Synthese, Molekül-und Elektronenstruktur eines Radikal

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Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur
eines Radikal-Kationkomplexes [Cr(CO)4(Carben)2] +
Synthesis, Molecular and Electronic Structure of a Radical Cationic Complex [Cr(CO)4(Carbene)2]+
Klaus Ackermann, Peter Hofmann*, Frank H. Köhler, Hans Kratzer, Herbert Krist,
Karl öfele* und Helmut R. Schmidt
Anorganisch-chemisches Institut der Technischen Universität München,
Lichtenbergstraße 4, D-8046 Garching
Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. E. O. Fischer zum 65. Geburtstag gewidmet
Z. Naturforsch. 38b, 1313-1324 (1983); eingegangen am 14. Juli 1983
Cationic Dicarbene Complexes, Synthesis, Structure and Bonding
A new one-step synthesis for bis-carbene complexes cis-M(CO)4L2 (M = Cr, Mo, W)
containing cyclic carbene ligands L has been developed. These compounds can be oxidized
by ferrocenium salts to paramagnetic cation complexes [M(CO)4L2]+ which, for M = Cr,
are isolable in the form of their PFÖ salts. The chromium compounds with L = 1,3-dimethyl4-imidazolin-2-ylidene permit for the first time a structural and spectroscopic comparison
of a diamagnetic carbene complex with the corresponding paramagnetic cation; the
experimental facts are interpreted by molecular orbital calculations.
Einleitung
cis- und frans-Dicarbenkomplexe M(C0)4L2 des
Molybdäns und Wolframs mit heterocyclischen aromatischen Carbenliganden (L = 1.3-Dimethyl-4imidazolin-2-yliden, 2.4-Dimethyl-1.2.4-triazolin-3yliden u.a.) und deren meridional konfigurierte
Substitutionsprodukte M(CO)3L 2 L' (L' = Pyridin,
PR3, C N - R ' ) können zu einwertigen Kationen
[M(CO) 4 L 2 ]+ bzw. [M(CO) 3 L 2 L']+ oxidiert werden,
wie elektrochemische Untersuchungen
gezeigt
haben [1, 2]. M. F. Läppert et al. verwendeten
Ag[BF4] zur Oxidation substituierter MonocarbenChromkomplexe Cr(CO)3L"L2'" ( L " = C(OR)R',
I
1
CN(Et)CH 2 CH 2 NEt; L " ' = PR 3 , P(OPh) 3 ) und
charakterisierten die dabei erhaltenen paramagnetischen Chrom(I)-Komplexe [Cr(CO)3L"L , " 2 ] + hauptsächlich mit Hilfe der ESR-Spektren [3]. An
den durch elektrochemische Oxidation erhaltenen Dicarbenkomplex-Kationen [M(C0)4L2]+ und
[M(CO)3L2L']+ beobachteten wir spezielle Isomerisierungs- und Disproportionierungsreaktionen. Für
ein eingehendes Studium der Reaktivität dieser
Dicarben-Radikalkationkomplexe war ihre Rein4. Mitteilung der Reihe: Untersuchungen an Übergangsmetallkomplexen mit cyclischen Carbenliganden. Mitt. 3 vgl. Ref. [4].
* Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr. P. Hofmann
und Dr. K. Öfele.
0340-5087/83/1100-1313/$ 01.00/0
darstellung erforderlich. Ihre chemischen Eigenschaften werden zweifellos entscheidend dadurch
bestimmt, in welchem Maße die positive Ladung
am Metall bzw. an den Liganden lokalisiert ist,
deshalb sollte an einem Beispiel auch die Elektronenstruktur von Neutral- und Kationkomplex
berechnet und die Ergebnisse mit spektroskopischen Daten und Röntgenstrukturanalysen verglichen werden.
1. Neue Direktsynthese von Tetracarbonyldicarbenkomplexen des Chroms, Molybdäns und
Wolframs
Da die bisherige Synthese von Dicarbenkomplexen des Typs ci.s-M(CO)4L2 (M = Cr, Mo, W ) über
Azolium-carbonylmetallate und Monocarbenkomplexe M(CO) 5 L [4, 5]
2 [L-H]+ + [M 2 (CO)io] 2 - ->
[ L - H ] 2 [M2(CO)IO]
—
A
2 M(CO) 5 L _ • M(C0) 4 L 2 + M(CO) 6
A
„Imid"
„Methimid"
„Pyraz"
„Triaz"
Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung
in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:
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1
1314
K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes
sich als ein ziemlich zeitraubendes und insgesamt
nicht sehr ergiebiges Verfahren erwies, suchten wir
nach einer besseren, möglichst einstufigen Darstellungsmethode. Als Vorstufen für die heterocyclischen Carbenliganden (L) sollten wregen ihrer großen Variationsmöglichkeiten wiederum die leicht
zugänglichen Azoliumsalze [L-H]+X~ ( X = Halogen) dienen. Deren Umsetzung mit den von W . Hieber entdeckten Hexacarbonyl-^-trihydroxy-dimetallaten [M 2 (OH) 3 (CO) 6 ] 3 - (M = Cr, Mo, W ) [6]
führte schließlich zum Ziel; in einer verhältnismäßig glatten Reaktion erfolgt dabei Protonenübertragung von den Azoliumionen auf die OH~-Liganden, die in Form von H2O abgespalten werden.
Die verbleibenden Metallcarbonylfragmente werden
dann durch Aufnahme von je 2 aus Azoliumionen
gebildeten Carbenliganden und Austausch von CO
stabilisiert:
4 H[Cr 2 (OH) 3 (CO) 6 ] 2 - + 12 [L-H]+
6 Cr(CO) 4 L 2 + 2 Cr3+ + 2 O H - + 10 H 2 0 + 3 H 2
L = Imid, Triaz u.a.
Die neue Synthese zeichnet sich nicht nur durch
hohe Effizienz und geringen Zeitaufwand aus, sie
ermöglichte auch die Darstellung bisher nicht zugänglicher Dicarbenkomplexe wie z.B. as-Bis(1.4dimethyltetrazolin - 5 - yliden) - tetracarbonylchrom
oder eis-1.4- Dimethyltetrazolin- 5 -yliden - bis(methylaminocarben)tetracarbonylchrom, einer Verbindung mit 2 verschiedenen Carbenliganden unterschiedlichen Donor- Akzeptor Verhaltens.
suche mit [Cr(CO) 4 (Imid) 2 ]PF 6 zeigten, daß die
einwertigen Radikalkationen in T H F unter COAbspaltung durch Ag+-Ionen leicht zu unlöslichen
braunen Produkten weiteroxidiert werden. Da das
Oxidationspotential der Ag(I)-Salze mit ca. -f- 0,75 V
{vs. SCE) für die [M(CO) 4 L 2 ]+-Radikalkationen offensichtlich zu hoch ist, sahen wir uns nach anderen Einelektronen-Oxidantien mit folgenden Eigenschaften um:
a) gerade ausreichendes Redoxpotential zur Oxidation M(CO) 4 L 2 -> [M(CO) 4 L 2 ]+; die Potentiale der neutralen Dicarbenkomplexe liegen soweit aus den elektrochemischen Untersuchungen bekannt - zwischen + 0,3 und - f 0,5 V {vs.
SCE);
b) leichte Abtrennbarkeit des reduzierten Oxidans
vom oxidierten Dicarbenkomplex;
c) das reduzierte Oxidans sollte nicht als CO-substituierender Ligand mit dem DicarbenkomplexKation reagieren können.
Als geeignete Oxidationsmittel erwiesen sich schließlich Ferrocenium-Salze, zumal das Redoxpotential
von [(CöH5) 2 Fe] + durch Substituenten an den C 5 H 5 Liganden sowie durch Änderung der Anionen noch
in gewissen Grenzen variiert werden kann. So konnte
nach Umsetzung von cis-Cr(CO) 4 (Imid) 2 mit Ferroceniumhexafiuorphosphat in T H F bei — 3 0 °C und
Ausfällen mit Hexan der oxidierte Komplex A+
als Hexafiuorophosphat in tief orangefarbenen Kristallen isoliert werden:
cw-Cr(CO) 4 (Imid) 2 + [Fc]+PF 6 -
2. Oxidation von cis-Bis(1.3-dimethyl-4-imidazolin2-yliden) -tetracarbonylchrom (0) A ;
Eigenschaften des Radikalkationkomplexes
[cis-Bis(1.3-dimethyl-4-imidazolin-2-yliden)tetracarbonylchrom(I)]+ A+
Versuche, die durch elektrochemische Oxidation
der neutralen Dicarben-Komplexe M(CO)4L2 erzeugten Radikalkationen [M(CO) 4 L 2 ]+ [1] in Form
reiner Salze aus den Elektrolytlösungen abzuscheiden, hatten keinen Erfolg. Wir versuchten
deshalb zunächst, die Dicarbenkomplexe mit Ag(I)Salzen zu oxidieren; nach anfänglich glatter Reaktion in T H F bei — 8 0 °C bis — 3 0 °C trat jedoch
sowohl bei den Cr- als auch bei Mo- und W-Verbindungen nach Zugabe etwa der halben äquivalenten Menge des Oxidationsmittels in allen Fällen
Zersetzung unter Gasentwicklung ein. Spätere Ver-
A
30°
•
T H F
[c^-Cr(CO) 4 (Imid) 2 ]PF 6 + [Fe]
A+
[Fc] = (C 5 H 5 ) 2 Fe
Das luftbeständige Salz löst sich gut in polaren
organischen Solventien wie T H F , Aceton und Methanol, schlecht in H 2 0 und ist in weniger polaren
Lösungsmitteln wie Diethylether und Hexan unlöslich. Gut ausgebildete rotbraune Einkristalle für
eine Röntgenstrukturanalyse wurden durch Überschichten einer gesättigten THF-Lösung mit Ether
bei — 2 0 °C erhalten. Bei der Oxidation von transCr(CO) 4 (Imid) 2 unter denselben Bedingungen entsteht das gleiche Produkt wie aus dem ds-Komplex.
entsprechend der durch cyclovoltammetrische Mes-
1316 K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes
sungen festgestellten überaus schnellen Umlagerung der frems-Dicarbenkomplex-Kationen in die
cis-Form [1], Inzwischen konnten weitere cis-Tetracarbonyl-dicarbenkomplexe des Chroms, Molybdäns und Wolframs mit verschiedenen heterocyclischen Carbenliganden durch Ferrocenium- bzw.
Acetylferroceniumsalze oxidiert und die entsprechenden Radikalkation-Salze isoliert werden [7].
Das chemische Verhalten der [Cr(CO)4(Imid) 2 ] + Salze wird bestimmt durch die thermische Labilität; sie ist jedoch nicht so ausgeprägt wie bei dem
von Läppert et al. erwähnten analogen kationischen
Tetracarbonylchromkomplex mit nichtaromatischen
Dimethylimidazolidin-yliden-Liganden [3]. Kristallines [Cr(CO)4(Imid)2]PF6 ist beständig bis Raumtemperatur, Lösungen in T H F und Aceton zersetzen sich merklich erst oberhalb 0 °C; die Halbwertszeit der Verbindung in 10~3 molarer Aceton-Lösung
beträgt bei 20 °C ca. 15 min. Bei der Zersetzung in
Lösung entsteht wieder Neutralkomplex A und
Imidazoliumsalz im Mol Verhältnis 1:1, ca. 2 5 % der
ursprünglichen Gesamtmenge an Carbenliganden
findet sich in einem unlöslichen braunen Produkt,
die Hälfte der im Ausgangskomplex enthaltenen
CO-Menge entweicht gasförmig. Man kann daraus
schließen, daß der oxidierte Dicarbenkomplex bei
der thermischen Zersetzung einer Disproportionierung unterliegt:
2 [Cr(CO) 4 (Imid) 2 ] + ->
Cr(CO) 4 (Imid) 2 + [Cr(Imid) 2 ] 2+ + 4 CO
Y
(Imid-H)+ + [Cr-Imid]2+
unlöslich
Die Protonierung eines Teils der Carbenliganden
erfolgt durch das Lösungsmittel, wie durch Einsatz von deuteriertem Aceton nachgewiesen wurde.
Diese Tendenz der Cr(I)-Dicarbenkomplexe zur
Disproportionierung in Cr(0)- und Cr(II)-Verbindungen zeigt sich besonders deutlich bei der Reaktion von [Cr(CO)4(Imid) 2 ] + -Salzen mit Isocyaniden:
2 [Cr(CO)4(Imid) 2 ]PF 6 + 4 CNR
1315
THF
—•
20 °C
[Cr(CNR)4(Imid) 2 ](PF 6 )2 + Cr(CO) 4 (Imid) 2 + 4 CO
R = CöHH, CÖHS
Die bei der thermischen Zersetzung formulierte
nicht näher charakterisierte Cr(II)-Stufe kann hier
als definierter diamagnetischer Dicarben-isocyanochrom(II)-Komplex isoliert werden. Damit ergeben
sich Möglichkeiten zur Synthese neuartiger Carbenkomplexe von Metallen der 6. Nebengruppe in
höheren Oxidationsstufen.
3. Spektroskopische Untersuchungen
Im IR-Spektrum zeigt der oxidierte Chromkomplex [Cr(CO)4(Imid) 2 ]PF 6 vier v(C = 0)-Banden, die
gegenüber den entsprechenden Absorptionen des
Neutralkomplexes Cr(CO)4(Imid)2 entsprechend der
geringeren Cr-C = O-Rückbindung um 100-120 c m - 1
zu höheren Frequenzen verschoben sind (Tab. I).
Vergleicht man die nach Cotton u. Kraihanzel berechneten C = 0-Kraftkonstanten [8] beider K o m plexverbindungen, so stellt man für die CO-Liganden am Kation-Komplex in äquatorialer Position
(trans-ständig zu je einem Carbenliganden) eine
stärkere Zunahme fest als für die axialer Position
(cis-ständig zu beiden Carbenliganden). Das stimmt
auch mit dem Ergebnis der Röntgenstrukturanalyse
überein, wonach die äquatorialen CO-Abstände bei
der Oxidation von A zu A+ eine wesentlich stärkere
Verkürzung erfahren, als die axialen CO-Bindungen. Im übrigen erscheinen IR-Banden des Neutralkomplexes A nur geringfügig verschoben auch
im Spektrum des Kationkomplexes A + bei 1579
(1579), 1457 (1448), 1401 (1397), 1318 (1302), 1231
(1228), 1080 (1074) cm~i (in KBr, Werte von A in
Klammern).
Im UV/Vis-Spektrum erscheint die Absorptionsbande höchster Wellenlänge des oxidierten K o m plexes in Aceton bei 430 nm (s = 1,6 • 10 3 ); sie ist
gegenüber der entsprechenden Bande des Neutral-
Tab. I. C=0-Valenzfrequenzen und Kraftkonstanten der Chrom(O)- und Chrom(I)-Dicarbenkomplexe A und A+.
Komplex
cis-Cr(CO)4(Imid)2
[cis-Cr(CO)4(Imid)2]PF6
A
A+
v(CO) cm - 1
(in THF)
Kraftkonstanten N m - 1
ki
k2
ki
1981 m, 1866 sh, 1852 s, 1830 m
2068 s, 1987 m, 1975 m, 1927 ss
1428,2
1604,0
1437,7
1588,0
42,3
43,8
1316
K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1316
komplexes bei 370 nm (e = 2,4 • 103) bathochrom
verschoben.
Um Aufschluß über die Radikaleigenschaften
der kationischen Dicarbenkomplexe zu erhalten,
haben Mir neben dem bereits beschriebenen
[Cr(CO) 4 (Imid)2]PF 6 A+ auch den analogen 1.3.4.5Tetramethyl-4-imidazolin-2-ylidenkomplex
[Cr(CO)4(Methimid) 2 ]PF 6 B+ exemplarisch untersucht. Lösungen von A+ und B+ in T H F ergeben
bei — 70 °C je ein ESR-Signal mit g = 2,032 und
2,029. Pulverspektren von A+ bei — 7 0 °C und
— 146 CC liefern g ± = 2,059 und gM = 1,988. Die
Breite der Signale läßt die Ermittlung von Hyperfein wechselwirkungskonstanten bisher nicht sicher
zu.
Das hat uns veranlaßt, NMR-Untersuchungen
durchzuführen. Tatsächlich ist die Elektronenrelaxationszeit der Radikalkomplexe A+ und B+ so
kurz, daß selbst bei Temperaturen < 0 °C (die
wegen Thermolabilität von A+ und B+ erforderlich
sind) gut auswertbare Spektren erhalten werden;
ein Beispiel gibt Abb. 1.
Temperaturabhängige iH-NMR-Spektren von
A+ zwischen 205 und 272 K zeigen, daß die Signale
linear mit 1/T wandern. Die paramagnetischen Verschiebungen bei 298 K ,
in ppm, sind für A+:
H-4/5 6,9; CH 3 -l/3 — 1 5 , 9 ; C-4/5 41,2; CH 3 -l/3 22,1;
für B+: CHs-1/3 — 1 6 , 2 ; CH 3 -4/5 —10,6; C-4/5 37,4.
Die restlichen C-Atome konnten bisher nicht
beobachtet werden, teils wegen zu geringen Abstandes zum Spinzentrum Chrom (zu schnelle Relaxation), teils wegen Störung durch Solvenssignale.
Auch ist die Vertauschung der Signale für CH 3 -l/3
und C-4/5 nicht ausgeschlossen. Im folgenden werden wir uns nur auf die X H-Daten stützen.
Der dipolare Anteil <3 d i P( 1 H) der ^ p ^ H ) läßt
sich auf bekanntem Wege [9] mit obigen g-Faktoren und den Röntgenstrukturdaten für A+ und B +
abschätzen zu — 0 , 5 < d^P^H) < 1 , 0 für die NMethylprotonen, — 0 , 3 < ö<"p(W) < 0,5 für H-4/5
und vernachlässigbare d^P^H) für die 4/5-Methylprotonen. Danach sind die <5Para in brauchbarer
Näherung als Kontaktverschiebungen anzusehen
und als qualitative Sonde für die ungepaarte Spindichte in den Carben-Liganden zu verwenden. Die
Richtung der magnetischen Momente, die sich von
der ungepaarten Spindichte ableiten, ergibt sich
aus den Verzeichen der ^Para(1H); sie sind für A+
1316 K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes
1317
in Abb. 1 mit ausgezogenen Pfeilen angegeben.
Beim Gang von A+ nach B+ wird H-4/5 durch Methyle ersetzt, was die Spinrichtung umkehrt; sie
steht dann parallel zu der auf den N-Methylprotonen.
Dieser Befund läßt sich weder mit einer Delokalisierung des ungepaarten Elektrons in einem a-MO,
noch mit einer Polarisierung der Ligand-o- oder
der Ligand-tt-Elektronen vereinbaren. Vielmehr
dominiert die direkte yr-Delokalisierung: das ungepaarte Elektron in einem Chrom-d-Orbital wird
über die Metall-Carben-jr-Bindung in den Liganden
übertragen. Die restlichen zu erwartenden Richtungen der magnetischen Momente lassen sich als
punktierte Pfeile im Ligand (Abb. 1) rekonstruieren.
Die Beträge der <5Para deuten auf eine weitgehende
Konzentration des ungepaarten Elektrons am
Chrom. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß zusätzliche Delokalisierungsmechanismen
einen kleinen Beitrag liefern.
4. Röntgenstrukturanalyse von
ci5-Cr(C0) 4 (Imid) 2 A und
[cis-Cr(CO) 4 (Imid) 2 ]PF 6 A+
Das Molekül des Chrom(0)-Komplexes A besteht
aus zwei identischen Hälften, die über die zweizäh lige kristallographische b-Achse ineinander überführt werden. Diese Achse ist im Molekül die Winkelhalbierende des Winkels, den das Chromatom
mit den beiden Carbenkohlenstoffatomen einschließt.
Die fast ebenen Imidazolringe (die maximalen
Abweichungen von der Ausgleichsebene sind in
beiden Verbindungen deutlich kleiner als die doppelten Standardabweichungen) bilden mit der durch
das Chromatom und die beiden Carbenkohlenstoffatome aufgespannten Ebene in A einen Winkel von
46° und in A+ von 44° bzw. 48°.
Beim Vergleich der Strukturen von A (Abb. 2,
Tab. II) und A+ (Abb. 3, Tab. II) fällt auf, daß die
heterocyclischen Carbenliganden bezüglich ihrer
Geometrie bei der Oxidation des Dicarbenkomplexes keine Veränderung erfahren. Die Atomabstände in den Carbenringen sind im übrigen sehr
ähnlich den im 1.3-Dimethylimidazol-2(3 H)-thion
C gefundenen Bindungslängen [10], während bei
dem von Wanzlick und Schönherr dargestellten
Bis (1.3- diphenyl - 4 - imidazolin - 2 - yliden) - Hg(II)Komplex D ein geringfügig größerer C-C-Abstand
in den Carbenringen gefunden wurde [11] (im Hin-
Abb. 3. Molekülstruktur von [cis-Cr(CO)4(Imid)2]PF6
A+.
1316
K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1318
Tab. II. Molekülgeometrien von cis-Cr(CO)4(Imid)2 A und [cis-Cr(CO)4(Imid)2]PF6 A+.
Verbindung A
Verbindung A+
Abstände (pm)
Cr-C 11
Cr-C 1
Cr-C 2
Cl-Ol
C2-0 2
C11-N 11
N 1 1 - C 12
C 12-C 13
C 13-N 12
N 12-C 11
213,1(3)
183,6(3)
187,9(3)
116,2(3)
115,3(4)
136,5(4)
138,2(4)
132,7(5)
138,3(4)
137,4(4)
Cr-C11
Cr-C 4
Cr-C 2
C4-04
C2-0 2
C 11-N 11
N11-C 12
C12-C 13
C 13-N 12
N 12-C 11
211,3(4)
193,0(5)
191,9(5)
113,2(6)
113,9(6)
137,8(5)
139,0(6)
133,3(7)
138,4(6)
136,2(5)
Cr-C 21
Cr-C 3
Cr-C 1
C3-0 3
Cl-Ol
C 21-N 21
N 21-C 22
C22-C23
C23-N22
N22-C21
211,9(4)
194,0(5)
189,5(5)
113,1(6)
114,0(6)
135,8(5)
136,9(6)
131,8(7)
137,9(6)
137,9(6)
Winkel (°)
C 11-Cr-C 1
C11-Cr-C 1
C11-Cr-C 11
C 1-Cr-C 1
C 2-Cr-C 2
C l 1-Cr-C 2
C l 1-Cr-C 2
C l 1 - N 11-C 12
N 11-C 12-C 13
C 12-C 13-N12
C 13-N 12-C 11
N 12-C 11-N 11
93,8(1)
178,3(1)
87,2(1)
85,3(1)
171,6(1)
90,5(1)
95,6(1)
112,1(3)
107,0(3)
106,9(3)
111,8(2)
102,3(2)
C l 1-Cr-C 3
C l 1-Cr-C 4
C l 1-Cr-C 21
C 3-Cr-C 4
C1-Cr-C2
C l 1-Cr-C 2
C 21-Cr-C 1
C l 1 - N 11-C 12
N 11-C 12-C 13
C 12-C 13-N 12
C 13-N 12-C 11
N 12-C 11-N 11
87,4(2)
174,0(2)
94,7(2)
86,9(2)
178,3(2)
93,3(2)
90,8(2)
111,4(4)
106,8(4)
107,1(4)
112,0(4)
102,7(3)
C21-Cr-C4
C 21-Cr-C 3
91,1(2)
176,0(2)
C11-Cr-C 1
C21-Cr-C2
C 21-N 21-C 22
N21-C22-C23
C22-C23-N22
C23-N22-C21
N22-C21-N21
88,0(2)
88,0(2)
111,8(4)
106,9(4)
107,4(4)
110,8(4)
103,1(3)
blick auf den relativ großen Fehler des C-C-Abstandes in D ist der Unterschied allerdings nicht
signifikant).
CH,
0 =
\
CRHC
CKHC
Ccio j
s
CH,
cBH«
CcHc
Deutliche Strukturunterschiede zwischen Neutralkomplex A und Kationkomplex A + treten vor
allem bei den äquatorialen Cr-C-O- Bindungen
(£rans-Position zu den Carbenliganden) auf: bei A +
sind die Cr-C-Abstände deutlich länger (um ca.
10 pm) und die C-O-Abstände kürzer (um ca. 3 pm)
als bei A. Im Bereich der axialen Cr-C-0-Abstände
(cis-Position zu beiden Carbenliganden) sind die
Unterschiede dagegen weit geringer und möglicherweise nicht signifikant. Nur geringfügig verändert mit einer Verkürzung um ca. 1,8 pm bei A + - sind
auch beide Cr-Ccarben-Abstände.
Alle gefundenen Strukturunterschiede zwischen
diamagnetischem Neutralkomplex A und paramagnetischem Kationkomplex A+ lassen sich anhand
der im folgenden dargestellten MO-Berechnungen
erklären.
5. Zur Elektronenstruktur des
aÄ-Tetracarbonyl-bis(1.3-dimethyl-4-imidazolin2-yliden) chrom (0) A und seines
Radikalkations A+
Die erstmaligen strukturellen Vergleichsmöglichkeiten zwischen einem Dicarbenkomplex und dessen
isolierbarem Radikalkation machen eine theoretische Untersuchung dieser Systeme besonders reizvoll. MO-Modellrechnungen (EHT [12]) lassen die
Ursachen der strukturellen Veränderungen im Gefolge der Einelektronenoxidation von A verstehen,
liefern Aussagen über die Ligandennatur des Carbensystems und deuten die spektroskopischen Befunde.
Geeigneter Ausgangspunkt für die theoretische
Beschreibung von A und A + ist die Elektronenstruktur des Neutralsystems, die sich aus derjenigen eines d 6 -Cr(CO)4-Fragmentes (C2v) und den Valenzorbitalen (Gruppen-MOs) der zwei Carbenliganden ableiten läßt. Ein solches Vorgehen auf der
Basis von Fragmentorbitalen [13] ermöglicht die
übersichtlichste Darstellung der Resultate expliziter MO-Rechnungen an den Gesamtmolekülen.
1316 K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes
Den MO-Rechnungen liegt dabei zunächst idealisierte C2v-Geometrie zugrunde (Ringebenen beider
Carbenliganden parallel zur z-Achse, s. Abb. 4 und
Abb. 5; Einzelheiten zur Geometrie im Anhang).
Die N-Methylgruppen sind der Einfachheit halber
durch Wasserstoffe ersetzt; auf die Auswirkungen
der Methylgruppen wird getrennt eingegangen. Die
nachstehenden Aussagen sind unabhängig vom Ersatz der N-methylierten Liganden durch das unsubstituierte 4-Imidazolin-2-yliden.
Die linke Seite von Abb. 4 zeigt die für die Chromkomplexe relevanten Valenzorbitale eines 4-Imidazolin-2-ylidens, eines stark 7r-donorsubstituierten Singulett-Carbens mit delokalisiertem heterocyclischem 7r-System. Höchstes besetztes MO ist
1319
das überwiegend am Carben-C lokalisierte o-Donororbital ai des Liganden, ein Lonepair in der Ringebene. Als LUMO fungiert 2b 2 , eines der fünf mit
insgesamt 6 Elektronen besetzten TI-MOS des Heterocyclus, die sich leicht störungstheoretisch aus
den ;r-MOs eines Cyclopentadienyl-Anions herleiten lassen [14]. Im Vergleich zum Akzeptororbital
(p-AO) eines einfachen Methylenliganden CH 2 oder
eines nicht donorsubstituierten Carbens CR 2 liegt
das über alle Ringzentren delokalisierte LUMO 2 b 2
bei wesentlich höherer Energie [15], was die 4-Imidazolin-2-yliden-Gruppe ähnlich wie analoge Carbenliganden C X Y ihre yr-Akzeptoreigenschaften
fast völlig verlieren läßt. Energetisch knapp unter-
E(eV)
3b0
-8.5-
3a,
-11.5-
-12. "
-12.5"
Abb. 4. Grenzorbitale eines 4-Imidazolin-2-ylidens (links) und des Dicarbenfragmentes (rechts), Geometrische Anordnung der beiden Carbenliganden wie
in den C2v-Komplexen.
1316
K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1320
halb des HOMO ai findet sich schließlich das höchste besetzte ;r-MO des Carbens [16], lb2, das gegenüber dem Metallzentrum gleiche Symmetrie wie
das LUMO aufweist und dem Liganden jr-Donoreigenschaften verleiht. Die rechte Seite von Abb. 4
zeigt die symmetrieadaptierten Linearkombinationen, die aus den MOs zweier Carbengruppen für das
Dicarbenfragment (geometrische Anordnung wie
im Komplex) resultieren. Die Aufspaltungen zwischen bindenden und antibindenden Linearkombinationen der jeweiligen MOs beider Liganden sind
aufgrund der unterschiedlichen Überlappung in der
vorgegebenen geometrischen Anordnung verschie-
den. HOMO des Dicarbenfragments ist die antibindende Linearkombination 2b 2 beider ai-a-Donorniveaus, ihr bindendes Gegenstück 1 ai liegt unterhalb der beiden Linearkombinationen 2ai und
l b 2 der besetzten tt-Orbitale, die nahezu entartet
bleiben, niedrigstes Akzeptor-MO am Liganden fragment ist 3ai, die in-Phase-Linearkombination
der 2b 2 LUMOs der Einzelliganden.
Die Valenzorbitale eines Cr(CO)4-Fragmentes
(C 2v ), bzw. allgemein eines C 2v -d 6 -MLi, sind in der
Literatur ausführlich beschrieben [17]. Sie resultieren aus dem t 2g - und e g -Orbital von Cr(CO)6 nach
„Abstraktion" zweier cis-ständiger CO-Liganden.
l_l
N
jf\
l j|
VJ
N
^
Abb. 5. MO-Schema (Valenzorbitale)
von cts-Tetracarbonyl-bis(4-imidazolin2-yliden)chrom(0) bzw. seines Radikalkations (3ai einfach besetzt). Idealisierte C2v-Symmetrie. Für Cr(CO)4 sind
nur die Metallbeiträge zu den MOs gezeigt.
1316 K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1321
Über drei besetzten MOs bei tieferer Energie (a2, bi,
l a i ; yz, xz, x2-y2) [18], entsprechend t 2g beim Oktaeder, etwas unterschiedlich stabilisiert durch Rückbindung zu den vier CO-Gruppen, finden sich zwei
unbesetzte Molekülorbitale, b 2 (xy, y) und 2ax
(Hybrid aus z2, x2-y2, x, s).
Abb. 5 zeigt die zum Valenz-MO-Schema des
Dicarben-Komplexes [19] führenden Wechselwirkungen zwischen Cr(CO)4- und Dicarben-Fragment.
Die G-Donorni veaus der Carbene, l a i und 2b 2 ,
überlappen stark mit den beiden Akzeptororbitalen
b 2 und 2ai des Metallfragments und ergeben die
im MO-Schema bei tiefster Energie liegenden besetzten Orbitale 1 ai und 1 b 2 der Chrom-Carben-oBindungen. Die Cr(CO)4-MOs a 2 und bi bleiben
praktisch unbeeinflußt, ebenso l b 2 des Carbensystems, wobei diese drei MOs im Komplex nahezu entartet sind. Entscheidend ist die Wechselwirkung des Cr(CO)4-MOs l a i {x2-y2 am Cr, hierzu
bindend die nicht dargestellten jr*-Anteile der beiden äquatorialen COs) mit den MOs 2ai (besetzt)
und 3ai (leer) der Carbenseite, also mit jr-Donorund jr-Akzeptororbitalen beider Carbenliganden.
Im typischen Muster für drei Orbitale wird 1 ai des
Metallfragmentes einerseits vom rc-Donor-MO 2ai
des Dicarben-Fragmentes energetisch destabilisiert
und es resultiert als HOMO (3ai) des Komplexes
die antibindende Linearkombination beider Orbitale. In dieses höchste besetzte MO mischt das nAkzeptorniveau 3ai der Carbenseite bindend zu
l a i des Metalls ein; wegen des schwachen Akzeptorcharakters der Carbene (3ai bei hoher Energie)
geschieht dies aber nur in geringem Ausmaß. (Zusammensetzung des HOMO 3ai im K o m p l e x : 5 4 %
l a i des Cr(CO)4, 3 7 % 2ai und nur 4 , 5 % 3ai des
Dicarben-Fragmentes [20]). Damit ergibt sich das
im nachstehenden Schema 1 qualitativ dargestellte
Aussehen des HOMO; ein Konturdiagramm dieses
Orbitals in der Ebene beider Carbenkohlenstoffe
und des Cr zeigt Abb, 6.
' J I
Abb. 6. Konturdiagramm des HOMO (3ai) von cisTetracarbonyl-bis(4-imidazolin-2-yliden)chrom(0) =
SOMO des Radikalkations. Durchgezogene (gestrichelte) Linien entsprechen positivem (negativem) Vorzeichen der Wellenfunktion. Die Konturlinien ganz
rechts zeigen den Schnitt durch die Mitte der C-CBindungen der Carbenliganden. Die Konturlinien entsprechen Werten der Wellenfunktion von ± 0 , 1 , ±0,09,
± 0 , 0 8 ••• ± 0 , 0 3 .
Die von den folgenden Orbitalen energetisch abgesetzte und relativ hohe Lage des HOMO bedingt
die leichte Oxidierbarkeit von Komplexen wie A.
Das Neutralmolekül verliert dabei ein Elektron aus
diesem Orbital, das zum einfach besetzten MO
(SOMO) des Radikalkations wird. Der Verlust eines
Elektrons aus 3ai aber muß entsprechend Abb. 6
vor allem die Bindungen zwischen Chrom und den
beiden äquatorialen Carbonylkohlenstoffen schwä-
1322
K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes
chen (verlängern) und die entsprechenden C-O-Bindungen stärken (verkürzen). Die axialen Cr-C- und
C-O-Bindungen sollten unbeeinflußt bleiben, da
die axialen CO-Gruppen praktisch keinen Anteil an
der Wellenfunktion von 3ai haben. Konsequenz
der Oxidation ist somit erhöhte Substitutionslabilität selektiv der äquatorialen Carbonvle und Erleichterung nucleophiler Angriffe an deren C-Zentren. (EH-Ladungen an den äquatorialen CarbonylC-Atomen: Neutralkomplex 0,70; Kation 0,76;
axiale C-Atome: Neutralkomplex und Kation 0,73).
Die relativen Bindungsstärken (Überlappungspopulationen) der C-O-Bindungen kehren sich beim
Übergang vom Neutralkomplex (C-O a x > C-O e q U )
zum Kation (C-O a x < C-O e q U ) um.
Die Natur der Carbenliganden als überwiegende
a- und Ti-Donoren muß wegen der hierdurch bedingten antibindenden Phasenbeziehung zwischen
Carbenkohlenstoffen und Chrom im Orbital 3ai (s.
Abb. 6) außerdem die Metall-Carben-Bindungen
als Folge der Oxidation verstärken (verkürzen);
dabei sollte die Verkürzung dieser Bindungen weniger signifikant sein als die Verlängerung der Bindungen zu den Carbonyl-C-Atomen, denen ja in
3ai wesentlich mehr Anteil an der Wellenfunktion
zukommt. In MO-Rechnungen für Neutralkomplex
und Radikalkation bei festgehaltener Geometrie
spiegeln sich die strukturellen Konsequenzen der
Entfernung eines Elektrons aus dem HOMO im
Gang der zwischenatomaren Überlappungspopulationen wider, deren Veränderungen alternativ zu
aufwendigen Geometrieoptimierungen die Richtung
anzeigen, in die das Neutralmolekül nach Einelektronenoxidation relaxieren wird. Die berechneten
Änderungen der Überlappungspopulationen ( x 10 3 )
als Folge der Entfernung des Elektrons aus dem
HOMO des Neutralkomplexes sind nachstehend
wiedergegeben. Sie entsprechen den experimentellen Befunden der Bindungslängenänderungen in den
2 Molekülstrukturen [21].
+ 0.2
0
-9.8
0
Der die Verkürzung der Cr-Carben-Abstände bedingende Donorcharakter der 4-Imidazolin-2-ylidene ergibt sich auch aus der berechneten NettoLadungsübertragung von 0,56 Elektronen pro Carben ans Metallfragment im Cr(0)-System; der Ladungstransfer in die n- Akzeptororbitale durch Rückbindung vom Metallfragment aus beträgt hingegen
nur 0,06 Elektronen pro Carbenligand.
Da das im Radikalkation vorliegende ungepaarte
Elektron im MO 3ai verbleibt [22], ergeben sich
auch Aussagen über die Verteilung seiner Spindichte und deren Konsequenzen. Sie ist überwiegend im Cr(CO)4-Teil des Kations, hauptsächlich
am Cr (x2-y2) lokalisiert, in Übereinstimmung mit
dem ESR-Spektrum. Da 3ai aber außerdem auch
an beiden Carbenliganden Anteile der Wellenfunktion aufweist (s. Schema 1 und Abb. 6) und dort vor
allem zu Spindichte in der C-C-^-Bindung der Ringe führt, werden auch die paramagnetischen
iH-NMR-Spektren von A+ gut verständlich. Die
direkte Delokalisierung von Spindichte des ungepaarten Elektrons ins ^-System der Carben-Liganden führt zur beobachteten Hochfeldverschiebung
der H-Atome an der C-C-Bindung und zur Tieffeldverschiebung der N-CH3-Protonen, bzw. der Protonen der Ringmethylgruppen in B+.
Es sei abschließend betont, daß die für unsere
Modellrechnungen bisher festgehaltene konformative Einstellung der beiden 4-Imidazolin-2-ylidene
nach den Rechnungen nur um 0,5 kcal ungünstiger
ist als eine Konformation mit konrotatorisch um
je 45° gedrehten Carbenringen [23] (Ringebenen
,,auf Lücke" relativ zu den 4 jeweiligen cis-Liganden), die sich nach Optimierung als Minimumsgeometrie für den neutralen Modellkomplex und
das Kation ergibt. Es liegt praktisch freie Rotation
um die Cr-Carben-Bindungen vor.
Für die experimentell untersuchten Komplexe
mit N-CH3-Gruppen wird die freie Rotation sterisch mehr behindert. Auch hier ergibt die Geometrieoptimierung konrotatorisch um 45° gedrehte
Carbenliganden, in voller Übereinstimmung mit
den Strukturdaten bei A und A+. NMR-Untersuchungen haben gezeigt [5], daß die der Röntgenstruktur und den MO-Rechnungen entsprechende
Grundzustandsgeometrie auch in Lösung bei tiefer
Temperatur einfrierbar ist. Als Ligandbewegung
kleinsten Energieaufwands, die in den Spektren bei
höherer Temperatur zeitlich gemittelte C2v-Sym-
1316 K. Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1323
metrie bedingt, ergeben die MO-Rechnungen eine
konrotatorische Drehschwingung um die Cr-CarbenBindungen, die die beiden enantiomeren „auf
Lücke"-Konformationen (ohne vollständige Rotation) über einen C2v-Übergangszustand ineinander
überführt. Die Barriere für Ligandrotationen liegt
energetisch etwas höher, waagrechte Lage eines
Carbenrings erfordert dabei aus sterischen Gründen
gleichzeitig Senkrechtstellung des anderen.
Die generellen Aussagen aus den Rechnungen mit
idealisierter C2v-Symmetrie bleiben im übrigen auch
bei allen sterisch zugänglichen rotameren Einstellungen der Carbenliganden, insbesondere für die
Minimumsgeometrien, gültig.
6. Anhang
Die MO-Rechnungen sind vom Extended-Hükkel-Typ [12] mit Standardwerten für Ionisierungspotentiale und atomare Wellenfunktionen bei C, N,
0 und H. Die Atomparameter für Cr sind früheren
Arbeiten [24] entnommen. Zur Berechnung der
Hij-Matrixelemente diente eine modifizierte Wolfsberg-Helmholz-Beziehung [25],
Den gezeigten Diagrammen lag idealisierte C2vGeometrie der Komplexe zugrunde, die rotamere
Einstellung wurde für beide Carbenliganden unabhängig optimiert. Alle Bindungswinkel am Cr betrugen 90°; ansonsten wurden folgende Abstände
und Winkel verwendet: alle Cr-CCo 1,85 Ä, alle
C - 0 1,16 Ä, C r - C e a r b e n 2,13 Ä, alle Winkel C r - C - 0
180°. Geometrie der 4-Imidazolin-2-ylidene: idealisiert (lokale C 2v -Symmetrie) übernommen aus der
Röntgenstruktur von A, NH-Bindungen 1,0 Ä.
Experimenteller Teil
1. ESR- und NMR-Spektren
Die ESR-Spektren wurden mit einem Varian-E3Spektrometer, die NMR-Spektren mit einem BrukerCXP200-Spektrometer aufgenommen. Die NMRSignale wurden relativ zum Solvens gemessen und
relativ zu entsprechenden Signalen der diamagnetischen Analogverbindungen umgerechnet [5, 7]. Die
<5J?98a entstammen einer Regressionsanalyse temperaturabhängiger Messungen oder wurden nach dem
Curie-Gesetz umgerechnet.
2. Röntgenstrukturanalyse
a)
Verbindung
Cr(CO)$(ImidA
A (Cr(CO)4(C5H8N2)2, M = 356,31) kristallisiert in
der Raumgruppe C2/c mit 8 halben Molekülen in
der Elementarzelle, a: 876,2(1), b: 1408,5(2), c:
1308,0(2) [pm], ß: 97,11(2) [°], V : 1602 x 10^ [pm 3 ].
Bei — 3 0 °C wurden 1392 Reflexe im Bereich 2° <
2 6 < 48° mit w-scan (Mo-Ka-Strahlung, X =
71,069 pm) vermessen. Eine Absorptionskorrektur
wurde nicht vorgenommen. Nach Lorentz- und Polarisationskorrektur, Entfernung systematisch ausgelöschter Reflexe und Mittelung symmetrieäquivalenter Reflexe wurden 1087 Strukturfaktoren größer
3,92 a (Fo) erhalten. Die Lösung der Struktur erfolgte
durch die Pattersonmethode. Die anisotrope Verfeinerung aller Nichtwasserstoffatome bei konstanten Wasserstoffatomlagen führte zu den Übereinstimmungswerten RI = 3,6% und R2 = 3,9%.
A+
b) Verbindung [Cr(CO)*(Imid)2JPF6
A+ (Cr(CO)4(C5H8N2)2PF6,_M = 501,28) kristallisiert in der Raumgruppe P i (Z = 2). a: 781,1(2),
b: 1246,6(2), c: 1150,6(2) [pm], a: 79,91(2), ß:
100,94(2), y : 111,12(2) [°], V : 1019x106 [pm 3 ]. Bei
— 30 °C wurden 2778 Reflexe im Bereich 2° < 26 <
48° mit co-scan (Mo-Ka-Strahlung, 1 = 71,069 pm)
vermessen. Eine Absorptionskorrektur wurde nicht
vorgenommen. Nach Lorentz- und Polarisationskorrektur und Mittelung der Friedelpaare wurden
2775 Strukturfaktoren größer 1,2 a (F 0 ) erhalten. Die
Lösung der Struktur erfolgte durch direkte Methoden (Syntex-XTL-Multan). Die anisotrope Verfeinerung aller Nichtwasserstoffatome bei konstanten
Wasserstoffatomlagen führte zu den Übereinstimmungswerten R1 = R2 = 5,6%. Die ebenfalls durchgeführte Verfeinerung mit 2342 Strukturfaktoren
größer 3,92 0(Fo) ergab zwar etwas bessere Übereinstimmungswerte, wurde aber wegen der schlechteren
Standardabweichungen nicht verwendet.
3. Darstellung von
cis-Cr(CO)i(ImidA
3,53 g (4,0 mmol) K2H[Cr2(OH)3(CO)6] [26] und
3,59 g (16,0 mmol) 1.3-Dimethylimidazoliumiodid
werden unter Luftausschluß in 6 ml Ethylenglycolmonomethylether gelöst und in einem Schlenkrohr
auf 160 °C erhitzt. Nach x/2 h wird das Lösungsmittel
i.Vak. abgezogen und die Temperatur für eine weitere V2 h auf 170 °C erhöht. Nach Abkühlen wird
das graugrüne Reaktionsgemisch mit 6 x 20 ml N2gesätt. T H F extrahiert; die Extrakte werden i.Vak.
eingedampft und der Rückstand zweimal mit je
20 ml H2O/CH3OH 1:1 gewaschen. Nach Umkristallisieren aus THF/CH3OH erhält man reines A in
hellgelben Kristallen. Ausbeute 2,06 g (96%).
4. Oxidation von cis-Cr(CO)4(Imid)2
zu [cis-Cr(CO)4(Imid)2JPFe
A+
A
1,00 g (2,80 mmol) A werden unter Luftausschluß
bei — 3 0 °C in 20 ml NYgesätt. THF gelöst und mit
0,92 g (2,76 mmol) Ferroceniumhexafluorophosphat
1316
K . Ackermann et al. • Synthese, Molekül- und Elektronenstruktur eines Radikal-Kationkomplexes 1324
versetzt. Nach einstündigem Rühren bei — 3 0 °C
wird die rotbraune Lösung über eine kiihlbare Fritte
in ein Schlenkrohr mit 75 mi H e x a n v o n — 5 0 °C
filtriert. Das ausfallende Produkt wird auf einer
kühlbaren Fritte gesammelt und mit jeweils
3 X 20 ml Ether und H e x a n bei — 2 5 °C gewaschen.
N a c h Lösen in 35 ml T H F bei — 2 5 °C und langsamem Ausfällen mit 15 ml H e x a n erhält man reines
A+, das im H o c h v a k . bei 0 °C getrocknet wird.
Orangefarbene
Kristalle,
Zersetzung
oberhalb
+ 25 °C. Ausbeute 1,21 g ( 8 8 % , bez. auf [ F c ] P F 6 ) .
Ci 4 Hi6CrF 6 N404P (501,28)
Ber. 0 33,54 H 3,21
Gef. 0 33,96 H 3,47
[1] R. D. Rieke, H. Kojima und K. Öfele, J. Am.
Chem. Soc. 98, 6735 (1976).
[2] R. D. Rieke, H. Kojima und K. Öfele, Angew.
Chem. 92, 550 (1980); Angew. Chem. Int. Ed.
Engl. 19, 538 (1980).
[3] M. F. Läppert, R. W. McCabe, J. J. McQuitty,
P. L. Pye und P. I. Riley, J. Chem. Soc. Dalton
1980, 90.
[4] K. Öfele, E. Roos und M. Herberhold, Z. Naturforsch. 31b, 1070 (1976).
[5] C. G. Kreiter, K . Öfele und G. W . Wieser, Chem.
Ber. 109, 1749 (1976).
[6] W . Hieber, K. Englert und K. Rieger, Z. Anorg.
Allg. Chem. 300, 295 (1959); W. Hieber und
K . Rieger, ibid. 288.
[7] K. Öfele, H. Kratzer und H. Krist, in Vorbereitung.
[8] F. A. Cotton und C. S. Kraihanzel, J. Am. Chem.
Soc. 84, 4442 (1962).
[9] P. Jesson in G. N. LaMar, W. DeW. Horrocks
(Jr.) und R. H. Holms (eds): NMR of Paramagnetic Molecules, S. 20, Academic Press, New
York, London 1973.
[10] G. B. Ansell, J. Chem. Soc. Perkin I I 1972, 841.
[11] P. Luger und G. Ruban, Acta Crystallogr. B 27,
2276 (1971).
[12] R. Hoffmann, J. Chem. Phys. 39, 1397 (1963);
R. Hoffmann und W. N. Lipscomb, J. Chem.
Phys. 36, 2179, 3489 (1962); 37, 2872 (1962).
[13] R. Hoffmann, Science 211, 995 (1981); T. A.
Albright, Tetrahedron 38, 1339 (1982); P. Hofmann, Nachr. Chem. Techn. Lab. 30, 498 (1982).
[14] E. Heilbronner und H. Bock, Das HMO-Modell
und seine Anwendung, Verlag Chemie, Weinheim
1968.
[15] Vgl. hierzu: P. Hofmann, Electronic Structure of
Transition Metal Carbene Complexes in: "Transition Metal Carbene Complexes", Verlag Chemie,
im Druck; R. Gleiter und R. Hoffmann, J. Am.
Chem. Soc. 90, 5457 (1968).
[16] Die drei nicht gezeigten weiteren TT-MOS des
Liganden spielen für die Diskussion keine Rolle.
[17] R. Hoffmann, Angew. Chem. 94, 725 (1982);
Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 21, 711 (1982) und
dort zit. Lit.
[18] Statt 3d yz , 3d2;2-J/2 • • • verwenden wir die Kurzschreibweise yz, x2-y2 • • • etc.
[19] Vgl. hierzu das MO-Schema eines „nackten"
M(CH 2 ) 2 : R. Hoffmann, C. N. Wilker und O.
Eisenstein, J. Am. Chem. Soc. 104, 632 (1982).
[20] Die zusätzliche geringfügige Einmischung von 1 ai
der Ligandenseite in 3ai führt zur im Konturdiagramm von 3ai sichtbaren Reorientierung der
Carben-C-Beiträge zur Wellenfunktion.
[21] Die ebenfalls relativ deutlichen Änderungen der
Überlappungspopulationen innerhalb der Carbenringe, vor allem in der C-C-Bindung, finden keinen
Niederschlag in den Strukturen. Hierzu ist jedoch
zu berücksichtigen, daß bei den starken C-Nund C-C-Bindungen gleiche Absolutänderungen
von Überlappungspopulationen zu wesentlich geringeren Bindungslängeneffekten führen werden.
[22] Diese Beschreibung im Einelektronenbild ist sinnvoll, da die entsprechende Konfiguration in einer
CI-Wellenfunktion des Radikalkations dominierend sein sollte.
[23] Für cis-Cr(C0)4(CH2)2 ergeben Rechnungen die
Geometrie mit einem „waagrechten" und einem
„senkrechten" CH2-Liganden als geringfügig begünstigt: M. M. L. Chen, Ph. D. Thesis, Cornell
1975. Wir danken Prof. R. Hoffmann und Dr.
M. M. L. Chen für die Mitteilung unveröffentlichter Ergebnisse.
[24] T. A. Albright, P. Hofmann und R. Hoffmann,
J. Am. Chem. Soc. 99, 7546 (1977); T. A. Albright,
R. Hoffmann und P. Hofmann, Chem. Ber. 111,
1591 (1978).
[25] J. H. Ammeter, H.-B. Bürgi, J. C. Thibeault und
R. Hoffmann, J. Am. Chem. Soc. 100, 3686 (1978).
[26] G. Brauer, Handbuch der Präparativen Anorganischen Chemie, Bd. III, S. 2021, Enke, Stuttgart
1981.
[27] Die vollständigen Daten der Röntgenstrukturanalyse können beim Fachinformationszentrum
Energie-Physik-Mathematik, D-7514 EggensteinLeopoldshafen unter Angabe der Hinterlegungsnummer CSD 50519, des Autors und des Zeitschriftenzitats angefordert werden.
Cr 10,37
Cr 10.04
N 11,17,
N 10,92.
Diese Arbeit wurde v o n der Deutschen Forschungsgemeinschaft und v o m Fonds der Chemischen Industrie finanziell unterstützt. Herrn Dr.
R . Artes aus unserem Institut sowie Herrn T. K u d o
aus d e m Institut für R a d i o c h e m i e der T U München
danken wir für die Durchführung der ESR-Messungen, Herrn J . R i e d e für technische Hilfe bei den
Röntgenstrukturanalysen.
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