Die Rolle von Lipopolysaccharid im Wechselspiel zwischen

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Freudenberg, Marina A. | Die Rolle von Lipopolysaccharid im Wechselspiel zwischen ...
Tätigkeitsbericht 2005
Immun- und Infektionsbiologie/Medizin
Die Rolle von Lipopolysaccharid im Wechselspiel zwischen Bakterien
und Immunsystem
Freudenberg, Marina A.
Max-Planck-Institut für Immunbiologie, Freiburg
Forschungsgruppe - Metchnikov Laboratorium
Korrespondierender Autor: Freudenberg, Marina A.
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die Interaktion von Krankheitserregern, einschließlich Bakterien, mit dem Immunsystem von Säugern
ist Gegenstand einer weltweiten intensiven Forschung. Die Arbeitsgruppe um Marina Freudenberg
am MPI für Immunbiologie befasst sich mit der Interaktion des bakteriellen Lipopolysaccharids (LPS,
Endotoxin) mit dem angeborenen Immunsystem. LPS ist ein Hauptbestandteil der äußeren Zellwand
von Gram-negativen Bakterien. Es spielt eine essentielle Rolle bei der bakteriellen Erkennung und ist
hauptverantwortlich für die Aktivierung der angeborenen Immunität durch Gram-negative Bakterien.
Die positiven und negativen Folgen dieser Aktivierung, das heißt die Bildung einer adäquaten Infektionsabwehr und die Entstehung von krankhaften Symptomen sowie die zugrunde liegenden Mechanismen, werden hauptsächlich im Mausmodell untersucht. Die Versuche sind von großer medizinischer
Bedeutung, erhofft man sich doch, dass das gewonnene Wissen zu einer besseren Vorbeugung und
Behandlung von Infektions- und Folgeerkrankungen beitragen wird.
Abstract
The interaction of bacteria and other pathogenic microorganisms with the mammalian immune system
has been the subject of world-wide investigations since more than a century now. The studies carried
out in the group of Marina A. Freudenberg at the MPI for Immune Biology are concerned mainly with
the interaction of lipopolysaccharide (endotoxin, LPS) with the innate immune system. LPS is a highly
toxic component present in the outer cell-wall of Gram-negative bacteria, inducing in animals and
humans a large spectrum of pathophysiological activities that can lead to shock and death. On the
other hand LPS is a powerful activator of the innate immune system and plays a primary role in the
early recognition of bacterial infections and in the stimulation of antibacterial defense. The positive
and negative consequences of LPS/host interaction during bacterial infections, i.e. the induction of an
early resistance to infection, the development of pathophysiological effects, as well as their underlying
mechanisms are investigated by the group in different mouse-models. The objective of these studies is
an improved diagnosis, prevention and treatment of infection and are therefore important both from
the scientific and clinical point of view.
Einleitung
Das Überleben jedes höher entwickelten Organismus, auch das des Menschen, hängt entscheidend von
dessen Fähigkeit ab, eine enorme Vielzahl infektiöser Mikroorganismen – dies sind Bakterien, Viren,
Pilze und so genannte eukaryotische Parasiten – zu erkennen und zu vernichten. Die hierfür notwendigen Mechanismen entwickelten sich folgerichtig bereits während einer sehr frühen Phase der Evolution. In ihrer Gesamtheit werden diese, unser Überleben sichernden Mechanismen heute als angeborene
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Immunität bezeichnet. Zellen, wie zum Beispiel Monozyten, Gewebemakrophagen, Granulozyten
und dendritische Zellen, spielen dabei eine tragende Rolle. Sie erkennen infektiöse Keime und lösen
bei Gefahr mithilfe von Zell-gebundenen und löslichen Botenstoffen im Wirtsorganismus eine rasche
Alarmreaktion aus. Die Freiburger Arbeitsgruppe um Marina A. Freudenberg erforscht diese Alarmreaktion – ihre Prozesse und Akteure sowie deren Kommunikationswege und Abwehrmechanismen im
Überlebenskampf.
Im Mittelpunkt: Lipopolysaccharid
Ein erheblicher Teil der Infektionskrankheiten, etwa Keuchhusten, Magengeschwür, Typhus, Cholera
oder Ruhr, wird durch so genannte Gram-negative Bakterien hervorgerufen. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei ein spezieller, großmolekularer Bestandteil der Oberfläche dieser Bakterien: das bakterielle Lipopolysaccharid, dessen Freisetzung während einer Infektion zu Krankheitssymptomen wie
Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen führt; oder bei ungünstigerem Verlauf der Krankheit
zu einer toxischen Schockreaktion, dem häufig tödlichen Endotoxinschock, einer in der Humanmedizin gefürchteten Komplikation Gram-negativer Infektionen. Die Freisetzung des Lipopolysaccharids
durch Bakterien, seine Interaktion mit LPS-bindenden Plasmaproteinen und Zellen, dadurch ausgelöste biologische Aktivitäten sowie das metabolische Schicksal des LPS im Wirtsorganismus wurden
auch schon in der Vergangenheit durch Marina A. Freudenberg, Chris Galanos und deren Mitarbeiter
untersucht. Heute stehen für die Freiburger Wissenschaftler eine Reihe neuer Fragen und Aspekte der
LPS-Forschung im Vordergrund, deren umfassende Klärung und Erklärung eine direkte Auswirkung
auf Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen und somit auf Überleben und Gesundheit einer
Vielzahl von Patienten haben werden: Schwerpunkt der Forschung sind die LPS-spezifischen zellulären Rezeptoren sowie Veränderungen der LPS-Empfindlichkeit im infizierten Organismus und die
Auswirkungen auf dessen Funktionsfähigkeit.
Abb. 1: Schematische Darstellung des Zellwandaufbaus Gram-negativer Bakterien mit typischen Bestandteilen.
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Lipopolysaccharid-Erkennung
Säugetiere stellen für die LPS-Forschung wichtige Modelle dar, insbesondere da es oft möglich ist, die
gewonnenen Kenntnisse direkt auf den Menschen zu übertragen. Dabei ist vor allem das Mausmodell
von Bedeutung. In der Spezies Maus sind natürliche Mutanten bekannt, die nicht auf LPS reagieren
und keinen Endotoxinschock entwickeln. Mithilfe dieser Mutanten konnte die Freiburger Arbeitsgruppe die zentrale Rolle von Makrophagen in der LPS-Erkennung bei der Entstehung eines Endotoxinschocks beweisen. Des Weiteren führten Untersuchungen an LPS-resistenten Mutanten, unter
Beteiligung der Freiburger Wissenschaftler, zu der Erkenntnis, dass das Oberflächenprotein Toll-likeRezeptor 4 (TLR4) den zentralen Bestandteil des LPS-Rezeptors darstellt [1]. TLR4 ist ein Mitglied
der Familie der Toll-like-Rezeptoren, welchen generell eine bedeutende Rolle bei der Erkennung von
Krankheitserregern durch das Immunsystem zukommt. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dieser Rezeptor für die Aktivierung von Zellen durch LPS unentbehrlich ist und dass die Empfindlichkeit
der Zellen gegenüber LPS von der Anzahl der TLR4-Moleküle auf der Zelloberfläche abhängt.
Die Lipopolysaccharid-Erkennung durch Zellen wird durch die LPS-bindenden Plasmaproteine LBP
und lösliches sCD14 sowie durch das Oberflächenprotein mCD14 unterstützt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Notwendigkeit dieser Erkennungshilfe stark von der LPS-Struktur abhängt.
Das LPS-Molekül besteht aus einem Lipid- und einem Zuckerteil. Der hydrophobe Lipidteil, das so
genannte Lipid A, ist bei allen biologisch-aktiven Lipopolysacchariden strukturell sehr ähnlich. Der
hydrophile Zuckerteil dagegen variiert stark bei den verschiedenen Bakterienarten; dies sowohl in der
Größe als auch in der Zusammensetzung. In einer Kooperation mit Forschern der Universität Freiburg
um Michael Huber und amerikanischen Kollegen um Bruce Beutler konnten die Max-Planck-Wisssenschaftler nachweisen, dass die Abhängigkeit von einer LBP/CD14-Unterstützung bei der Aktivierung
von Zellen durch LPS je nach LPS-Struktur von total abhängig bis hin zu weitgehend unabhängig
schwankt [2]. Es wird erwartet, dass die letzteren Lipopolysaccharide ein größeres Repertoire an Zielzellen aufweisen und ihre Aktivität weitgehend von LBP- und CD14-Mutationen unabhängig ist.
LPS-Überempfindlichkeit durch Infektion
Untersuchungen im Mausmodell zeigten außerdem, dass die LPS-Empfindlichkeit während vieler
experimenteller Infektionen stark ansteigt. Man spricht dann von einer Überempfindlichkeit [3]. LPSüberempfindliche Tiere produzieren als Antwort auf einen LPS-Stimulus stark erhöhte Mengen an
Botenstoffen, inklusive Zytokinen. Die für die Erzeugung eines Endotoxinschocks benötigte Dosis an
LPS nimmt in überempfindlichen Tieren drastisch ab. Gleichzeitig werden diese auch überempfindlich
gegenüber der toxischen Wirkung des LPS-erzeugten Zytokins Tumor necrosis factor-α. Die Wissenschaftler zeigten, dass die Bildung des Zytokins Interferon-γ im infizierten Organismus für die Entstehung einer LPS-Überempfindlichkeit verantwortlich ist. Diese Entstehung wird durch das Freiburger
Forscherteam gegenwärtig in verschiedenen Infektionsmodellen sowohl mit Gram-negativen als auch
mit Gram-positiven Bakterien untersucht. Ein besonders gut geeignetes und etabliertes Modell zur Untersuchung der LPS-Überempfindlichkeit ist hierbei die Behandlung von Mäusen mit hitze-abgetöteten
Gram-positiven Bakterien der Spezies Propionibakterium acnes. Die Arbeiten am MPI für Immunbiologie führten zu der Erkenntnis, dass ein weiteres Protein der Toll-like-Rezeptor-Familie, das TLR9,
für die Entstehung einer LPS-Überempfindlichkeit durch Propionibakterium acnes unentbehrlich ist
[4]. Soweit heute bekannt ist, ist dieser Rezeptor auf die Erkennung bakterieller Erbsubstanz (DNA)
spezialisiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Aktivierung eines bestimmten TLR-Rezeptors, des
TLR9, die Aktivierbarkeit eines anderen Rezeptors, des LPS-spezifischen TLR4 enorm steigern kann.
Dieser Mechanismus ermöglicht es, dass der Kontakt des Wirtsorganismus mit Propionibakterium
acnes über die Steigerung der LPS-Empfindlichkeit die Erkennung von Gram-negativen Bakterien allgemein verbessert. Beim Menschen stellt das Propionibakterium acnes einen Teil der physiologischen
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Besiedlung der Haut und der Schleimhäute mit Mikroorganismen dar. Die heutige Forschung geht
davon aus, dass der enge Kontakt der physiologischen Flora mit dem angeborenen Immunsystem zu
einer Dauerstimulierung des Systems führt. Dies ist für Menschen und andere Säugetiere sehr wichtig,
da es eine effiziente Erkennung und schnelle Beseitigung von Infektionserregern fördert.
LPS-Empfindlichkeit: ein zweischneidiges Schwert
Untersuchungen an Lipopolysaccharid-resistenten Mäusen haben gezeigt, dass die LPS-Erkennung für
die erfolgreiche Abwehr von Gram-negativen Infektionen unentbehrlich ist. Marina A. Freudenberg
und andere Forscher konnten demonstrieren, dass die Abwesenheit des LPS-Rezeptors TLR4 oder des
LPS-bindenden Plasmaproteins LBP, die mit einer LPS-Resistenz einhergehen, eine sehr hohe Empfindlichkeit gegenüber Infektionen wie dem Mäuse-Typhus verursachen. Freudenberg und ihre Mitarbeiter führten – zum Teil in Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Freiburger MPI um Markus Simon
– Untersuchungen zu der Frage durch, wie sich eine LPS-Überempfindlichkeit auf die Infektionsresistenz sowie auf das Risiko der Entstehung eines Endotoxinschocks auswirkt. Die Forscher fanden in
diversen Infektionsmodellen, dass, abhängig von der Höhe der LPS-Empfindlichkeit und der Anzahl
der Infektionserreger, eine bestehende LPS-Überempfindlichkeit sowohl die Infektionsresistenz als
auch das Risiko eines Endotoxinschocks im Versuchstier um ein Vielfaches steigern kann.
Am Freiburger Max-Planck-Institut werden die Untersuchungen zur Interaktion zwischen Mikroorganismen beziehungsweise ihren Bestandteilen auf der einen Seite und dem Wirtsorganismus auf
der anderen Seite sowie der Bedeutung dieser Wechselwirkung für den Wirt auch künftig fortgeführt
werden. Die Humanmedizin erwartet von den Erkenntnissen eine erheblich verbesserte Vorbeugung,
Erkennung und Therapie von Infektionen und ihren Folgekrankheiten sowie des Endotoxinschocks.
Literaturhinweise
[ 1] Poltorak, A., X. He, I. Smirnova, M.-Y. Liu, C. van Huffel, X. Du, D. Birdwell, E. Alejos,
M. Silva, C. Galanos, M. Freudenberg, P. Ricciardi-Castagnoli, B. Layton and B. Beutler:
Defective LPS Signaling in C3H/HeJ and C57BL/10ScCr Mice: Mutations in Tlr4 Gene
Science 282, 2085-2088 (1998).
[ 2] Jiang, Z., P. Georgel, X. Du, L. Shamel, S. Sovath, S. Mudd, M. Huber, C. Kalis, S. Keck,
C. Galanos, M. Freudenberg and B. Beutler:
CD14 is required for MyD88-independent LPS signaling
Nature Immunology 6, 565-570 (2005).
[ 3] Freudenberg, M.A., T. Merlin, M. Gumenscheimer, C. Kalis, R. Landmann and C. Galanos:
Role of lipopolysaccharide susceptibility in the innate immune response to Salmonella
typhimurium infection: LPS, a primary target for recognition of Gram-negative bacteria
Microbes and Infection 3, 1213-1222 (2001).
[ 4] Kalis, C., M. Gumenscheimer, N. Freudenberg, S. Tchaptchet, G. Féjer, S. Akira, C. Galanos and
M. A. Freudenberg:
Requirement for TLR9 in the immunomodulatory activity of Propionibacterium acnes
Journal of Immunology 174, 4295-4300 (2005).
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