischen Störung zu erhalten,
könne der Diagnostiker nach Symptomen fragen, die normalerweise bei der Störung nicht
auftreten (z. B. reduziertes Schlafbedürfnis oder Rededrang bei PTBS). Wenn der Patient
solche ungewöhnlichen Symptome bejahe, könne das ein weiterer Hinweis auf Simulation sein.
Allerdings neigen auch neurotische Patienten, die tatsächlich an Störungen neigen, dazu, diese
ungewöhnlichen Symptome zu bejahen (Resnick, 1988, S. 95) [2].
Die Vortäuschung einer PTBS kann in regelmäßig stattfindenden, längerfristigen
Psychotherapien kaum aufrecht erhalten werden, dies trifft umso mehr zu für
Gruppenbehandlungen mit anderen Menschen, die ähnliche traumatische Ereignisse erlebt
haben. Resnick (1988, S. 100) berichtet von vermeintlichen Vietnam-Veteranen, die in der
Lage waren, detaillierte Berichte von angeblichen Kriegserlebnissen zu schildern, welche von
Diagnostikern in Aufnahmeinterviews als glaubhaft beurteilt worden waren. In der
Gruppentherapie mit anderen Veteranen wurden die Simulanten von den „echten” Veteranen
jedoch in kürzester Zeit anhand von fehlender Detailinformation über Örtlichkeiten, Ereignisse
u. a. erkannt [2].
Um unterscheiden zu können, ob es sich um eine echte oder um eine vorgetäuschte PTBS
handelt, benötigt der Diagnostiker hinreichende klinische Erfahrung mit der zu beurteilenden
Patientengruppe und den zugrundeliegenden speziellen traumatischen Ereignissen. Ein
ausreichendes Sprachverständnis (ggf. professionelle Dolmetscher) muss gewährleistet sein.
Im Einzelfall kann die Diagnose auch dann nur durch genaue Beobachtung und differenziertes
Nachfragen in mehreren Untersuchungsterminen (günstigenfalls an verschiedenen Tagen)
festgestellt werden.
Danksagung
Die Arbeit wurde finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und
Kultur.
Literatur
1 Beschlussniederschrift über die 165. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder am 24. 11. 2000 in Bonn. IMK Geschäftsstelle
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Autor:
Dr. phil. Psychologin Angelika Birck
Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin
Spandauer Damm 130
14050 Berlin
Telefon: Tel: 030/ 303906-0
Email: [email protected]
Fundstelle: http://www.thiemeconnect.de/BASScgi/4?FID=Start&URL=Abstract&Level=Journal&JournalKey=117&IssueKey=1
627&FieldKey=0&ArticleKey=20177&CTXquery=-1&Sprache=DE
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