Prof. Dr. Thomas Hoppe Professur fuer Katholische Sozialethik Helmut-Schmidt-Universitaet Hamburg Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat für das Spitzengespräch der evangelischen Landeskirchen, der katholischen Kirche und der Gewerkschaften in Norddeutschland Lübeck 14. 4. 2008 I. Einige Befunde zur gegebenen Situation GW1 (2): Solidarität und Gerechtigkeit sind notwendiger denn je. Tiefe Risse gehen durch unser Land: vor allem der von der Massenarbeitslosigkeit hervorgerufene Riss, aber auch der wachsende Riss zwischen Wohlstand und Armut oder der noch längst nicht geschlossene Riss zwischen Ost und West. Doch Solidarität und Gerechtigkeit genießen heute keine unangefochtene Wertschätzung. Dem Egoismus auf der individuellen Ebene entspricht die Neigung der gesellschaftlichen Gruppen, ihr partikulares Interesse dem Gemeinwohl rigoros vorzuordnen. Manche würden der regulativen Idee der Gerechtigkeit gern den Abschied geben. Sie glauben fälschlich, ein Ausgleich der Interessen stelle sich in der freien Marktwirtschaft von selbst ein. Für die Kirchen und Christen stellt dieser Befund eine große Herausforderung dar. Denn Solidarität und Gerechtigkeit gehören zum Herzstück jeder biblischen und christlichen Ethik. Zu beobachten sind vor allem zwei Trends der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung: - Gesellschaftliche Entsolidarisierungstendenzen: Steigende Zuwächse in den oberen Einkommensgruppen, zeitgleich zu einer Verringerung staatlicher Transferleistungen mit der Gefahr zunehmender Verarmung, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen bzw. Familien mit mehreren Kindern. Ein Beispiel ist die Debatte um Schulspeisungen für Hunderttausende von Kindern in Deutschland, die nicht das Geld haben, um an Ganztagsschulen das Mittagessen zu bezahlen. - Abbau von Schutzmechanismen bzw. sozialer Sicherungssysteme durch politische Entscheidungen: So läuft etwa die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs von Anfang April 2008 auf eine Gefährdung sozialer Grundrechte im Namen der 1. Abkürzung für das Gemeinsame Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz 1997 „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“, zit. m. Randziffern. Seite 1 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Dienstleistungs- und Wettbewerbsfreiheit hinaus. Bisher waren diese Freiheiten durch nationale Schutzrechte für die Arbeitnehmer oder die Umwelt begrenzt, die auch für Auftragsnahmen durch ausländische Unternehmen verbindlich waren. Dies bot Schutz in solchen Staaten, in denen Löhne und Gehälter gesetzlich geregelt waren, dies galt auch im Fall Niedersachsen, der nun entschieden wurde. Der Europäische Gerichtshof verlangt nun aber, dass das entsprechende Schutzgesetz gegen Billigkonkurrenz gekippt wird, weil es sich auf Tarifabsprachen, nicht auf gesetzlich geregelte Mindestlöhne abstützt. Wo diese bestehen, gibt es insoweit auch künftig einen gesetzlichen Schutz gegen Lohndumping, jedoch in anderen Bereichen nicht. II. Zum Begriff der sozialen Gerechtigkeit GW (11): Grundlegend muss die Erneuerung der wirtschaftlichen Ordnung auf ihre Weiterentwicklung zu einer sozial, ökologisch und global verpflichteten Marktwirtschaft zielen. Wer die natürlichen Grundlagen des Lebens nicht bewahrt, zieht aller wirtschaftlichen Aktivität den Boden unter den Füßen weg. Solidarität und Gerechtigkeit können ihrem Wesen nach nicht auf das eigene Gemeinwesen eingeschränkt, sie müssen weltweit verstanden werden. Darum müssen zur sozialen die ökologische und globale Verpflichtung hinzutreten. In seinem Kommentar zur Sozialenzyklika Pius XI. Quadragesimo anno (1931) hatte Oswald von Nell-Breuning dafür plädiert, den Begriff "soziale Gerechtigkeit" im Anschluss an Otto Schilling als ein Synonym für "Gemeinwohlgerechtigkeit" aufzufassen2. Näherungsweise kann für Nell-Breuning soziale Gerechtigkeit als ein Topos verstanden werden, der die "Erfüllung alles dessen [zum Gegenstand hat], was, ohne in Rechtsregeln gefasst zu sein, aus allgemeinen naturgesetzlichen Rechtsgrundsätzen, insbesondere aus dem obersten Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftslebens: bonum commune esse servandum, als Folgerung sich ergibt"3. In dieser Sicht kann die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit von Fall zu Fall unterschiedliche inhaltliche Gesichtspunkte aus den Bereichen der klassischen Sonderformen der Gerechtigkeit (distributiva, commutativa, legalis) bezeichnen und miteinander verbinden. Die faktische Nähe zur distributiven Gerechtigkeit erweist sich als keineswegs zufällig, weil es immer wieder vor allem Defizite in diesem Bereich sind, 2. Vgl. Oswald von Nell-Breuning, Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius' XI. über die gesellschaftliche Ordnung, Köln 1932, 169f. 3. In: Wörterbuch der Politik III, Freiburg 1949, 32 (zit. nach Joachim Giers, Zum Begriff der justitia socialis. Ergebnisse der theologischen Diskussion seit dem Erscheinen der Enzyklika "Quadragesimo anno" 1931, in: Münchener Theologische Zeitschrift 7 [1956] 61-74, hier 67). Seite 2 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 die begründen, warum eine vorfindliche soziale Struktur unter der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zu kritisieren ist. Zugleich eröffnet die Bestimmung sozialer Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit Räume für die Thematisierung von Gerechtigkeitsproblemen nicht nur im Hinblick auf den Staat, sondern auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure. Dies wird dort zunehmend wichtig, wo aus verschiedenen Gründen jedenfalls die Rolle des Staates, wenn nicht sogar die der Politik generell immer weiter reduziert und die Verantwortung für soziale Zuträglichkeit oder Unzuträglichkeit der obwaltenden Verhältnisse entsprechend stärker auf Institutionen im zivilgesellschaftlichen Bereich bzw. im privatwirtschaftlichen Sektor verlagert wird. Soziale Gerechtigkeit als Gemeinwohlgerechtigkeit verweist jedoch ebenso auf die gerechtigkeitsrelevanten Auswirkungen der Politik eines Nationalstaats jenseits seiner territorialen Grenzen – mit anderen Worten: Ob eine Politik dem Gemeinwohl dient, ist unter der Fragestellung zu beurteilen, ob in ihr für jeden Betroffenen der Schutz und die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit solcher elementarer Rechte gewährleistet sind. Im Friedenswort der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union vom März 1999 spiegelt sich diese, die nationalstaatliche Perspektive transzendierende, Einsicht in der Formulierung: "... die Perspektive eines solchen übernationalen Gemeinwohls lässt uns erkennen, wo nationalstaatliche Interessenverfolgung ihre Legitimität einbüßt, weil sie elementare Rechte und Interessen anderer verletzt und so leicht zu neuer Ungerechtigkeit oder zur Festschreibung überkommener Unrechtsverhältnisse führt"4. Maßstab der Legitimität politischen Agierens sind also dessen konkrete Auswirkungen auf jene Minimalbedingungen menschenwürdiger Existenz, auf die alle Mitglieder der Menschheitsfamilie einen Anspruch haben. III. Die Paradigmenabhängigkeit aktueller Gefährdungen des Gemeinwohls durch ökonomische Prozesse GW (9): Eine Wirtschafts- und Sozialordnung kommt nicht ohne Rahmen gebende rechtliche Normierungen und Institutionen aus. Appelle genügen nicht. Dieser Einsicht hat das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung getragen. Es wird in der Bundesrepublik Deutschland seit fünf Jahrzehnten erfolgreich praktiziert. Die Freiheit des Marktes und der soziale Ausgleich waren dabei die beiden tragenden Säulen. Die Kirchen sehen im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft weiterhin - auch für die andauernde, mit großen Härten verbundene wirtschaftliche Konsolidierung der neuen Bundesländer und 4. Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union, Wahrheit, Erinnerung und Solidarität - Schlüssel zu Frieden und Versöhnung. Wort der ComECE zum Frieden, Brüssel 11. 3. 1999, Nr. 21. Seite 3 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 für die Vertiefung und Erweiterung der europäischen Einigung - den geeigneten Rahmen für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das Leistungsvermögen der Volkswirtschaft und die Qualität der sozialen Sicherung sind wie zwei Pfeiler einer Brücke. Die Brücke braucht beide Pfeiler. Heute ist die Gefahr groß, dass die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der sozialen Sicherung gestärkt werden soll. Nicht nur als Anwalt der Schwachen, auch als Anwalt der Vernunft warnen die Kirchen davor, den Pfeiler der sozialen Sicherung zu untergraben. Bereits Quadragesimo anno stellte fest: Man würde es sich zu einfach machen, wenn man die Gründe für das negative Erscheinungsbild des Kapitalismus auf moralische Defekte bei einzelnen wirtschaftlichen Akteuren reduzierte. Dessen Systemlogik ist es vielmehr, die dieses Erscheinungsbild geradezu erwarten lässt. Sie dürfte - wenn ungehindert durch eine wirksame staatliche Ordnungspolitik - nicht nur eine fortgesetzte Absenkung des moralischen Niveaus im Bereich der Ökonomie, sondern auch eine Intensivierung politischer Konflikte bis hin zu kriegerischen Verwicklungen zwischen Staaten zur Folge haben (vgl. Nr. 108). Konsequenterweise beklagt deswegen der Text die zu beobachtende Schwächung des Staates, dessen Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenz ein Gegengewicht gegen diese Entwicklungen bilden könnte. Die Befürwortung einer Stärkung staatlicher Gesamtverantwortung gegenüber der Wirtschaft ist aber nicht nur Ausdruck des Bemühens, an einem insgesamt zustimmungsfähigen System partielle Korrekturen anzubringen. Vielmehr läuft sie auf eine Antithese zur liberalen Grundüberzeugung hinaus, dass der Wohlstand der Völker und Nationen am ehesten durch eine möglichst ungehinderte Handelsfreiheit erreicht werden könne, die ein hohes Maß an Ungleichheit bewusst in Kauf nehme und vor allem unkorrigiert durch nichtökonomische Eingriffe lasse. Die meisten der beobachtbaren negativen Entwicklungen werden in der liberalen Sicht letztlich auf einen Mangel an Marktfreiheit zurückgeführt, den es durch noch weitergehende Deregulierungen zu beseitigen gelte. Negative Wirkungen werden gerade nicht, wie bei Pius und seinen Nachfolgern, als Hinweis auf prinzipielle konzeptionelle Defizite einer liberalen Ordnungstheorie gedeutet. Mit anderen Worten: Hinter der vordergründig politischen Auseinandersetzung um die Folgen des Kapitalismus wird ein sozialwissenschaftlicher Paradigmenstreit erkennbar. Die Vertreter einer liberalen Theorie setzen sich dabei mit dem Hinweis, dass gerade das von ihnen favorisierte Prinzip des Wirtschaftens seine überlegene Effizienz und damit auch seine soziale Vorteilhaftigkeit längst nachgewiesen habe, gegen ethische Einwände im Namen sozialer Gerechtigkeit zur Wehr. Das Fatale an dieser Konstellation liegt darin, dass über die Unzuträglichkeit bestimmter wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen - beispielsweise über das Seite 4 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Ausbleiben einer wirksamen Verringerung der Arbeitslosenquote - auch dann Einverständnis herrschen kann, wenn wegen der dargestellten theoretischen Grunddifferenz die jeweiligen Vorschläge zur Abhilfe tendenziell in entgegen gesetzte Richtungen gehen. Vertreter des Liberalismus sehen sich nicht gezwungen, die Legitimität der zentralen sozialpolitischen Ziele, für die seit der Enzyklika Leos XIII. Rerum novarum (1891) die lehramtliche Sozialverkündigung und die wissenschaftliche Sozialethik immer wieder eingetreten sind, prinzipiell in Frage zu stellen. Der Streit beginnt unterhalb dieser Ebene - dort, wo wissenschaftliche Erklärungsansätze für sozialpolitische Defizite miteinander konkurrieren, teilweise selbst innerhalb der ökonomischen Fachdebatte. Erinnert sei nur daran, wie vor etlichen Jahren darüber diskutiert wurde, ob rezessiven Tendenzen und einem allmählichen Anstieg der Arbeitslosenquote nun primär binnen-oder vornehmlich außenwirtschaftliche Ursachen zugrunde lägen. Hochkomplexe empirische Sachverhalte haben häufig eine unvermeidlich scheinende Urteilsunsicherheit auf Seiten der Analytiker zur Folge, die sich unmittelbar darauf auswirken kann, welche Überzeugungsgewissheiten die Vertreter unterschiedlicher theoretischer Positionen zu verteidigen vermögen und wie lange. Auf den ersten Blick mag diese Situation im Blick auf den Begründungsbedarf zentraler sozialethischer Anliegen als entlastend wahrgenommen werden. Wo wichtige Zielbestimmungen bejaht werden können, ohne dass dies folgenreich für die Frage wird, wie weit sich bisherige eigene Positionen weiterhin behaupten lassen, dort reduzieren sich zumindest die Vermittlungsprobleme in andere als kirchliche oder sozialethische Kontexte hinein. Doch mit dieser Entlastungswirkung geht zugleich die Gefahr einher, dass nicht thematisiert wird, worin sich die Position der katholischen Soziallehre von einer liberalen Grundauffassung des Wirtschaftsgeschehens bleibend unterscheidet. Direkter formuliert: Wenn alle strittigen Fragen der konkreten Anwendung sozialethischer Prinzipien in Diskurszusammenhänge verwiesen werden, für die die Sozialethik einen eigenen Kompetenzanspruch immer weiter meint zurücknehmen zu müssen, wobei an deren Stelle dann weitgehend lediglich ökonomische Expertise tritt, dort geraten auch bisher für wichtig gehaltene inhaltliche Entfaltungen solcher Prinzipien - und zumal die Verweisung der Realisierungsaufgabe an andere Akteure als die wirtschaftlichen selbst - immer mehr in den Verdacht, in erster Linie zum Ausweis mangelnder ökonomischer Kompetenz zu geraten. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Zu einiger Prominenz ist in der letzten Zeit die Formel gelangt, sozial sei alles, was Beschäftigung schaffe. In einer Zeit, in der für zahlreiche Langzeitarbeitslose kaum Wiedereinstellungschancen bestehen und das Schicksal, arbeitslos zu werden, immer mehr Menschen auf nahezu allen sozialen Ebenen bedroht, wird man es sich dreimal überlegen, bevor man ein solches Motto kritisiert. Eine wirksame Beschäftigungspolitik ist ohne jeden Zweifel ein hohes Gut. Seite 5 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Doch wurde seit den Anfängen kirchlicher Sozialverkündigung stets betont, dass es nicht nur das Ergebnis ist, was zählt, sondern auch, auf welche Weise und um welchen Preis es zustande kommt. Deswegen widmen sich die Sozialenzykliken wie die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils (1965) nicht nur der Benennung sozialer Probleme und dem Hinweis auf ihre Tragweite, sondern sie unternehmen auch eine Analyse ihrer Entstehungszusammenhänge und bauen auf diese einen Katalog konkreter ordnungs- und sozialpolitischer Forderungen auf. Einem solchen Zugriff gegenüber erweist sich das zitierte Motto als unterkomplex; es steht in Gefahr, diejenigen qualifizierenden Rahmenbedingungen zu vernachlässigen, unter denen Strukturreformen erst das Attribut verdienen können, einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit zu leisten. Die Maxime, sozial sei alles, was Beschäftigung schaffe, scheint z.B. mit Beschäftigungsverhältnissen vereinbar, die auf die Entstehung einer neuen Klasse von "working poor" hinausliefen. Schon Rerum novarum hatte demgegenüber klar gestellt, Kennzeichen eines gerechten Lohnes sei es, dass der Arbeiter davon tatsächlich existieren könne (vgl. Nr. 34), und die Sozialenzyklika Johannes' XXIII. Mater et Magistra (1961) beklagte, "dass in vielen Ländern und ganzen Erdteilen zahllosen Arbeitern ein Lohn gezahlt wird, der ihnen selbst und ihren Familien wirklich menschenunwürdige Lebensbedingungen aufzwingt" (Nr. 68). Doch gerade wo es um die Analyse und die darauf fußenden Empfehlungen geht, bleibt heute die erkenntnistheoretische Frage bedrängend, wie man sich vergewissern kann, von einem zutreffenden Vorverständnis der Problematik auszugehen. Zumindest lässt sich so viel sagen: Wird einem einmal bewusst, von welchen empirisch nur sehr bedingt prüfbaren Grundannahmen her Theorien entworfen werden, die, wenn umgesetzt, die denkbar weitestreichenden Auswirkungen für eine große Zahl von Betroffenen mit sich bringen, so leuchtet auch die Ideologieanfälligkeit auf, die sich mit solchen Annahmen verbindet. Schon deswegen ist ihnen mit Skepsis zu begegnen und um so mehr darauf zu sehen, welche konkreten Veränderungen sie tatsächlich zur Folge haben, sobald sie politisch implementiert werden. Methodisch hätte dies Konsequenzen für die Beweislastregelung: Wenn bestimmte ökonomische Empfehlungen dazu führen, dass diejenigen Personengruppen, die in einer gegebenen sozialen Struktur bereits am meisten benachteiligt sind, dadurch in Abhängigkeit und Not verbleiben oder überhaupt erst in solche Verhältnisse hineingeraten, dann ergibt sich für denjenigen, der die Hinnehmbarkeit solcher Auswirkungen vertritt, eine Begründungsanforderung, die über die Bekräftigung einer liberalen Grundoption weit hinausreicht. Wenn man einmal an die auch sozialethisch überlegene Qualität der Steuerung durch deregulierte Märkte glaubt, erweisen sich zumeist auch alle weiteren Forderungen im Rahmen dieses Paradigmas als konsequent. Um dessen Problematik aufzuweisen, bedarf es daher einer anderen Vorgehensweise als des üblicherweise begegnenden Versuchs, lediglich durch eine Seite 6 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Kritik, die dem Paradigma immanent bleibt, partielle Korrekturen durchzusetzen und wenigstens die schlimmsten Unzuträglichkeiten halbwegs abzufedern. Angesichts der stets vorhandenen Alternative, sozialethisch negativ zu wertende Effekte politisch zu korrigieren, lautet dann aber die sachgemäße Frage nicht "Politische Steuerung oder Marktlogik?", sondern es muss um eine den veränderten nationalstaatlichen und internationalen Handlungsbedingungen angemessene Verhältnisbestimmung zwischen beiden Bezugssystemen gehen. Deren Maßstab wiederum kann nur durch eine ethische Vergewisserung gewonnen werden, in der deutlich wird, dass Politik und Ökonomie unter einer sie verbindenden Grundverpflichtung stehen: zu verhindern, dass aus sozialer Ungleichheit neue Formen sozialer Unfreiheit werden5. Daher gilt es nicht nur zu rechtfertigen, ob und wie weit man in die Autonomie des Marktgeschehens eingreifen darf, sondern ebenso, bis zu welchem Grad ein Abseits-Stehen zulässig ist, wenn dieser Markt zu Ergebnissen führt, die offensichtlich mit demjenigen normativen Anforderungsprofil kollidieren, das mit der Rede von sozialer Gerechtigkeit auf eine prägnante Formel gebracht wurde. IV.Zur Aufgabe der Rückgewinnung politischer Gesamtverantwortung auch für den Bereich der Ökonomie Ein angemessener Zugriff wird daher auch künftig den Bereich der Ökonomie als ein Teilsystem innerhalb eines komplexeren Verweisungszusammenhangs zu betrachten haben, dessen Binnenlogik zwar berücksichtigt, von ihren tatsächlichen, das Ökonomische weit übergreifenden Effekten her aber zugleich relativiert werden muss. Erst dann wird es auch theoretisch möglich, die Politik als eigenständige Größe wieder in ihr Recht zu setzen, statt sie lediglich zur Funktion der ökonomischen Rationalität werden zu lassen. Politik soll vielmehr ihre korrektivische Funktion als Sachwalterin derjenigen Interessen wahrnehmen, die innerhalb der Entscheidungslogik einzelner Unternehmen kaum angemessen zur Geltung gebracht werden können - nicht nur im Hinblick auf die Sicherstellung eines hinreichenden Maßes an Verteilungs- und Chancengerechtigkeit, sondern auch hinsichtlich des Schutzes anderer "globaler öffentlicher Güter"6, speziell der natürlichen Lebensgrundlagen. Mit "Politik" ist dabei nicht lediglich die Politik der Regierungen heutiger Nationalstaaten gemeint, sondern ebenso das differenzierte Spektrum politischer Aktion, wie es im Bereich der Zivilgesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen, aber ebenso auf der supranationalen Ebene verfasster Institutionen anzutreffen ist. Auch für Institutionen wie 5. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wie viel Staat die Gesellschaft braucht, in: Süddeutsche Zeitung 8. 11. 1999, 12. 6. Vgl. Inge Kaul / Isabelle Grunberg / Marc A. Stern (Hg.) für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), Globale öffentliche Güter. Internationale Zusammenarbeit im Seite 7 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Weltbank, IWF oder WTO ergeben sich daraus erweiterte Aufgabenstellungen innerhalb eines Rechtsrahmens, der an die aktuellen internationalen Verhältnisse angepasst werden muss. Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass in der Wirtschaftspolitik eine allmähliche Abkehr vom vorherrschenden Paradigma stattfindet. Die Skepsis auch von Ökonomen gegenüber den vielbeschworenen „Selbstheilungskräften“ des Marktes nimmt zu, was sich in jüngster Zeit an der Reaktion auf die Auswirkungen der aktuellen internationalen Finanzkrise ablesen lässt, in der der Ruf nach einer Rückgewinnung staatlicher Rahmensetzungs- und Steuerungskompetenzen immer lauter wird. Die entscheidende Frage lautet freilich zum einen, wie diese Stärkung bzw. Rückgewinnung politischer Entscheidungskompetenzen zu realisieren wäre, und zum anderen, wie man zugleich Vorsorge dagegen trifft, dass sie nicht ihrerseits neue Unzuträglichkeiten bewirkt, an die man sich etwa im Zusammenhang mit bestimmten Phänomenen zentraler Verwaltungswirtschaften erinnert. Eine Orientierung an einem sachgemäßen Verständnis von Subsidiarität kann hier hilfreich sein. Das Sozialwort von 1997 führte zur inhaltlichen Bestimmung dieses sozialethischen Prinzips aus: GW (27): Subsidiarität ist nach seinem ursprünglichen Sinn ein Prinzip, das die Einzelperson und die kleinen und mittleren Einheiten davor schützt, dass ihnen entzogen wird, was sie aus eigener Initiative und mit eigenen Kräften leisten können. Ein anderer Akzent wird hingegen dort gesetzt, wo unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip Aufgaben nach unten abgegeben und dann ehrenamtliche Leistungen eingefordert und Risiken sowie Kosten auf den einzelnen übertragen werden. Bei der Subsidiarität geht es darum, die Einzelpersonen und die untergeordneten gesellschaftlichen Ebenen zu schützen und zu unterstützen, nicht jedoch, ihnen wachsende Risiken zuzuschieben. Subsidiarität und Solidarität, Subsidiarität und Sozialstaat gehören insofern zusammen. Subsidiarität heißt: zur Eigenverantwortung befähigen, Subsidiarität heißt nicht: den einzelnen mit seiner sozialen Sicherung allein lassen. In dieser Perspektive wirkt eine zurück gewonnene politische Gesamtverantwortung auch für ökonomisches Handeln gerade nicht Freiheit erdrückend, sondern im Gegenteil Freiheit ermöglichend für alle am wirtschaftlichen Interaktionsprozess Beteiligten. Sie versteht es als ihre Verpflichtung, beständig zu prüfen, wo die Folgen solchen Handelns zu Korrekturen Anlass geben, weil sie Grundforderungen der Solidarität gegenüber Personen und Gruppen verletzen, die auf der Verliererseite des 21. Jahrhundert, New York/Oxford: Oxford Univ. Press 1999. Seite 8 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 ökonomischen Wettbewerbs stehen. Zugleich bedarf es auf Seiten der Konsumenten einer „ökonomischen Kultur“ umsichtigen Kaufverhaltens, also auch moralischer Aufklärung, nicht nur einer effektiveren Gesetzgebung. Dabei bedingt das Ethos der wirtschaftlichen Akteure auch die Effizienz der Regeln, denn es ist offensichtlich, „dass um der Effizienz der Rahmenregeln willen ethische Prinzipien erforderlich sind, die für die Selbstbindung von Verbrauchern und Unternehmen an Verhaltensstandards sorgen“7. Auch diesen Zusammenhang unterstreicht das Sozialwort: GW (12): Eine sozial, ökologisch und global verpflichtete Marktwirtschaft ist moralisch viel anspruchsvoller, als im Allgemeinen bewusst ist. Die Strukturen müssen, um dauerhaften Bestand zu haben, eingebettet sein in eine sie tragende und stützende Kultur. Der individuelle Eigennutz, ein entscheidendes Strukturelement der Marktwirtschaft, kann verkommen zum zerstörerischen Egoismus. … Es ist eine kulturelle Aufgabe, dem Eigennutz eine gemeinwohlverträgliche Gestalt zu geben. Denn eines macht der Blick zurück auf die sozialpolitischen Entwicklungen der letzten 150 Jahre in bleibender Weise deutlich: Nur in einem Ordnungsrahmen, in dem rechtliche Schutznormen nicht nur definiert, sondern auch verlässlich durchgesetzt werden können, kann der Einzelne damit rechnen, nicht lediglich einem Spiel weitgehend anonym werdender Kräfte preisgegeben zu werden. Wenn überhaupt, dann kann sich im Rahmen einer solchen, nur politisch zu garantierenden Ordnungsstruktur das Vertrauen herausbilden, auch dann nicht unterzugehen, wenn man jedenfalls auf absehbare Zeit zu den Verlierern ökonomischer Prozesse zählt. Für den sozialen Frieden einer Gesellschaft ist dieses Vertrauen aber von ausschlaggebender Bedeutung. Dies lässt sich bereits durch einen einfachen Blick auf aktuelle Konflikte innerhalb der Gesellschaften im EU-Europa überprüfen: Wer tatsächlich oder vermeintlich auf der Verliererseite steht, gerät in große Gefahr, auf diese Situation mit Schuldzuweisungen an die angebliche ausländische Konkurrenz um Wohnungen und Arbeitsplätze zu reagieren, die durch unterschiedliche Erscheinungsformen internationaler Migration entstehe. In den meisten Fällen stellt sich zwar der Sachverhalt wesentlich komplexer dar und straft eine solche Einfachlogik Lügen. Diese Tatsache vermag aber den sozialen Auswirkungen solcher oftmals falscher Vorstellungsmuster kaum etwas von ihrer Brisanz, ja Gefährlichkeit zu nehmen. Wenn es sich Gesellschaft und Politik leisten zu können glauben, große Teile ihrer Bürgerschaft nicht mehr dagegen zu sichern, von wichtigen Dimensionen der Teilhabe am sozialen Leben dauerhaft ausgeschlossen zu sein, dann läuft dies nicht nur auf eine "praktizierte Leugnung von 7. Ludger Heidbrink, Ich konsumiere, also bin ich, in: Die Zeit Nr. 16 / 10. 4. 2008, 60. Seite 9 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 sozialen Grundwerten"8 hinaus. Es wird auch riskiert, Wasser auf die Mühlen derer zu leiten, die solche politischen Versäumnisse zu einer ihrer wichtigsten argumentativen Stützen im Kampf gegen eine freiheitlich-soziale Gesellschaftsform überhaupt machen. Aktuelle soziologische Studien9 über die Entwicklung rechter bis rechtsextremer Milieus in Deutschland warnen vor einer weiteren Zunahme autoritärer Orientierungen gerade bei Menschen in prekären Lebensverhältnissen, wenn sich bei ihnen der Eindruck verfestige, dass schwerwiegende soziale Probleme im Rahmen demokratischer Ordnungen nicht befriedigend lösbar seien und keine Aussichten bestünden, die eigene, in vielfacher Hinsicht als unbefriedigend empfundene wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern. In diesem Zusammenhang kommt einer weiteren Aussage des Sozialworts von 1997 große Bedeutung zu: GW (25) Sozialer Ausgleich und soziale Balance sind auch dann gefordert, wenn die Lasten neu verteilt werden. Veränderungen und Anpassungen des Sozialstaats dürfen nicht nur und auch nicht in erster Linie den Geringerverdienenden, den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängern zugemutet werden. Das Gerechtigkeitsempfinden wird empfindlich gestört, wenn nicht zur gleichen Zeit bei denen Abstriche gemacht werden, die sie ohne Not verkraften können, und entschiedene Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht unternommen werden. V. Spannungen und Zielkonflikte zwischen der innergesellschaftlichen und der internationalen Dimension sozialer Gerechtigkeit Abschließend sei ein Blick auf die entwicklungspolitische Diskussion geworfen, um an diesem Beispiel zu verdeutlichen, in welcher Weise das Eintreten für soziale Gerechtigkeit auch im internationalen Bereich heute Kontur gewinnen kann und vor welche Schwierigkeiten sich Versuche politischer Implementierung gestellt sehen. Wählt man zum Ausgangspunkt der sozialethischen Argumentation die „Option“ - oder, wie es in der Enzyklika Johannes Pauls II. Sollicitudo Rei Socialis (1987) heißt: die "vorrangige Liebe" (Nr. 42) - für die Armen und entwirft von hier aus einen Begriff von Entwicklung, der über ökonomische Kategorien hinausreicht, dann kann mit der Enzyklika Centesimus annus (1991) formulieren: "Die Armen verlangen das Recht, an 8. Ralf Dahrendorf, An der Schwelle zum autoritären Jahrhundert, in: Die Zeit Nr. 47 / 14. 11. 1997, 15. 9. Vgl. z.B. Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2007. Seite 10 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen ... Es geht nicht einfach darum, alle Völker auf das Niveau zu heben, dessen sich heute die reichsten Länder erfreuen. Es geht vielmehr darum, in solidarischer Zusammenarbeit ein menschenwürdigeres Leben aufzubauen" (Nr. 28f.). Wie weit eine konkrete soziale Situation dieser Zielperspektive entspricht, lässt sich dann vor allem daran ablesen, in welchem Maße individuelle Menschenrechte in ihr realisiert sind. Das Plädoyer für die Menschenrechte darf dabei nicht reduziert werden auf den Anspruch auf eine staatsfreie Sphäre zur Entfaltung der Persönlichkeit; es schließt politische Teilhabemöglichkeiten ebenso ein wie die Gewährleistung sozialer Mindeststandards, die man zutreffend als "soziale Menschenrechte" bezeichnen kann. In der Enzyklika Pacem in terris (1963) sprach Johannes XXIII. unter anderem davon, "dass der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung. Dazu gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung, ärztliche Behandlung ..., ein Recht auf Beistand ... im Falle von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit oder wenn er ohne sein Verschulden sonst der zum Leben notwendigen Dinge entbehren muss" (Nr. 11). Angesichts jüngster Veröffentlichungen, die von einer sich dramatisch zuspitzenden Ernährungskrise in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt berichten, wird deutlich, wie sehr diese elementaren Forderungen internationaler Gerechtigkeit auch in der Gegenwart noch der Erfüllung harren. Zwischen der Schaffung von mehr Gerechtigkeit im internationalen Rahmen und der Lösung von Gerechtigkeitsproblemen innerhalb eines Staats bzw. einer Gesellschaft kann jedoch durchaus ein Spannungsverhältnis bestehen. Wie würden Arbeitsmärkte und Arbeitnehmer hierzulande reagieren, wenn tatsächlich in einem deutlich stärkeren Ausmaß als bisher Zollschranken im internationalen Handel entfielen? Die Hartnäckigkeit, mit der Staaten der EU in den WTO-Verhandlungen Marktöffnungen verweigern und gleichzeitig den Export ihrer eigenen Produkte subventionieren, hemmt unmittelbar die Chancen von Produzenten aus Entwicklungsländern, mit ihren Erzeugnissen international konkurrenzfähig zu werden. Fatalerweise führt diese Situation zu einer weiteren Erschwerung der WTO-Verhandlungen, weil das Bestreben von Industrieländern, globale Sozial- und Umweltstandards durchzusetzen, auf ein tiefes Misstrauen seitens vieler Entwicklungsländer stößt, ob nicht auf diesem Weg lediglich bereits gegebene Marktvorteile der Industrieländer festgeschrieben werden sollen. Auch zu dieser Frage hatte sich das Sozialwort der Kirchen deutlich positioniert: GW (33): […] Globalisierung ereignet sich […] nicht wie eine Naturgewalt, sondern muss im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik gestaltet werden. Seite 11 von 12 Prof. Dr. Thomas Hoppe: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft geschaffen werden? Impulsreferat Lübeck 14.04.2008 Sie kann zahlreichen wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern neue Chancen geben. Die Chancen bestehen freilich nur so lange, wie die reichen Länder bereit sind, ihre Märkte offenzuhalten und weiter zu öffnen. Das verlangt den Menschen in Deutschland Umstellungen ab und ist für manche Wirtschaftszweige mit Einbußen verbunden. Die Kirchen treten in dieser Situation dafür ein, auch eine solche Entwicklung zu bejahen und zu fördern. Man kann nicht zuerst nach Chancen wirtschaftlicher Entwicklung für die ärmeren Länder rufen, aber dann zurückzucken, wenn es einen selbst etwas kostet. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ärmeren Länder zu fördern, ist zudem nicht nur ein Gebot weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit, es ist auch ein Gebot des Selbstinteresses: Es ist unerlässlich, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Es ist Teil einer vorausschauenden Friedenspolitik. Was können gesellschaftliche Akteure tun, um jenen Strukturwandel im eigenen Land zu ermöglichen und zu begleiten, der unerlässlich ist, wenn den Forderungen des Sozialwortes Rechnung getragen werden soll? Auch diese Frage sollte in einem Dialog zwischen Kirchen und Gewerkschaften ausdrücklich reflektiert werden – bietet er doch die Gelegenheit, über Wege zu mehr Gerechtigkeit in grundsätzlicher, konzeptionell orientierter Weise miteinander ins Gespräch zu kommen. Prof. Dr. Thomas Hoppe Professur fuer Katholische Sozialethik Helmut-Schmidt-Universitaet Hamburg Seite 12 von 12