„Tennis ist meine Leiden- schaft, und ich kam auf die Idee, es mit

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Abonnement A, 6. Konzert
Donnerstag 30.06.2016,
Freitag 01.07.2016
Sonnabend 02.07.2016
20.00 Uhr · Großer Saal
KONZERTHAUSORCHESTER BERLIN
SIMONE YOUNG Dirigentin
SAAR BERGER Horn
„Tennis ist meine Leidenschaft, und ich kam auf die
Idee, es mit meinem Musikschaffen zu verbinden.“
VITO ZURAJ
PROGRAMM
Alexander Zemlinsky (1871 – 1942)
Sinfonietta op. 23
SEHR LEBHAFT
BALLADE – SEHR GEMESSEN, DOCH NICHT SCHLEPPEND
RONDO – SEHR LEBHAFT
Vito Zuraj (* 1979)
„Hawk-eye“ – Konzert für Horn und Orchester
PAUSE
Robert Schumann (1810 – 1856)
Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120
ZIEMLICH LANGSAM – LEBHAFT
ROMANZE – ZIEMLICH LANGSAM
SCHERZO – LEBHAFT
LANGSAM – LEBHAFT – PRESTO
PREMIUMPARTNER
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Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und / oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem Urheberrechtsgesetz strafbar.
Alexander Zemlinskys Sinfonietta op. 23
ENTSTEHUNG Wien, 8. März bis 3. Juli 1934 · URAUFFÜHRUNG 19. Februar 1935 in Prag unter
Heinrich Jalowetz · BESETZUNG 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner,
3 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Schlagzeug (3 Spieler), Harfe, Streicher · DAUER ca. 20
Minuten
Zemlinskys Sinfonietta entstand
1934. Sie verdankt sich einer Geste
des Unmuts gegenüber seinem Verlag. Der Komponist beklagte, dass
zu wenig für die Verbreitung seiner
Werke getan würde. Hans Heinsheimer, der Chef der Wiener Universal Edition, entgegnete daraufhin: „Die größte Schwierigkeit ist,
dass der Verlag kein reines Orchesterwerk von Ihnen besitzt. Sowie
Solisten dabei sind, ist der Vertrieb
viel schwieriger… Hätten Sie nicht
Lust, einmal ein Orchesterwerk,
das durch seine kurze und praktische Besetzung auch für den VerALEXANDER ZEMLINSKY
trieb leichter ist, zu schreiben?“
Die Sinfonietta ist die Antwort auf diese Frage, und schon die
Titelwahl scheint die Idee einer instrumentalen Reduktion
und zeitlichen Verknappung aufzugreifen – ganz im Sinne
der neoklassizistischen Tendenzen in seinem Spätwerk, die
sich aller apparativen Gigantomanie und einem spätromantischen Überschwang, einer Mode nach der Jahrhundertwende, widersetzen. Diese Haltung einer damals neuen
sachlichen Praktikabilität und einer an die klassische Formklarheit anknüpfenden Musiziergesinnung teilte er mit zahl-
ALEXANDER ZEMLINSKY
KURZ NOTIERT
reichen Vorgängern und Zeitgenossen, wenn man etwa nur
an die heute noch bekannten Sinfoniettas von Raff, Gouvy,
Reger, Korngold oder Janáček denkt. Im ersten Satz erkennt
man durchaus die Hauptteile einer traditionellen Sonatenform mit Exposition, Durchführung, Reprise und Coda, aber
diese Teile durchdringen einander permanent durch das
konstruktive Wechselspiel dreier Grundcharaktere, die sogleich unmittelbar hintereinander zu Beginn vorgestellt werden. Als erstes vernimmt man in den Holzbläsern ein lebhaftes Signal-Motiv, vorwiegend Quart-Intervalle – der
Zemlinsky-Experte Weber nannte es „gewissermaßen Fanfare auf dem Rückzug“. Dann begegnet rhythmisch prononcierte Motivik, die den Gestus heftigen Aufbegehrens annimmt, aber sofort, drittens, durch eine ruhig fließende Melodie zum Stillstand kommt. Im zweiten Satz, einer
durchweg dunkel getönten, im Mittelteil dramatisch gesteigerten „Ballade“, vollzieht sich die wortlose Erzählung in der
Form von sechs Doppel-Variationen über zwei verschiedenartige Themen. Im abschließenden Rondo wechseln burschikose, durchaus „leicht“-gewichtige Refrains mit diversen
Couplets, die auch nachdenkliche, zeitweise ebenso aus den
vorherigen Sätzen wie auch aus älteren Werken des Komponisten zitierende Episoden enthalten. Aber mit einem prallen
Verweis auf den Beginn der Sinfonietta endet das Werk:
„Ende gut, alles gut!“
Aus einem Briefwechsel (Juni 1935)
Alban Berg an Alexander Zemlinsky:
Ich muß Ihnen…doch sagen, wie sehr mir Ihre Sinfonietta, die ich
gestern (im Radio) gehört habe, gefallen hat. Wieder ein unbedingt farbig klingendes, plastisch klares Werk, dessen echter
Zemlinsky-Ton (in jeder Phrase spürbar) meiner Meinung nach
seinen Höhepunkt im 2. Satz gefunden hat. Dieser Ton gerade ist
es, den ich so sehr liebe. Lassen Sie mich Ihnen wärmstens dafür
danken.
KURZ NOTIERT
ALEXANDER ZEMLINSKY
Alexander Zemlinsky an Alban Berg:
Wenn (die Sinfonietta) Ihnen wirklich nur die Hälfte so gefallen
hat, als Sie mir darüber liebenswürdig geschrieben, bin ich sehr
froh! um so mehr als mir an Ihrem Urteil viel gelegen ist und man
ja bekanntlich mit Anerkennung bei uns nicht verwöhnt wird!
CD-TIPP Danisch National Radio Symphony Orchestra, Thomas
Dausgaard (Label: Chandos, 1997)
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Vito Zurajs „Hawk-eye“ –
Konzert für Horn und Orchester
ENTSTEHUNG Karlsruhe, 2013/14 · URAUFFÜHRUNG 27. Februar 2014 in Ljubljana durch Saar
Berger und das Orchester der Slowenischen Philharmonie unter Leitung von Matthias
Pintscher · BESETZUNG 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten,
2 Posaunen, Harfe, Streicher · DAUER ca. 15‘
Der Autor
VITO ZURAJ
Vito Zuraj stammt aus Maribor,
der nach Ljubljana zweitgrößten
Stadt Sloweniens. Nach dem Abitur
studierte er zunächst in der slowenischen Hauptstadt an der Musikakademie Komposition und Musiktheorie bei Marko Mihevc, einem
der erfolgreichen Komponisten des
Landes, der vor allem mit sinfonischen Dichtungen und Kantaten
hervorgetreten ist. Danach ging
Zuraj nach Deutschland und setzte
sein Studium von 2001 bis 2004 an
der Dresdner Musikhochschule bei
Jörg Herchet und Lothar Voigtländer sowie von 2004 bis 2009 an der
Musikhochschule Karlsruhe bei Wolfgang Rihm und – im
Fach Musikinformatik – bei Thomas Alexander Troge fort.
Gefördert durch mehrere Stipendien und Preise, errang er
mit seinen kompositorischen Arbeiten, teils auf elektronischem Gebiet, teils im Bereich konventionellen Musizierens,
viel Aufmerksamkeit und rasche internationale Erfolge.
Wichtige Stücke in dieser Hinsicht bildeten seine erste Oper
„Orlando. The Castle“ (Bielefeld 2013) und das Orchesterwerk
VITO ZURAJ
KURZ NOTIERT
„Changeover“, das 2012 mit dem 57. Stuttgarter Kompositionspreis ausgezeichnet wurde. Seitdem reißen Kompositionsaufträge aus aller Welt nicht ab, und sowohl international führende Ensembles für Neue Musik als auch große
Traditions-Orchester bemühen sich um ihn. Mit der kompositorischen Energie verbindet sich eine pädagogische Begabung, denn seit 2007 unterrichtet er auch in den Fächern
Instrumentenkunde, Instrumentation und Gregorianischer
Choral an der Karlsruher Musikhochschule, zusätzlich Musiktheorie seit 2014 als Lehrbeauftragter an der Musikakademie Ljubljana und dort auch seit 2016 als Professor für Komposition.
Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen – so vor
kurzem den Claudio Abbado-Kompositionspreis der Berliner
Philharmoniker.
„Hawk-Eye“ (Habicht-Auge) ist ein computergestütztes System
zur Ball-Verfolgung im Sport, beispielsweise bei Tennis oder
Fußball. Strittige Situationen, etwa das „Aus“ des Balls, können
durch das System im Nachhinein zweifelsfrei geklärt werden. Es
wurde im Jahr 2001 von Paul Hawkins, einem britischen Mathematiker, entwickelt, seit 2006 bei Tennisturnieren verwendet,
und seit 2012 ist sein Einsatz von der FIFA für den Fußball erlaubt.
Der Komponist zu seinem Werk
Große Sinfonieorchester fühlen sich nicht nur verpflichtet,
die Meisterwerke der Tradition zu spielen, sondern auch,
zeitgenössische Komponisten zum Klingen zu bringen. Sie
haben für den Hornisten des Ensemble Modern ein Konzert
geschrieben, das 2014 als Auftragswerk der Slowenischen
Philharmonie in Ljubljana zur Uraufführung kam, unter Leitung von Matthias Pintscher. Wie hat das Werk nun seinen
Weg in ein Abonnementskonzert des Konzerthausorchesters
gefunden?
VITO ZURAJ
Als Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo 2014
war ich dort dem Intendanten des Konzerthauses Berlin, Sebastian
Nordmann, begegnet. Wir unterhielten uns unter anderem darüber,
wie sich die Komponisten zeitgenössischer Musik den Veranstaltern
am effizientesten vorstellen. Einreichung von Aufnahmen zweier
Werke und ein anschließendes persönliches Gespräch schienen uns
als geglücktes Format. Ich stellte mich als Versuchskaninchen zur
Verfügung, bestand das Verfahren erfolgreich und freue mich als
Folge dessen sehr auf die deutsche Erstaufführung meines Hornkonzerts.
Sie haben dem Werk einen Titel gegeben, der aus der modernen Welt des Sports stammt. Ihr Verlag lässt uns wissen,
dass insbesondere Tennis Sie zu einer Reihe von Stücken inspiriert hat. Da man annehmen darf, dass im Unterschied zu
vielen Ihrer Kollegen aus dem 20. Jahrhundert – etwa zwischen Erik Satie und Moritz Eggert – der gegenständlichprogrammatische Aspekt entfällt, wäre es umso interessanter zu erfahren, wie Sie einen solchen Bezug kompositorisch
realisieren.
Tennis ist meine Leidenschaft, und ich kam vor etwa acht Jahren
auf die Idee, es mit meinem Musikschaffen zu verbinden. Seitdem
sind über 20 Werke entstanden, die einen Tennis-Titel führen. In jeder dieser „Tennis-Kompositionen“ setze ich mich mit einem bestimmten Begriff aus dieser Sportart auseinander. Das Tennisspiel
wird nicht bildlich vertont, sondern es verschmelzen die Parameter
der erwähnten Sportart auf abstrakte Art und Weise im System
meiner Klangstrukturen. „Hawk-eye“ ist der Markenname eines
speziellen Kamerasystems, das auf dem Dach eines Sportstadions
angebracht wird, um den Ball zu verfolgen. Ähnlich wie ein Falke
(Hawk auf Englisch), der aus der großen Entfernung seine Beute
anvisiert, gewann ich durch meine intensive Zusammenarbeit mit
dem Solisten Saar Berger einen guten Überblick über unterschiedli-
VITO ZURAJ
che Spieltechniken des Horns, und davon wählte ich für mein Werk
zwei, drei der „schärfsten“ aus und konzentrierte mich beim Komponieren ausschließlich auf diese.
elche Bindungen an bekannte Prinzipien des solistischen
W
Musizierens sind Ihnen wichtig, wie gehen Sie andererseits
darüber hinaus? Ich denke dabei an die kammermusikalisch
ausdifferenzierte Behandlung des Orchesters, an die geradezu unerhörte Erweiterung der spieltechnischen und sonoristischen Erweiterungen des Solisten, auch an die besonders
subtilen Verhältnisse beider Seiten zueinander zwischen Verschmelzung und Konfrontation.
D as Ohr eines an der klassischen Musik orientierten Publikums ist
in Bezug auf konzertante Musik meistens auf viele Töne des Solisten und subtile Orchesterbegleitung eingestellt. Das letzte betrachte ich in meinen konzertanten Werken als gleichwertigen, aktiven
Dialogpartner zum Solisten. Das erreiche ich zum Beispiel durch
Individualisierung der Streicher, die dem Solisten in Form von Pizzicato-Wolken parieren, oder durch exponierten Einsatz der
Schlaginstrumente. Das Horn präsentiere ich als multilinguales
Musikinstrument und genauso auch das Orchester.
L ässt sich für den Verlauf des Stückes in einem Satz, bezogen
auf den klanglichen Gehalt, eine Art Dramaturgie erkennen,
etwa durch poetische Topoi wie Einleitung, dramatische Exposition, Höhepunkt, Entspannung oder ähnliches, an eine
Art von „Erzählung“ denken, die man nach verbreiteten Hörgewohnheiten der Musik gern nahelegt – oder liegt man da
bei Ihnen ganz falsch?
D erjenige, der behaupten würde, es sei die Form meiner Musik „aus
dem Bauch“ komponiert und das Klangmaterial „im Kopf “ organisiert, liegt nicht ganz verkehrt. Das Gleichgewicht der Form zu bestimmen und den roten Faden zu ziehen – das tue ich intuitiv. Die
VITO ZURAJ
Klangmittel wähle ich jedoch systematisch und klassifiziere diese
sorg fältig. Mein Hornkonzert baut sich allmählich zum zentralen,
pulsierenden Abschnitt auf, in welchem das Horn durch den Einsatz eines besonderen Dämpfers eine unerwartete Klangsprache
hervorbringt. Das würden einige als „Höhepunkt“ bezeichnen. Doch
auch die „Tiefpunkte“ , meist die emotionalen, können faszinierend
sein – man denke nur an die wundersame Klanglandschaft vom
See voller Tränen aus Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ .
Momente wie dieser regen mich zur Gestaltung zurückhaltender
Formteile an, die für die Gesamtdramaturgie eines Musikwerks von
großer Bedeutung sind.
as wären für Sie die wichtigsten Momente, die die Hörer
W
bei der Begegnung mit Ihrer Musik wahrnehmen – und in
Erinnerung behalten sollten?
Ich finde die Klassifikation der Musik in „klassische“ und „moderne“ nicht besonders geglückt. Für mich persönlich gibt es nur gute
und weniger gute Musik, unabhängig vom Genre. Meine Musiksprache baue ich mit Neugierde zum Neuen und gleichzeitig mit Respekt zur Tradition auf. Ich schätze sehr, wenn Zuhörer meine Musik
als künstlerische Antwort auf bestimmte Komponisten der Geschichte und Gegenwart wahrnehmen, als eine Art von Weiterentwicklung der musikalischen Ausdrucksformen. Durch meine Musik
möchte ich mit dem Zuhörer kommunizieren und so die musikalisch geformten Energien und Impulse übertragen. Und wenn diese
jeden Zuhörer auf seine individuelle Art und Weise erfassen, ist das
das natürlichste und schönste.
(Die Fragen stellte Frank Schneider)
CD-TIPP Saar Berger, Ensemble Modern, Matthias Pintscher
(Label: Wergo, 2015)
Robert Schumann: 4. Sinfonie
ENTSTEHUNG Leipzig, Juni bis September 1841 (Erstfassung als 2. Sinfonie); Düsseldorf 1851
Revision als Sinfonische Fantasie bzw. Sinfonie (Endfassung) · URAUFFÜHRUNGEN 6. Dezember 1841 im Leipziger Gewandhaus unter Ferdinand David (Erstfassung); 3. März 1853 in
Düsseldorf unter Leitung des Komponisten (Endfassung) · BESETZUNG 2 Flöten, 2 Oboen,
2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher · DAUER ca.
30 Minuten
Vorbilder
Welche Vorstellungen hatte Robert
Schumann von den musikalischen
Qualitäten einer gelungenen Sinfonie? Leicht ließe sich sagen, die
Antwort liege schließlich bei den
vier Werken, die er selbst in die Geschichte der Gattung einbrachte.
Indessen musste sich der Komponist oft genug schon deswegen
über das Problem ernsthaft Gedanken machen, weil er über zehn Jahre, von 1834 bis 1844, in seiner
Leipziger „Neuen Zeitschrift für
Musik“ unzählige Produkte dieser
Art, meist von seinen komponieROBERT SCHUMANN, NACH EINEM GEMÄLDE VON
renden Zeitgenossen, kritisch zu
E. BENDEMANN
beurteilen hatte. Es versteht sich, dass er für seine journalistischen und musikalischen Waffengänge gegen die „Philister“ der Kunst die Sinfonien Beethovens als unüberbietbare
Muster herausstellte, und zwar ebenso wegen ihrer gestalterischen Vielfalt wie auch ihrer ideellen Kraft und kämpferischen Gesinnung. An Schubert andererseits faszinierte ihn
der ausgeprägte Reichtum an variativer Fantasie und melo-
ROBERT SCHUMANN
discher Erzählkunst. Und nimmt man als Vorbilder schließlich hinzu, dass er etwa an der „Schottischen Sinfonie“ seines
bewunderten Freundes Mendelssohn Bartholdy zwar das
„herkömmliche Instrumentalpathos, die gewohnte massenhafte Breite“ vermisste, aber andererseits ihre große innere
Geschlossenheit, den innigen Zusammenhang aller vier Sätze lobte, dann werden umrisshaft einige Wertungen deutlich, die für Schumanns eigenes Schaffen bedeutsam wurden. Besonders in seiner d-Moll-Sinfonie finden sie sich
beispielhaft ausgeprägt.
Entstehung
Das Werk entstand im sogenannten „Sinfoniejahr“ 1841, unmittelbar nach der 1. Sinfonie, der sogenannten „Frühlingssinfonie“, mit der er im Leipziger Gewandhaus sofort einen
großen Erfolg erzielte. Aber die Uraufführung des zweiten
Werks noch Ende des gleichen Jahres konnte die Gunst des
Publikums und der Fachkritik nicht in gleicher Weise erringen. Dadurch war Schumann so verunsichert, dass er die
Sinfonie für zehn Jahre zurückzog, eine dritte Sinfonie, die
„Rheinische“ komponierte und erst 1851 in seiner Zeit als
städtischer Musikdirektor das d-Moll-Werk einer vor allem
instrumentationskritischen Revision unterzog. In dieser
neuen Fassung brachte Schumann als Dirigent das Werk
aufs Neue als Nummer 4 – und diesmal sehr erfolgreich – in
die Öffentlichkeit.
Seither gibt es das unlösbare Problem, dass die meisten Dirigenten Schumanns letzten Willen akzeptieren, obwohl auch
die Versuche anhalten, gewisse Eigenheiten der Instrumentation klanglich zu verbessern oder gar zur durchsichtiger
gehaltenen Frühfassung zurückzukehren. Sie haben einen
mächtigen Anwalt in Johannes Brahms, der sie auch schon
bevorzugte – und sehr gegen den Willen von Clara, Schu-
ROBERT SCHUMANN
LETZTE SEITE DES AUTOGRAPHS VON ROBERT SCHUMANNS SINFONIE NR. 4, SEPTEMBER 1841
ROBERT SCHUMANN
manns Witwe, zuerst in der Gesamtausgabe von Schumanns
Werken auch publizieren ließ.
Konzept
Der anfängliche Misserfolg könnte mit den Kühnheiten und
Eigenarten des Werkes zu tun haben. Von allen Sinfonien
Schumanns entfernt es sich am weitesten von den Usancen
des klassischen Sinfonie-Modells.
Zwar ist die übliche Folge der Sätze präsent, aber Schumann
schließt sie – über das Vorbild von Mendelssohns „Schottischer“ hinausgehend – zu einem großen Satz zusammen,
wobei, prononciert gesprochen, in der Sonatenform die Reprise ausgelassen und gleichsam im Finalsatz nachgereicht
wird. Langsamer Satz und Scherzo stellen Interpolationen
dar, so dass sich die Kombination von Sonatensatz und Satzzyklus aus poetischen Vorstellungen ergibt, die für die späteren einsätzigen Konzeptionen Sinfonischer Dichtungen zwischen Franz Liszt und Arnold Schönberg relevant werden. In
der langsamen Einleitung wird motivisches Material exponiert, das für alle vier Sätze teils wörtlich, teils in neuen
Varianten verbindlich bleibt. Möglicherweise wurde dieses
Verfahren von Berlioz‘ „Idee fixe“ aus dessen „Symphonie
fantastique“ angeregt und könnte vielleicht sogar Wagner
zur Konzeption seiner dramatischen Leitmotiv-Technik inspiriert haben. Schumanns sinfonisches Konzept enthält eine
Fülle unkonventioneller Neuerungen, die ihn sogar eine Zeit
lang daran denken ließen, das Ganze „Sinfonische Fantasie“
zu nennen. Ob eine Mitteilung von Clara, in diesem Sinn sei
das Werk als klingendes Porträt von ihr gedacht, stichhaltig
ist, bleibt dahingestellt. Wichtiger ist die Tatsache, dass es
trotz der innovativen Züge dennoch eine romantische Sinfonie aus klassischem Geist bleibt, dessen dramaturgischer
Gang „per aspera ad astra“ noch unangetastet bleibt.
AUFGEHORCHT
ROBERT SCHUMANN
Das markanteste Beispiel weiträumiger thematischer Verknüpfung, das ein aufmerksames Ohr verfolgen kann, bildet jenes
engschrittig kreisende Motiv in Violinen, Bratschen und Fagotten, mit dem die langsame Einleitung beginnt. Es findet sich sowohl im lebhaften Hauptthema des Kopfsatzes, wie später in
einem zackig geschärften Marsch, der dann das Finale beherrscht. Eine Variante stiftet die schöne Oboen-Melodie der Romanze, bevor es fast wörtlich deren Fortsetzung in den Streichern bildet. Seine Umkehrung beherrscht das Scherzo, im Trio
erkennt man es als rankende Violinbegleitung zu zarten Bläsergängen. In mannigfaltigen Verwandlungen beherrscht es
schließlich das Finale, wo es sogar noch die motivische Grundlage eines furiosen Fugatos bildet, bevor das Werk mit triumphaler
Gestik schließt.
CD-TIPP BBC Philharmonic Orchestra, Kurt Sanderling (Label:
ICA,1988); „Robert Schumann at Pier2“, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi (Konzertfilm-DVD, Label:
CMajor, 2011)
Im Porträt
KONZERTHAUSORCHESTER BERLIN
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr
es unter Chefdirigent Kurt Sanderling (1960-1977) seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung.
1977 wurde Günter Herbig zum Chefdirigenten berufen, 1984
gefolgt von Claus Peter Flor. In diesem Jahr bekam das Orchester als eigene Spielstätte das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Unter Michael Schønwandt (1992–1998) wurde das BSO offiziell zum Hausorchester des Konzerthauses
Berlin. Nach vier Spielzeiten unter Eliahu Inbal (2001-2006)
begann 2006 die Amtszeit von Lothar Zagrosek. Im selben
Jahr wurde aus dem Berliner Sinfonie-Orchester das Konzerthausorchester Berlin. Seit der Saison 2012/13 ist Iván Fischer Chefdirigent des Konzerthausorchesters. Ihm zur Seite
steht Dmitrij Kitajenko als Erster Gastdirigent.
Mit neuen Konzertformaten sowie außergewöhnlichen und
spannenden Projekten begeistert Chefdirigent Iván Fischer
das Publikum. Zu Überraschungskonzerten, einer neuen Orchesteraufstellung, spontanen Wunschkonzerten, öffentlichen Proben und szenischen Konzerten kam in der Saison
2014/15 die neue Konzertreihe „Mittendrin“ hinzu. Dabei rücken die Orchestermusiker ein wenig auseinander, so dass
zwischen ihnen Platz für das Publikum entsteht, das auf diese Weise der Musik so nah wie nie ist.
IM PORTRÄT
SIMONE YOUNG
war von August 2005 bis Ende der
Saison 2014/15 Intendantin der
Staatsoper Hamburg und Generalmusikdirektorin der Philharmoniker Hamburg. Hier dirigierte sie
ein breites musikalisches Spektrum
von Mozart über Verdi, Puccini,
Wagner und Strauss bis zu Hindemith, Britten und Henze und leitete zahlreiche erfolgreiche Ur- und
Deutsche Erstaufführungen. Als
Wagner- und Strauss-Dirigentin
hat sie sich international einen Namen gemacht – so leitete sie komplette „Ring“-Zyklen an der Wiener
Staatsoper, der Staatsoper Unter
den Linden in Berlin sowie an der Staatsoper Hamburg und
dirigierte an der Münchner Staatsoper unter anderem „Elektra“, „Salome“, „Frau ohne Schatten“, „Ariadne auf Naxos“,
„Die Meistersinger von Nürnberg“ und die Neuproduktion
von Pfitzners „Palestrina“. An der Wiener Staatsoper (Debüt
1993) dirigierte sie neben Werken von Wagner und Strauss
unter anderem auch die Neuproduktion von Halévys „La
Juive“ und italienisches Repertoire. 2011/12 kehrte sie mit
Strauss´ „Daphne“ nach Wien zurück, wo sie auch in den
kommenden Jahren regelmäßig auftreten wird. Weitere Engagements führten die in Sydney geborene Dirigentin beispielsweise an die Opéra National de Paris, das Royal Opera
House Covent Garden in London oder die Metropolitan Opera New York. Von 2001 bis 2003 war sie Künstlerische Leiterin und Chefdirigentin der Australian Opera in Sydney und
Melbourne.
IM PORTRÄT
I m Konzertbereich arbeitet Simone Young mit vielen führenden Orchestern – darunter Wiener Philharmoniker, Berliner
Philharmoniker, London Philharmonic Orchestra, Bergen
Philharmonic Orchestra (Chefdirigentin von 1999 bis 2002),
Gulbenkian Orchester Lissabon (Erste Gastdirigentin von
2007 bis 2012). Wiener Symphoniker, Orchestre de Chambre
de Lausanne, Cincinnati Symphony Orchestra, Dresdner
Philharmoniker und Dallas Symphony Orchestra.
Mit Simone Young liegen zahlreiche CD-Einspielungen vor.
So erschienen bei Oehms Classics neben Aufnahmen aus der
Staatsoper Hamburg (Hindemith, Wagner) auch mehrere
Einspielungen mit den Philharmonikern Hamburg (unter
anderem alle Bruckner-Sinfonien in der Urfassung, alle
Brahms-Sinfonien, Zweite und Sechste von Mahler) und Mitschnitte von „La Juive“ (Wien), „Palestrina“ (München), Poulencs „Le Dialogue des Carmelites“ und Reimanns „Lear“ (jeweils Hamburg).
Simone Young hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten. Sie ist Ehrendoktor der Universitäten Sydney und
Melbourne, Professorin der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, Trägerin der Orden „Member of the Order of
Australia“ und „Chevalier des Arts et des Lettres“ sowie der
Goethe-Medaille. Für ihre erste Opernsaison in Hamburg
wurde sie als „Dirigentin des Jahres“ geehrt, außerdem erhielt sie den Brahms-Preis Schleswig-Holstein.
IM PORTRÄT
SAAR BERGER
wurde 1980 in Tel Aviv/Israel geboren und begann seine musikalische
Ausbildung an der Rubin-Akademie für Musik der Universität seiner Heimatstadt (2002–04), in Jerusalem bei Chezi Nir und Michael
Slatkin (2004/05) sowie in Hamburg bei Michael Höltzel. Anschließend studierte er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in
Berlin bei Marie Luise Neunecker
(2005–07) sowie an der Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst
Frankfurt am Main bei Erich Penzel und Esa Tapani (2007–08). Er
nahm an der Karajan-Akademie
(2006) teil und war Stipendiat der America-Israel Cultural
Foundation. 2005 erhielt er den Zvi und Ofra Meitar Familie
Ltd. Award sowie den Ersten Preis der America-Israel Cultural Foundation.
Saar Berger war Hornist der Israeli Opera Tel Aviv, im Israeli
Symphony Orchestra (2001-05) und zahlreichen anderen
Orchestern (unter anderem West Eastern Divan Orchestra,
Deutsches Symphonieorchester Berlin, Kammerphilharmonien Potsdam und Bremen, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Orchestra Sinfonica Pamplona). 2010
spielte er die Uraufführung von Dai Fujikuras Hornkonzert
„Wave Embraced“ in Bergen/Norwegen mit dem Bit 20 New
Music Ensemble, 2011 folgte die Uraufführung von Anthony
Cheungs Konzert für Horn und Orchester „Fog Mobiles“ mit
dem hr-Sinfonieorchester, 2012 die schottische Erstaufführung des Hornkonzerts von Richard Ayres mit dem Scottish
IM PORTRÄT
BBC Orchestra in Glasgow, die slowenische Erstaufführung
von „Sonic Eclipse“, einem Doppelkonzert für Trompete,
Horn und Ensemble von Matthias Pintscher in Ljubljana und
2013 die israelische Erstaufführung des Doppelkonzerts für
Horn und Posaune von Benedict Mason mit dem 21st Century
Ensemble.
Saar Berger unterrichtet im Rahmen der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) sowie an der Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. 2013
erschien seine Doppel-Porträt-CD im Label Ensemble Modern Medien.
DIE BLUMEN WURDEN ÜBERREICHT VON ZUKUNFT KONZERTHAUS E. V.
IMPRESSUM
HERAUSGEBER Konzerthaus Berlin, Intendant Prof. Dr. Sebastian Nordmann · TEXT Prof. Dr. Frank Schneider
REDAKTION Tanja-Maria Martens, Andreas Hitscher · KONZEPTION / GESTALTUNG Meta Design AG · ABBILDUNGEN
Tone Stojko, Berthold Fabricius, Katrin Schilling, Archiv Konzerthaus Berlin (3) · SATZ UND REINZEICHNUNG
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