Zu den vom Therapienotstand betroffenen Arten zählen neben allen

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Tierschutzrelevanter Therapienotstand
in der Heimsäugetier- und Kleintierpraxis
mit besonderem Augenmerk auf den Fall eines Verbotes von Fluoquinolonen und auf die
Verpflichtung, sich ausschließlich auf die in Packungsbeilagen angegebenen
Dosierungen und Anwendungsgebiete zu beschränken
Stellungnahme der Fachgruppe Kleintierpraxis im Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. (bpt)
Der Therapienotstand ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass es für die Mehrzahl der
so genannten „minor Species“ so gut wie keine zugelassenen Antibiotika gibt. Um auch
diese Tierarten bei bakteriellen Infektionen therapieren zu können, müssen die für andere
Tierarten zugelassenen Antibiotika umgewidmet werden.
Zu den von diesem Zustand betroffenen Arten zählen neben allen Ziervögeln und den
Zootieren insbesondere die kleinen Heimsäugetiere, wie etwa Meerschweinchen,
Zwergkaninchen, Hamster, Wüstenrennmäuse, Degus, Frettchen oder auch Farbratten. Eine
weitere große Gruppe bilden Reptilien, Amphibien, Kopffüßer und andere Exoten. Diese
etwa 8,6 Millionen Tiere in Deutschland machen im Patientengut der Kleintierpraxen einen
Anteil von 10 bis 40% aus. Aber auch Hunde und Katzen sind betroffen, denn einige der
Medikamentendosierungen in den zugelassenen Antibiotika entsprechen nicht mehr dem
Stand der Wissenschaft.
Einige konkrete Beispiele:
In der Heimtiermedizin ist lediglich Enrofloxacin, ein Wirkstoff aus der Gruppe der
Fluoquinolone als einziges bakterizides Antibiotikum zugelassen. Dies auch nur für eine
einzige Spezies, nämlich Kaninchen. Außerdem findet sich bei zwei Trimethoprim Sulfonamid Präparaten eine Zulassung als lediglich bakteriostatisches, vor allem gegen
Kokzidien verwendbares Therapeutikum auch beim Meerschwein, jedoch nicht bei anderen
Heimsäugetierarten wie etwa Chinchilla oder Degu. Auch für Reptilien oder andere exotische
Tiere bestehen, ebenso wie für die meisten Zootiere, keinerlei Zulassungen irgendwelcher
antimikrobieller Substanzen.
Im Falle einer bakteriellen Infektion müssen daher auch bisher schon permanent
antimikrobiell wirksame Substanzen umgewidmet werden.
Warum können häufig keine für die Humanmedizin „unproblematischen“ antimikrobiellen
Substanzen verwendet werden?
Anders als Fleisch - oder allesfressende Säugetiere bewerkstelligt ein überwiegender Teil
der kleinen Heimsäugetiere den Verdauungsprozess mit Hilfe von Bakterien, die erst im
Blinddarm das zugeführte Futter aufschlüsseln. Diese lebenswichtigen Bakterien sind
überwiegend dem grampositiven Spektrum zuzuordnen. Verabreicht man einem so
verdauenden Individuum nun ein Antibiotikum, das hauptsächlich grampositive Bakterien
abtötet, kommt damit der Verdauungsprozess irreparabel und komplett zum Erliegen, das
Tier stirbt unweigerlich.
Um die Tiere aber nicht mit einem Antibiotikum umzubringen, sondern im Gegenteil zu
heilen, benötigt man für diese Spezies also im Falle einer bakteriell bedingten Erkrankung
antimikrobielle Substanzen, die den größten Teil der lebenswichtigen Verdauungsbakterien
überleben lassen. Zu verwenden sind in erster Linie alle Fluoquinolone. Handelt es sich um
eine ausschließlich durch Gramnegative verursachte Infektion, eher der sehr große
Ausnahmefall, können auch Gentamicin (cave, hochgradig nierenschädlich) oder Colistin
verwendet werden.
Alle anderen Antibiotika dagegen sind in der Heimtier – und teilweise in der Exotenmedizin
wegen der überwiegenden oder ausschließlichen Wirkung auf grampositive Bakterien
grundsätzlich kontraindiziert. Cephalosporine jedweder Generation spielen auch deshalb in
der Heimsäugermedizin keine Rolle.
Bei der Dosierungsfindung ist der genaue Blick auf die tierartspezifischen Besonderheiten
extrem wichtig. Entsprechende Erkenntnisse gewinnen Tierärzte dabei hauptsächlich auf
Grundlage der Erfahrungen in den Zulassungsverfahren (Versuchstiere) und der in
wissenschaftlichen Veröffentlichungen publizierten Therapievorschläge. Nur daraus ergeben
sich die Dosierungsempfehlungen, die in keinem Beipackzettel zu finden sind. So wird z.B.
für die Therapie mit Enrofloxacin beim Meerschwein eine einmalige täglich Gabe empfohlen,
Chinchilla oder Frettchen benötigen wegen des erhöhten Metabolismus eine 2 x tägliche
Gabe von wiederum einer zweimal so hohen Gesamttagesdosis pro Kilogramm
Körpergewicht wie etwa Katzen.
Ohne die Möglichkeit, jederzeit situations- und indikationsgebunden umzuwidmen, müsste
also bei einem Verbot bestimmter Substanzen auf reine Pflanzenmedizin oder Homöopathie
auch bei jeglicher bakterieller Infektion zurückgegriffen werden. Ein tierschutzrelevanter
Zustand aus dem vorletzten Jahrhundert, der seit Entdeckung der Antibiotika bisher als
überwunden angesehen werden kann.
Auch in der Reptilien- und Amphibienmedizin stellt sich massiv das Problem, im Falle eines
Verbots der Fluoquinolone keine antimikrobiell wirksamen Substanzen mehr zur Therapie
bakterieller Erkrankungen anwenden zu dürfen. Wirksame Blutspiegel werden bei für die
Humanmedizin „unproblematischen“ Antibiotika, die im Resistenztest teilweise noch als
wirksam detektiert werden, nur in Dosierungen erreicht, die dann einen nachfolgenden
Organschaden verursachen. Gentamicin z.B. ist praktisch nicht einsetzbar, weil es auch in
geringen Dosen die Nieren irreparabel schädigt.
Ein Gebot zur exakt der Zulassung entsprechenden Dosierung von antimikrobiellen
Substanzen beträfe auch die Therapie von Hunden und Katzen. So wird z.B. bei einer tiefen
eitrigen Hautentzündung (Pyodermie), einer sehr häufigen und schmerzhaften Erkrankung,
eine nicht in der Produktbeschreibung niedergelegte, über doppelt so hohe Dosis des
„Altantibiotikums“ Amoxicillin + Clavularsäure dringend empfohlen und seit Jahren erfolgreich
praktiziert, als die Zulassung dies z.B. bei einer Lungenentzündung (Pneumonie) oder bei
einer Blasenentzündung (Cystitis) vorsieht.
Ohne die Möglichkeit, auch weiterhin tierart – und indikationsspezifisch antimikrobielle
Substanzen anzuwenden, bestünde auch bei diesen Tierarten ein akuter,
tierschutzrelevanter Therapienotstand.
Mit einer detaillierteren Differenzierung der Anwendungsbereiche bzw. der Dosierungen von
Seiten der Industrie ist wegen der enormen Kosten eines erneuten Zulassungsverfahrens
nicht zu rechnen.
Es bleibt daher dringende Forderung des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte,
geplante unumgänglich erscheinende Einschränkungen oder Anwendungsverbote bei
antimikrobiell wirksamen Substanzen einzig auf die Tiere, die der
Lebensmittelgewinnung dienen, zu beschränken.
August 2013, Fachgruppe Kleintierpraxis im Bundesverband praktizierender Tierärzte (FGK)
Vorsitzende: Dr. med. vet. Petra Sindern, Bahnhofstraße 66, 21629 Neu Wulmstorf
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