22.01.2014 Prof. Gunther Hartmann

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„Das immunsensorische System geht über die eigentlichen Immunzell...
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Immunologie: „Das immunsensorische System geht über die eigentlichen Immunzellen hinaus“
22.01.2014
Prof. Gunther Hartmann; © privat
Es ist Wächter des Körpers und unter Umständen sein Feind: Das Immunsystem schützt uns auf
zellulärer Ebene vor Eindringlingen, kann aber auch schwerwiegende Erkrankungen auslösen,
wenn es den Körper selbst fälschlich als Bedrohung erkennt. Molekulare Rezeptoren im
gesamten Körper ermöglichen diese „Wahrnehmung“ dessen, was im Körper geschieht.
MEDICA.de sprach mit Prof. Gunther Hartmann vom Universitätsklinikum Bonn über den Bonner
Exzellenzcluster „ImmunoSensation“. Hartmann und seine Kollegen dort betrachten das
Immunsystem als Sinnesorgan, das Informationen über Krankheitserreger sammelt und sie für
eine Immunantwort koordiniert. Diesen Ansatz können die Forscher zur Behandlung von
Autoimmunkrankheiten nutzen.
MEDICA.de: Prof. Hartmann, woran forscht der Exzellencluster „ImmunoSensation“?
Gunther Hartmann: Der Cluster fasst das Immunsystem als immunsensorisches System auf, das heißt
als ein weiteres Sinnesorgan, das mit Rezeptoren nach Pathogenen oder Schädigungen im Körper
sucht. Dieses System geht über die eigentlichen Immunzellen hinaus, da Sinnesrezeptoren des
immunsensorischen Systems auch in anderen Körperzellen vorhanden sind. Es hat sich herausgestellt,
dass das Immunsystem auch eng mit anderen funktionellen Systemen des Körpers, wie dem
metabolischen oder dem Nervensystem, verbunden ist.
MEDICA.de: Welche Fachrichtungen beteiligen sich an dieser Forschungsarbeit?
Hartmann: Federführend beteiligt sind zwei Bereiche hier an der Universität Bonn: die Medizinische
Fakultät sowie LIMES, Life and Medical Sciences, an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen
Fakultät. Außerdem sind das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und das
center of advanced european studies and research (ceasar) am Exzellenzcluster beteiligt.
Fachlich kooperieren die Fachgebiete der Immunologie, der Neurowissenschaften und der Mathematik
der Universität mit den Neurowissenschaften am DZNE und der Biophysik und der molekularen Sensorik
am caesar. Außerdem arbeiten wir international mit Partnern aus den USA, England, Irland, Israel und
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Japan zusammen.
Das Immunsystem erstreckt sich mit seinen Rezeptoren über den gesamten Körper. Dabei ist es auch mit dem Nervensystem verbunden. Seine Informationen werden aber in den Immunorganen ausgewertet;
© panthermedia.net/
Shubhangi Kene
MEDICA.de: Was bedeutet es konkret, das Immunsystem als Sinnesorgan zu begreifen? Wie hängt es
mit anderen Systemen des Körpers zusammen?
Hartmann: Bei den meisten Sinnesorganen erfolgt die Verrechnung der Signale im zentralen
Nervensystem. Dort werden ihre Signale integriert und ausgewertet. Auch das Immunsystem ist mit dem
Nervensystem verbunden, aber seine Signale werden nicht dort, sondern in den Immunorganen selbst
integriert. Die Immunzellen sind in der Regel mobile Einheiten. Wir fokussieren uns thematisch auch
darauf, wie die gesamte Information aus diesen mobilen Einheiten integriert wird, sodass die richtige
Immunreaktion daraus resultiert: Es muss zu einer spezifischen, zielgerichteten Immunantwort kommen,
die nicht den eigenen Körper schädigt, sondern den Schaden abwendet. Dabei sind Mechanismen der
sterilen Entzündung, die unabhängig von Infektionen, Bakterien oder Viren stattfinden, ein wichtiges
Thema des Clusters. Im Zentrum des immunsensorischen Systems stehen Rezeptoren, die sich auf
Immunzellen und Körperzellen befinden. Damit wirken auch Nicht-Immunzellen im immunsensorischen
System mit.
MEDICA.de: Welche Rolle spielen die Rezeptoren bei der Entstehung von Krankheiten beziehungsweise
beim Schutz dagegen?
Hartmann: Es gibt verschiedene Rezeptorfamilien. Eine erkennt virale Nukleinsäuren, eine andere
bakterienspezifische Moleküle. Sie stellen die Anwesenheit von eindringenden Keimen über die
Anwesenheit bestimmter Moleküle fest, die im Menschen nicht vorkommen, und können so früh
Abwehrmechanismen gegen eine Erkrankung in Gang setzen. Andere Liganden erkennen auch
krankhaft veränderte Moleküle des menschlichen Organismus, wenn diese beispielsweise in zu großer
Menge vorkommen oder in molekular veränderter Form. Eine fälschliche Erkennung von eigenen
Nukleinsäuren kann jedoch auch zur Auslösung von Autoimmunerkrankungen führen.
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Im Kern der Forschung stehen Rezeptoren, die fremde und körpereigene Moleküle erkennen und
unterscheiden können. Sie sammeln Informationen über mögliche Gefahren und Eindringlinge; ©
panthermedia.net/Sebastian Kaulitzki
MEDICA.de: Wie unterscheidet sich diese Betrachtung des Immunsystems von vorherigen Sichtweisen?
Hartmann: Die Immunforschung hat mehrere Wellen von Entwicklungen erlebt. Bis etwa 1965 hat man
sich vor allem mit dem humoralen Immunsystem befasst, dazu gehören die B-Zellen und die von ihnen
produzierten Antikörper. Dann hat sich gezeigt, dass T-Zellen wiederum die B-Zellen steuern. Die
Besonderheit beider Immunzelltypen, der B- und T-Zellen, ist, dass sie während der Lebenszeit des
Menschen neue Gene durch Rekombination erzeugen. Damit entstehen auch neue Rezeptoren, die
gezielt auf bestimmte neue Oberflächenstrukturen von Bakterien oder Viren ausgerichtet sind. Man
spricht daher vom erworbenen Immunsystem.
Das erworbene Immunsystem muss aber dahingehend gesteuert werden, ob eine Immunantwort
überhaupt in Gang gesetzt werden soll, oder nicht. Die Zellen des angeborenen Immunsystems
übernehmen diese Funktion, allen voran die dendritischen Zellen. Sie erkennen über immunsensorische
Rezeptoren Gefahren für den Organismus und aktivieren T-Zellen oder induzieren Toleranz. Wir
verstehen nun sowohl die Rezeptoren des angeborenen Immunsystems als auch die Rezeptoren der Tund B-Zellen mit Antikörpern als Teile des immunsensorischen Systems, denn alle Rezeptoren sind
hochspezialisiert für das Erkennen von Gefahren und Schädigungen.
MEDICA.de: Was für Ansätze bieten sich hier zur Behandlung von Krankheiten?
Hartmann: Sterile Entzündungen spielen eine wichtige Rolle bei bestimmten Volkskrankheiten wie
Atherosklerose, Neurodegeneration bei Morbus Alzheimer oder Gicht. Bei all diesen Erkrankungen
kommt es zu einer sterilen Entzündung. Außerdem gibt es verschiedene erblich bedingte, sterile
entzündliche Erkrankungen, die oft einen ernsten Verlauf haben, wie beispielsweise das Muckle-WellsSyndrom. Diese Erkrankungen sind heute hervorragend behandelbar, nachdem man jetzt die
molekularen Mechanismen versteht, die für die Überstimulation des Immunsystems durch körpereigene
Moleküle verantwortlich sind. Mit der Blockade der Mechanismen, die am Entzündungsprozess beteiligt
sind, kann man heute das immunsensorische System wieder ins Gleichgewicht bringen, und damit diese
autoinflammatorische Erkrankung weitgehend heilen.
© Barbara Frommann-Czernik
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