3. Prozesse und Mechanismen der selektiven Aufmerksamkeit

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Prozesse und Mechanismen
der selektiven Aufmerksamkeit für
störungsbezogene Reize bei
Angststörungen
• Werden angstbezogene Reize schneller erkannt (Hypervigilanz)
oder binden sie mehr Aufmerksamkeit und haben dadurch eine
ablenkende Wirkung? (vgl. Becker & Rinck, 2000)
• Besteht ein Aufmerksamkeitsbias für Bedrohliches oder generell
für Emotionales oder für Emotionales mit semantischem Bezug zu
Bedrohlichem?
(? Beispieluntersuchung von Mathews & Klug, 1993).
• Lässt sich ein störungsspezifischer Aufmerksamkeitsbias durch
den besonderen ablenkenden Charakter der Reize erklären oder
durch die erhöhte Exposition, die Angstpatienten gewöhnlich
bezüglich der semantischen Inhalte haben?
(? Beispieluntersuchung von Foa et al., 1991)
• Ist der Aufmerksamkeitsbias stabil oder veränderbar, eher ein
Trait- oder (nur) ein State-Marker der jeweiligen Angststörung?
(? Beispieluntersuchung von Mathews et al., 1995)
• Lässt sich ein kausaler Einfluss einer selektiven Aufmerksamkeit
auf Befindlichkeit nachweisen?
(? Beispieluntersuchung von MacLeod et al., 2002)
Lässt sich ein störungsspezifischer
Aufmerksamkeitsbias durch den besonderen
ablenkenden Charakter der Reize erklären
oder durch die erhöhte Exposition, die
Angstpatienten gewöhnlich bezüglich der
semantischen Inhalte haben?
Beispiel: Posttraumatische Belastungsstörung
Exkurs: Wichtige Diagnosekriterien der
Posttraumatischen Belastungsstörung (DSM IV)
A Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die
beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:
1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren
Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder
ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der
eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten.
2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder
Entsetzen.
B
Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden
Weisen wiedererlebt:
1. wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis
2. wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis
3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt
4. intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder
externalen Hinweisreizen
5. körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen
Hinweisreizen
Beispiel: Posttraumatische Belastungsstörung
C
Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder
eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität. Mind. 3 der folgenden Symptome:
1. bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit
dem Trauma in Verbindung stehen
2. bewusstes vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die
Erinnerungen an das Trauma wachrufen
3. Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern
4. vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten
5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen
6. Eingeschränkte Bandbreite des Affekts
7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft
D
Anhaltende Symptome erhöhten Arousals. Mind. 2 der folgenden Symptome:
1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen
2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
3. Konzentrationsschwierigkeiten
4. übermäßige Wachsamkeit
5. übertriebene Schreckreaktion
E
Das Störungsbild dauert länger als einen Monat an.
F
Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder
Beeinträchtigungen.
Beispiel: Posttraumatische Belastungsstörung
Foa, E.B., Feske, U., Murdock, T.B., Kozak, M.J. & McCarthy, P.R. (1991).
Processing of Threat-Related Information in Rape Victims. Journal of
Abnormal Psychology,100 (2), 156-162.
Fragestellung
Sind die Stroop-Interferenzen bei angstbezogenen Worten erklärbar
(a) durch die Beanspruchung der Aufmerksamkeit, die diese Inhalte fordern,
oder
(b) durch die unterschiedliche Exposition, die Angstpatienten bezüglich
dieser Inhalte gewöhnlich haben?
Wenn die Stroop-Interferenz bei PTSD-Patienten auf eine traumabezogene
Angst-Struktur (Vermeidung der Verarbeitung des Traumas) zurückgeht,
dann sollten Patienten mit PTSD mehr Interferenzen zeigen als Personen,
die auch ein Trauma erlebten, ohne eine PTSD zu entwickeln (gleiche
Exposition).
Design
15 Vergewaltigungsopfer mit PTSD, 14 Vergewaltigungsopfer ohne PTSD
und 16 Kontrollpersonen ohne Störung/Vergewaltigungserfahrung erhielten
vier Typen von Worten:
•
•
•
•
Worte mit Bezug zu einer Vergewaltigung
Worte mit allgemeinem Angstbezug
neutrale Worte
Nicht-Worte
Zur Minimierung des Einflusses vorangegangener Worte:
Einzelpräsentationen, statt viele Worte auf einer Karte darzubieten
Ergebnisse
Die PTSD-Vergewaltigungsopfer zeigten bei Worten mit
Vergewaltigungsbezug längere Latenzen als bei den drei anderen
Wortarten. Die Vergewaltigungsopfer ohne PTSD unterschieden sich nicht
von den Kontrollpersonen. Beide zeigten keine unterschiedlichen Latenzen
bei den verschiedenen Worttypen.
Fazit
Die besondere persönliche Bedeutung ist entscheidender als die
Exposition.
Ist der Aufmerksamkeitsbias stabil oder
veränderbar, eher ein Trait- oder (nur) ein
State-Marker der jeweiligen Angststörung?
Beispiel: Generalisierte Angststörung
Mathews, A., Mogg, K., Kentish, J. & Eysenck, M. (1995). Effect of
Psychological Treatment on Cognitive Bias in Generalized Anxiety
Disorder. Behaviour Research and Therapy, 33 (3), 293-303.
Fragestellung
Vorgängeruntersuchungen fanden, dass die bei Angstpatienten
nachgewiesenen Biases nach erfolgreicher Therapie verschwanden. Dies
spricht dafür, dass diese Biases eher states als traits sind.
Gegen ein schnelles Zurückweisen kognitiver Verursachungsmodelle
sprechen jedoch zwei Punkte:
1. Die Befunde entstammten Querschnitterhebungen an unterschiedlichen
Gruppen.
2. Es wurden in einer Studie Vigilanzeffekte auch bei Geheilten gefunden.
Ziel hier ist eine Längsschnitterhebung.
Vpn: 24 GAS-Patienten und 23 normale Kontrollpersonen
Design
1. Prätest: emotional stroop und weitere Aufgaben
2. Intervention: Die Angstpatienten erhalten ein Gruppentraining zur
Behandlung der Angst
3. Posttest (ca. 4 Monate nach dem Prätest) mit den gleichen Aufgaben
4. follow-up (3 Monate danach, nur bei Angstpatienten) mit den gleichen
Aufgaben
Worttypen
•
•
•
•
physisch bedrohliche Worte
sozial bedrohliche Worte
positive Worte
neutralen Worte
Ergebnisse
Prätest: Die Angstpatienten sind im emotional stroop bei den bedrohlichen
Wörtern langsamer als die Kontrollpersonen. Bei einer
Wortergänzungsaufgabe unterscheiden sie sich nicht von den
Kontrollpersonen.
Posttest und follow-up: Nach der Intervention gibt es keine signifikanten
Unterschiede mehr zwischen den Gruppen.
Fazit
Die Ergebnisse sprechen dafür, den zum Prä-Zeitpunkt gefundenen Bias
als „state“-Effekt zu erklären, da er mit Besserung der Angstsymptomatik
verschwand.
Alternativ könnte es auch sein, dass der Aufmerksamkeitsbias in der
Stroop-Aufgabe sich nur dann zeigt, wenn sich das vulnerable Individuum
in einer aktuell ängstlichen Stimmung bzw. einer subjektiv bedrohlichen
Situation befindet.
Lässt sich ein kausaler Einfluss einer selektiven
Aufmerksamkeit auf Befindlichkeit nachweisen?
Gesunde Kontrollen
MacLeod, C., Rutherford, E., Campbell, L., Ebsworthy, G. & Holker, L. (2002).
Selective attention and emotional vulnerability: Assessing the causal basis of
their association through the experimental manipulation of attentional bias.
Journal of Abnormal Psychology, 111, 107-123.
Ziel der Studie:
Klärung der Frage, ob die Beziehung zwischen verzerrter
Aufmerksamkeit und emotionaler Vulnerabilität kausaler Natur ist.
Vpn: 64 Erstsemester-Psychologiestudenten mit mittleren STAI-TWerten
Das Experiment bestand aus zwei aufeinanderfolgenden Phasen:
1. „Aufmerksamkeitstrainings“-Phase:
Dot-Probe Aufgabe zur Manipulation der Aufmerksamkeit:
Die Aufmerksamkeit wurde (jeweils bei der Hälfte der Vpn) entweder
• von negativen Stimuli weg und hin zu neutralen Stimuli gelenkt oder
• von neutralen Stimuli weg und zu negativen Stimuli hin gelenkt
Dot-Probe-Aufgabe
• insgesamt 672 Durchgänge, davon 576 Trainingsdurchgänge und 96
Testdurchgänge
• jeweils ein negatives und ein neutrales Wort
• anschließend erschienen an der Stelle eines der Wörter entweder ein
Punkt oder zwei aneinander angrenzende Punkte
• Aufgabe der Versuchspersonen: per Tastendruck entscheiden, ob sie
einen oder zwei Punkte gesehen hatten
• Messung der Reaktionszeiten
• Zwei Gruppen von Vpn:
1. Gruppe: In den Trainingsdurchgängen erschien der Punkt immer an
der Stelle des neutralen Wortes → Lenkung der Aufmerksamkeit auf
die neutralen und weg von den negativen Wörtern.
2. Gruppe: Punkt erschien in den Trainingsdurchgängen immer an der
Stelle des negativen Wortes: Lenkung der Aufmerksamkeit auf die
negativen Wörter.
2. Stress-Phase:
• Bearbeitung schwieriger und z. T. unlösbarer Anagramme
• Zeitdruck
• negative Rückmeldung
• fingierte Videoaufzeichnung, die angeblich Studenten vorgespielt
würde
Hypothese
Die zentrale Hypothese ist, dass die induzierte Aufmerksamkeitsfokussierung die emotionale Vulnerabilität verändern kann.
Dies sollte sich in einem unterschiedlichen Ausmaß an negativer
Stimmung nach der Stress-Phase zeigen.
Ergebnisse
Das Aufmerksamkeitstraining war erfolgreich.
Es hatte (wie gewünscht) keinen direkten Einfluss auf die Stimmung.
Vergleich zwischen den Gruppen
• vor der Stress-Phase: kein signifikanter Unterschied zwischen den
Gruppen hinsichtlich der Stimmung
• nach der Stress-Phase: signifikanter Unterschied
Die Verschlechterung der Stimmung nach der Stress-Phase ist in der
Vpn-Gruppe, deren Aufmerksamkeit auf die negativen Wörter gelenkt
wurde, stärker als in der anderen Gruppe
Prätest-Posttest-Vergleich
In beiden Gruppe ist die Stimmung nach der Stress-Phase signifikant
schlechter als zuvor.
Die Interaktion „Trainingsgruppe x Erhebungszeitpunkt“ wird tendenziell
signifikant und konnte in einem weiteren Experiment bestätigt werden.
Fazit
Die Hypothese ist bestätigt. Eine verzerrte Aufmerksamkeit
gegenüber negativen Informationen hat offenbar einen kausalen
Einfluss auf emotionale Vulnerabilität.
Die Manipulation der Aufmerksamkeit beeinflusst das Ausmaß, in
dem die Probanden unterschiedliche Aspekte der Stress-Situation
selektiv verarbeiten.
Die Befunde unterstützen die Annahme, dass Aufmerksamkeitsverzerrungen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von
Angststörungen spielen.
Wenn es möglich ist, über eine Beeinflussung der Aufmerksamkeit
die emotionale Reaktivität zu verändern, dann könnte man sich dies
auch in Therapien zu Nutze machen. Voraussetzung wäre die
Klärung der Stabilität des Bias.
Kritikpunkte
• Ein recht kurzes Aufmerksamkeitstraining bei nicht-klinischen
Vpn kann nicht die vollständige kognitive Konstellation induzieren,
die mit klinischen Störungen assoziiert ist.
• Da es keine Kontrollbedingung ohne Aufmerksamkeitstraining gab,
lässt sich noch nicht sagen, ob die Aufmerksamkeitsorientierung
hin zu negativen Reizen die negativen emotionalen Reaktionen
verstärkte, oder ob die Orientierung weg von negativen Reizen
(und hin zu neutralen) zu einer Abschwächung der stressbedingten emotionalen Reaktionen führte.
• Werden angstbezogene Reize schneller erkannt (Hypervigilanz)
oder binden sie mehr Aufmerksamkeit und haben dadurch eine
ablenkende Wirkung? (vgl. Becker & Rinck, 2000)
• Besteht ein Aufmerksamkeitsbias für Bedrohliches oder generell
für Emotionales oder für Emotionales mit semantischem Bezug zu
Bedrohlichem?
(? Beispieluntersuchung von Mathews & Klug, 1993).
• Lässt sich ein störungsspezifischer Aufmerksamkeitsbias durch
den besonderen ablenkenden Charakter der Reize erklären oder
durch die erhöhte Exposition, die Angstpatienten gewöhnlich
bezüglich der semantischen Inhalte haben?
(? Beispieluntersuchung von Foa et al., 1991)
• Ist der Aufmerksamkeitsbias stabil oder veränderbar, eher ein
Trait- oder (nur) ein State-Marker der jeweiligen Angststörung?
(? Beispieluntersuchung von Mathews et al., 1995)
• Lässt sich ein kausaler Einfluss einer selektiven Aufmerksamkeit
auf Befindlichkeit nachweisen?
(? Beispieluntersuchung von MacLeod et al., 2002)
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