Therapie und Betreuung HIV-infizierter Kinder

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P O L I T I K
MEDIZINREPORT
6. Münchner AIDS-Tage
Therapie und Betreuung
HIV-infizierter Kinder
Der Fortschritt in der Therapierbarkeit der HIV-Erkrankung war in den letzten 16 Monaten
größer als in den 16 Jahren davor. Vor allem neue Erkenntnisse in der HIV-Replikationsdynamik, die Messung der Viruslast und neue antiretrovirale Kombinationstherapien haben dies bewirkt. Eine Patientengruppe, bei der die neuen Erkenntnisse noch unzureichend
in die Behandlungskonzepte eingeflossen sind, sind HIV-infizierte Kinder. In der Euphorie
von Viruselimination und Aussicht auf Heilung ist auch das Engagement für opportunistische Infektionen etwas in den Hintergrund getreten. Und die größte Herausforderung, die Entwicklung eines langfristig wirksamen Impfstoffs, bleibt weiterhin bestehen.
chungen in den ersten sechs Monaten
können praktisch immer klären, ob
ein Kind infiziert ist.
Als Frühsymptome einer HIVInfektion beobachtet man im Kindesalter besonders häufig Hepatospleno-
Foto: List & Partner Verlagsgesellschaft, Wien
D
ie Häufigkeit einer vertikalen
Transmission von HIV liegt
heute unter zehn Prozent, und
die mittlere Überlebenszeit
perinatal infizierter Kinder beträgt
acht Jahre. HIV kann auf das Kind in
utero, während der Geburt oder beim
Stillen übertragen werden. Am häufigsten ist der zweite Weg. Je weiter
fortgeschritten das Erkrankungsstadium der Mutter ist, desto höher liegt
das Transmissionsrisiko. Auch geburtshilfliche Faktoren spielen eine
wichtige Rolle. Die primäre Sectio
scheint das Risiko der HIV-Übertragung zu halbieren. Vorzeitiger Blasensprung, Vakuum- oder Zangengeburt erhöhen das Risiko.
In einer plazebokontrollierten
randomisierten ACTG-Studie nahm
das Transmissionsrisiko unter einer
Zidovudin-Prophylaxe auf 7,6 Prozent gegenüber 22,6 Prozent ab. Das
Medikament wurde dabei während
der Schwangerschaft peroral, unter
der Geburt intravenös und beim Kind
in den ersten sechs Wochen peroral
eingesetzt. Welche der drei Therapiephasen den Schutz bringt, ist noch
nicht geklärt.
Bis zum 18. Lebensmonat kann
eine HIV-Infektion nur durch den direkten Virusnachweis gesichert werden, da in diesem Zeitraum noch mütterliche Antikörper zirkulieren. Da
auch die PCR in den ersten Lebensmonaten bei nicht infizierten Kindern
positiv ausfallen kann, sollten PCR
und Antigentest immer parallel
durchgeführt werden. Drei Untersu-
Für die Wissenschaftler bleibt die Entwicklung einer
HIV-Vakzine nach wie vor eine Herausforderung.
megalien und generalisierte Lymphadenopathien. Für das Säuglingsalter
typische Ekzeme werden verschlimmert, und es treten gehäuft bakterielle Infektionen auf. Eine thrombozytopenische Purpura und ein Herpes
zoster sind typische AIDS-Erstmanifestationen, deren Auftreten im Kindesalter immer einen HIV-Test veranlassen sollte. Auch bei einer Hypergammaglobulinämie sollte ein entsprechender Verdacht geklärt wer-
A-1990 (26) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 30, 25. Juli 1997
den. Von den opportunistischen Infektionen kommt die Pneumocystiscarinii-Pneumonie (PCP) auch im
Kindesalter am häufigsten vor, kann
aber schon bei normaler CD4-Zellzahl auftreten. An zweiter Stelle steht
die Candida-Ösophagitis.
Auch bei Kindern lassen sich in
den ersten symptomfreien Jahren
kaum Viruspartikel im Plasma nachweisen. In Wirklichkeit werden in dieser Zeit der scheinbaren Latenz in den
lymphatischen Geweben massiv Viruspartikel produziert – mit einer
Halbwertszeit von gerade sechs Stunden. Der Nachschub an CD4-Zellen
vermag jahrelang mit dieser massiven
Replikation Schritt zu halten. Die
CD4-Zellzahl gibt also nur Aufschluß
über den Zustand des Gleichgewichts.
Die Dynamik der HIV-Infektion spiegelt sich in der Viruslast wider, die sich
inzwischen als wichtigster prognostischer Parameter etabliert hat.
Die üblichen Säuglings-Impfungen sollten bei HIV-infizierten Kindern besonders frühzeitig durchgeführt werden, da die Antikörperantwort mit zunehmendem Verlauf der
Krankheit immer schwächer wird. Eine Impfung mit dem BCG-Lebendimpfstoff sollte entfallen, und die Polio-Schluckimpfung durch Injektion
des inaktivierten Impfstoffs ersetzt
werden. Der Masern-Lebendimpfstoff kann dagegen ohne weiteres verabreicht werden.
Da auch bei normaler CD4-Zellzahl eine PCP auftreten kann, wird
empfohlen, allen Säuglingen von HIVinfizierten Müttern prophylaktisch
Cotrimoxazol zu geben. Diese Vorsichtsmaßnahme kann nach sechs Monaten gestoppt werden, wenn bis dahin
kein HIV nachzuweisen ist. Von einer
– früher routinemäßig gegebenen –
Immunglobulin-Prophylaxe profitieren wahrscheinlich nur Kinder, die
trotz antiretroviraler Therapie und
PCP-Prophylaxe an rezidivierenden
bakteriellen Infektionen leiden.
Erfahrungen mit nichtnukleosidischen Substanzen und ProteinaseInhibitoren fehlen in der antiretroviralen Therapie bei Kindern noch
weitgehend. Deshalb wird für Kinder
heute offiziell noch eine Therapie mit
ddI alleine oder in Kombination mit
Zidovudin empfohlen. Doch auch im
Kindesalter korreliert der Erkran-
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kungsverlauf mit der Viruslast, und
Kinder weisen oft im ersten Lebensjahr eine besonders hohe Viruslast
auf. Es ist deshalb wahrscheinlich,
daß Mehrfachkombinationen mit Reverse-Transkriptase-Hemmern und
Proteinasehemmern – wie sie bei Erwachsenen mit durchschlagendem
Erfolg eingesetzt werden – auch bei
Kindern sehr viel wirksamer sind.
Opportunistische
Infektionen
Die antiretrovirale Therapie und
opportunistische Infektionen beeinflussen sich gegenseitig, so daß nur eine gemeinsame Betrachtung sinnvoll
ist: Durch eine verbesserte antiretrovirale Therapie nimmt die Rate an opportunistischen Infektionen ab, aber
auch das Spektrum verändert sich.
Umgekehrt können opportunistische
Infektionen den Erfolg der antiretroviralen Therapie beeinflussen.
Auch nichtfatale opportunistische Infektionen erhöhen die Mortalität der Patienten unabhängig von
deren immunologischer Kompetenz.
Wahrscheinlich bewirken sie eine Immunaktivierung, die die HIV-Expression und damit die Viruslast steigert.
Eine hohe Viruslast kann umgekehrt
das Risiko für opportunistische Infektionen unabhängig von der CD4-Zellzahl steigern. Eine Analyse von mehreren ACTG-Studien an insgesamt
721 Patienten zeigte, daß das PCP-Risiko um das Zweifache und das Risiko
für eine Zytomegalievirus-Infektion
(CMV) beziehungsweise eine disseminierte Mykobakterium-avium-Infektion (MAI) um das Dreifache
steigt, wenn die Viruslast um eine logStufe zunimmt. Bei Patienten mit
CD4-Zellzahlen unter 75 pro ml war
die Viruslast ein stärkerer Prädiktor
für opportunistische Infektionen als
die CD4-Zellzahl.
Die antiretrovirale Kombinationstherapie reduziert die Viruslast,
aber auch die AIDS-assoziierte Mortalität, die Hospitalisierung und die
Inzidenz opportunistischer Infektionen um 50 bis 70 Prozent. Obwohl sie
damit die beste Prophylaxe opportunistischer Infektionen darstellt, kann
die spezifische Prophylaxe nicht unbedingt entfallen. Auch ein starker
Anstieg der CD4-Zellzahl schützt
nicht immer vor einer opportunistischen Infektion. Fallbeispiele von Patienten, die trotz erfolgreicher Dreifachtherapie an einer CMV-Retinitis
erkrankten, belegen dies. Bei anderen
Patienten waren trotz Dreifachtherapie MAI aufgetreten mit ausgeprägter Lymphadenopathie und Fieber.
Die Verbesserung des Immunstatus
hat in diesen Fällen offenbar dazu geführt, daß sich die entzündliche Reaktion verstärkte, konnte aber die Bakterien nicht eliminieren. Man muß
deshalb die Frage stellen, ob die unter
antiretroviraler Therapie neu gebildeten CD4-Zellen wirklich voll immunkompetent sind. Dafür sprechen
Berichte über Patienten, deren Kryptosporidiose oder Mikrosporidiose
nach Einleitung der antiretroviralen
Therapie spontan ausheilte beziehungsweise sich deutlich besserte.
Impfstoff-Suche
bisher enttäuschend
Das anspruchsvollste Ziel der
AIDS-Forschung ist, Impfstoffe zu
entwickeln, die eine langanhaltende
Immunität induzieren und damit die
Ausbreitung des Virus bei HIV-Infizierten unterdrücken können. Die
Biologie von HIV erschwert die Entwicklung eines Impfstoffs erheblich.
Das Virus zeigt eine hohe Sequenzvariabilität, kann sich durch Integration
in das Genom der Wirtszelle dem Zugriff des Immunsystems entziehen,
wird zellgebunden übertragen, weist
eine hohe Turnoverrate auf und zerstört immunkompente CD4-positive
Zellen. Außerdem moduliert eine
HIV-Infektion nicht nur die zellvermittelte, sondern auch die humorale
Immunantwort des Wirtes, zum Beispiel durch Verschiebung des Zytokinmusters.
Untersuchungen von langzeitüberlebenden HIV-Infizierten, HIVinfizierten Kindern und Klinikpersonal, das wiederholt einer HIV-Kontamination ausgesetzt war, legen nahe,
daß vor allem CD8-positive zytolytische T-Zellen die Virusreplikation
unter Kontrolle halten und möglicherweise auch die Infektion eliminieren. Diese T-Zellen scheinen nicht
nur HIV-infizierte Zielzellen zu lysie-
ren, sondern die Sekretion löslicher
Mediatoren zu induzieren, die die
Ausbreitung des Virus hemmen.
Welche Rolle die humorale Immunantwort für den Krankheitsverlauf spielt (speziell Hüllprotein-spezifische Antikörper), ist noch unklar.
Ein eindeutiges Korrelat einer schützenden Immunantwort konnte tierexperimentell bisher nicht identifiziert
werden. Ein Impfstoff sollte deshalb
möglichst breit angreifen, das heißt,
sowohl neutralisierende Antikörper
als auch eine zellvermittelte Immunantwort induzieren.
In einem US-amerikanischen
Vakzine-Evaluationsprogramm werden derzeit in Sicherheits- und Immunogenitätsstudien (Phase I und II) 16
Kandidat-Vakzinen an mehr als 1 700
freiwilligen Testpersonen untersucht.
Fast alle basieren auf den Hüllproteinen gp 160 oder gp 120 beziehungsweise Teilen davon. Sie wurden gentechnisch hergestellt oder chemisch
synthetisiert. Alternativ verwendete
man rekombinante Vaccinia- oder
Canary-Pockenviren, die das HIV-1Hüllprotein exprimieren.
Die meisten getesteten Impfstoffe lösten eine Antikörperantwort aus
und stimulierten die Bildung von THelferzellen. Die höchsten Titer an
neutralisierenden Antikörpern erzielte man nach mehreren Immunisierungen. Von den gereinigten Antigenen
erwies sich die nativ glykolysierte
HIV-Untereinheit pg 120 mit Aluminium-Adjuvans – in Säugerzellen produziert – als am stärksten immunogen. Nur die wenigsten KandidatVakzinen stimulierten eine zytolytische T-Zell-Antwort. Am erfolgreichsten waren hier die rekombinanten
Canary-Pockenviren.
Die weitere Beobachtung der
Geimpften zeigte leider, daß diese
Immunantworten bisher nicht vor einer HIV-Infektion schützen konnten.
Wahrscheinlich muß ein erfolgreicher Impfstoff komplexer aufgebaut
sein, darf nicht nur das HIV-Hüllprotein beeinhalten und muß auch an
das jeweils regional vorherrschende
Virusisolat angepaßt sein. Eine zusätzliche Modulation der Immunantwort mit Zytokinen ist ein weiterer Weg, der derzeit getestet wird, um
wirksam gegen die HIV-Infektion zu
impfen. Dr. med. Angelika Bischoff
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 30, 25. Juli 1997 (27) A-1991
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